Archiv für den Monat: Dezember 2020

Verkehrsrecht III: Beginn des Fahrverbots (§ 44 StGB), oder: Ich habe keine Fahrerlaubnis

Und dann noch einmal das LG Osnabrück. Das hat im LG Osnabrück, Beschl. v. 06.11.2020 – 10 Qs 58/20 – zu der Frage Stellung genommen, wann das Fahrverbot nach § 44 StGB beginnt, wenn der Verurteilte nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis ist. Das LG meint:

„3. Durch die Neufassung des § 44 Abs. 2 StGB durch Art. 1 Nr. 1 b) des Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17. 08.2017 mit Wirkung zum 24.08.2017 (BGBl. I 2017, 3202) ist die ausdrückliche Regelung, dass das Fahrverbot mit Rechtskraft des Urteils wirksam wird, entfallen und nach dem Wortlaut der Neufassung wird das Fahrverbot wirksam, wenn der Führerschein nach Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von einem Monat seit Eintritt der Rechtskraft.

a) Ein mit der früheren Rechtslage übereinstimmender Regelungsgehalt des § 44 StGB wird für Betroffene, die nicht Inhaber einer Fahrerlaubnis sind, auch für die Neufassung des § 44 Abs. 2 StGB in der Kommentarliteratur vertreten (vgl. Fischer, StGB, 67. Aufl., § 44 Rn. 38 und MünchKommStGB/v. Heintschel-Heinegg /Huber, 4. Aufl., § 44 Rn. 26 insoweit ohne Begründung; Schönke-Schröder StGB, 30. Aufl., § 44 Rn. 21 a.E. und Leipold u.a., Anwaltskommentar StGB, 3. Aufl., § 44 Rn. 61 unter Hinweis auf BGH, Beschluss vom 10.10.2013 – 2 StR 377/13, wobei sich dieser Beschluss aber auf die frühere Gesetzesfassung mit einem von der Neufassung gerade abweichendem Wortlaut bezieht; ferner König in: Leipziger Kommentar, 13. Aufl., § 44 Rn. 63 mit Nachweisen zur früheren Gesetzesfassung).

b) Diese Auslegung findet jedoch weder im Wortlaut noch in den Gesetzesmaterialien oder dem Zweck der Neuregelung eine Stütze.

aa) Nach dem Wortlaut der Neufassung des § 44 Abs. 2 StGB wird das Fahrverbot spätestens mit Ablauf von einem Monat seit Eintritt der Rechtskraft wirksam, soweit nicht zuvor der Führerschein nach Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelangt ist. Eine Regelungslücke enthält das Gesetz seinem Wortlaut nach nicht. Denn für Verurteilte, die nicht Inhaber einer Fahrerlaubnis sind, bedeutet diese Regelung zwingend, dass das Fahrverbot mit Ablauf von einem Monat seit Eintritt der Rechtskraft wirksam wird, weil sie naturgemäß keinen Führerschein in amtliche Verwahrung geben können. Durch diese Gesetzesfassung wird eine Ausnahme von dem allgemeinen Rechtsgrundsatz formuliert, dass eine Rechtsfolge – hier das Fahrverbot – regelmäßig mit Eintritt der Rechtskraft wirksam wird.

bb) Gegenteiliges lässt sich auch den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen.

Die jetzige Gesetzesfassung intendierte – über das ursprünglich im Gesetzentwurf allein vorgesehene Hinausschieben der Wirksamkeit des Fahrverbots auf einen Zeitpunkt von einem Monat nach Rechtskraft hinaus – die Schaffung einer Dispositionsmöglichkeit für den Betroffenen, dem die Option eines früheren Eintretens der Wirksamkeit des Fahrverbots eröffnet werden sollte. Zu den Folgen dieser Dispositionsbefugnis in Fällen, in denen die Abgabe des Führerscheins durch den Verurteilten nicht möglich ist, wurde auf die Rechtsprechung und Literatur zu § 25 Abs. 2a StVG verwiesen (BT-Drucksache 18/12785, S. 45).

