Archiv für den Monat: Juni 2019

Mehr als das Sechsfache als Zeithonorar, oder: Sittenwidrig?

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Am Gebührenfreitag dann als erste Entscheidung der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08.01.2019 – I – 24 U 84/18, der sich zu Fragen in Zusammenhnag mit einer Vergütungsvereinbarung verhält. Es geht zwar nicht um die Vereinbarung in einer Strafsache, die vom OLG aufgestellten Grundsätze gelten aber auch für Verfahren aus dem Bereich.

Ich stelle hier heute nur die Leitsätze der Entscheidung vor. Den Rest überlasse ich dem Selbststudium.

Hier dann die Leitsätze:

  1. Bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines anwaltlichen Zeithonorars, welches um das Sechsfache im Vergleich zur gesetzlichen Vergütung erhöht ist, ist ein maßgeblicher Gesichtspunkt, ob dies auf der Höhe des Stundensatzes oder auf den angefallenen Tätigkeitsstunden beruht. Ist diese Überhöhung auf den hohen Zeitaufwand zurückzuführen, spricht dies gegen eine Sittenwidrigkeit, sofern keine Anhaltspunkte für ein unangemessenes Aufblähen der Arbeitszeit vorliegen.
  2. Ein anwaltlicher Stundensatz i.H.v. EUR 250,- ist nicht zu beanstanden.
  3. Bestreitet der Mandant pauschal den Umfang der Tätigkeit des Rechtsanwalts, dann ist dies bei Vorgängen unerheblich, die der Mandant selbst miterlebt hat (z.B. Telefonate, Gespräche) oder durch die er anhand objektiver Unterlagen (z.B. Beweisaufnahmeprotokolle) Kenntnis erlangt hat.
  4. Ein Gericht ist aus eigener Sachkunde in der Lage, den Zeitaufwand anwaltlicher Tätigkeit zu schätzen (§ 287 ZPO), denn auch ein Richter leistet vergleichbare Arbeit, indem er Informationen rechtlicher Art verarbeitet, Recherchen durchführt und Dokumente erstellt.

Pflichti III: Angeklagter unter Betreuung, oder: Unfähigkeit der Selbstverteidigung

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Und als letzte Entscheidung dann mal etwas Erfreuliches, nämlich den LG Konstanz, Beschl. v. 27.05.2019 – 3 Qs 39/19. Er nimmt zur Frage der Bestellung eines Pflichtverteidigers Stellung, wenn der Angeklagte  unter Betreuung steht, und zwar wegen ADHS. Die Betreuung umfasst die Aufgabenkreise Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post,  Vertretung in Strafermittlungs-, Straf- und Strafvollstreckungssachen.

Das AG hatte die Bestellung abgelehnt, das LG hat demgegenüber beigeordnet:

„Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt vor.

Gemäß § 140 Abs. 2 StPO ist eine Pflichtverteidigerbestellung unter anderen dann notwendig wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte, nicht selbst verteidigen kann. Die Bestellung ist aber auch schon dann notwendig, wenn an der Fähigkeit zur Selbstverteidigung zumindest erhebliche Zweifel bestehen (OLG Hamm NJW 2003, 3286, 3287; OLG Frankfurt a.M. StV 1984, 370; Meyer-Goßner/Schmitt, 61. Auflage 2018, § 140 StPO Rn. 30).

Solche erhebliche Zweifel bestehen hier. Das Amtsgericht Singen — Betreuungsgericht — kam auf Grundlage eines ärztlichen Zeugnisses und einer persönlichen Anhörung des Betroffenen zu der Einschätzung, dass B.S. nicht in der Lage ist, Angelegenheiten in Strafsachen ausreichend zu besorgen. Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die Zweifel an der Einschätzung des Betreuungsgerichts begründen, weshalb diese Einschätzung auch bei der Pflichtverteidigerbestellung und der Frage, ob der Angeklagte zur Selbstverteidigung in der Lage ist, berücksichtigt werden muss.

Der Umstand, dass der Angeklagte eine (berufsmäßige) Betreuerin hat, die zur Rechtsanwaltschaft zugelassen ist, macht die Pflichtverteidigerbestellung nicht entbehrlich, da sich die Aufgaben eines Betreuers und die eines Verteidigers grundlegend unterscheiden (vgl. OLG Nürnberg StraFo 2007, 418). Ein Betreuer mit dem Aufgabenkreis der Vertretung in Strafsachen kann beispielsweise Strafantrag für den Betreuten stellen oder als Beistand auftreten (§ 149 Abs. 2 StPO). Die Strafverteidigung als solche ist jedoch nicht Aufgabe eines Betreuers.“

 

Pflichti II: Die Bestellung des Zeugenbeistandes, oder: Nicht für Tätigkeiten im Vorfeld

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Die zweite Entscheidung betrifft die Bestellung eines Zeugenbeistands nach § 68b Abs. 2 Satz 1 StPO.

