Archiv für den Monat: Dezember 2020

StPO I: Hilfsbeweisantrag der StA, oder: Wenn die StA kein bestimmtes Beweismittel nennt

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Der heutige Donnerstag bringt hier dann mal wieder Entscheidungen zur StPO.

Ich eröffne mit dem BGH, Urt. v. 14.10.2020 – 5 StR 279/20. Verurteilt worden ist der Angeklagten K. wegen Beihilfe zur versuchten unerlaubten Durchfuhr von Kriegswaffen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren, der Angeklagten Z. ist freigesprochen worden. Die gegen dieses Urteil gerichteten und zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten Revisionen der Staatsanwaltschaft waren beim BGH hinsichtlich des Freispruchs des Angeklagten Z. erfolgreich, während die Revision des Angeklagten K. mit der Sachrüge zur Aufhebung des Strafausspruchs führt.

Hier will ich aus der etwas verwickelten Revisionsentscheidung nur die Ausführungen des BGH zur Revision der StA betreffend den K vorstellen. Gerügt worden waren von der StA u.a. Verfahrensfehler. Die sieht der BGH nicht:

„a) Verfahrensrechtliche Mängel deckt die Revision nicht auf.

aa) Die Rüge unzutreffender Bescheidung eines Hilfsbeweisantrags ist bereits unzulässig, denn entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO trägt die Beschwerdeführerin den Inhalt zahlreicher in dem Antrag und im Revisionsvorbringen in Bezug genommener Unterlagen nicht vor.

Die Rüge wäre auch unbegründet. Bei dem Antrag handelt es sich nicht um einen Beweisantrag im Rechtssinne (§ 244 Abs. 3 Satz 1 StPO). Zu Ziffer 1 ihres Antrags hat die Staatsanwaltschaft die Verlesung eines Rechtshilfeersuchens der Staatsanwaltschaft Bosnien-Herzegowina zum Beweis verschiedener Tatsachen beantragt. Aus dem Antrag wird schon nicht klar, weshalb die Verlesung eines derartigen Schriftstücks überhaupt die behaupteten Beweisergebnisse belegen können soll, so dass es an der erforderlichen Konnexität mangelt (vgl. § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO). Soweit die Staatsanwaltschaft bezüglich Ziffer 2 bis 4 ihres Antrags entweder die Verlesung eines Vernehmungsprotokolls oder die Vernehmung des vernommenen Zeugen beantragt hat, stellt dies keinen zulässigen Beweisantrag dar, weil der Antragsteller ein bestimmtes Beweismittel zu benennen hat, mit dem Beweis erhoben werden soll, und nicht mehrere alternativ (vgl. § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO; vgl. dagegen zur – zulässigen – kumulativen Beweismittelbenennung Dallmeyer, in Alsberg, Der Beweisantrag im Strafprozess, 6. Aufl., Rn. 118 f. mwN). Bezüglich Ziffer 5 des Antrags wird nicht bestimmt behauptet, welche konkreten Beweistatsachen der Zeuge Sa. bekunden soll, sondern lediglich geschildert, was ein in der Hauptverhandlung als Zeuge vernommener Polizeibeamter ausgesagt hat. Auch dies entspricht nicht den Anforderungen des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO. Zulässige Aufklärungsrügen sind insoweit nicht erhoben.

bb) Ob die Staatsanwaltschaft mit ihrer weiteren Revisionsbegründung vom 5. Mai 2020 angesichts der Schilderung zahlreicher Verfahrensvorgänge konkrete weitere Verfahrensrügen erheben wollte (und gegebenenfalls welche), erschließt sich dem Senat aus dem Revisionsvorbringen nicht.“

 

StGB III: Das Werfen mit dem „Cafestuhl“ oder: Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs?

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Und als dritte und letzte Entscheidung des Tages stelle ich dann das OLG Oldenburg, Urt. v. 23.11.2020 – 1 Ss 166/20 – vor.

