Archiv für den Monat: März 2021

Wochenspiegel für die 10. KW, das war Corona, Corona, Datenschutz im Verkehr, WhatsApp und 2 x BVerfG

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Heute läuft dann die 10. KW aus 2021 ab. Ich bin dann mal wieder erstaunt, wie schnell es immer geht. Gestern geühlt noch Weihnachten, heute dann schon 10. KW zu Ende und Ostern naht mit Riesenschritten.

Und hier dann der Hinweis auf folgende Beiträge anderer Blogs:

  1. Update: Corona-Arbeitsschutzverordnung (Corona-ArbSchV) verlängert und neue klarstellende Regelungen,
  2. LG Frankfurt: Corona-Lockdown – Kein Anspruch aus Betriebsschließungsversicherung wenn diese in Bedingungen auf Liste in Infektionsschutzgesetz aus Vor-Corona-Zeit Bezug nimmt,
  3. Bußgeldermittlungen gegen Verkehrssünder als Datenschutzverstoß, und: Rüge durch Datenschutzbehörde: Bußgeldermittlungen verstoßen gegen Datenschutz!

  4. BVerfG erlaubt Vermögensabschöpfung bei verjährten Straftaten,

  5. WhatsApp-Spionage und Staatstrojaner: Sicherheit um jeden Preis?,

  6. Stalking und § 238 StGB – noch immer nicht ausreichend reguliert?

  7. BGH: Keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch Volkswagen AG bei Kauf des Fahrzeugs nach Bekanntwerden des Dieselskandals,
  8. Papa hört mit,

  9. Keine Haftung von Vereinsvorstand für GEMA-Forderung

  10. und aus meinem Blog mal etwas Gebühren-/Kostenrechtliches: Die oft horrenden SV-Kosten in “KiPo-Verfahren”, oder: Ggf. unverhältnismäßig, wenn höher als die Geldstrafe?

Vorfahrtsregelung im Parkhaus, oder: Welche Sorgfaltsanforderungen bestehen?

entnommen wikipedia.org

Die zweite Entscheidung des Tages, das LG Saarbrücken, Urt. v. 23.12.2020 – 13 S 122/20 – ist auch nicht mehr ganz taufrisch, aber heute dann ebenfalls endlich 🙂 .

Entschieden hat das LG über einen Verkehrsunfall in einem Parkhaus. Der Kläger befuhr mit seinem Pkw auf dem 5. Parkdeck die zur Ausfahrt führende Parkgasse. Die Zeugin pp. fuhr mit ihrem Mercedes B 180, auf einer von rechts in die Fahrbahn des Klägers einmündenden Parkgasse. Über der Zufahrt dieser Gasse ist ein Verkehrszeichen 205 (Vorfahrt gewähren) angebracht. Als der Kläger die Einmündung passierte und die Zeugin nach rechts in die Fahrbahn des Klägers einbog, kam es zur Kollision. Dabei berührten sich das klägerische Fahrzeug am Kotflügel vorne rechts und das von der Zeugin geführte Fahrzeug am Kotflügel vorne links. Dem Kläger entstand ein Schaden von insgesamt 3.135,59 €, den der Beklagte zu 50 % regulierte.

Der Kläger ist von der vollen Haftung der Beklagten ausgegangen, die Beklagten nur von einem Anteil von 50 %. Sie haben nur in der Höhe reguliert. Der Kläger hat den Rest eingeklagt. Das AG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte teilweise Erfolg:

„1. Zutreffend ist das Amtsgericht zunächst davon ausgegangen, dass sowohl der Kläger als auch der Beklagte grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß §§ 7, 17 Abs. 1, 2 StVG i.V.m. § 115 VVG, § 6 Abs. 1 AusPflVG – der beklagte Verein ist nach § 2 Abs. 1 b AuslPflVG an die Stelle des zuständigen Versicherers getreten – einzustehen haben, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis im Sinne des §§ 17 Abs. 3 StVG darstellte.

