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Die zweite Entscheidung, der VG Lüneburg, Beschl. v. 18.05.2020 – 1 B 19/20 – behandelt auch einen „Entziehungsfall“, auch hier Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO. Folgender Sachverhalt: Ein bei einer allgemeinen Verkehrskontrolle durchgeführter Drogenvortest deutete bei dem Antragsteller auf einen Kokain-Konsum hin. Er erklärte bei seiner Anhörung, dass frühere Drogendelikte schon einige Jahre her seien und er Betäubungsmittel nicht mehr konsumiere bzw. er „in den letzten Tagen kein Kokain konsumiert habe“ . Die daraufhin von ihm genommene Blutprobe ergab ausweislich des toxikologischen Untersuchungsbefundes einen Benzoylecgonin-Wert von „s.n. < 10 ng/ml“ (s.n. = sicher nachgewiesen, Messwert unterhalb des Kalibrationsbereiches) im Blutserum.
„Die Fahrerlaubnisbehörde hat die Fahrerlaubnis entzogen. Dagegen verteidigt sich der Betroffene wie folgt: Der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig, weil dieser sich hinsichtlich eines Kokainkonsums nur auf Vermutungen stütze. Er habe kein Kokain konsumiert. Bei der Untersuchung der Blutprobe sei der Test auf Kokain negativ ausgefallen. Das in nicht näher bestimmbarer Menge festgestellte Benzoylecgonin beruhe nicht auf einem Kokainkonsum. Er könne sich nicht erklären, wie das Abbauprodukt von Kokain in seinen Körper habe gelangen können. Der Nachweis eines Abbauproduktes allein genüge nicht, um den Konsum von Betäubungsmitteln zu beweisen. Denn es gebe andere Begründungen, die angesichts des geringen Wertes auch wahrscheinlich seien. Es sei durchaus möglich, dass allein durch den Kontakt zu „Drogengebrauchern“ oder durch den Verzehr von Lebensmitteln Spuren des Abbauproduktes in den Körper hätten gelangen können. Dies sei etwa bekannt bei Kindern von „Betäubungsmittelgebrauchern“ oder beim Konsum von „Red Bull Cola“. So sei im Mai 2009 der Verkauf dieses Getränks untersagt worden, weil darin Spuren von Kokain nachgewiesen worden seien. Er – der Antragsteller – konsumiere ausgesprochen gern dieses Getränk und das durchaus auch in größeren Mengen. Auch sei Benzoylecgonin beispielsweise in der Trinkwasserversorgung gefunden worden, so im Jahre 2005 in Italien, im Jahre 2006 in St. Moritz (Schweiz), ebenso im Vereinigten Königreich. Ferner könnten an diversen Gegenständen Anhaftungen von Kokain vorhanden sein, etwa an Geldscheinen, die zum Konsum von Kokain benutzt worden seien. Kontaminationen seien nicht auszuschließen. Dies gelte auch bei Personen, die im engen Kontakt mit Kokainkonsumenten lebten. Dabei sei zu berücksichtigen, dass hier der Wert an Benzoylecgonin nicht bekannt sei. Es könnte auch der geringstmögliche Wert sein, der durch den Kontakt zu „Drogengebrauchern“ allein schon nachvollziehbar sei.“
Das hat nicht geholfen. Das VG hat den Antrag zurückgewiesen:
„Hiernach war dem Antragsteller die Fahrerlaubnis zu entziehen, weil er sich nach summarischer Prüfung als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hatte. Aufgrund des in seinem Blutserum nachgewiesenen Benzoylecgonins (Abbauprodukt von Kokain) ist davon auszugehen, dass er vor der Fahrt und der Blutentnahme am 8. Oktober 2019 ein Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes einnahm. Die dagegen erhobenen Einwände des Antragstellers vermögen eine für ihn günstigere Entscheidung nicht zu rechtfertigen. Mit seinem Vorbringen, er habe Kokain nicht konsumiert und das Benzoylecgonin müsse auf andere Weise in seinen Körper gelangt sein, dringt er nicht durch. Hierbei handelt es sich nach Auffassung des Gerichts angesichts des toxikologischen Gutachtenergebnisses des Instituts für Rechtsmedizin des Medizinischen Hochschule Hannover vom 29. Oktober 2019 um eine Schutzbehauptung. Zwar setzt die eignungsausschließende Einnahme von Betäubungsmitteln grundsätzlich einen willentlichen Konsum voraus (vgl. etwa Bayerischer VGH, Beschl. v. 16.4.2018 – 11 ZB 18.344 -, juris Rn. 19). Die unbewusste Einnahme von Betäubungsmitteln stellt nach allgemeiner Lebenserfahrung aber eine seltene Ausnahme dar (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 19.1.2016 – 11 CS 15.2403 -, juris Rn. 12). Wer sich auf eine ausnahmsweise unbewusste Aufnahme eines Betäubungsmittels beruft, muss daher einen detaillierten, in sich schlüssigen und auch im Übrigen glaubhaften Sachverhalt darlegen, der einen solchen Geschehensablauf als nachvollziehbar und ernsthaft möglich erscheinen lässt (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 16.4.2018 – 11 ZB 18.344 -, juris Rn. 19; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 7.4.2014 – 16 B 89/14 -, juris Rn. 8; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 1.12.2011 – 12 ME 217/08 -, juris Rn. 6; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 4.10.2011 – 1 M 19/11 -, juris Rn. 8; vgl. auch OVG Bremen, Beschl. v. 12.2.2016 – 1 LA 261/15 -, juris Rn. 6; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 30.6.2009 – 12 ME 112/09 -, juris Rn. 7).