Dieser Verweis auf das Ordnungswidrigkeitenrecht führt jedoch für die hier verfahrensgegenständliche Rechtsfrage der Berechnung des Beginns eines strafrechtlichen Fahrverbotes nicht weiter. Denn der Vergleich der Regelungsmechanismen von § 44 StGB einerseits und § 25 StVG andererseits ergibt, dass § 25 StVG in Absatz 2 eine generelle Regelung wie § 44 Abs. 2 StGB a.F. enthält, dass nämlich das Fahrverbot mit Rechtskraft der Bußgeldentscheidung wirksam wird, wobei Bußgeldbehörde bzw. Gericht gemäß § 25 Abs. 2a StVG die Befugnis eingeräumt wird, unter den dort genannten Voraussetzungen dem Betroffenen eine Dispositionsbefugnis einzuräumen. Wird dem Betroffenen eine Dispositionsentscheidung eingeräumt und stehen nach Bestimmung der Frist über das Wirksamwerden des Fahrverbots gemäß § 25 Abs. 2a StVG einer Führerscheinabgabe rechtliche oder tatsächliche Hindernisse entgegen, hat dies auf das Wirksamwerden des Fahrverbots und den Fristbeginn nach Maßgabe der getroffenen Bestimmung („spätestens mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft“) keinen Einfluss (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., Rn 30 zu § 25 StVG).

cc) Dieses Ergebnis entspricht auch am ehesten dem Gesetzeszweck. Die um einen Monat herausgeschobene Frist des Wirksamwerdens des Fahrverbots soll nach Vorstellung des historischen Gesetzgebers der Vermeidung nicht beabsichtigter Härten dienen sowie auch einer möglichen vermehrten Einlegung taktischer Rechtsmittel zur Hinauszögerung des Fahrverbots entgegenwirken und es so dem Verurteilten ermöglichen, sich auf die Zeit des Fahrverbots einzustellen und Vorkehrungen zu treffen, dass er beruflichen und familiären Verpflichtungen auch ohne Fahrerlaubnis nachkommen kann (BT-Drucksache 18/11272, S.18). Diesem Zweck kann eher mit einer – großzügigen – weiteren Monatsfrist Rechnung getragen werden als mit einer Wochenfrist, die nach Vorstellung des historischen Gesetzgebers in der Vergangenheit Anlass zu taktischen Rechtsmitteln gegeben hat.“

 

Verkehrsrecht II: Fahren mit „rotem Kennzeichen“, oder: Unterbrechung der Probefahrt

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Im zweiten Posting des Tages stelle ich dann den KG, Beschl. v. 17.09..2020 – 3 Ws (B) 189/20 – vor. Dre hat mal eine ganz andere Problematik als Fahrverbot, Einsicht in Messunterlagen usw. zum Gegenstand.

Folgender Sachverhalt:

„Der Betroffene fuhr am 26.6.2019 um 18.15 Uhr mit dem PKW, das – wie ihm bewusst war – lediglich über das rote Kurzzeitkennzeichen B –xxx verfügte, zu einem Restaurant in der H.-straß in B., weil er sich dort etwas zu essen holen wollte bzw. dort etwas essen wollte. Er stellte das Fahrzeug an der genannten Anschrift im absoluten Halteverbot ab und begab sich ins Restaurant.

Im Rahmen der rechtlichen Würdigung führt das Gericht weiter aus:

Bei der Fahrt zum Restaurant handelte es sich – unabhängig davon, ob der Betroffene sich dort Essen holen wollte oder ob er das Essen dort verzehren wollte – nicht um eine privilegierte Fahrt nach § 16 Abs. 1 Satz 1 FZV und damit um ein Inbetriebnehmen ohne die erforderliche Zulassung. Dies gilt … auch dann, wenn sich der Betroffene – was nicht zu widerlegen ist – eigentlich auf einer Probefahrt war. In diesem Fall hätte er das Fahrzeug zunächst zum Autohandel zurückbringen müssen.