a) Unabwendbar nach § 17 Abs. 3 StVG ist ein Ereignis nur dann, wenn es auch durch äußerste Sorgfalt – gemessen an den Anforderungen eines Idealfahrers, die erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt i.S.v. § 276 BGB hinausgehen (BGH, Urteil vom 18. Januar 2005 – VI ZR 115/04, NZV 2005, 305) – nicht abgewendet werden kann (Scholten in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, a.a.O., § 17 StVG, Rn. 14 f. m.w.N.). Die besondere Sorgfalt des Idealfahrers muss sich dabei nicht nur in der konkreten Gefahrensituation, sondern auch bereits im Vorfeld manifestieren.

b) Dem hierfür darlegungs- und beweispflichtigen Kläger ist es nicht gelungen, den Nachweis der Unabwendbarkeit des Unfalls zu erbringen. Ein umsichtiger und vorausschauender Idealfahrer hätte in der konkreten Verkehrssituation in seine Überlegung mit einbezogen, dass die Zeugin … ihn übersehen oder sich ihm gegenüber vorfahrtberechtigt glauben könnte. Er hätte den Einmündungsbereich daher erst dann passiert, wenn durch Verständigung eindeutig festgestanden hätte, dass die Zeugin ihm die Vorfahrt gewähren würde.

2. Im Rahmen der danach gebotenen Haftungsabwägung gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG ist die Erstrichterin davon ausgegangen, dass beide Fahrer den Unfall durch einen Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO verursacht haben. Hiergegen wendet sich die Berufung mit Erfolg.

a) Noch zutreffend hat das Erstgericht die StVO angewandt. Die StVO regelt und lenkt den Verkehr auf öffentlichen Wegen und Plätzen. Öffentlich ist ein Verkehrsraum, wenn er entweder ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten für jedermann oder aber für eine allgemein bestimmte größere Personengruppe zur Benutzung zugelassen ist und auch so benutzt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2011 – 4 StR 401/11, NZV 2012, 394; Kammerurteil vom 15. Februar 2019 – 13 S 115/19 mwN). Bei der Eröffnung eines der Allgemeinheit zugänglichen Parkhauses sind diese Voraussetzungen unabhängig davon erfüllt, ob die Geltung der StVO durch eine vorhandene Beschilderung ausdrücklich angeordnet ist (vgl. BGH, Urteil vom 25. April 1985 – III ZR 53/84, VersR 1985, 835; BGH, Urteil vom 9. März 1961 – 4 StR 6/61, BGHSt 16, 7, 10; Kammer, st. Rspr.; vgl. Urteil vom 21. November 2014 – 13 S 132/14, Zfs 2015, 201).

b) Auch die Annahme der Erstrichterin, § 8 Abs. 1 StVO käme unter den gegebenen Umständen nicht zur Anwendung, begegnet keinen Bedenken. Nach vorherrschender Auffassung, der sich die Kammer in ständiger Rechtsprechung angeschlossen hat, ist § 8 Abs. 1 StVO auf Parkplätzen (bzw. in Parkhäusern) grundsätzlich nur dann anwendbar, wenn die angelegten Fahrspuren (eindeutig) Straßencharakter haben (vgl. Nachweise im Kammerurteil vom 15. Februar 2019 – 13 S 115/19). Zu bejahen ist ein solcher, wenn durch die bauliche Ausgestaltung oder durch die Fahrbahnmarkierung eine gekennzeichnete Straßen- oder Wegeführung gegeben ist, die der Zu- und Abfahrt der Fahrzeuge dient. Erforderlich ist eine hinreichende Abgrenzung von den Parkboxen. Merkmale für die Abgrenzung sind neben der Markierung auch die Fahrbahnbreite und die Verkehrsführung. Dienen die Fahrspuren nicht dem „fließenden Verkehr“, sondern dem Suchverkehr, ist das Merkmal zu verneinen (Spelz in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 8 StVO, Rn. 71). Unter Beachtung dieser Grundsätze hat die Erstrichterin den (eindeutigen) Straßencharakter der hier in Rede stehenden Fahrgassen zu Recht verneint. Denn die streitgegenständlichen, zwar durch Markierung von den Parkboxen abgegrenzten Fahrgassen dienen ausweislich der in der Akte befindlichen Lichtbilder in erster Linie der Zufahrt zu weiteren Parkboxen. Dass die Beschilderung und auf der Fahrbahn befindliche Fahrtrichtungspfeile auch auf die Ausfahrt des Parkhauses hinweisen, ändert hieran nichts.