Entschieden hat das OLG über folgenden Sachverhalt:

„Nach den Feststellungen des Landgerichts kam es im Zusammenhang mit einem Fußballländerspiel zwischen der niederländischen und der deutschen Nationalmannschaft am TT.MM 2018 in der Innenstadt von Amsterdam vor dem Café „(pp.)“, Straße1, zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen einer Gruppe Deutscher und einer Gruppe Niederländern, die aus Anlass des Fußballspiels nach Amsterdam gereist waren, wobei diese aufeinander einschlugen und eintraten und sich mit Stühlen aus dem Außenbereich des Cafés bewarfen. Der Angeklagte, der zunächst an einer Grachtenfahrt teilgenommen hatte, entschloss sich, an dieser Auseinandersetzung teilzunehmen. In der Folge wirkte er in der aus mindestens 25 Personen bestehenden deutschen Gruppe mit, indem er sich gewalttätig gerierte und in der Folgezeit insgesamt drei Caféstühle aus Metall mit Lehnen in Richtung der niederländischen Gruppe warf. Dabei nahm er zumindest billigend in Kauf, einen Niederländer zu treffen und zu verletzen. Ob durch den ersten geworfenen Stuhl jemand getroffen wurde, vermochte die Kammer nicht festzustellen. Der zweite Stuhl ging bereits vor Erreichen der Niederländer zu Boden. Beim dritten Wurf war ein Niederländer gezwungen, eine Ausweichbewegung zu machen, um nicht von dem Stuhl getroffen zu werden.“

Auf der Grundlage dieser Feststellungen ist der Angeklagte wegen Landfriedensbruchs unter Annahme eines unbenannten besonders schweren Falls (§ 125a Satz 1 StGB) verurteilt worden. Dagegen die Revision, die im Ergebnis keinen Erfolg hatte:

3. Auch die Strafzumessung hält im Ergebnis revisionsrechtlicher Prüfung stand.

a) Das Landgericht hat die Tat als unbenannten besonders schweren Fall im Sinne des § 125a Satz 1 StGB eingestuft. Zwar liege keines der Regelbeispiele vor. Indem aber der Angeklagte dreifach Gegenstände auf Personen geworfen habe, wobei es Zufall sei, dass keine erheblichen Verletzungen entstanden seien, sei die Tat den Regelbeispielen vergleichbar. Wenngleich die Gefahr schwerer Gesundheitsschädigungen nicht bestanden habe, gehe das Verhalten deutlich über den bereits ohne die Stuhlwürfe erfüllten Grundtatbestand des § 125 StGB hinaus.

b) Diese Erwägungen sind – worauf die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 14. September 2020 zu Recht hinweist – nicht unbedenklich.

Die Annahme eines unbenannten besonders schweren Falles erfordert, dass die Tat im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut mit den benannten Regelbeispielen vergleichbar ist. Indem das Landgericht zwar auf eine mögliche erhebliche Verletzung abstellt, indessen ausdrücklich das Fehlen der Voraussetzungen des § 125a Satz 2 Nr. 3 StGB feststellt, liegt insoweit eine Vergleichbarkeit gerade nicht vor. Das wiederholte Werfen allein vermag die Annahme eines unbenannten besonders schweren Falles ebenfalls nicht zu begründen.

c) Indessen beruht die Strafzumessung nicht auf diesem Rechtsfehler.

Denn entgegen der Auffassung der Strafkammer ist durch das Werfen mit einem Metallstuhl das Regelbeispiel des § 125a Satz 2 Nr. 2 StGB erfüllt. Anders als bis zur Änderung dieser Vorschrift durch das 44. Strafrechtsänderungsgesetz (m.W.v. 05.11.2011) erfordert dieses Regelbeispiel nicht mehr das Beisichführen einer anderen Waffe als einer Schusswaffe in Verwendungsabsicht, sondern lässt hierfür das Beisichführen eines anderen gefährlichen Werkzeugs ausreichen. In der aktuellen und auch zur Tatzeit gültigen Fassung das 52. Strafrechtsänderungsgesetz (m.W.v. 30.05.2017) bedarf es nicht einmal mehr der Verwendungsabsicht beim Beisichführen.