Das Gericht führt dann weiter sinngemäß aus, dass der vom Betroffenen genannte Grund für die Unterbrechung der Probefahrt – Essen holen oder Essen gehen – nicht im Zusammenhang mit einem nach § 16 Abs. 1 Satz 2 FZV anerkannten Fahrzweck stehe. Es sich daher auch nach dieser Sachlage nicht um eine privilegierte Fahrt nach § 16 FZV gehandelt habe.2

Das AG hat den Betroffenen verurteilt. Die Rechtsbeschwerde hatt beim KG keinen Erfolg. Dazu die Leitsätze des KG:

1. Ein Betroffener, der ein Fahrzeug mit rotem Kennzeichen zu anderen als in § 16 genannten Zwecken auf öffentlichem Straßenland steuert, führt ein Fahrzeug ohne Zulassung nach § 3 Abs. 1 FZV.

2. An die Prüfung und die Anerkennung der Notwendigkeit eines anderen als in § 16 genannten Zweckes sind hohe Maßstäbe anzulegen, die das (spontane) Verlangen nach Essen ohne weitere Feststellungen jedenfalls nicht erfüllt. Dabei handelt es sich um eine zweckfremde Unterbrechung.

Verkehrsrecht I: Entziehung der Fahrerlaubnis, oder: E-Scooter, Rennen und bedeutender Fremdschaden

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Heute ist also letzter Arbeitstag vor Weihnachten. Ich habe überlegt, ob ich diesen Mittwoch wie einen Freitag behandeln und daher dann RVG-Entscheidungen bringen soll. Aber das habe ich dann doch gelassen, die verschiebe – so die Planung heute – ich auf den 2. Weihnachtsfeiertag. Da passen die zum „Warmwerden“ ganz gut.

Heute mache ich dann lieber noch einmal Verkehrsrecht. Hier zunächst eine kleine Übersicht zu Entscheidungen zur Entziehung der Fahrerlaubnis. Da haben sich in den letzten Zeit ein paar Entscheidungen angesammelt:

    • AG Dresden, Urt. v. 5.11.2020 – 213 Cs 634 Js 44073/20 – Zur (verneinten) Entziehung der Fahrerlaubnis im Fall einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter. Das AG hat bei einem Angeklagten, der als Ersttäter nachts zu verkehrsarmer Zeit mit einem E-Scooter gefahren ist, von der Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen und ein Fahrverbot verhängt.
    • Dazu gibt es dann auch noch LG Osnabrück, Beschl. v. 16.10.2020 – 10 Qs 54/20 – aber leider nicht als Volltext.
    • LG Bielefeld, Beschl. v. 8.10.2020 – 8 Qs-401 Js 513/20-231/20 – und AG Bielefeld, Beschl. v. 19.06.2020 – 9 Gs 1985/20, beide zur Annahme der Tatbestandsmerkmale des verbotetenen Kraftfahrzeugrennens/der nicht angepassten Geschwindigkeit in § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB nehmen. AG und LG haben die Entziehung der Fahrerlaubnis abgelehnt. Das LG geht davon aus, dass mit der Messmethode „Nachfahren“ der Nachweis nicht geführt sei.
    • LG Frankfurt/Main, Beschl. v. 10.06.2020 – 5/9a Qs 29/20 – zur Bestimmung des bedeutenden Fremdschadens i.S. von § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB. Die Entscheidung ist m.E. falsch. Schon bemerkenswert, wie das LG mal eben mit der Formulierung: „Hierdurch hat der Beschuldigte auch die Verursachung eines bedeutenden Fremdschadens billigend in Kauf genommen, ohne seinen Pflichten aus § 142 StGB nachzukommen. Hieran können auch anderweitige und lediglich vorläufige Schadensschätzungen der Polizeibeamten nichts ändern.“ anders lautende Rechtsprechung zur der Problematik mal eben negiert. Na ja, Frankfurt eben.

