Archiv für den Monat: März 2021

Wiedereinsetzung III: Wiedereinsetzung gewährt, oder: Kein Widerruf gewährter Wiedereinsetzung

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Und zur Abrundung dann eine Entscheidung aus dem Wiedereinsetzungsverfahren, und zwar zu folgendem Sachverhalt:

Mit Beschluss vom 16.07.2020 hatte das AG Leer Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen. Gegen diese ihm am 24.07.2020zugestellte Entscheidung hatte der Verurteilte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 15.09.2020, per Fax eingegangen am 16.09.2020, sofortige Beschwerde eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumen der Beschwerdefrist beantragt. Mit Beschluss vom 06.10.2020 hatte das AG dem Verurteilten Wiedereinsetzung gewährt.

Mit Beschluss vom 27.10.2020 hat das LG, an das die Sache zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss weitergeleitet worden war, den die Wiedereinsetzung gewährenden Beschluss des Amtsgerichts vom 06.10.2020 aufgehoben, den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die sofortige Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss vom 16.07.2020 als unzulässig verworfen.

Hiergegen wendet sich dann der Verurteilte. Und er hatte beim OLG Erfolg, das im OLG Oldenburg, Beschl. v. 12.01.2021 – 1 Ws 554/20 – meint:

„Das im Hinblick auf die Unzulässigkeit der weiteren Beschwerde gegen die Widerrufsentscheidung (§ 310 Abs. 2 StPO) bei sachgerechter Auslegung allein als sofortige Beschwerde gegen die den Antrag auf Wiedereinsetzung verwerfende Entscheidung gemäß § 46 Abs. 3 StPO anzusehende Rechtsmittel hat Erfolg.

1. Allerdings hat der Verurteilte die Frist zur Einlegung dieses Rechtsmittels von einer Woche nach Bekanntmachung (§ 46 Abs. 3 i.V.m. § 311 Abs. 2 StPO) ebenfalls nicht eingehalten. Gegen diese Fristversäumnis war dem Verurteilten jedoch auf seine Kosten (§ 473 Abs. 7 StPO) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Denn da die Entscheidung nicht mit der nach § 35a StPO erforderlichen Rechtsmittelbelehrung versehen war, ist das Versäumen der Frist als unverschuldet anzusehen (§ 44 Satz 2 StPO).

2. Das zulässige Rechtsmittel führt zur Aufhebung der Entscheidung des Landgerichts über das mit Schriftsatz des Verteidigers vom 15. September 2020 angebrachte Wiedereinsetzungsgesuch.

Zwar war das Landgericht als für die Entscheidung über die sofortige Beschwerde gegen den Widerruf zuständiges Gericht und nicht das Amtsgericht zur Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag berufen (§ 46 Abs. 1 StPO). Die gleichwohl mit Beschluss des Amtsgerichts Leer vom 6. Oktober 2020 bewilligte Wiedereinsetzung ist aber für das weitere Verfahren bindend (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 46 Rz. 7). Das Landgericht war deshalb gehindert, selbst über den Wiedereinsetzungsantrag zu befinden und die gegen den Widerrufsbeschluss gerichtete sofortige Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.

Auf die sofortige Beschwerde war daher die Entscheidung der Strafkammer über das Wiedereinsetzungsgesuch aufzuheben. Hierdurch wird die mangels Zulässigkeit einer weiteren Beschwerde selbst nicht anfechtbare Beschwerdeentscheidung des Landgerichts über den Widerrufsbeschluss des Amtsgerichts Leer vom 16. Juli 2020 hinfällig (vgl. OLG Düsseldorf. Beschluss v. 06.01.1988, 2 Ws 557/87, NStZ 1988, 238). Insoweit wird die Strafkammer nunmehr in der Sache zu entscheiden haben.“

Wiedereinsetzung II: Anforderungen an den Antrag, oder: Wie oft denn eigentlich noch?

