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Fahrtenbuch II: Unrichtige Angaben zum Fahrer, oder: Untauglicher Rettungsversuch

entnommen wikidmedia.org
Fotograf Faßbender, Julia

Und dann hier die zweite Entscheidung zum Fahrtenbuch, und zwar das VG Lüneburg, Urt. v. 17.10.2022 – 1 A 139/21 -, das zu einer Fahrtenbuchanordnung Stellung nimmt, wenn unrichtige Angaben zum Fahrer gemacht werden.

Gegen den Kläger ist die Führung eines Fahrtenbuches für die Dauer von 6 Monaten angeordnet worden, Zugrunde lag eine mit dem Fahrzeug des Klägers innerhalb geschlossener Ortschaft begangene Geschwindigkeitsüberschreitung um 27 km/h. Daraufhin wurde ein Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet und der Kläger wurde als ermittelter Halter mit Schreiben vom 21.10.2019 als Beschuldigter angehört; der Anhörung beigefügt war ein Frontfoto des Fahrers. Hierauf teilte der Kläger am 28.10.2019 mit, nicht er sei am Tattag gefahren, sondern ein Herr H. I., wohnhaft in der J. in K.. Daraufhin wurde das gegen den Kläger eingeleitete Ordnungswidrigkeitenverfahren eingestellt und ein Verfahren gegen den vom Kläger benannten Fahrer eingeleitet. In der Folge ging bei der Bußgeldstelle nach Aktenlage unter dem 30.10.2019 die Antwort eines Herrn H. I. ein, in welcher diesen den Verstoß zugab. Die Bußgeldbehörde der Freien und Hansestadt Bremen erließ in der Folge am 4.11.2019 einen Bußgeldbescheid gegen Herrn H. I.. Nachdem dieser das festgesetzte Bußgeld trotz Mahnung nicht beglichen hatte, leitete die Bußgeldbehörde Ermittlungsmaßnahmen ein. Im Rahmen der Ermittlungen wurde festgestellt, dass Herr H. I. an der vermeintlichen Wohnanschrift nicht wohnhaft war; eine Überprüfung beim Einwohnermeldeamt ergab zudem, dass dieser nicht mehr in L. gemeldet sei. Weitere Ermittlungen, u.a. der Polizei L., ergaben, dass es sich bei dem vom Kläger benannten Fahrer um eine Tarnpersonalie unter einer Tarnanschrift gehandelt hatte. Nach Angaben der Polizei L. war die Person laut Einwohnermeldeamtsauskunft nie in L. verzeichnet, auch in anderen Systemen ist die Person nicht bekannt. Daraufhin wurde das Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen Herrn H. I. eingestellt und die Akten wurden an den Beklagten zwecks Prüfung einer Fahrtenbuchanordnung abgegeben.

Die ist dann getroffen worden. Hiergegen richtet sich die Klage, die keinen Erfolg hatte. Ich weise hier nur auf die Ausführungen des VG zu den unrichtigen Fahrerangaben hin:

„Die Feststellung des Fahrzeugführers nach der Geschwindigkeitsüberschreitung vom E. war unmöglich im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO.

