Archiv für den Monat: Dezember 2017

Verständigung II: Rechtsmittelverzicht und keine Verständigung, oder: Wirksam

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Bei der zweiten Entscheidung zur Verständigungsproblematik geht es um die Wirksamkeit eines Rechtmittelverzichts. Das AG hatte den  Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung  verurteilt. Auf die hiergegen rechtzeitig eingelegte Berufung des Angeklagten hat das LG Dortmund die Berufungshauptverhandlung am 20.10.2016 und 26.10.2016 durchgeführt. Im Rahmen des Fortsetzungstermins am 26.10.2016 hat – ausweislich des Protokolls – eine Erörterung der Sach- und Rechtslage stattgefunden. Nach Unterbrechung hat der Pflichtverteidiger „nach Rücksprache und im ausdrücklichen Einverständnis mit dem Angeklagten“ die Beschränkung der Berufung auf die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs erklärt. Diese Erklärung ist vorgelesen und genehmigt worden, der Vertreter der Staatsanwaltschaft hat der Beschränkung zugestimmt. Mit Urteil vom selben Tag hat das Landgericht Dortmund die Berufung des Angeklagten verworfen. Im Anschluss an die Urteilsverkündung hat der Angeklagte im Einverständnis mit seinem Pflichtverteidiger die Annahme des Urteils und den Verzicht auf Rechtsmittel erklärt. Diese Erklärung ist vorgelesen und genehmigt worden, der Vertreter der Staatsanwaltschaft hat ebenfalls Rechtsmittelverzicht erklärt. Gegen das ihm auf Anordnung des Vorsitzenden zugestellte Urteil des LG hat der Angeklagte mit Telefax-Schreiben seines (neuen) Verteidigers Revision eingelegt und diese dann später begründet.

Dazu der OLG Hamm, Beschl. v. 29.05.2017 – 1 RVs 42/17:

„Die gemäß § 333 StPO statthafte Revision des Angeklagten ist zwar rechtzeitig eingelegt und form- und fristgerecht begründet worden.

Sie erweist sich jedoch als unzulässig, weil das angefochtene Urteil des Landgerichts Dortmund bereits am 26.10.2016 in Rechtskraft erwachsen ist…..

b) Der Wirksamkeit des von dem Angeklagten erklärten Rechtsmittelverzicht steht – entgegen der Auffassung des Angeklagten – nicht die Vorschrift des § 302 Abs. 2 StPO entgegen, da dem Urteil eine Verständigung gemäß § 257 c StPO nicht vorausgegangen ist.

Das Hauptverhandlungsprotokoll enthält – worauf die Revision zutreffend hinweist –  Feststellungen gemäß § 273 Abs. 1 a S. 1 oder 3 StPO nicht, sodass es insoweit seine Beweiskraft (§ 274 StPO) verliert und im Freibeweisverfahren zu prüfen ist, ob und ggfls. mit welchem Inhalt eine Verständigung getroffen worden ist, wobei der Beschwerdeführer den Zeitpunkt, die Form und den Inhalt der Verständigung darzulegen hat (zu vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 273 Rn. 12 c, § 320 Rn. 26g m.w.N.).

Dem Revisionsvorbringen ist insoweit zu entnehmen, dass vor Vernehmung der von dem Angeklagten zu seiner Entlastung benannten Zeugen eine Verständigung zwischen dem Angeklagten einerseits und dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft andererseits dahingehend zustande gekommen sein soll, dass die Staatsanwaltschaft Dortmund bei Beschränkung der Berufung auf die Überprüfung der Rechtsfolgen durch den Angeklagten die Ermittlungen in den weiteren dort gegen den Angeklagten anhängigen und im Hinblick auf das vorliegende Verfahren vorläufig gemäß § 154 Abs. 1 StPO eingestellten Ermittlungsverfahren nicht wieder aufnehmen werde. Der Angeklagte habe hierauf seine Berufung beschränkt.

Bereits bei Zugrundelegung dieses Verfahrensganges liegt eine Verständigung im Sinne des § 257 c StPO nicht vor, da das Gericht insoweit nicht gestaltend mitgewirkt hat, sondern lediglich die Erklärungen des Angeklagten, seines Verteidigers sowie des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft entgegengenommen hat. Darüberhinausgehende Zusagen ö.ä durch das Gericht werden durch den Angeklagten nicht vorgetragen und erscheinen angesichts der späteren Berufungsverwerfung auch nicht plausibel.