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Die zweite Entscheidung kommt dann noch einmal vom BGH. Der hat im BGH, Beschl. v. 17.12.2020 – 3 StR 423/20 – noch einmal – zum wievielten Mal eigentlich? – zu den Anforderungen an die Begründung eines Wiedereinsetzungsantrags Stellung genommen. Und zwar wie folgt:

„II. Bereits das persönliche Schreiben des Angeklagten vom 28. September 2020 ist als Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 44, 45 StPO) zu werten (§ 300 StPO). Da der Angeklagte die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist nicht in Abrede stellt, sondern geltend macht, sein Verteidiger habe dies zu vertreten, wird seinem Rechtsschutzbegehren durch eine entsprechende Auslegung des Schreibens hinreichend Rechnung getragen. Eine Deutung des Antrags als zudem gestellter Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts nach § 346 Abs. 2 StPO ist demgegenüber nicht veranlasst.

Sowohl dieser vom Angeklagten selbst gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als auch der mit dem Verteidigerschriftsatz vom 5. Oktober 2020 gestellte Wiedereinsetzungsantrag sind unzulässig.

1. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auf Antrag demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO). Der Antrag ist binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 45 Abs. 1 Satz 1 StPO); innerhalb der Wochenfrist muss der Antragsteller auch Angaben über den Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses machen. Zudem ist innerhalb der Antragsfrist die versäumte Handlung nachzuholen (§ 45 Abs. 2 Satz 2 StPO).

2. Zwar ist der mit Schreiben des Angeklagten vom 28. September 2020 gestellte Wiedereinsetzungsantrag fristgerecht angebracht worden. Nachdem der Angeklagte am 24. September 2020 von der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist Kenntnis erlangt hatte und damit das Hindernis für die Fristwahrung entfallen war, hat er mit seinem am 1. Oktober 2020 beim Landgericht eingegangenen Schreiben die Wochenfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO hinsichtlich des Anbringens des Wiedereinsetzungsantrages gewahrt. Jedoch ist entgegen § 45 Abs. 2 Satz 2 StPO innerhalb der am 1. Oktober 2020 endenden Wochenfrist die Revisionsbegründung und damit die versäumte Handlung nicht nachgeholt worden. Die Frist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO gilt – von hier nicht relevanten Ausnahmefällen abgesehen – auch dann, wenn es sich bei der versäumten und nachzuholenden Handlung um die Begründung einer Revision handelt. Die Monatsfrist des § 345 Abs. 1 StPO wird insofern durch die Wochenfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO ersetzt (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Januar 1997 – 1 StR 543/96, NStZ-RR 1997, 267; KK-StPO/Maul, 8. Aufl., § 45 Rn. 9; MüKoStPO/ Valerius, § 45 Rn. 19). Die Revisionsbegründung ist jedoch erst mit dem Verteidigerschreiben vom 5. Oktober 2020 nachgeholt worden. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte schuldlos gehindert war, für ein Anbringen der Revisionsbegründung innerhalb der Frist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO Sorge zu tragen, sind nicht ersichtlich, zumal er in seinem Schreiben vom 28. September 2020 vorgebracht hat, er habe bereits einen anderen Anwalt mandatiert.

3. Auch der mit Verteidigerschriftsatz vom 5. Oktober 2020 gestellte weitere Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand genügt den Formerfordernissen des § 45 StPO nicht. Denn maßgebend für den Beginn der Wochenfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO ist der Zeitpunkt, zu dem der Angeklagte selbst Kenntnis von der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist erlangt hat (BGH, Beschlüsse vom 27. November 2019 – 5 StR 539/19, juris; vom 20. November 2019 – 4 StR 522/19, NStZ-RR 2020, 49, 50; vom 26. Juni 2018 – 3 StR 197/18, juris Rn. 3 f.; vom 29. November 2016 – 3 StR 444/16, StraFo 2017, 66; vom 14. Januar 2015 – 1 StR 573/14, NStZ-RR 2015, 145). Dies gilt selbst dann, wenn der Verteidiger – wie hier – eigenes Verschulden geltend macht, das dem Angeklagten nicht zuzurechnen wäre (BGH, Beschlüsse vom 20. November 2019 – 4 StR 522/19, NStZ-RR 2020, 49, 50; vom 2. Juli 2019 – 2 StR 570/18, StraFo 2019, 469, 470; vom 2. April 2019 – 3 StR 63/19, juris Rn. 5 f.). Auf den im Schriftsatz vom 5. Oktober 2020 mitgeteilten Zeitpunkt der Kenntniserlangung durch den Verteidiger kommt es hingegen nicht an. Daher hätten mit dem Verteidigervorbringen Angaben dazu gemacht werden müssen, wann der Angeklagte Kenntnis von der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist erlangt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. Juli 2019 – 2 StR 570/18, StraFo 2019, 469, 470; vom 26. Juni 2018 – 3 StR 197/18, juris Rn. 3 f.; vom 29. November 2016 – 3 StR 444/16, StraFo 2017, 66; vom 14. Januar 2015 – 1 StR 573/14, NStZ-RR 2015, 145). Hieran fehlt es jedoch. Zudem ergibt sich aus dem Vorbringen des Angeklagten in seinem Schreiben vom 28. September 2020, dass dieser – wie dargetan – am 24. September 2020 Kenntnis davon erlangt hat, dass die Revisionsbegründungsfrist versäumt worden war. Die Unzulässigkeit des mit dem Verteidigerschriftsatz vom 5. Oktober 2020 gestellten weiteren Wiedereinsetzungsantrags folgt deshalb auch daraus, dass die mit diesem Schreiben angebrachte Revisionsbegründung entgegen § 45 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht innerhalb der Frist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO nachgeholt worden ist.“