c) Hiervon ausgehend hatten beide Beteiligten die allgemeinen Sorgfaltsanforderungen nach § 1 Abs. 2 StVO zu beachten, die sich nach den konkreten Anforderungen der Verkehrslage und den jeweiligen örtlichen Verhältnissen richten. Diese wurden vorliegend durch die eindeutige Beschilderung („Vorfahrt-gewähren“) aus Fahrtrichtung der Zeugin … seitens des Parkhausbetreibers besonders ausgestaltet bzw. konkretisiert. Die Verwendung von Verkehrszeichen außerhalb des öffentlichen Straßenverkehrs z.B. zur Verkehrsregelung auf privaten Grundstücken ist nicht nur zulässig, sondern sogar erwünscht (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 2004 – I ZB 15/03 -, BPatGE 47, 297). Zwar geht von Ihnen keine bindende Wirkung i.S. einer straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtlichen Haftung aus. Zivilrechtlich können sie allerdings eine Mithaftung begründen, da ihr Regelungsgehalt jedenfalls im Rahmen des gegenseitigen Rücksichtnahmegebots entsprechend zu beachten ist (vgl. z.B. LG Düsseldorf, Urteil vom 21. August 2014 – 16 O 126/13, juris; AG Düsseldorf, Urteil vom 12. September 2007 – 35 C 6864/07, Schaden-Praxis 2007, 424; Thüringer Oberlandesgericht, Urteil vom 04. Dezember 2015 – 2 U 326/15; OLG Köln, Urteil vom 23. Juni 1993 – 13 U 59/93, Schaden-Praxis 1994, 178; Freymann in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., Einleitung – Grundlagen des Straßenverkehrsrechts, Rn. 30; Wern in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 39 StVO, Rn. 24). Dementsprechend trifft die Zeugin … vorliegend ein erheblicher Sorgfaltsverstoß, weil sie das aus ihrer Sicht gut erkennbare Verkehrszeichen missachtet und so den Unfall mit dem auf der bevorrechtigten Fahrgasse fahrenden Klägerfahrzeug verursacht hat.

d) Ein Verstoß des Klägers gegen die Sorgfaltspflichten des § 1 Abs. 2 StVO ist demgegenüber nicht feststellbar. Zwar ist es zutreffend, dass der Kläger mit von rechts kommendem Fahrzeugverkehr jederzeit rechnen und sein Fahrverhalten hierauf einstellen musste. Dies gilt umso mehr als er die Zeugin … unstreitig schon vor ihrer Einfahrt in seine Fahrgasse wahrgenommen hatte. Vorliegend ist allerdings nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon auszugehen, dass die Zeugin ihr Fahrzeug an der Einmündung zunächst angehalten und so ein Vertrauen des in Kenntnis der örtlichen Verkehrsreglung heranfahrenden Klägers darauf begründet hatte, sie werde sein Vorfahrtsrecht achten. Dem diesbezüglichen Vortrag des Klägers ist die Zeugin nicht entgegengetreten, sondern ging selbst davon aus, angehalten zu haben (Bl. 102 d.A.). Da vorliegend auch nicht ersichtlich ist, dass die Missachtung der Vorfahrt durch die Zeugin … bereits zu einem Zeitpunkt für den Kläger erkennbar wurde, in dem er die Kollision noch durch ein Ausweichmanöver oder ein Abbremsen hätte vermeiden können, kann ein unfallursächlicher Sorgfaltsverstoß des Klägers nicht als erwiesen angesehen werden. So lässt sich auch die Vermutung des Beklagten, der Kläger könne schon deshalb nicht mit angepasster Geschwindigkeit bzw. jederzeit bremsbereit gefahren sein, da es zur Kollision gekommen sei, nicht beweiswürdig nachvollziehen. Der Einholung eines von der Beklagtenseite angebotenen Unfallrekonstruktionsgutachtens bedarf es insoweit nicht, da greifbare Anhaltspunkte dafür fehlen, wann eine entsprechende Reaktionsaufforderung an den Kläger erging.

