StGB I: Besitzverschafffung an KiPo, oder: „Sexuell aufreizende Wiedergabe“?

Heute dann kein OWi und keine Pflichtverteidigung, sondern seit längerem mal wieder materielles Recht, also StGB.

Ich starte mit dem BGH, Beschl. v. 1.9.2020 -3 StR 275/20 – zur Verbreitung von KiPo. Das LG hat den Angeklagten wegen Besitzverschaffung an einer kinderpornographischen Schrift verurteilt. Nach den vom LG getroffenen Feststellungen hatte der Angeklagte über Internetseiten Bilddateien auf sein Mobiltelefon heruntergeladen und sie dort gespeichert. Drei der in den Urteilsgründen genauer beschriebenen Fotos zeigten jeweils das in den Vordergrund gerückte unbekleidete Gesäß eines fünf- bis neunjährigen Mädchens.

Dagegen die Revision, die erfolglos war:

„2. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Näherer Ausführungen bedarf allein, dass nach den Feststellungen die Bilddateien die Voraussetzungen kinderpornographischer Schriften im Sinne des § 184b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c StGB erfüllen.

a) Eine sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes eines Kindes gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c StGB liegt vor, wenn die genannten Körperteile aus Sicht eines durchschnittlichen Betrachters in sexuell motivierter Weise im Blickfeld stehen. Hierfür sind die aus der Schrift (§ 11 Abs. 3 StGB) zu entnehmenden Umstände heranzuziehen; auf die daraus nicht ersichtlichen Beweggründe der die Wiedergabe erstellenden oder damit umgehenden Person kommt es nicht an.

aa) Eine sexuell aufreizende Wiedergabe ist eine solche, die eine sexuell konnotierte Fokussierung auf die näher bezeichneten unbekleideten Körperregionen eines Kindes enthält (vgl. den letztlich nicht weiterverfolgten, aber weitgehend wortgleichen Gesetzesantrag des Freistaates Bayern, BR-Drucks. 127/14, 12). Der Begriff des Aufreizens findet sich bereits im Rahmenbeschluss 2004/68/JI des Rates vom 22. Dezember 2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie (ABl. EU 2004 Nr. L 13/44, 45) und geht nach der allgemeinen Wortbedeutung in sexualisierter Weise über eine neutrale Abbildung hinaus („lascivious“ nach der englischsprachigen, „lascive“ nach der französischsprachigen Fassung des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI). Davon abzugrenzen sind Wiedergaben mit anderer Intention, beispielsweise als unverfängliches Urlaubsfoto oder zu medizinischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Zwecken (vgl. Europarat, Explanatory Report to the Council of Europe Convention on the Protection of Children against Sexual Exploitation and Sexual Abuse, Nr. 142; BR-Drucks. 127/14, 7; s. auch § 201a Abs. 4 StGB).

bb) Für die Beurteilung sind allein die sich aus der Schrift ergebenden Umstände heranzuziehen.

(1) Der Wortlaut des durch das Neunundvierzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht vom 21. Januar 2015 (BGBl. I S. 10, 12) eingefügten § 184b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c StGB stellt auf die „sexuell aufreizende Wiedergabe“ ab. Damit ist Bezugsobjekt des sexuellen Aufreizens die Wiedergabe, nicht davon losgelöste Umstände. In diesem Sinne nimmt § 184b Abs. 1 Nr. 1 StGB allgemein – „vor die Klammer“ gezogen – den Gegenstand der Schrift in den Blick (vgl. zur Bedeutung des Gesamtinhalts der Schrift als Korrektiv BT-Drucks. 18/3202 [neu] S. 27; BT-Rechtsausschuss, Protokoll 18/28 S. 21, 77, 85).