Die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften ist nicht möglich, wenn die zuständige Behörde nach den Umständen des Einzelfalles nicht in der Lage war, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen traf. Es kommt mithin darauf an, ob die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen veranlasst, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob die Fahrerfeststellung unmöglich war, ist der Eintritt der Verfolgungsverjährung der Ordnungswidrigkeit. Art und Umfang der Ermittlungstätigkeit der Behörde können sich an dem Verhalten und den Erklärungen des Fahrzeughalters ausrichten. Lehnt dieser erkennbar die Mitwirkung an der Aufklärung des Verkehrsverstoßes ab, ist es der Behörde regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende, kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben (vgl. dazu u.a. BVerwG, Urt. v. 17.12.1982 – 7 C 3.80 -, juris Rn. 7, Beschl. v. 21.10.1987 – 7 B 162.87 -, juris Rn. 5; Nds. OVG, Beschl. v. 14.1.2019 – 12 ME 170/18 -, juris Rn. 17, Beschl. v. 1.2.2013 – 12 LA 122/12 -, juris Rn. 7, Beschl. v. 7.6.2010 – 12 ME 44/10 -, juris Rn. 5). An einer hinreichenden Mitwirkung des Fahrzeughalters daran, den Fahrzeugführer zu bezeichnen, fehlt es regelmäßig bereits dann, wenn der Fahrzeughalter den Anhörungsbogen der Bußgeldstelle nicht zurücksendet oder keine weiteren Angaben zum Personenkreis der Fahrzeugbenutzer macht. Die Bußgeldbehörde kann daher in aller Regel davon ausgehen, dass weitere Ermittlungen zeitaufwendig wären und kaum Aussicht auf Erfolg bieten würden, und mit dieser Begründung auf weitere Ermittlungsversuche verzichten. Ihr werden weitere Ermittlungsversuche, die über die Anhörung des Fahrzeughalters hinausgehen, grundsätzlich nicht zugemutet (Kammerurt. v. 21.8.2019 – 1 A 181/18 -, juris Rn. 17 f.; Nds. OVG, Beschl. v. 1.2.2013 – 12 LA 122/12 -, juris Rn. 7, Beschl. v. 7.6.2010 – 12 ME 44/10 -, juris Rn. 8, Beschl. v. 6.4.2010 – 12 ME 47/10 -, juris Rn. 5, jeweils m.w.N.). Weitere Ermittlungen zum Fahrzeugführer sind in diesen Fällen nur ausnahmsweise erforderlich, nämlich dann, wenn sich im Einzelfall besondere Anzeichen ergeben haben, die auf die Person des Fahrers hindeuten. Zur Anwendung bestimmter Ermittlungsmethoden ist die Behörde allerdings keinesfalls verpflichtet (vgl. VGH BW, Beschl. v. 29.1.2008 – 10 S 129/08 -, juris Rn. 4; Nds. OVG, Beschl. v. 31.10.2006 – 12 LA 463/05 -, juris Rn. 4).

Nach Maßgabe dessen war es der Verfolgungsbehörde i.S.d. § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO unmöglich, den Fahrzeugführer festzustellen. Sie traf alle nach den Umständen des Einzelfalles angemessenen und zumutbaren Ermittlungsmaßnahmen. Sie übersandte dem Kläger unter dem 21. Oktober 2019 einen Anhörungsbogen. Soweit der Kläger den Zugang des Anhörungsbogens bestreitet, ist dies als Schutzbehauptung zu werten, denn er selbst hat auf den Anhörungsbogen reagiert und als Fahrer einen Herrn H. I. benannt (vgl. Beiakte Bl. 17). Der Kläger hat hierdurch indes nicht hinreichend an der Feststellung des verantwortlichen Fahrers mitgewirkt, denn er hat augenscheinlich unrichtige Angaben zum Fahrer gemacht. Die Ermittlungen der Bußgeldstelle der Freien und Hansestadt B-Stadt sowie der Polizei L. haben nach Aktenlage ergeben, dass der vom Kläger benannte Fahrer nicht existiert. Bei dem vom Kläger benannten Fahrer handelt es sich nach den Ermittlungen der Behörden um eine Tarnpersonalie; auch bei der vom Kläger angegebenen Anschrift handelt es sich um eine Tarnanschrift. Es liegt auf der Hand und bedarf keiner eingehenden Erörterung, dass ein Fahrzeughalter seinen Mitwirkungspflichten bei der Fahrerermittlung nach einem begangenen Verkehrsverstoß nicht genügt, wenn er falsche Angaben tätig oder gar eine Person als Fahrer angibt, die nicht existent ist (vgl. hierzu u.a. auch OVG Berl.-Bbg., Beschl. v. 28.7.2011 – OVG 1 N 58.11 – juris; OVG NRW, Beschl. v. 11.10.2007 – 8 B 1042/07 -, juris). Aus diesem Grund bestand kein Anlass der Behörde, weitere Ermittlungsmaßnahmen zur Fahrerfeststellung zu veranlassen.

……“

Den Rest aus der „schulmäßig“ begründeten Entscheidung bitte selbst lesen.