Ein Beisichführen liegt bereits dann vor, wenn sich der Täter des Gegenstandes ohne Schwierigkeiten bedienen kann, also etwa durch Ergreifen eines auf dem Boden liegenden Pflastersteines während der Tat (vgl. MüKo-Schäfer, StGB, 3. Aufl., § 125a Rz. 19). Die von dem Angeklagten geworfenen Metallstühle stellen auch gefährliche Werkzeuge im Sinne dieses Regelbeispiels dar. Hierunter fallen auch Gegenstände, die zwar nicht bei bestimmungsgemäßem Gebrauch, wohl aber nach ihrer objektiven Beschaffenheit und der Art ihrer Benutzung im Einzelfall geeignet sind, erhebliche Verletzungen zuzufügen. Dazu zählen nicht nur Flaschen, Steine etc., sondern etwa auch als Wurfgeschoss verwendete Plastikklappstühle (vgl. KG, Urteil v. 06.07.2010, 1 Ss 462/09, bei juris Rz. 20). Das Werfen von Caféstühlen aus Metall erfüllt daher, wovon bereits die unverändert zugelassene Anklage vom 29. Oktober 2019 zutreffend ausgegangen ist, erst Recht das Regelbeispiel. Die Kommentierung bei Fischer (StGB, 67. Aufl., § 125a Rz. 4) steht dem nicht entgegen. Diese bezieht sich, wie sich aus dem Zusammenhang ergibt, allein auf die Frage, ob mitgeführte Alltagsgegenstände auch ohne Verwendungsabsicht schon geeignet sind, das Regelbeispiel zu erfüllen. Hierauf kommt es aber angesichts der durch die Würfe dokumentierten tatsächlich vorliegenden Absicht, die Gegenstände als Werkzeug gegen Personen einzusetzen (vgl. dazu BGH, Beschluss v. 26.03.2019, 4 StR 381/18, bei juris Rz. 21; LK-Krauß, StGB, 12. Aufl., § 125a Rz. 17), nicht an.

Eine über diese Gebrauchsabsicht hinausgehende Verletzungsabsicht ist hingegen nicht erforderlich. Soweit das Kammergericht in seiner Entscheidung vom 6. Juli 2010 (a.a.O., Rz. 22) dahingehende Feststellungen für erforderlich gehalten hat, um zur Bejahung eines besonders schweren Falles des Landfriedensbruchs zu gelangen, ist dieses der damaligen, andere gefährliche Werkzeuge nicht umfassenden Ausgestaltung des Regelbeispiels in § 125a Satz 2 Nr. 2 StGB geschuldet. Angesichts des damaligen Wortlauts der Vorschrift wäre es mit dem Analogieverbot nicht vereinbar gewesen, durch die Annahme eines unbenannten besonders schweren Falles im Sinne von § 125a Satz 1 StGB das Beisichführen eines anderen gefährlichen Werkzeugs in Verwendungsabsicht ohne Weiteres dem das Regelbeispiel des § 125a Satz 2 Nr. 2 StGB erfüllenden Beisichführen einer Waffe in Verwendungsabsicht gleichzustellen. Der deswegen durch das Kammergericht aufgestellten weitergehenden Anforderungen an die subjektive Tatseite bedarf es aber nach der Erweiterung des Regelbeispiels auf andere gefährliche Werkzeuge nicht mehr.

Angesichts der Ausführungen des Landgerichts schließt der Senat aus, dass dieses bei Annahme eines benannten statt eines unbenannten Regelbeispiels gleichwohl zu Gunsten des Angeklagten von der Anwendung des für besonders schwere Fälle vorgegebenen Strafrahmens abgewichen wäre. Die Festsetzung der danach zulässigen Mindeststrafe beschwert den Angeklagten nicht. Gleiches gilt auch für Strafaussetzung zur Bewährung.“

StGB II: War das „Ausnutzen einer schutzlosen Lage“?, oder: Das muss man rein objektiv sehen….