(2) Systematische Erwägungen sprechen ebenfalls dafür, lediglich die (Gesamt-)Darstellung als solche und sich daraus ergebende Gesichtspunkte heranzuziehen, nicht aber darüber hinausgehende Zwecke des Erstellers oder Verwenders (vgl. auch Hilgendorf/Kudlich/Valerius/Greco, Handbuch des Strafrechts, § 10 Rn. 88, 95; SK-StGB/Greco, 9. Aufl., § 184b Rn. 15; Matt/Renzikowski/Eschelbach, StGB, 2. Aufl., § 184b Rn. 23; anders dagegen Eisele/ Franosch, ZIS 2016, 519, 523; Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 184b Rn. 17; Fischer, StGB, 67. Aufl., § 184b Rn. 9b; MüKoStGB/Hörnle, 3. Aufl., § 184b Rn. 20). Ansonsten wäre eine konsistente Bewertung, ob eine bestimmte Schrift kinderpornographisch ist oder nicht, nicht möglich. Wären etwa die Zwecke zu berücksichtigen, die eine Person konkret beim Umgang mit der Schrift verfolgt, könnte dies eine unterschiedliche Einordnung derselben Schrift – beim gleichzeitigen Umgang mehrerer sogar zum selben Zeitpunkt – zur Folge haben. Eine derartige uneinheitliche, situationsbedingtsubjektive Auslegung des objektiven Tatbestandsmerkmals der kinderpornographischen Schrift ist im Gesetz nicht angelegt (vgl. kritisch zu subjektiven Kriterien bei der Eingrenzung des objektiven Tatbestandes auch BGH, Beschluss vom 3. Juni 2008 – 3 StR 246/07, BGHSt 52, 257 Rn. 26 ff.).

In ähnlicher Weise hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden, dass für den Begriff des „Unzüchtigen“ gemäß § 184 StGB aF Zweck und Art der Verwendung von Bedeutung sein können, hierfür indes die Umstände, aus denen sich die objektive, auf das Geschlechtliche gerichtete Zweckbestimmung ergibt, mit dem Gegenstand, um dessen Kennzeichnung es sich handelt, unmittelbar verknüpft sein müssen (s. BGH, Urteile vom 16. Februar 1954 – 5 StR 475/53, BGHSt 5, 346, 348 f.; vom 11. Oktober 1960 – 5 StR 296/60, juris Rn. 6; RG, Urteil vom 6. November 1893 – Rep. 2597/93, RGSt 24, 365, 367).

(3) Der Gesetzeszweck und die Gesetzesgenese erfordern ebenfalls keine andere Handhabung.

Mit der Schaffung des § 184b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c StGB zielte der Gesetzgeber auf eine vollständige Umsetzung der Richtlinie 2011/93/EU in Anlehnung an den dortigen Art. 2 Buchst. c Doppelbuchst. ii (ABl. EU 2011 Nr. L 335/1, 7) und an Art. 20 Abs. 2 des Übereinkommens des Europarats vom 25. Oktober 2007 zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch (BGBl. 2015 II S. 27, 37). Aus den genannten Regelungen ergibt sich zwar ein Bezug zur Zwecksetzung, nicht aber dazu, dass dafür auch die jeweilige Verwendung entscheidend ist. Vielmehr lassen sich die gewählten Formulierungen („jede Abbildung der Geschlechtsteile eines Kindes zu vorwiegend sexuellen Zwecken“, „jegliche Darstellung der Geschlechtsorgane eines Kindes für primär sexuelle Zwecke“) damit in Einklang bringen, dass für die Ermittlung des Zwecks die Abbildung bzw. Darstellung ausschlaggebend ist (vgl. auch Europarat, Explanatory Report to the Council of Europe Convention on the Protection of Children against Sexual Exploitation and Sexual Abuse, wo unter Nr. 142 auf den Zweck der Verkörperung abgestellt wird).

In der Gesetzesbegründung wird als Maßstab für die Beurteilung, ob die Wiedergabe sexuell aufreizender Art ist, die Beurteilung eines durchschnittlichen Betrachters angesehen (BT-Drucks. 18/3202 [neu] S. 27; vgl. auch BR-Drucks. 127/14, 12). Dies deutet darauf hin, dass eine abstraktobjektive Bewertung der Darstellung vorzunehmen ist und es nicht auf die davon unabhängige Motivation des einzelnen Nutzers ankommt. Von Bedeutung können insofern etwa Bildkomposition, Kameraperspektive, der gewählte Ausschnitt oder die Haltung des Kindes sein (s. BR-Drucks. 127/14, 12).

b) Gemessen daran tragen die – ergänzend auf die Abbildungen gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO verweisenden – Urteilsgründe die rechtliche Einordnung als kinderpornographische Schriften. Das Landgericht hat im Einzelnen dargelegt, aufgrund welcher Umstände die Darstellungen ersichtlich auf die Erregung sexueller Reize zielten. Daher ist es unschädlich, dass es darüber hinaus bei der Einordnung der Bilder als sexuell aufreizend darauf abgestellt hat, dass sie in der konkreten, sich nicht aus den Aufnahmen selbst ergebenden Verwendung durch den Angeklagten ausschließlich sexuellen Zwecken dienten.

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