OWI III: Verletzung des Zitiergebotes ==> Rücknahme des „BGB“ , oder: Wer trägt die notwendigen Auslagen?

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Und die dritte und letzte Entscheidung stammt vom AG Trier. Den AG Trier, Beschl. v. 21.10.2020 – 35a OWi 54/20 – hat mit die Kollegin S. Gallien aus Trassem geschickt. Er behandelt eine Problemati, mit der wir es in Zukunft wahrscheinlich häufiger zu tun haben werden. Nämlich die Frage: Wer trägt die Kosten und notwendigen Auslagen des Betroffenen im Bußgeldverfahren in den Fällen der Rücknahme des Bußgeldbescheides wegen Verletzung des Zitiergebotes.

Das AG Trier hat sie der Verwaltungsbehörde auferlegt:

„Der Antrag der Betroffenen ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Die Bußgeldbehörde hat den Antrag der Verteidigerin auf Auferlegung der notwendigen Auslagen des Betroffenen auf die Staatskasse zu Unrecht abgelehnt.

Der Betroffene hat die Kosten des Verfahrens (Kosten und Auslagen) zu tragen hat, wenn er „verurteilt“ wird, d. h. wenn gegen den Betroffenen ein Bußgeld festgesetzt wird. Dies gilt auch, wenn der Betroffene mit dem Einspruch nur eine geringe als die festgesetzte Geldbuße erstrebt und eine solche dann festgesetzt wird (Göhler, OWiG, 17. Auflage 2017, § 67 Rn. 42).

Hinsichtlich der notwendigen Auslagen greift daher zu Gunsten des Betroffenen lediglich § 465 Abs. 2 StPO i. V. m. §§ 46 Abs. 1, 105 Abs. 1 OWiG ein. Dies beruht darauf, dass der Einspruch kein Rechtsmittel, sondern ein Rechtsbehelf eigener Art ist, auf den § 473 StPO nicht anwendbar ist. Die notwendigen Auslagen des Betroffenen werden ansonsten nur von der Staatskasse getragen, wenn eine endgültige Einstellung des Verfahrens durch die Verwaltungsbehörde aus Rechtsgründen, d.h. nach Einspruch gegen den Bußgeldbescheid und dessen Rücknahme, erfolgt (vgl. vgl. Göhler, OWiG, 17. Auflage 2017, Vor § 105 Rn. 69; Bohnert/Krenberger/Krumm, OWiG, 6. Auflage 2020, Rn. § 105 Rn. 60).

Hier hat die Verwaltungsbehörde das Verfahren jedoch nicht endgültig eingestellt, sondern lediglich den Bußgeldbescheid vom 23.06.2020 zurückgenommen und diesen durch den Bußgeldbescheid vom 30.07.2020 ersetzt, der keine Anordnung eines Fahrverbots mehr enthält. § 465 Abs. 2 StPO ist anwendbar, da der Bußgeldbescheid auf den Einspruch hin zurückgenommen und durch einen günstigeren, weniger belastenden ersetzt worden ist (vgl. Göhler, OWiG, 17. Auflage 2017, § 67 Rn. 42; Hadamitzky, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Auflage 2018, § 105 Rn. 83)

Nach § 465 Abs. 2 S. 2 und 3 StPO i. V. m. §§ 46 Abs. 1, 105 Abs. 1 OWiG sind die notwendigen Auslagen des Betroffenen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, wenn es unbillig wäre, den Betroffenen damit zu belasten.

Die Belastung des Betroffenen mit den ihm entstandenen notwendigen Auslagen ist unbillig. Ob eine Unbilligkeit vorliegt, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Dem Bußgeldbescheid vom 16.06.2020 lag der „neue“ Bußgeldkatalog vom 29.04.2020 zugrunde. In der Eingangsformel der 54. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 20. April 2020, in Kraft getreten am 28. April 2020, fehlt der Verweis auf § 26 Abs. 1 Nr. 3 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG).