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Die zweite Entscheidung des Tages stammt dann auch vom BGH. Der hat im BGH, Urt. v. 02.07.2020 – 4 StR 678/19 – zum Begriff der „schutzlosen Lage“ in § 177 Abs. 5 nr. 3 stGB n.F. Stellung genommen. Das LG hatte eine „schutzlose Lage“verneint und dazu folgende Feststellungen getroffen:

„I. 1. An einem Nachmittag Mitte April 2018 begab sich der Angeklagte gemeinsam mit der ihm bekannten sechs Jahre alten C. zu einem Einkaufsmarkt. Auf dem Weg dorthin lockte er das Kind unter dem Vorwand, seine Notdurft verrichten zu müssen, über eine steile, stark bewachsene Böschung hinweg auf ein im Abstand von wenigen Metern neben der Straße gelegenes, nicht einsehbares Abbruchgelände einer ehemaligen Molkerei. Er ging mit dem Mädchen in das leerstehende Gebäude hinein, zog Hose und Unterhose des Kindes herab und rieb mit seinen Fingern an dessen nackter Scheide. Als C. zu weinen begann und den Angeklagten bat, aufzuhören, forderte er sie zunächst auf, leise zu sein, und ließ schließlich von ihr ab. C. zog sich an und beide verließen den Tatort (Fall III.1. der Urteilsgründe).

2. Das Landgericht hat das Geschehen als Vergehen des sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Übergriff im Sinne der § 176 Abs. 1 und § 177 Abs. 1 StGB gewertet; die Verwirklichung des Qualifikationstatbestands des § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB hat es mit der Begründung verneint, dass es an einer schutzlosen Lage und auf Seiten des Opfers an der Kenntnis der schutzlosen Lage fehle.2

Der BGH nimmt umfangreich zum Begriff der schutzlosen Lage, der nach seiner Auffassung rein objektiv zu bestimmen ist, einer subjektiven Zwangswirkung der Schutzlosigkeit auf das Tatopfer bedürfe es nicht und auch zum Begriff des „Ausnutzens“ im Sinne des § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB Stellung – die Ausführungen dazu bitte im Volltext selbst lesen. Zur Sache führt er dann aus:

„3. Gemessen hieran halten die Erwägungen, mit denen das Landgericht im Fall III.1 den Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB abgelehnt hat, rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Entgegen der Auffassung des Landgerichts bedarf es keiner nötigenden Einwirkung oder einer subjektiven Zwangswirkung der schutzlosen Lage auf das Tatopfer.

b) Soweit das Landgericht zudem das objektive Bestehen einer schutzlosen Lage mit dem Hinweis darauf verneint hat, dass „keine Anhaltspunkte“ dafür bestünden, dass der Angeklagte das abgelegene Abbruchgelände aussuchte, „um die dadurch geschaffene […] schutzlose Lage bewusst zur Begehung der Tat auszunutzen“, hat es zudem verkannt, dass der objektive Tatbestand des § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB nicht voraussetzt, dass der Täter die Lage schutzlosen Ausgeliefertseins geschaffen hat. Die Qualifikation ist nicht auf Fälle der „Entführung“ des Tatopfers durch den Täter beschränkt. Darüber hinaus steht die im Rahmen der rechtlichen Würdigung angestellte Erwägung nicht in Einklang mit den Feststellungen; danach „lockte“ der Angeklagte das Kind unter dem – ersichtlich wahrheitswidrigen – Vorwand, seine Notdurft verrichten zu müssen, über eine Böschung hinweg, die es nicht ohne seine Hilfe zu überwinden vermochte, in das abgelegene Gebäude.

c) Soweit das Landgericht trotz der Abgelegenheit des Orts und des Umstands, dass das Opfer den Weg dorthin nicht ohne Hilfe des Angeklagten bewältigen konnte, auch deshalb Zweifel am Vorliegen einer schutzlosen Lage angemeldet hat, weil nicht habe festgestellt werden können, „ob jemand Rufe oder Schreie hätte hören und eingreifen können“, fehlt es an tragfähigen Feststellungen, dass Hilfe durch schutzbereite Dritte tatsächlich erreichbar gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 2. Oktober 2002 – 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 44).“

StGB I: Besitzverschafffung an KiPo, oder: „Sexuell aufreizende Wiedergabe“?