Eine Verständigung zwischen dem Angeklagten und der Staatsanwaltschaft lässt die Wirksamkeit des erklärten Rechtsmittelverzichts jedoch nicht entfallen, da eine analoge Anwendung des § 302 Abs. 2 StPO mangels planwidriger Regelungslücke ausscheidet. Der Gesetzgeber hat durch die Einführung der Vorschrift des § 257 c StPO bewusst die Möglichkeit von Zusagen der Staatsanwaltschaft gegenüber dem Angeklagten, gerade auch im Hinblick auf Einstellungen gemäß § 154 Abs. 1 StPO, nicht einschränken und solche Zusagen auch nicht der nach Verständigungen gemäß § 257 c Abs. 2 und 3 StPO eintretenden Bindungswirkungen unterwerfen wollen (zu vgl. BT-Drucksache 16/12310, S. 13). Das eine Verständigung im Sinne des § 257 c StPO voraussetzende Verbot eines Rechtsmittelverzichts kann daher nach dem Willen des Gesetzgebers lediglich Verständigungen unter Einbindung des Gerichts erfassen.“

Verständigung I: Man kann sich auch über eine (Teil)Einstellugn verständigen

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Wenn man die Rechtsprechung zu Verständigungsfragen verfolgt, meint man häufig, dass nur der BGh dazu „Recht spricht“. das ist aber nicht zutreffend. Denn es gibt dazu inzwischen auch eine ganze Reihe von OLG-Entscheidungen. Und drei davon stelle ich heute vor. Ich beginne mit dem OLG Nürnberg, Beschl. v. 11.08.2017 – 1 OLG 8 Ss 57/17. Sie betrifft den Verständigungsinhalt. Das OLG sagt:

Gegenstand einer Verständigung kann über den Wortlaut des § 257 c Abs. 2 S. 1 StPO hinaus auch eine Verfolgungsbeschränkung sein, soweit sich diese auf eine andere bei demselben Gericht anhängige Tat bezieht und somit innerhalb der Kompetenz des Gerichts liegt.

Das OLG dazu:

„Gegenstand einer Verständigung kann über den Wortlaut des § 257c Abs. 2 S. 1 StPO hinaus („sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrunde liegenden Erkenntnisverfahren“) auch eine Verfolgungsbeschränkung sein, soweit sich diese auf eine andere beim demselben Gericht anhängige Tat bezieht und somit innerhalb der Kompetenz des Gerichts liegt (Moldenhauer/Wenske in Karlsruher Kommentar, StPO § 257 c Rdnr. 15 und Meyer – Goßner/Schmitt, StPO, 60. Auflage, § 257 c Rdnr. 13, BGH Urteil vom   23.07.2015 NStZ 2016, 221-227 ). § 257c Abs. 2 StPO will nur sogenannte Gesamtlösungen unter Einbeziehung anderer

Verfahren und nicht in der Kompetenz des Gerichts liegender Zusagen verhindern (vgl. BVerfG in NJW 2013, 1058, 1064). Denn die Bindungswirkung einer Verständigung kann nur soweit gehen, wie das Gericht das Verfahren mitbestimmt (BGH NStZ 2017, 56). Soweit die Verfahrensherrschaft aber ausschließlich beim Gericht liegt und damit der Vertrauensschutz des Angeklagten umfassend gewährleistet ist, gibt es keinen sachlichen Grund die Regelungsmaterie zu beschränken.

So liegt der Fall hier. Die Zusage, das bei der gleichen Kammer vorläufig eingestellte Verfahren nicht wieder aufzunehmen unterlag der Bindungswirkung der Verständigung, denn die Entscheidung nach § 154 Abs. 4 StPO lag in der alleinigen Dispositionsbefugnis des Vorsitzenden, der damit auch eine Zusage bezüglich der Aufrechterhaltung der Einstellung abgeben durfte.“

Und ich? Ich bin heute in Malaysia 🙂

Strafzumessung III: Kurzfristige Freiheitsstrafe, oder: Unerlässlich?

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Und zum Tagesschluss dann ncoh eine Entscheidung zur kurzfristigen Freiheitsstrafe und zur Unerlässlichkeit i.S. von § 47 StGB. Dazu hat das OLG Braunschweig im OLG Braunschweig, Beschl. v. 21.08.2017 – 1 Ss 35/17 – Stellung genommen:

„Die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen ist gem. § 47 StGB nur zulässig, wenn besondere Umstände in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich machen. Nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung soll die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe weitgehend zurückgedrängt werden (vgl. Senatsbeschluss vom 10. Mai 2013, 1 Ss 29/13, juris, m.w.N.). Die Anordnung einer kurzen Freiheitsstrafe hat dabei in der Regel nur Bestand, wenn sie sich aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar erweist und dies in den Urteilsgründen dargestellt wird (BGH Urteil vom 08.April 2004, 3 StR 465/03, zitiert nach juris, Rn. 4). Die kurze Freiheitsstrafe ist in diesem Sinne ultima ratio (OLG Frankfurt, Beschluss vom 27. Januar 2017, 1 Ss 261/16; OLG Dresden Beschluss vom 10. September 2014, 23 Ss 557/14; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 3. Juni 2014, 1 RVs 74/13, alle zitiert nach juris).