3. Vor diesem Hintergrund steht im Rahmen der gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG gebotenen Abwägung der Verursachungsbeiträge dem Sorgfaltsverstoß der Zeugin … lediglich die einfache Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs gegenüber, die hier nicht zurücktritt. Dies käme nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn das Verschulden des Unfallgegners durch besondere Umstände erschwert wäre. Solche Umstände, die das Verschulden der Zeugin … als besonders schwerwiegend erscheinen lassen könnten, liegen hier allerdings nicht vor, zumal die einzuhaltenden Sorgfaltspflichten auf Parkflächen einander angenähert sind (vgl. z.B. Kammer, Urteil vom 3. Juli 2020 – 13 S 41/20 und vom 19. Juli 2013 – 13 S 61/13, zfs 2013, 564, jeweils m.w.N.) und der Kläger die Einmündung ohne eine Rückversicherung, dass die Zeugin … ihn gesehen hatte, passierte. Vor diesem Hintergrund trägt eine Haftungsverteilung von 75% zu 25% zu Lasten des Beklagten den Verursachungsanteilen angemessen Rechnung.“

Obliegenheitsverletzung in der Kaskoversicherung, oder: Wartepflicht nach einem Verkehrsunfall?

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Im „Kessel Buntes“ stelle ich dann heute mal zunächst mal wieder eine Entscheidung zur Obliegenheitsverletzung in der Kaskoversicherung durch unerlaubtes Entfernen vom Unfallort vor. Das OLG Karlsruhe, Urt. v. 06.08.2020 – 12 U 53/20 – ist schon etwas älter, aber heute klappt es dann (endlich) mit dem Bericht.

Gestritten wird um Ansprüche aus einer Vollkaskoversicherung. Der Kläger befuhr am 28.01.2019 befuhr der Kläger mit seinem PKW VW Golf die Kreisstraße K. in Richtung G. An der Einmündung K./L. überfuhr er ein Verkehrsschild (Sachschaden: 200,00 EUR), das Fahrzeug überschlug sich und kam in dem neben der Straße verlaufenden Bach zum Endstand. Der Kläger begab sich nach der Kollision zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt zurück zu einem Vereinsheim in B. Um 7:00 Uhr verständigte er seine Ehefrau telefonisch über den Unfall. Die Ehefrau des Klägers holte diesen in der Folge im Vereinsheim in B ab und verbrachte ihn in das J-Krankenhaus in H. Durch den Unfall zog sich der Kläger eine 10 cm lange klaffende, 1 cm tiefe Risswunde oberhalb der Hutkrempe orthogonal zur Sagittalnaht auf der Verbindungslinie zwischen den Ohren sowie eine Hautablederung und eine Schürfwunde zu (vgl. den vorläufigen Arztbrief in Anl. K1). Gegen 8:30 Uhr verständigte die Ehefrau des Klägers die Polizei.

Ein gegen den Kläger geführtes Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs des unerlaubten Entfernens vom Unfallort ist gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt worden. Der Kläger hat seinen Unfallschaden bei der Kaskoversicherung geltend gemacht. Die Beklagte lehnte eine Regulierung ab. Zur Begründung führte sie an, der Kläger habe Obliegenheiten aus dem Versicherungsvertrag verletzt. Er habe Alkohol zu sich genommen und sich unerlaubt von der Unfallstelle entfernt.