Wiedereinsetzung I: Nachholung von Verfahrensrügen, oder: Nicht zur Reparatur „handwerklicher Mängel“

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Heute ist dann ein Wiedereinsetzungstag mit zwei BGH-Entscheidungen und zwei OLG-Entscheidungen. M.E. sind diese Fragen schon von Bedeutung. Denn Wiedereinsetzungsanträge haben ja häufig keinen Erfolg, weil bei der Antragstellung Fehler gemacht werden.

Ich beginne mit zwei Entscheidungen zur Wiedereinsetzung zur Nachholung von Verfahrensrügen.

Dazu hat zuletzt u.a. auch der BGH noch einmal Stellung genommen. Er führt dazu im BGH, Beschl. v. 02.12.2020 – 2 StR 267/20 – aus:

„1. Der Antrag des Angeklagten, ihm Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 31. Januar 2020 zu gewähren, ist unzulässig, weil seine Revision bereits von seinen Pflichtverteidigern frist- und formgerecht begründet worden ist.

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung von Verfahrensrügen kommt nur ausnahmsweise bei besonderen Verfahrenslagen in Betracht, in denen dies zur Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. Februar 1951 – 1 StR 5/51, BGHSt 1, 44, 46; vom 23. August 2012 – 1 StR 346/12; vom 14. November 2019 – 5 StR 505/19 je mwN). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier – wie vom Generalbundesanwalt näher ausgeführt – nicht vor, auch nicht mit Blick darauf, dass die Urteilszustellung an den Wahlverteidiger zunächst nicht bewirkt werden konnte. Durch die sodann erfolgte spätere Zustellung der Urteilsurkunde wurde die Revisionsbegründungsfrist für den Beschwerdeführer insgesamt sogar verlängert.

2. Der weitere Antrag des Angeklagten auf Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Heilung der Mängel von nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechenden Verfahrensrügen ist ebenfalls unzulässig. Die Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsgesuchs ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass geltend gemacht wird, den Angeklagten treffe an den Mängeln kein Verschulden. Könnte ein Angeklagter, dem durch die Antragsschrift des Generalbundesanwalts ein formaler Mangel in der Begründung einer Verfahrensrüge aufgezeigt worden ist, diese unter Hinweis auf ein Verschulden seines Verteidigers nachbessern, würde im Ergebnis die Formvorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO außer Kraft gesetzt. Dies würde nicht mit dem öffentlichen Interesse in Einklang stehen, einen geordneten Fortgang des Verfahrens zu sichern und ohne Verzögerung alsbald eine klare Verfahrenslage zu schaffen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachbesserung einer Verfahrensrüge kommt daher nur in besonderen Prozesssituationen ausnahmsweise in Betracht, wenn dies zur Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. August 1991 – 4 StR 384/91, wistra 1992, 28; vom 25. September 2012 – 1 StR 361/12, wistra 2013, 34). Eine solche Ausnahmesituation liegt ersichtlich nicht vor.“

Ähnlich das OLG Hamm im OLG Hamm, Beschl. v. 06.01.2021 – 4 RVs 131/20 – mit folgenden Leitsätzen zu diesem Komplex:

1. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung einzelner Revisionsrügen ist in der Regel jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn der Angeklagte und sein Verteidiger in der tatrichterlichen Hauptverhandlung anwesend waren. Ist die Revision des Angeklagten infolge der rechtzeitig erhobenen Sachrüge frist- und formgerecht begründet worden, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung von Verfahrensrügen nur ausnahmsweise bei besonderen Verfahrenslagen in Betracht, in denen dies zur Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint. Ist Gegenstand der Verfahrensrüge und Anlass für das Wiedereinsetzungsgesuch die Nichtgewährung von Akteneinsicht, muss der Beschwerdeführer zur Zulässigkeit seines Wiedereinsetzungsbegehrens für jede Rüge ausreichend darlegen, dass er gerade durch die fehlende Akteneinsicht an einer ordnungsgemäßen Begründung gehindert war.

2. Die §§ 44 ff. StPO dienen nicht dazu, etwaige (vom Angeklagten unverschuldete) handwerkliche Mängel in der Rechtsmittelbegründung seines Verteidigers nachträglich zu beheben, sondern nur dazu, über eine (vom Angeklagten nicht verschuldete) Fristversäumnis hinwegzuhelfen.

 

Haben fertig – die Druckmaschinen laufen dann für den RVG-Kommentar und das OWi-Handbuch, beide 6. Aufl.

So, haben dann – << Werbemodus an>> (endlich) fertig 🙂 .

Die Druckmaschinen laufen jetzt nämlich für:

 

 

 

 

 

  • Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Auflage, 2021

 

  • Burhoff (Hrsg.), Handuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Auflage, 2021

 

 

 

Bei beiden Büchern hat es etwas länger gedauert als geplant, aber manchmal kann man es nicht beeinflussen. Das ist wie mit der Pandemie – man braucht Geduld.

Jetzt wird es aber was und die Bücher sind dann für den 26.03.2021 angekündigt. Danach wird dann ausgeliefert.

Natürlich kann man die Werke noch (vor)bestellen, und zwar ganz einfach auf der Bestellseite meiner Homepage. Die Bücher kommen dann „automatisch“ nach Erscheinen.

Und: <<Werbemodus aus>>

Befangen III: Wenn Richter und Staatsanwältin ein Ehepaar sind, oder: Nicht allein deswegen befangen

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Und als dritte und letzte Entscheidung dann noch der LG Freiburg, Beschl. v. 22.01.2021 – 17/19 6 Ns 270 Js 36278/18. Auch zur Besorgnis der Befangenheit.

Das LG hatte über die Selbstablehnung eines Richters am LG zu entscheiden.Der war Berichterstatter in einem Berufungsverfahren. Der Angeklagte ist vom Jugendschöffengericht – Freiburg vom Vorwurf des gemeinschaftlichen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung freigesprochen. Dagegen die Berufung der Staatsanwaltschaft. Das Ziel der Rechtsmittel ist u.a. die Verurteilung des Angeklagten wegen der angeklagten Tat. Die sachbearbeitende Staatsanwältin ist die Ehefrau des nach dem Kammergeschäftsverteilungsplan zuständigen Richters RLG Dr. X. Der Kammervorsitzende zeigte in Absprache mit und für den Berichterstatter diesen Umstand den Verfahrensbeteiligten mit Mail  gem. § 30 StPO an. Der zuständige Abteilungsleiter der StA teilte daraufhin mit, der dargelegte Sachverhalt dürfte die Besorgnis der Befangenheit begründen, der Verteidiger schloss sich zunächst dieser Auffassung an. Der Vorsitzende bat daraufhin den Berichterstatter um eine dienstliche Stellungnahme. Dieser äußerte sich wie folgt:

„Ganz allgemein möchte ich zunächst klarstellen, dass die persönliche Beziehung zu meiner Frau nach meiner Auffassung keinen Einfluss auf Standpunkte nimmt, die ich in Bezug auf Sachverhalte beziehe, mit denen ich mich beruflich als Richter befasse. Ich bin überzeugt, dass meine Frau und ich, private und dienstliche Belange insofern klar voneinander zu trennen wissen. Konkret zum oben genannten Verfahren meine ich mich zu erinnern, dass meine Frau mir nach der mündlichen Verhandlung beim Amtsgericht von der Verhandlung und dem Ausgang des amtsgerichtlichen Verfahrens berichtet hat. Aufgrund des Zeitablaufs kann ich mich an den genauen Gesprächsablauf nicht mehr erinnern. Nach meiner Erinnerung habe ich selbst aber keine Stellung dazu bezogen, zu welcher Überzeugung ich aufgrund der Beweislage gekommen wäre. Schon mangels Aktenkenntnis und persönlichem Eindruck aus der Hauptverhandlung wäre ich dazu nicht in der Lage gewesen.“