Heute dann kein OWi und keine Pflichtverteidigung, sondern seit längerem mal wieder materielles Recht, also StGB.

Ich starte mit dem BGH, Beschl. v. 1.9.2020 -3 StR 275/20 – zur Verbreitung von KiPo. Das LG hat den Angeklagten wegen Besitzverschaffung an einer kinderpornographischen Schrift verurteilt. Nach den vom LG getroffenen Feststellungen hatte der Angeklagte über Internetseiten Bilddateien auf sein Mobiltelefon heruntergeladen und sie dort gespeichert. Drei der in den Urteilsgründen genauer beschriebenen Fotos zeigten jeweils das in den Vordergrund gerückte unbekleidete Gesäß eines fünf- bis neunjährigen Mädchens.

Dagegen die Revision, die erfolglos war:

„2. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Näherer Ausführungen bedarf allein, dass nach den Feststellungen die Bilddateien die Voraussetzungen kinderpornographischer Schriften im Sinne des § 184b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c StGB erfüllen.

a) Eine sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes eines Kindes gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c StGB liegt vor, wenn die genannten Körperteile aus Sicht eines durchschnittlichen Betrachters in sexuell motivierter Weise im Blickfeld stehen. Hierfür sind die aus der Schrift (§ 11 Abs. 3 StGB) zu entnehmenden Umstände heranzuziehen; auf die daraus nicht ersichtlichen Beweggründe der die Wiedergabe erstellenden oder damit umgehenden Person kommt es nicht an.

aa) Eine sexuell aufreizende Wiedergabe ist eine solche, die eine sexuell konnotierte Fokussierung auf die näher bezeichneten unbekleideten Körperregionen eines Kindes enthält (vgl. den letztlich nicht weiterverfolgten, aber weitgehend wortgleichen Gesetzesantrag des Freistaates Bayern, BR-Drucks. 127/14, 12). Der Begriff des Aufreizens findet sich bereits im Rahmenbeschluss 2004/68/JI des Rates vom 22. Dezember 2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie (ABl. EU 2004 Nr. L 13/44, 45) und geht nach der allgemeinen Wortbedeutung in sexualisierter Weise über eine neutrale Abbildung hinaus („lascivious“ nach der englischsprachigen, „lascive“ nach der französischsprachigen Fassung des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI). Davon abzugrenzen sind Wiedergaben mit anderer Intention, beispielsweise als unverfängliches Urlaubsfoto oder zu medizinischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Zwecken (vgl. Europarat, Explanatory Report to the Council of Europe Convention on the Protection of Children against Sexual Exploitation and Sexual Abuse, Nr. 142; BR-Drucks. 127/14, 7; s. auch § 201a Abs. 4 StGB).

bb) Für die Beurteilung sind allein die sich aus der Schrift ergebenden Umstände heranzuziehen.

(1) Der Wortlaut des durch das Neunundvierzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht vom 21. Januar 2015 (BGBl. I S. 10, 12) eingefügten § 184b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c StGB stellt auf die „sexuell aufreizende Wiedergabe“ ab. Damit ist Bezugsobjekt des sexuellen Aufreizens die Wiedergabe, nicht davon losgelöste Umstände. In diesem Sinne nimmt § 184b Abs. 1 Nr. 1 StGB allgemein – „vor die Klammer“ gezogen – den Gegenstand der Schrift in den Blick (vgl. zur Bedeutung des Gesamtinhalts der Schrift als Korrektiv BT-Drucks. 18/3202 [neu] S. 27; BT-Rechtsausschuss, Protokoll 18/28 S. 21, 77, 85).