In diesem Zusammenhang kann sich eine in geringem Umfang festgestellte Menge von Betäubungsmitteln bzw. deren Abbauprodukten im Blut mit einer unbewussten Aufnahme dieser Betäubungsmittel erklären lassen. Dies stellt jedoch neben der bewussten Einnahme von Kokain durch den Antragsteller nur eine weitere Möglichkeit dar. Der Antragsteller hat eine unbewusste Aufnahme von Kokain weder schlüssig und nachvollziehbar beschrieben noch konkrete Umstände genannt und glaubhaft gemacht, die auf eine solche schließen lassen. Insbesondere vermag sein Einwand, das in seinem Blut festgestellte Benzoylecgonin könne auf einen Konsum des Getränks „Red Bull Cola“ zurückzuführen sein, nicht zu überzeugen. Zum einen hat der Antragsteller einen solchen Konsum in zeitlicher Nähe vor der Fahrt weder substantiiert dargelegt noch dies glaubhaft gemacht. Zum anderen geht die Kammer davon aus, dass der Konsum dieses Getränkes nicht zu einem Nachweis von Benzoylecgonin im Blut führt. Zwar wurde der Verkauf dieses Produkts im Mai 2009 in einigen Bundesländern untersagt, nachdem durch das nordrhein-westfälische Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit Spuren von Kokain in Höhe von 0,4 mg/L festgestellt worden waren. Red Bull Cola sowie andere Lebensmittel, die Cocablattextrakte enthalten, gelten jedoch in der Europäischen Union als unbedenklich und verkehrsfähig. So stellte das Bundesinstitut für Risikobewertung fest, dass die in den Proben gefundenen Mengen gesundheitlich unbedenklich seien, da sie 7000 bis 20.000-fach unter der Wirkgrenze lägen (vgl. Bundesinstitut für Risikobewertung, Gesundheitliche Bewertung Nr. 20/2009 vom 27. Mai 2009). Das Verkaufsverbot wurde daraufhin im August 2009 wieder aufgehoben (vgl. VG Bremen, Beschl. v. 6.3.2013 – 5 V 98/13 -, juris Rn. 20). Dass dieses Getränk im Oktober 2019 noch in geringfügigen Mengen Kokain enthalten hätte und zu einem Nachweis von Benzoylecgonin im Blut hätte führen können, hat der Antragsteller aber weder substantiiert dargelegt noch glaubhaft gemacht. Entsprechendes gilt für seine Ausführungen zur Aufnahme von Benzoylecgonin durch Trinkwasser (mit Verweis auf Feststellungen in anderen Ländern), durch persönliche Kontakte zu Drogenkonsumenten oder infolge von Anhaftungen an Lebensmitteln oder Gegenständen. Dass ein solcher Fall beim Antragsteller im Oktober 2019 tatsächlich vorlag, hat er weder schlüssig und nachvollziehbar dargelegt noch ist dies für die Kammer anderweitig ersichtlich. Hiernach ist überwiegend wahrscheinlich, dass das im Blut des Antragstellers festgestellte Benzoylecgonin von einem willentlichen Konsum von Kokain herrührt.“