Das LG hat die Klage abgewiesen, die Berufung des Klägers hatte beim OLG dann aber Erfolg:

„d) Eine Obliegenheitsverletzung des Klägers ist nicht darin zu sehen, dass er nach der Kollision mit einem Verkehrsschild nicht am Unfallort verblieb, sondern wegging.

aa) Erste Voraussetzung einer Obliegenheitsverletzung nach E.1.1.3 ist, dass sich ein Unfall zugetragen hat. Ein Unfall im Straßenverkehr liegt bei einem plötzlichen Ereignis vor, in welchem sich ein verkehrstypisches Schadensrisiko realisiert und das unmittelbar zu einem nicht völlig belanglosen fremden Sach- oder Körperschaden führt (vgl. Maier a.a.O. Rn. 83).

Ein solcher Fremdschaden ist mit der unfallbedingten Beschädigung des Verkehrsschildes in Höhe von 200,00 EUR gegeben. Die in der versicherungsrechtlichen Rechtsprechung angenommene Bagatellgrenze von maximal 100,00 EUR (vgl. Klimke a.a.O. Rn. 25 m.w.N.) bzw. die in der strafrechtlichen Rechtsprechung angenommene Bagatellgrenze von maximal 50,00 EUR (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 24.01.2007 – 2 St OLG Ss 300/06 –, juris Rn. 19; s.a. Kudlich, in BeckOK StGB, Stand 01.05.2020, § 142, Rn. 4.2 m.w.N.) wurden vorliegend jedenfalls überschritten.

bb) Dahinstehen kann, ob sich der Kläger, wie von ihm vorgetragen, bei Verlassen des Unfallortes nicht bewusst war, das Verkehrsschild beschädigt zu haben.

cc) Jedenfalls ist eine Verletzung des Klägers gegen die Pflicht aus § 142 Abs. 1 Nr. oder Nr. 2 StGB nicht festzustellen.

(1) Einen Verstoß gegen die § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB entsprechende Verpflichtung, gegenüber einer feststellungsbereiten Person wie dem Geschädigten, einem weiteren Unfallbeteiligten oder der Polizei die geforderten Angaben zu machen, behauptet die Beklagte nicht. Unstreitig hielt sich am Unfallort keine feststellungsbereite Person auf.

(2) Der Kläger hat auch nicht gegen die Wartepflicht im Sinne des § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB verstoßen.

(a) Ist kein Feststellungsberechtigter anwesend, so verlangt § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB, dass „eine nach den Umständen angemessene Zeit gewartet“ wird, bevor der Unfallort verlassen wird. Der Umfang der Wartepflicht beurteilt sich nach den Maßstäben der Erforderlichkeit und der Zumutbarkeit (vgl. Maier a.a.O. Rn. 93). Ob überhaupt in solchen Fällen und wie lange der Beteiligte am Unfallort zu warten hat, richtet sich mithin nach den Umständen des Einzelfalles (vgl. Sternberg-Lieben, in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 142, Rn. 36 m.w.N.). Die Bestimmung der Angemessenheit der Wartezeit ist abhängig von dem voraussichtlichen Eintreffen feststellungsbereiter Personen (Zopfs, in MünchKomm StGB, 3. Aufl. 2017, StGB § 142 Rn. 81 f.). Dies ist regelmäßig unter anderem abhängig von dem Unfallort, der Verkehrsdichte sowie der Tageszeit (vgl. Kudlich a.a.O. Rn. 31). Weiter wird das Feststellungsinteresse des Berechtigten zu berücksichtigen sein (vgl. Zopfs a.a.O. Rn. 81 und 84.). Je größer das Ausmaß des Schadens ist, desto länger ist grundsätzlich die Wartefrist (vgl. BayObLG NJW 1960, S. 832 [833]; OLG Stuttgart NJW 1981, S.1107 [1108]; s.a. Zopfs a.a.O. Rn. 84 m.w.N.). Zu berücksichtigen sind außerdem die Interessen des Unfallbeteiligten an einem frühzeitigen Verlassen des Unfallortes (vgl. Zopfs a.a.O. Rn. 85). Dabei können gesundheitliche Risiken auf Seiten des Unfallbeteiligten für eine Verkürzung der Wartefrist sprechen ist (vgl. Zopfs a.a.O; in diese Richtung auch OLG Stuttgart a.a.O.).