(2) Systematische Erwägungen sprechen ebenfalls dafür, lediglich die (Gesamt-)Darstellung als solche und sich daraus ergebende Gesichtspunkte heranzuziehen, nicht aber darüber hinausgehende Zwecke des Erstellers oder Verwenders (vgl. auch Hilgendorf/Kudlich/Valerius/Greco, Handbuch des Strafrechts, § 10 Rn. 88, 95; SK-StGB/Greco, 9. Aufl., § 184b Rn. 15; Matt/Renzikowski/Eschelbach, StGB, 2. Aufl., § 184b Rn. 23; anders dagegen Eisele/ Franosch, ZIS 2016, 519, 523; Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 184b Rn. 17; Fischer, StGB, 67. Aufl., § 184b Rn. 9b; MüKoStGB/Hörnle, 3. Aufl., § 184b Rn. 20). Ansonsten wäre eine konsistente Bewertung, ob eine bestimmte Schrift kinderpornographisch ist oder nicht, nicht möglich. Wären etwa die Zwecke zu berücksichtigen, die eine Person konkret beim Umgang mit der Schrift verfolgt, könnte dies eine unterschiedliche Einordnung derselben Schrift – beim gleichzeitigen Umgang mehrerer sogar zum selben Zeitpunkt – zur Folge haben. Eine derartige uneinheitliche, situationsbedingtsubjektive Auslegung des objektiven Tatbestandsmerkmals der kinderpornographischen Schrift ist im Gesetz nicht angelegt (vgl. kritisch zu subjektiven Kriterien bei der Eingrenzung des objektiven Tatbestandes auch BGH, Beschluss vom 3. Juni 2008 – 3 StR 246/07, BGHSt 52, 257 Rn. 26 ff.).

In ähnlicher Weise hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden, dass für den Begriff des „Unzüchtigen“ gemäß § 184 StGB aF Zweck und Art der Verwendung von Bedeutung sein können, hierfür indes die Umstände, aus denen sich die objektive, auf das Geschlechtliche gerichtete Zweckbestimmung ergibt, mit dem Gegenstand, um dessen Kennzeichnung es sich handelt, unmittelbar verknüpft sein müssen (s. BGH, Urteile vom 16. Februar 1954 – 5 StR 475/53, BGHSt 5, 346, 348 f.; vom 11. Oktober 1960 – 5 StR 296/60, juris Rn. 6; RG, Urteil vom 6. November 1893 – Rep. 2597/93, RGSt 24, 365, 367).

(3) Der Gesetzeszweck und die Gesetzesgenese erfordern ebenfalls keine andere Handhabung.

Mit der Schaffung des § 184b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c StGB zielte der Gesetzgeber auf eine vollständige Umsetzung der Richtlinie 2011/93/EU in Anlehnung an den dortigen Art. 2 Buchst. c Doppelbuchst. ii (ABl. EU 2011 Nr. L 335/1, 7) und an Art. 20 Abs. 2 des Übereinkommens des Europarats vom 25. Oktober 2007 zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch (BGBl. 2015 II S. 27, 37). Aus den genannten Regelungen ergibt sich zwar ein Bezug zur Zwecksetzung, nicht aber dazu, dass dafür auch die jeweilige Verwendung entscheidend ist. Vielmehr lassen sich die gewählten Formulierungen („jede Abbildung der Geschlechtsteile eines Kindes zu vorwiegend sexuellen Zwecken“, „jegliche Darstellung der Geschlechtsorgane eines Kindes für primär sexuelle Zwecke“) damit in Einklang bringen, dass für die Ermittlung des Zwecks die Abbildung bzw. Darstellung ausschlaggebend ist (vgl. auch Europarat, Explanatory Report to the Council of Europe Convention on the Protection of Children against Sexual Exploitation and Sexual Abuse, wo unter Nr. 142 auf den Zweck der Verkörperung abgestellt wird).