Diesen Maßstäben wird die Begründung des angefochtenen Urteils nicht gerecht.

Zur Begründung führt das Amtsgericht aus, es sei eine besondere Auseinandersetzung mit der strafursächlichen Drogen- und Spielsucht des Angeklagten erforderlich und diesem müsse besonders vor Augen geführt werden, dass auch aus der Suchterkrankung heraus begangene Taten mit Freiheitsstrafe gesühnt werden können. Es erscheine sinnvoll, den Angeklagten nicht nur eine Geldstrafe abzahlen zu lassen, sondern diesen unter die Aufsicht eines Bewährungshelfers zu stellen und die Suchtproblematik anzugehen.

Diese Begründung lässt besorgen, dass das Amtsgericht die anzuwendenden Maßstäbe hinsichtlich der Unerlässlichkeit der kurzen Freiheitstrafe verkannt hat. Denn das Gericht nennt die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen selbst sinnvoll und erforderlich, wodurch sich die Besorgnis begründet, das Gericht könnte statt des anzuwendenden Maßstabs der Unerlässlichkeit den der bloßen Angemessenheit der kurzen Freiheitsstrafe angewandt haben. Diese Besorgnis wird noch dadurch verstärkt, dass das Gericht zwar maßgeblich die erforderliche Auseinandersetzung mit der Suchterkrankung zur Begründung der Verhängung kurzer Freiheitsstrafen heranzieht, dabei aber die Auswirkungen der von dem Angeklagten aus eigenem Antrieb in Anspruch genommenen therapeutischen Hilfe wegen dessen Drogen- und Spielsucht auf die Unerlässlichkeit der kurzen Freiheitsstrafe nicht darstellt. Schließlich lässt sich dem Urteil auch nicht entnehmen, dass das Gericht ausreichend berücksichtigt hat, dass der Angeklagte unvorbestraft ist.“

Strafzumessung II: Strafzumessung beim sexuellen Missbrauchs, oder: Anleitungsbuch gefällig?

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Bei der zweiten OLG-Entscheidung zur Strafzumessung handelt es sich um den OLG Bambwerg, Beschl. v. 09.10.2017 – 3 OLG 6 Ss 94/17, der eine Vielzahl von Verstößen gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 46 Abs. 3 StGB) beim sexuellen Kindesmissbrauch enthält. Die Beschlussgründe sprechen für sich:

3. Dagegen kann der Rechtsfolgenausspruch insgesamt keinen Bestand haben. Die Strafzumessung ist hinsichtlich sämtlicher Einzelfälle mehrfach rechtsfehlerhaft

a) Die nachfolgend aufgezeigten Rechtsfehler haften der Strafzumessung zu sämtlichen Einzeltaten an, weil die Berufungskammer jeweils ausdrücklich auf die zu Fall 1 herausgearbeiteten Strafzumessungserwägungen Bezug nimmt.

aa) Soweit das LG zu Lasten des Angekl. wertet, dass „die Tatfolgen für die Geschädigte nicht absehbar“ seien, ist dies in zweifacher Hinsicht rechtsfehlerhaft.

(1) Zum einen wird durch diese Erwägung gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 III StGB verstoßen (st.Rspr., vgl. nur BGH, Beschl. v. 20.08.2003 – 2 StR 285/03 = NStZ-RR 2004, 41 = StV 2004, 479; 07.07.1998 – 4 StR 300/98 = StV 1998, 656; 09.12.1997 – 4 StR 596/97 = NStZ-RR 1998, 326 und 25.02.1997 – 4 StR 409/96 = StV 1997, 519). Denn es ist gerade Zweck der §§ 174, 176 StGB, solche Gefahren zu verhindern, weil der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass derartige Folgen regelmäßig mit der Tatbegehung eintreten (BGH a.a.O).

(2) Zum anderen liegt auch ein Verstoß gegen den Grundsatz in dubio pro reo vor, weil das LG nicht feststehende, überdies sogar als „nicht absehbar“ bezeichnete Tatfolgen strafschärfend gewertet hat  Eine zum Nachteil des Angekl. auf bloße Vermutungen hinsichtlich möglicherweise auftretender Spätfolgen der Tat gestützte Strafzumessung ist indes unzulässig (BGH, Beschl. v. 20.08.2003 – 2 StR 285/03 = NStZ-RR 2004, 41 = StV 2004, 479 und 07.07.1998 – 4 StR 300/98 = StV 1998, 656).