In einem Verfahren beim OLG Celle hatte der Senatsvorsitzende E. O. für drei Tage im Juni 2019 als Zeugin geladen. Bei der Zeugin handelt es sich um die Ehefrau des zentralen Zeugen A. O., der im Sommer 2015 aus Deutschland ausreiste, sich in Syrien der Vereinigung „Islamischer Staat“ anschloss und nach seiner Rückkehr gegenüber den Strafverfolgungsbehörden sowie in der hiesigen Hauptverhandlung umfassende, auch die Angeklagten des hiesigen Verfahrens belastende Angaben machte. Die Zeugin E. O. reiste nach den Bekundungen ihres Ehemannes ge-meinsam mit diesem aus und begleitete ihn während seines Aufenthaltes im Herrschafts-gebiet des IS. Ihre Vernehmung in der Hauptverhandlung sollte vornehmlich die Aktivitäten ihres Ehemannes im Vorfeld der gemeinsamen Ausreise sowie die Geschehnisse während ihres Aufenthaltes im IS-Gebiet und im Kontext ihrer Rückkehr nach Deutschland zum Ge-genstand haben.

Mit Schreiben an den Senat vom 9. Mai 2019 hat Rechtsanwalt P. aus D. angezeigt, von der Zeugin E. O. mit der Vertretung ihrer rechtlichen Interessen beauftragt worden zu sein. E. O. habe sich definitiv entschieden, von einem ihr zukommenden vollumfassenden Aus-kunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO Gebrauch zu machen. Es werde daher darum ersucht, die Zeugin abzuladen.

Zugleich hat Rechtsanwalt P. beantragt, der Zeugin gemäß § 68b Abs. 2 Satz 1 StPO als Beistand beigeordnet zu werden.

Mit Verfügung vom 17. Mai 2019 hat der Senatsvorsitzende unter Hinweis darauf, dass der Zeugin ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO zukomme, die Abladung der Zeugin verfügt. Vor dem Hintergrund der über ihren Beistand vorgebrachten Erklärung der Zeugin, vollumfänglich von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch zu machen, ist nicht mehr beabsichtigt, E. O. zu vernehmen.

Das OLG hat den Bestellungsantrag des Rechtsanwalt im OLG Celle, Beschl. v. 21.05.2019 – 4 StE 1/17 – abgelehnt. Die Begründung kann man sich schenken. Es reichen die Leitsätze:

1. Der eindeutige Wortlaut des § 68b Abs. 2 Satz 1 StPO gestattet es nicht, unter rein teleologischer Berufung auf Belange des Opferschutzes eine Beistandsbestellung allein für eine Tätigkeit im Vorfeld einer Zeugenvernehmung vorzunehmen.

2. Die rückwirkende Beiordnung eines Zeugenbeistandes nach § 68b Abs. 2 Satz 1 StPO im alleinigen Vergütungsinteresse des bereits abschließend tätig gewordenen Rechtsanwalts kommt nicht in Betracht.

In meinen Augen mehr als kurzsichtig. Denn, was passieren wird, ist klar. Die Zeugen werden demnächst eben erst in der Hauptverhandlung ihr Verweigerungsrecht geltend machen.

Pflichti I: Grds. Pflichtverteidiger bei Berufung der StA, oder: Aber nicht bei vorläufiger Einstellung

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Den Reigen der für heute vorgesehenen Pflichtverteidigungsentscheidung eröffne ich mit dem OLG Naumburg, Beschl. v. 23.05.2019 – 1 Ws (s) 173/19, den mir der Kollege T. Reulecke aus Wernigerode geschickt hat. Das OLG hat mit dem LG die Bestellung des Kollegen als Pflichtverteidiger abgelehnt:

Mit Urteil vom 06.08.2018 hat das Amtsgericht Aschersleben den Angeklagten vom Vorwurf der umweltgefährdenden Abfallbeseitigung freigesprochen. Hiergegen hat die Staatsanwaltschaft Magdeburg Berufung eingelegt. In der Berufungsverhandlung hat der Verteidiger des Angeklagten beantragt, dem Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden. Diesen Antrag des Angeklagten hat der Vorsitzende der Berufungskammer mit der Begründung abgelehnt, dass die Sach- und Rechtslage nicht schwierig sei. Anschließend ist das Verfahren im allseitigen Einverständnis der Verfahrensbeteiligten – Angeklagter, Verteidiger und die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft – vorläufig gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 300,– €, nach § 153 a Abs. 2 StPO, eingestellt worden.