Diese Vorschrift ist die Ermächtigungsgrundlage für den Erlass einer Rechtsverordnung zur Anordnung von Fahrverboten. Nach Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG ist in einer bundesrechtlichen Verordnung deren Rechtsgrundlage anzugeben (Zitiergebot). Art. 3 (Änderung der Bußgeldkatalog-Verordnung) der 54. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften ist daher wegen Verstoßes gegen das Zitiergebot aus Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG offensichtlich nichtig.

Unerheblich ist, dass die Bußgeldbehörde im Hinblick auf die Frage der Wirksamkeit des „neuen“ Bußgeldkatalogs von den Vorgaben der jeweils zuständigen Landesministerien abhängig waren und unverzüglich nach Bekanntmachung einer Entscheidung der Ministerien diese umgesetzt wurden.

Vor diesem Hintergrund war die Rechtsklage für einen Laien erst recht undurchsichtig und die Beiziehung eines Rechtsanwaltes angemessen.

Mit Schriftsatz vom 02.07.2020 legte der Betroffene über seine Verteidigerin Einspruch gegen den Bußgeldbescheid vom 16.06.2020 ein.

Mit Bußgeldbescheid vom 08.07.2020 wurde der Bußgeldbescheid vom 16.06.2020 „aufgrund des Fehlers im neuen Gesetz“ zurückgenommen und gegen die Betroffene ein Bußgeld in Höhe von 80,00 € festgesetzt. Ein Fahrverbot wurde nicht angeordnet.

Diesen hat der Betroffene akzeptiert und das Bußgeld gezahlt.

Der Erlass eines rechtmäßigen Bußgeldbescheides liegt in der Sphäre der Bußgeldbehörde. Die Verwaltungsbehörde hätte den ursprünglichen rechtswidrigen Bußgeldbescheid bereits nicht erlassen dürfen. Erst der Bußgeldbescheid vom 08.07.2020 entspricht der geltenden Rechtslage.

Aus diesen Gründen stellt die Belastung des Betroffenen mit seinen notwendigen Auslagen eine unbillige Härte dar.“

OWi II: „Einklemmen“ des Mobiltelefons zwischen Ohr und Schulter, oder: OLG Köln hält das für „Halten“

Die zweite Entscheidung kommt vom OLG Köln. Das hat sich im OLG Köln, Beschl. v. 04.12.2020 – 1 RBs 347/20 – zu § 23 Abs. 1a StVO – Mobiltelefon im Straßenverkehr – geäußert, und zwar zum Begriff des Haltens.

Das AG hatte den Betroffenen auf der Grundlage folgender Feststellungen verurteilt:

„Auf dem im Rahmen der Geschwindigkeitsmessung aufgenommenen Messfoto ist zudem erkennbar, dass die Betroffene ein Mobiltelefon zwischen der (scil.: linken) Schulter und dem Kopf eingeklemmt hat. Die Betroffene hat über ihren Verteidiger auch eingeräumt, dass es sich dabei um ein Mobiltelefon gehandelt hat und sie dieses auch zum Telefonieren genutzt hat.“.

Das Tatgericht ist dabei davon ausgegangen, dass die Betroffene das Mobiltelefon – entsprechend ihrer Einlassung – bereits vor Fahrtantritt in der abgebildeten Haltung gehabt habe. Gleichwohl sei nach Wortlaut und Sinn des § 23 Abs. 1a StVO von einem tatbestandsmäßigen „Halten“ auszugehen…“

Das OLG hat die Rechtsbeschwerde zugelassen und sich dann zum „Halten“ geäußert.