Entziehung der Fahrerlaubnis II: Die unbewusste Aufnahme von Kokain/Benzoylecgonins, oder: „Red Bull Cola“ getrunken

Bild von Hebi B. auf Pixabay

Die zweite Entscheidung, der VG Lüneburg, Beschl. v. 18.05.2020 – 1 B 19/20 – behandelt auch einen „Entziehungsfall“, auch hier Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO. Folgender Sachverhalt: Ein bei einer allgemeinen Verkehrskontrolle durchgeführter Drogenvortest deutete bei dem Antragsteller auf einen Kokain-Konsum hin. Er erklärte bei seiner Anhörung, dass frühere Drogendelikte schon einige Jahre her seien und er Betäubungsmittel nicht mehr konsumiere bzw. er „in den letzten Tagen kein Kokain konsumiert habe“ . Die daraufhin von ihm genommene Blutprobe ergab ausweislich des toxikologischen Untersuchungsbefundes einen Benzoylecgonin-Wert von „s.n. < 10 ng/ml“ (s.n. = sicher nachgewiesen, Messwert unterhalb des Kalibrationsbereiches) im Blutserum.

„Die Fahrerlaubnisbehörde hat die Fahrerlaubnis entzogen. Dagegen verteidigt sich der Betroffene wie folgt: Der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig, weil dieser sich hinsichtlich eines Kokainkonsums nur auf Vermutungen stütze. Er habe kein Kokain konsumiert. Bei der Untersuchung der Blutprobe sei der Test auf Kokain negativ ausgefallen. Das in nicht näher bestimmbarer Menge festgestellte Benzoylecgonin beruhe nicht auf einem Kokainkonsum. Er könne sich nicht erklären, wie das Abbauprodukt von Kokain in seinen Körper habe gelangen können. Der Nachweis eines Abbauproduktes allein genüge nicht, um den Konsum von Betäubungsmitteln zu beweisen. Denn es gebe andere Begründungen, die angesichts des geringen Wertes auch wahrscheinlich seien. Es sei durchaus möglich, dass allein durch den Kontakt zu „Drogengebrauchern“ oder durch den Verzehr von Lebensmitteln Spuren des Abbauproduktes in den Körper hätten gelangen können. Dies sei etwa bekannt bei Kindern von „Betäubungsmittelgebrauchern“ oder beim Konsum von „Red Bull Cola“. So sei im Mai 2009 der Verkauf dieses Getränks untersagt worden, weil darin Spuren von Kokain nachgewiesen worden seien. Er – der Antragsteller – konsumiere ausgesprochen gern dieses Getränk und das durchaus auch in größeren Mengen. Auch sei Benzoylecgonin beispielsweise in der Trinkwasserversorgung gefunden worden, so im Jahre 2005 in Italien, im Jahre 2006 in St. Moritz (Schweiz), ebenso im Vereinigten Königreich. Ferner könnten an diversen Gegenständen Anhaftungen von Kokain vorhanden sein, etwa an Geldscheinen, die zum Konsum von Kokain benutzt worden seien. Kontaminationen seien nicht auszuschließen. Dies gelte auch bei Personen, die im engen Kontakt mit Kokainkonsumenten lebten. Dabei sei zu berücksichtigen, dass hier der Wert an Benzoylecgonin nicht bekannt sei. Es könnte auch der geringstmögliche Wert sein, der durch den Kontakt zu „Drogengebrauchern“ allein schon nachvollziehbar sei.“

Das hat nicht geholfen. Das VG hat den Antrag zurückgewiesen:

„Hiernach war dem Antragsteller die Fahrerlaubnis zu entziehen, weil er sich nach summarischer Prüfung als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hatte. Aufgrund des in seinem Blutserum nachgewiesenen Benzoylecgonins (Abbauprodukt von Kokain) ist davon auszugehen, dass er vor der Fahrt und der Blutentnahme am 8. Oktober 2019 ein Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes einnahm. Die dagegen erhobenen Einwände des Antragstellers vermögen eine für ihn günstigere Entscheidung nicht zu rechtfertigen. Mit seinem Vorbringen, er habe Kokain nicht konsumiert und das Benzoylecgonin müsse auf andere Weise in seinen Körper gelangt sein, dringt er nicht durch. Hierbei handelt es sich nach Auffassung des Gerichts angesichts des toxikologischen Gutachtenergebnisses des Instituts für Rechtsmedizin des Medizinischen Hochschule Hannover vom 29. Oktober 2019 um eine Schutzbehauptung. Zwar setzt die eignungsausschließende Einnahme von Betäubungsmitteln grundsätzlich einen willentlichen Konsum voraus (vgl. etwa Bayerischer VGH, Beschl. v. 16.4.2018 – 11 ZB 18.344 -, juris Rn. 19). Die unbewusste Einnahme von Betäubungsmitteln stellt nach allgemeiner Lebenserfahrung aber eine seltene Ausnahme dar (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 19.1.2016 – 11 CS 15.2403 -, juris Rn. 12). Wer sich auf eine ausnahmsweise unbewusste Aufnahme eines Betäubungsmittels beruft, muss daher einen detaillierten, in sich schlüssigen und auch im Übrigen glaubhaften Sachverhalt darlegen, der einen solchen Geschehensablauf als nachvollziehbar und ernsthaft möglich erscheinen lässt (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 16.4.2018 – 11 ZB 18.344 -, juris Rn. 19; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 7.4.2014 – 16 B 89/14 -, juris Rn. 8; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 1.12.2011 – 12 ME 217/08 -, juris Rn. 6; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 4.10.2011 – 1 M 19/11 -, juris Rn. 8; vgl. auch OVG Bremen, Beschl. v. 12.2.2016 – 1 LA 261/15 -, juris Rn. 6; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 30.6.2009 – 12 ME 112/09 -, juris Rn. 7).

In diesem Zusammenhang kann sich eine in geringem Umfang festgestellte Menge von Betäubungsmitteln bzw. deren Abbauprodukten im Blut mit einer unbewussten Aufnahme dieser Betäubungsmittel erklären lassen. Dies stellt jedoch neben der bewussten Einnahme von Kokain durch den Antragsteller nur eine weitere Möglichkeit dar. Der Antragsteller hat eine unbewusste Aufnahme von Kokain weder schlüssig und nachvollziehbar beschrieben noch konkrete Umstände genannt und glaubhaft gemacht, die auf eine solche schließen lassen. Insbesondere vermag sein Einwand, das in seinem Blut festgestellte Benzoylecgonin könne auf einen Konsum des Getränks „Red Bull Cola“ zurückzuführen sein, nicht zu überzeugen. Zum einen hat der Antragsteller einen solchen Konsum in zeitlicher Nähe vor der Fahrt weder substantiiert dargelegt noch dies glaubhaft gemacht. Zum anderen geht die Kammer davon aus, dass der Konsum dieses Getränkes nicht zu einem Nachweis von Benzoylecgonin im Blut führt. Zwar wurde der Verkauf dieses Produkts im Mai 2009 in einigen Bundesländern untersagt, nachdem durch das nordrhein-westfälische Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit Spuren von Kokain in Höhe von 0,4 mg/L festgestellt worden waren. Red Bull Cola sowie andere Lebensmittel, die Cocablattextrakte enthalten, gelten jedoch in der Europäischen Union als unbedenklich und verkehrsfähig. So stellte das Bundesinstitut für Risikobewertung fest, dass die in den Proben gefundenen Mengen gesundheitlich unbedenklich seien, da sie 7000 bis 20.000-fach unter der Wirkgrenze lägen (vgl. Bundesinstitut für Risikobewertung, Gesundheitliche Bewertung Nr. 20/2009 vom 27. Mai 2009). Das Verkaufsverbot wurde daraufhin im August 2009 wieder aufgehoben (vgl. VG Bremen, Beschl. v. 6.3.2013 – 5 V 98/13 -, juris Rn. 20). Dass dieses Getränk im Oktober 2019 noch in geringfügigen Mengen Kokain enthalten hätte und zu einem Nachweis von Benzoylecgonin im Blut hätte führen können, hat der Antragsteller aber weder substantiiert dargelegt noch glaubhaft gemacht. Entsprechendes gilt für seine Ausführungen zur Aufnahme von Benzoylecgonin durch Trinkwasser (mit Verweis auf Feststellungen in anderen Ländern), durch persönliche Kontakte zu Drogenkonsumenten oder infolge von Anhaftungen an Lebensmitteln oder Gegenständen. Dass ein solcher Fall beim Antragsteller im Oktober 2019 tatsächlich vorlag, hat er weder schlüssig und nachvollziehbar dargelegt noch ist dies für die Kammer anderweitig ersichtlich. Hiernach ist überwiegend wahrscheinlich, dass das im Blut des Antragstellers festgestellte Benzoylecgonin von einem willentlichen Konsum von Kokain herrührt.“