Gegen die Ablehnung der Beiordnung hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 01.04.2019 Beschwerde eingelegt. Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht Naumburg zur Entscheidung belegt.

Die Beschwerde des Angeklagten ist nach § 304 Abs. 1 StPO zulässig. Auch wenn die Entscheidung im Rahmen der Berufungshauptverhandlung getroffen wurde, so ist sie dennoch mit der Beschwerde gemäß § 304 StPO anfechtbar, weil es sich nach zutreffender Auffassung nicht um eine der Urteilsfällung im Sinne von § 305 Satz 1 StPO vorausgehende Entscheidung handelt (vgl. Meyer Goßner/Schmidt, Strafprozessordnung, 62. Aufl., § 141 Rn. 10 a). Die Beschwerde ist auch nicht im Hinblick auf die Einstellung des Verfahrens nach § 153 a StPO unzulässig. Es fehlt weiterhin an einem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens, weil das Verfahren derzeit gemäß § 153 a StPO lediglich vorläufig eingestellt worden ist.

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Da die Voraussetzungen nach § 140 Abs. 1 StPO nicht vorliegen und auch die Schwere der Tat i.S.d. § 140 Abs. 2 StPO die Mitwirkung eines Verteidigers nicht erforderlich erscheinen lässt, kommt die Bestellung eines Pflichtverteidigers nur nach Maßgabe des § 140 Abs. 2 StPO unter dem Gesichtspunkt der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage in Betracht.

Vorliegend gebietet jedoch weder die Schwierigkeit der Sachlage noch die Schwierigkeit der Rechtslage die Bestellung eines notwendigen Verteidigers. Zwar wird dem Angeklagten in der Regel ein Verteidiger beizuordnen sein, wenn die Staatsanwaltschaft gegen ein freisprechendes Urteil Berufung mit dem Ziel der Verurteilung des Angeklagten eingelegt hat. Hier ist indessen ein Ausnahmefall gegeben. Zweck der Beiordnung ist es, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass der Angeklagte in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensabschluss gewährleistet ist. Dessen bedarf es vorliegend jedoch nicht. Der Angeklagte hat es selbst in der Hand, mit der Zahlung der Geldauflage eine endgültige Einstellung des Verfahrens zu bewirken. Eine Verurteilung droht derzeit nicht. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass das Verfahren nach Erfüllung der Auflage durch den Angeklagten endgültig eingestellt wird. Erst dann, wenn eine endgültige Einstellung des Verfahrens wegen Nichterfüllung der Auflage nicht erfolgt und das Berufungsverfahren fortgesetzt wird, bestünde gegebenenfalls Anlass, eine Pflichtverteidiger gemäß § 140 Abs. 2 StPO zu bestellen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 05.09.2017 – 1 Ws 411/17 – zitiert nach juris, Rn. 4).

Eine „bemerkenswerte“ Argumentation.

Rechtsmittel III: Wiedereinsetzung, oder: Nachlieferungsbefugnis

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Und das Schlusslicht des Tages bildet der KG, Beschl. v. 21.01.2019 – 3 Ws (B) 25/19 – zur Problematik des Fristbeginns für die Begründung des Rechtsmittels bei gewährter Wiedereinsetzung. Dazu das KG, das dem Betroffenen wegen eines Verteidigerverschuldens Wiedereinsetzung gewährt hat:

„Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewirkt, dass die Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde  nach §§ 345 Abs. 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG erst mit Zustellung dieses Beschlusses beginnt (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2017  – 4 StR 487/16 – juris; BGHSt 30, 335; Senat, Beschluss vom 15. Januar 2019 – (3) 121 Ss 206/18 (1/19) -; KG, Beschluss vom 13. März 1997 – (4) 1 Ss 59/97 (28/97) – juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 7. März 2017 – 2 OLG 4 Ss 138/16 – juris). Daran ändert sich auch dann nichts, wenn – wie im vorliegenden Fall – eine Rechtsmittelbegründung bereits vorliegt (vgl. BGH NJW 2002, 1436).“

Kann also noch „nachgeliefert“ werden.