„b) Die Betroffene hat das Mobiltelefon aber auch – wie die genannte Vorschrift dies voraussetzt – „gehalten“, indem sie dieses zwischen Ohr und Schulter eingeklemmt hat.

aa) Entgegen der von der Generalstaatsanwaltschaft geäußerten Rechtsauffassung genügt zur Erfüllung des Tatbestandes freilich nicht, dass die Betroffene das Mobiltelefon zu irgend einem Zeitpunkt aufgenommen haben muss. Wie nicht nur der Wortlaut des § 23 Abs. 1a S. 1 Ziff. 1 StVO („wer ein Fahrzeug führt…“), sondern auch die Regelung des § 23 Abs. 1b S. 1 Ziff. 1 StVO erweist, genügt ein Aufnehmen des elektronischen Geräts in dem Zeitpunkt, da der Motor des Fahrzeugs abgeschaltet ist, zur Tatbestandserfüllung nicht (vgl. Senat DAR 2019, 398; s. a. den der Entscheidung OLG Stuttgart DAR 2019, 103 = VRS 135, 38 zugrunde liegenden Sachverhalt; s. weiter Urbanzyk DAR 2018, 641 und – zur Vorgängerfassung – Janker NZV 2006, 69 [70]). Dem Zusammenhang der Urteilsgründe ist zu entnehmen, dass das Tatgericht die Einlassung der Betroffenen, sie habe das Mobiltelefon bereits „vor Fahrtantritt“ in der auf dem Messfoto zu erkennenden Weise zwischen Ohr und Schulter eingeklemmt in diesem Sinne aufgefasst, sie (jedenfalls) für nicht widerlegbar, aber für aus Rechtsgründen unerheblich gehalten hat. Der Senat tritt dieser rechtlichen Bewertung bei.

bb) (1) Sie ist zunächst vom Wortlaut der Vorschrift gedeckt. Ein „Halten“ von Gegenständen ist dem Wortsinn nach ohne weiteres auch ohne Benutzung der Hände möglich. So wird man etwa – über die hier in Rede stehende Sachgestaltung hinaus – von „Halten“ sprechen, wenn ein Gegenstand zwischen Oberarm und Torso oder aber zwischen den Oberschenkeln fixiert wird (in diese Richtung auch AG Coesfeld DAR 2018, 640; König DAR 2020, 362 [372]).

(2) Auch der Zweck der Vorschrift steht einer entsprechenden Annahme jedenfalls nicht entgegen. Mag sie auch in erster Linie der Verhinderung solcher Verhaltensweisen dienen, die dazu führen, dass der Fahrzeugführer nicht mehr beide Hände zum Lenken des Fahrzeugs zur Verfügung hat und/oder seinen Blick vom Verkehrsgeschehen abwenden muss (OLG Karlsruhe DAR 2020, 520; OLG Hamm DAR 2019, 632; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke-Heß, Straßenverkehrsrecht, 26. Auflage 2020, § 23 StVO Rz. 22a; zur Vorgängerfassung unter Bezugnahme auf die seinerzeitige Verordnungsbegründung Hermann, NStZ-RR 2011, 65 [67]), besteht dieser doch allgemeiner darin, solche nicht mit dem Führen des Fahrzeugs in Zusammenhang stehende Tätigkeiten zu verhindern, die sich abträglich auf die Notwendigkeit der Konzentration auf das Verkehrsgeschehen auswirken (OLG Hamm B. v. 03.11.2020 – 4 RBs 345/20 – bei Juris; Hentschel/König/Dauer-König, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage 2019, § 23 StVO Rz. 14, 30). Der Verordnungsgeber hat zwar der Benutzung von elektronischen Geräten mit den Händen eine erhöhte Ablenkungswirkung beigemessen; er hat aber ersichtlich auch in den Blick genommen, dass fahrfremde Tätigkeiten unabhängig hiervon eine die Verkehrssicherheit gefährdende Ablenkungswirkung entfalten (BR-Drs. 556/17 S. 12). (Lediglich) aus Gründen der Verhältnismäßigkeit und wegen der damit einhergehenden Nachweisschwierigkeiten hat er davon abgesehen, die Benutzung elektronischer Geräte insgesamt zu verbieten (a.a.O. S. 17), diese Alternative allerdings durchaus erwogen. Dieser Gesichtspunkt spricht dafür, fahrfremde Tätigkeiten als verboten anzusehen, soweit der Wortlaut der Vorschrift als äußerste Auslegungsgrenze dies – wie hier – erlaubt.