In der Gesetzesbegründung wird als Maßstab für die Beurteilung, ob die Wiedergabe sexuell aufreizender Art ist, die Beurteilung eines durchschnittlichen Betrachters angesehen (BT-Drucks. 18/3202 [neu] S. 27; vgl. auch BR-Drucks. 127/14, 12). Dies deutet darauf hin, dass eine abstraktobjektive Bewertung der Darstellung vorzunehmen ist und es nicht auf die davon unabhängige Motivation des einzelnen Nutzers ankommt. Von Bedeutung können insofern etwa Bildkomposition, Kameraperspektive, der gewählte Ausschnitt oder die Haltung des Kindes sein (s. BR-Drucks. 127/14, 12).

b) Gemessen daran tragen die – ergänzend auf die Abbildungen gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO verweisenden – Urteilsgründe die rechtliche Einordnung als kinderpornographische Schriften. Das Landgericht hat im Einzelnen dargelegt, aufgrund welcher Umstände die Darstellungen ersichtlich auf die Erregung sexueller Reize zielten. Daher ist es unschädlich, dass es darüber hinaus bei der Einordnung der Bilder als sexuell aufreizend darauf abgestellt hat, dass sie in der konkreten, sich nicht aus den Aufnahmen selbst ergebenden Verwendung durch den Angeklagten ausschließlich sexuellen Zwecken dienten.

Pflichti IV: Nachträgliche Bestellung, oder: In Bayern – OLG Nürnberg – ordnet man bei – Überraschung

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Und dann heute noch eine Sondermeldung, Nämlich zum OLG Nürnberg, Beschl. v. 06.11.2020, – Ws 962 – 963/20. Der ist gerade erst rein gekommen, für das letzte Posting hat es nicht mehr gereicht. Also schicke ich den Beitrag hinterher 🙂 .

Es geht um die nachträgliche Beiordnung eines Pflichtverteidigers (im Strafvollstreckungsverfahren). Das OLG Nürnberg hat – Überraschung!! – die Beiordnung bejaht:

2. Die rückwirkende Bestellung des Pflichtverteidigers für den Zeitraum ab Antragstellung (06.03.2020) ist vorliegend möglich, da die Voraussetzungen der Pflichtverteidigerbestellung für das Vollstreckungsverfahren zu diesem Zeitpunkt vorlagen und die Entscheidung über die Bestellung eine wesentliche Verzögerung erfahren hat. So hat das Landgericht erst am 12.05.2020 (nach Aufhebung der Widerrufsentscheidung vom 14.02.2020 durch den Senat am 09.04.2020) entschieden, den Senat erreichte die Beschwerdevorlage sogar erst am 19.10.2020.

Die Bestellung erfolgt für den Verfahrensabschnitt des Strafvollstreckungsverfahrens, welcher die Entscheidung über den Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft Passau vom 15.01.2020 betrifft.

a) Der Senat hat im Blick, dass die überwiegende Rechtsmeinung (zum Streitstand: Willnow in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 8. Aufl., § 141 Rn. 12 und Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, a.a.O., § 142 Rn. 19) die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers selbst dann für unzulässig erachtet, wenn die Entscheidung über den Antrag versäumt wurde. Dies mit der Begründung, dass die Beiordnung eines Pflichtverteidigers der ordnungsgemäßen Verteidigung eines Angeklagten sowie einem ordnungsgemäßen Verfahrensablauf in der Zukunft diene. Eine Rückwirkung wäre auf etwas Unmögliches gerichtet und würde eine notwendige Verteidigung des Angeklagten in der Vergangenheit nicht gewährleisten. Eine Beiordnung erfolge insbesondere nicht im Kosteninteresse eines Angeklagten oder um dem Verteidiger einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse zu verschaffen (so zuletzt OLG Brandenburg, Beschl. v. 09.03.2020, 1 Ws 19/20 u. 20/20, und OLG Bremen, Beschl. v. 23.09.2020, 1 Ws 120/20).

b) Mit der Reform der §§ 141, 142 StPO durch das Gesetz zur Neuregelung der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019 (BT-Drucks. 19/13829, S. 36 ff.) und aufgrund der dieser Gesetzesänderung zugrunde liegenden Richtlinie 2016/1919/EU ist die Annahme eines Rückwirkungsverbotes indes nicht mehr tragfähig.

Nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2016/1919/EU (“PKH-Richtlinie“) haben die Mitgliedstaaten sicher zu stellen, dass Verdächtige und beschuldigte Personen, die nicht über ausreichende Mittel zur Bezahlung eines Rechtsbeistands verfügen, Anspruch auf Prozesskostenhilfe haben, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist. Mit „Prozesskostenhilfe“ wird hierbei die Bereitstellung finanzieller Mittel durch einen Mitgliedstaat für die Unterstützung durch einen Rechtsbeistand bezeichnet, so dass das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand wahrgenommen werden kann (Art. 3 der Richtlinie 2016/1919/EU). Über den rechtzeitigen und praktisch wirksamen Zugang zur Wahrnehmung der Verteidigerrechte hinaus (Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2013/48/EU) regelt Art. 4 der Richtlinie 2016/1919/EU nunmehr also auch die finanziellen Grundlagen und zwar in der Weise, dass nicht nur die tatsächliche Verteidigung, sondern auch die Bezahlung des Rechtsbeistandes gesichert werden soll. Zweck und Ziel dieser Regelung kann – im Blick auf Fallkonstellationen wie die vorliegende – nur eine effektive Unterstützung und Absicherung der Verfahrensbeteiligten sein. Diese würde jedoch unterlaufen, wenn eine Pflichtverteidigerbestellung nur deswegen versagt werden könnte, weil die Entscheidung hierüber verzögert getroffen wurde (so auch Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 142 Rn. 20).

Der Senat zieht hierbei die Wertungen der das Strafverfahren betreffenden Richtlinie 2016/1919/EU auch im Strafvollstreckungsverfahren heran, da sich ansonsten ein unüberbrückbarer Wertungswiderspruch innerhalb des Rechts der Pflichtverteidigung zwischen den Straf- und dem Strafvollstreckungsrecht ergäbe.

Gestützt wird die Rechtsauffassung des Senats auch durch das Unverzüglichkeitsgebot in § 141 Abs. 1 S. 1 StPO. Mit dieser neuen Fassung der Vorschrift kommt der besondere Beschleunigungsbedarf zum Ausdruck, den der Gesetzgeber für eine Pflichtverteidigerbestellung sieht. Ebenso wurde im Zuge der gesetzlichen Neuregelung die bisher statthafte einfache Beschwerde durch die sofortige Beschwerde nach § 142 Abs. 7 S. 1 StPO ersetzt. Die Bestellungsentscheidung – samt der mit dieser verbundenen Alimentierung des Verteidigers – muss also schnell fallen. Gerade die vorliegende, äußerst lange Verzögerung bis zur abschließenden Entscheidung über die Pflichtverteidigerbestellung erst mit diesem Beschluss – acht Monate nach Antragstellung und lange nach Rücknahme des Widerrufsantrags – zeigt, dass die Annahme der bislang vorherrschenden Rechtsauffassung einer Erledigung des Bedarfs für die Pflichtverteidigerbestellung durch Zeitablauf nicht mit der Intention des Gesetzgebers vereinbar ist.

Somit ist vorliegend eine rückwirkende Bestellung des Rechtsanwalts pp. für das Strafvollstreckungsverfahren und hierbei das Verfahren über die Entscheidung des Widerrufsantrags der Staatsanwaltschaft Passau mit Wirkung der am 06.03.2020 erfolgten Antragstellung möglich.“