In der strafrechtlichen Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob bei Abwägung des Interesses des Unfallbeteiligten einerseits mit dem Aufklärungsinteresse andererseits eine Wartepflicht auch gänzlich entfallen kann (vgl. Sternberg-Lieben a.a.O. Rn. 40 m.w.N.) oder jedenfalls eine Mindestwartezeit von z.B. zehn Minuten einzuhalten ist (vgl. Zopfs a.a.O. Rn. 87).

Dass stets eine Mindestwartezeit einzuhalten ist, nimmt der Senat aufgrund der in E.1.1.3 AKB angelegten Grenzen der Erforderlichkeit und Zumutbarkeit nicht an. Im Einzelfall kann eine Wartepflicht entfallen, wenn beispielsweise vorrangige dringende persönliche Gründe wie eine ärztliche Versorgung des Unfallbeteiligten bestehen (vgl. Klimke a.a.O. Rn. 31; in diese Richtung auch Heß/Höke, in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2015, 2. Teil. Einzelne Versicherungszweige 2. Abschnitt. Kraftfahrtversicherung § 29, Rn. 311; für eine Wartepflicht bei einem Unfall mit reinem Sachschaden vgl. Senatsurteil vom 07.02.2002 – 12 U 223/01 –, juris Rn. 7).

(b) Ausgehend von diesen Grundsätzen bestand keine Wartepflicht des Klägers mit der Folge, dass auch bei Wahrunterstellung des Beklagtenvortrags, dass der Kläger sich nach dem Unfall sofort von dem Unfallort entfernte, eine Obliegenheitsverletzung nicht vorliegt.

Die Einhaltung einer Wartezeit war dem Kläger nicht zumutbar.

Einerseits war in der Unfallsituation weder mit einem zufälligen Eintreffen feststellungsbereiter Personen zu rechnen, noch war aufgrund des entstandenen Schadens ein Verbleiben an der Unfallstelle erforderlich.

So ereignete sich der Unfall nach den Feststellungen der Polizei am 28.01.2019 gegen 00:30 Uhr (vgl. AS 29 der Ermittlungsakte). Dabei stützte die Polizei sich auf die Angaben des in der nahegelegenen L-Straße in L wohnhaften Zeugen S, der angab, zu dieser Uhrzeit einen „dumpfen Aufschlag“ gehört zu haben (vgl. AS 13 der Ermittlungsakte). Der Beklagtenvortrag in erster Instanz (vgl. AS I 53) legt nahe, dass aufgrund einer Meldung der Ehefrau des Klägers bei der Polizei (vgl. AS 19 der Ermittlungsakte) von einem Unfall gegen 23 Uhr noch am 27.01.2019 ausgegangen wird. Inzwischen wurde im unstreitigen Teil des Tatbestandes des landgerichtlichen Urteils der 28.01.2019 als Unfallzeitpunkt festgestellt. Einen Antrag auf Tatbestandsberichtigung nach § 320 ZPO, durch den eine etwaige Unrichtigkeit des Tatbestandes einzig hätte behoben werden können (vgl. BGH, Urteil vom 18.09.2009 – V ZR 75/08 -, juris Rn. 35), hat die Beklagte nicht gestellt. Jedenfalls ereignete sich der Unfall nach Aktenlage zur Nachtzeit bzw. in den frühen Morgenstunden. Es ist nicht naheliegend, dass zu dieser Uhrzeit auf einer Landstraße in der Nähe eines badischen Dorfes Polizeibeamte oder Mitarbeiter des Trägers der Straßenbaulast als Geschädigtem in einem überschaubaren Zeitraum vorbeifahren würden. Zugleich lag der Fremdschaden an dem Unfallschild mit 200,00 EUR nicht substantiell über der Bagatellgrenze.