Dass es sich bei der Benutzung eines Mobiltelefons auch in der hier geschehenen Weise um eine fahrfremde Tätigkeit handelt, kann dabei keinem Zweifel unterliegen. Sie birgt auch – worauf bereits das Amtsgericht in der Sache zutreffend hingewiesen hat – ein nicht unerhebliches Gefährdungspotenzial. Dabei geht es nicht einmal in erster Linie um eine Erschwernis bei mit einer Veränderung der Körperhaltung einhergehenden Tätigkeiten wie etwa dem Schulterblick oder auch dem Blick in Spiegel. Neben dem Telefongespräch als solchem beansprucht vielmehr insbesondere auch das höchst unsichere und daher letztlich unverantwortliche Halten des Mobiltelefons zwischen Ohr und Schulter selbst die Aufmerksamkeit des Fahrers über Gebühr. Es besteht das Risiko, dass das Mobiltelefon sich aus seiner „Halterung“ löst und den Fahrer dann zu unwillkürlichen Reaktionen verleitet um zu verhindern, dass es – etwa – im Fußraum des Fahrzeugs unauffindbar wird. Schon um diesem Risiko entgegenzuwirken, wird der Fahrer einen ansonsten dem Verkehrsgeschehen zuzuwendenden Teil seiner Aufmerksamkeit seinem Mobiltelefon schenken. Dieser Umstand unterscheidet die hier in Rede stehende Nutzung des Mobiltelefons von derjenigen mittels einer Freisprecheinrichtung, bei welcher sich der Fahrer um die Stabilität der Halterung regelmäßig keine Gedanken machen muss. Dieser Unterschied trägt denn auch die Bewertung der hier in Rede stehenden Benutzung als verboten gegenüber der erlaubten Nutzung mittels einer Freisprecheinrichtung.

(3) Bei alledem verkennt der Senat nicht, dass der Verordnungsgeber ausweislich der Verordnungsbegründung davon ausgegangen ist, dass unter „Halten“ ein „in der Hand halten“ zu verstehen ist (BR-Drs. 556/17 S. 1, 16, 25, 26). Das vermag den Rechtsanwender jedoch nur insoweit zu binden, als diese Auffassung im Wortlaut der Norm ihren Ausdruck gefunden hat. Das ist aber – wie dargelegt – nicht der Fall (so auch König, DAR 2020, 362 [372] und DAR 2019, 362 [371]). Vielmehr erfasst der Normwortlaut die hier in Rede stehende Konstellation zwanglos und ihre Bußgeldbewehrung ist auch vom Sinn und Zweck der Vorschrift gedeckt. Soweit der Senat in seiner Entscheidung vom 14. Februar 2019 (DAR 2019, 398) unter Bezugnahme auf die Verordnungsbegründung eine abweichende Auslegung vertreten hat, hält er hieran nicht mehr fest.“

M.E. hätte das OLG das AG-Urteil besser nicht gehalten und den Mund gehalten 🙂 . Denn: Der Wortlaut erfasst diese Art des Haltens zwar und auch der Sinn und Zweck der Regelung passen. Aber: Die Gesetzesbegründung spricht klar und eindeutig gegen dieses Verständnis der Vorschrift. Und da fragt man sich dann doch: Muss ich damit als Betroffener eigentlich nicht rechnen? Was sollen Gesetzesbegründungen, wenn die dann die  OLG bei der Rechtsanwendung nicht interessieren?

Dies war übrigens die 6.000 Entscheidung, die ich hier im Blog vorstelle. Hätte gerne was Schöneres gehabt. 🙂 .