Der Abteilungsleiter der StA hielt nach Vorliegen der Stellungnahme des Berichterstatters an seiner Auffassung fest, da unabhängig von einer tatsächlichen Beeinflussung oder Befangenheit jedenfalls vor dem Hintergrund des Informationsaustauschs aus der Sicht eines „vernünftigen“ Ablehnenden ein Grund gegeben sei, der geeignet sei, Misstrauen in die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Einen Befangenheitsantrag gegen den Berichterstatter stellte der Abteilungsleiter nicht. Der Verteidiger teilte nunmehr mit, nach Kenntnisnahme von der Stellungnahme des Berichterstatters hege er keine Besorgnis der Befangenheit hinsichtlich seines Einsatzes laut Geschäftsverteilungsplan. Gegebenenfalls wäre an eine Vertretung der sachbearbeitenden Staatsanwältin im vorliegenden Verfahren durch einen anderen Staatsanwalt oder Staatsanwältin zu denken. Der Angeklagte selbst hatte sich dahingehend geäußert, ihm sei diese Konstellation „egal“.

Die Kammer hatte die Besorgnis der Befangenheit des Berichterstatters verneint:

„Die Selbstanzeige des Berichterstatters wäre nur dann begründet, wenn die mitgeteilten Umstände vom Standpunkt eines anfechtungsberechtigten Beteiligten einen vernünftigen Grund für die Besorgnis abgeben, der betreffende Richter werde nicht unparteiisch entscheiden (vgl. Scheuten in KK-StPO, 8. Aufl. 2019, § 30, Rn. 5 mwN). Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Persönliche Verhältnisse sind zwar grundsätzlich geeignet, die Entscheidungsfreiheit eines Richters zu beeinträchtigen oder wenigstens den Anschein zu erwecken, dies könne der Fall sein, was auch § 22 Nr. 1 bis 3 StPO aufzeigt. Die dienstlichen und persönlichen Verhältnisse sind allerdings durch die Ausschließungsgründe der §§ 22, 23 StPO grundsätzlich erschöpfend geregelt, eng auszulegen und dürfen – auch angesichts des Rechts auf den gesetzlichen Richter – nicht dadurch erweitert werden, dass für bestimmte Fälle § 24 StPO „zur Lückenfüllung“ herangezogen wird (vgl. Scheuten in KK-StPO, 8. Aufl. 2019, § 24, Rn. 7 mwN). Soweit nicht die im Gesetz aufgeführten engen persönlichen Verhältnisse vorliegen, die zu einem Ausschluss eines Richters führen, darf man folglich grundsätzlich von der Fähigkeit eines Richters ausgehen, sich von Befangenheit frei zu halten, und von der Einsicht der Prozessbeteiligten, dass der Richter dies tun werde (vgl. Siolek in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2016, § 24, Rn. 30).

Danach kann die eheliche oder verwandtschaftliche Beziehung eines Richters zu einer mit dem Verfahren befassten Staatsanwältin nicht allgemein zu dessen erfolgreicher Ablehnung führen (vgl. nur OLG Karlsruhe BeckRs 2016,11603; BGH BeckRS 2011, 24828; BGH NJW 2004, 163). Besondere individuelle Gründe, die ausnahmsweise eine andere Beurteilung gebieten würden, ergeben sich aus den Stellungnahmen der Beteiligten oder aus sonstigen konkreten Umständen nicht. Allein der Umstand, dass die Staatsanwältin nach der erstinstanzlichen Verhandlung vor knapp einem Jahr ihrem Ehemann von dem Fall berichtet hat, genügt hierfür nicht. Allgemein ist von einem Berufsrichter kraft Ausbildung und berufsethischem Verständnis zu erwarten, dass er nur nach Recht und Gesetz objektiv entscheidet und sich durch persönliche Beziehungen nicht beeinflussen lässt.“