Andererseits bestand ein berechtigtes Interesse des Klägers, unmittelbar nach der Kollision den Unfallort zu verlassen. Dahinter tritt das Aufklärungsinteresse der Beklagten – etwa im Hinblick auf die Prüfung einer Leistungsfreiheit wegen einer Herbeiführung des Unfalls im Zustand alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit – zurück.

So erlitt der Kläger einen schweren Verkehrsunfall, bei dem sich sein PKW unstreitig überschlug und 20 Meter von der Straße entfernt in einem Flussbett zum Stehen kam. Die Schwere des Unfalls wird durch die aus den Lichtbildern der Polizei (AS 51 ff. der Ermittlungsakte) erkennbaren Beschädigungen des PKW illustriert und durch die Höhe der von der Beklagten ermittelten Reparaturkosten untermauert. Zugleich zog sich der Kläger neben Schürfwunden und Schwellungen eine 10 cm lange und 1 cm tiefe Risswunde an der Hutkrempe zu (vgl. Anl. K 1). Die Verletzungen hinterließen am gesamten Unfallort (am Pfosten und Fuß eines Absperrgitters, am Gitter einer Brücke sowie am Lenkrad des PKW) Blutspuren. Auch wenn sich der Kläger nicht, wie von ihm behauptet, in einem schuldausschließenden Schockzustand befunden haben sollte, stand er doch unter dem Eindruck eines gravierenden Unfallereignisses, wobei der Unfallhergang und die Wunde am Kopf durchaus Anlass zu der Befürchtung weitergehender Kopfverletzungen geben konnte. In dieser Situation durfte er zur ärztlichen Abklärung seines Gesundheitszustandes den Unfallort sogleich verlassen. Dass (ex post) bei dem Kläger „nur“ eine Commotio cerebri und eine Prellung der Schulter links diagnostiziert wurden (vgl. Anl. K 1), ändert daran nichts.

Die Einlassung des Klägers im Rahmen seiner informatorischen Anhörung (vgl. AS I 81), dass er sich deshalb vom Unfallort zum Vereinsheim in B begeben habe, um von dort sogleich seine Ehefrau anzurufen, damit sie ihn in ein Krankenhaus bringt, ist unwiderlegt. Die Wegstrecke von der Unfallstelle zum DLRG-Vereinsheim beträgt knapp 2 km, zur Wohnung des Klägers dagegen ca. 10 km (gemäß Routenplaner). Er erscheint deshalb nicht von vornherein unplausibel oder unvernünftig, dass sich der verletzte, aber gehfähige Kläger nach dem nächtlichen Verkehrsunfall und angesichts der winterlichen Verhältnisse im Januar zum Herbeiholen von Hilfe zurück in das DLRG-Heim begab. Unwiderlegt ist weiter, dass er sogleich von dort versuchte, seine Ehefrau telefonisch herbeizurufen, dies aber erst gegen 6 Uhr oder 7 Uhr (ausweislich der in der Ermittlungsakte festgehaltenen Angaben des Klägers [AS 27] und seiner Ehefrau als Zeugin [AS 30] gegenüber der Polizei) gelang.

Die Beweislast für einen Verstoß gegen die Obliegenheit in E.1.1.3 durch Nichteinhaltung der Wartepflicht liegt beim Versicherer; die plausible Darstellung des Klägers müsste deshalb die Beklagte widerlegen (vgl. Maier a.a.O. AKB, E.1, Rn. 94), was ihr nicht gelungen ist.

Nach alldem wäre die Einhaltung einer – auch nur kurzen – Wartepflicht unter den besonderen Umständen dieses Falles ein reiner Selbstzweck, für den angesichts der Begrenzung der Obliegenheit durch den Maßstab der Erforderlichkeit keine Veranlassung besteht.

Eine Rückkehrpflicht des Klägers (vgl. BGH, Urteil vom 07.12.1967 – II ZR 24/65 –, juris Rn. 17) zu dem Unfallort schied schon wegen des zweitägigen stationären Krankenhausaufenthaltes aus (vgl. Anl. K 1), nach dessen Ende nicht mehr mit Feststellungen zum Unfallhergang vor Ort zu rechnen war.

(c) Das Entfernen von der Unfallstelle war zudem berechtigt……“

Ich habe da mal eine Frage: Aussetzung, Einstellung nach § 205 StPO ==> zusätzliche Verfahrensgebühr?

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Folgende Anfrage habe ich in der ablaufenden Woche erhalten – mal wieder zur Nr. 4141 VV RVG:

Sehr geehrter Herr Burhoff,

ich denke, dass Sie mir auf die Sprünge helfen können.

Wir haben eine Strafsache (Pflichtverteidigung), wo am 21.11.2018 ein Hauptverhandlungstermin stattgefunden hat und im Protokoll steht unten: b.u.v. Der Hauptverhandlungstermin wird aufgehoben. Neuer Termin von Amts wegen.
Dann ergeht Beschluss am 27.11.2019, dass das Verfahren nach § 205 StPO vorläufig eingestellt wird. Am 08.01.2021 erging Beschluss, dass auf Antrag der StA gem. § 206a StPO eingestellt wird.

Können wir hier die Zusatzgebühr gem. § 4141 RVG abrechnen?“

Einstellung des OWi-Verfahrens wegen Verjährung, oder: Notwendige Auslagen bei der Staatskasse

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Und als zweite Entscheidung ein LG-Beschluss zu den notwendigen Auslagen des Betroffenen im Bußgelverfahren nach Einstellung des Verfahrens wegen Eintritt der Verjährung. Dazu meint das LG Köln, im LG Köln, Beschl. v. 19.02.2021 – 120 Qs 16/21:

„Zwar kann grundsätzlich gemäß § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG davon abgesehen werden, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Diese Voraussetzung ist angesichts der Angaben des Betroffenen im Anhörungsbogen vom 16.06.2020 (BI. 6 d. Bußgeldakte) erfüllt. Allerdings handelt es sich bei § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO um eine zu begründende Ermessensentscheidung, wobei erkennbar sein muss, dass sich das Gericht des Ausnahmecharakters der Norm bewusst ist (Meyer-Goßner, 63. Aufl. 2020, § 467 Rz. 16a-18 m. w. N.). Dass das Amtsgericht diesen Anforderungen nachgekommen ist, ist aus dem angegriffenen Beschluss nicht ersichtlich. Die Kammer hat jedoch davon abgesehen den Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Denn weitere ungeschriebene Voraussetzung des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO ist, dass weitere Gründe hinzutreten müssen, die eine Überbürdung der Kosten auf die Staatskasse als unbillig erscheinen lassen, wie z. B. die Herbeiführung des Verfahrenshindernisses durch den Betroffenen etc. Bei Beachtung dieser Grundsätze ist § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO nur in seltenen Ausnahmefällen anwendbar, was dem Willen des Gesetzgebers entspricht (Meyer-Goßner, a. a. 0.). Solche weiteren Gründe ergeben sich hier nicht aus dem Akteninhalt, so dass das Amtsgericht bei einer Zurückverweisung auch zu keiner anderen Entscheidung kommen könnte. Das Entstehen des Verfahrenshindernisses (Verfolgungsverjährung) beruhte hier allein darauf, dass die Akten nicht innerhalb der Frist des § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 OWiG beim Amtsgericht eingegangen waren.“

Gut so.