bb) Mit der strafschärfenden Erwägung, durch die sexuellen Übergriffe sei das „Tochter-Vater-Verhältnis zerstört“ worden und müsse „(mindestens) neu aufgebaut“ werden, wurde ein weiterer Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 III StGB begangen. Es entspricht gerade dem Zweck des § 174 I Nr. 3 StGB, die ungestörte sexuelle Entwicklung von Kindern dadurch zu schützen, dass die Familie, in der das Kind angesichts der Abhängigkeit von den Eltern in erhöhtem Maße gegen sexuelle Übergriffe anfällig ist, von solchen Verhaltensweisen freigehalten wird (BGH, Beschl. v. 25.02.1997 – 4 StR 409/96 = StV 1997, 519 = NStZ 1998, 131 und 17.12.1993 – 4 StR 713/93 = StV 1994, 306 = BGHR StGB § 46 III Sexualdelikte 3). Zudem ist die Zerstörung dieses Vertrauensverhältnisses eine regelmäßige Begleiterscheinung einer derartigen Deliktsverwirklichung, sodass dies auch deswegen im Hinblick auf das Doppelverwertungsverbot nicht strafschärfend berücksichtigt werden darf (BGH, Beschl. v. 17.12.1993 – 4 StR 713/93 [a.a.O.]).

b) Im Fall 2 liegt ein weiterer Verstoß gegen § 46 III StGB vor, indem die Berufungskammer zu Lasten des Angekl. wertet, er habe „das Vertrauen seiner Tochter als Vater bewusst ausgenutzt“, weil bei einer Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen (§ 174 I Nr. 3 StGB) regelmäßig ein Vertrauensverhältnis zwischen Täter und Opfer vorhanden ist (BGH, Beschl. v. 25.02.1997 – 4 StR 409/96 = StV 1997, 519 = NStZ 1998, 131).

c) Über die genannten Verstöße hinaus hat die Berufungskammer mit ihrer strafschärfenden Erwägung im Fall 3, es sei „trotz der zeitlichen Zäsur und der zwischenzeitlich empfundenen Reue zu einem weiteren Übergriff gekommen“, zum wiederholten Male das Doppelverwertungsverbot verletzt, weil sie dem Angekl. damit die Begehung der Tat anlastet, was durch § 46 III StGB gerade untersagt ist (vgl. nur BGH, Beschl. v. 09.12.2014 – 3 StR 502/14 = NStZ-RR 2015, 71 = StV 2015, 487). Der Umstand, dass vorher eine zeitliche Zäsur eingetreten war, ist ebenso wenig von Bedeutung wie die von ihm „empfundene Reue“, zumal es sich hierbei um Umstände handelt, die nicht gegen den Angekl. gewertet werden dürfen, sondern jedenfalls die empfundene Reue sogar ein bestimmender Strafmilderungsgrund ist.

d) Die strafschärfende Erwägung, der Angekl. habe gegen die „Bewährungsauflage“ (gemeint ist offensichtlich eine Weisung) verstoßen, keine Betäubungsmittel zu konsumieren, ist jedenfalls in den Fällen 2.-4., bei denen keine akute Drogenintoxikation vorlag, rechtsfehlerhaft. Denn die Lebensführung als solche darf dem Angekl. nicht angelastet werden, solange sich diese weder als strafbares Verhalten darstellt (BGH, Beschl. v. 21.03.1979 – 4 StR 606/78 = NJW 1979, 1835; BGH, Urt. v. 07.09.1983 – 2 StR 412/83 = StV 1984, 21 = NStZ 1984, 259; LK/Theune StGB 12. Aufl. § 46 Rn. 167) noch sonst in einer Beziehung zu den abgeurteilten Taten steht (BGH, Urt. v. 24.07.1985 – 3 StR 134/85 [bei juris] und 18.10.1979 – 4 StR 517/79 = MDR 1980, 240 = JR 1980, 335; v. 21.03.1979 – 4 StR 606/78 = NJW 1979, 1835; Urt. v. 10.11.1953 – 1 StR 227/53 = BGHSt 5, 124 und 07.09.1983 – 2 StR 412/83, a.a.O.). Der bloße Drogenkonsum ist jedoch nicht strafbar (vgl. nur BGH, Beschl. v. 24.11.1992 – 1 StR 780/92 [bei juris]; OLG Bamberg, Beschl. v. 14.10.2013 – 3 Ss 102/13 = StV 2014, 621 = OLGSt BtMG § 29 Nr 21), solange dieser mit keinem Besitz verbunden ist, was die Urteilsfeststellungen aber gerade nicht hergeben. Auch ist ein Zusammenhang zwischen dem Betäubungsmittelkonsum und den Fällen 2.-4. weder dargetan noch ersichtlich. Zwar wurde dieser Strafschärfungsgrund explizit nur bei Fall 1 hervorgehoben, durch die Bezugnahme auf die diesbezüglichen Erwägungen für die Fälle 2.-4. hat er aber Eingang in die Strafzumessung aller Taten gefunden.

e) Schließlich hat die Berufungskammer im Fall 3 gegen das Verschlechterungsverbot des § 331 I StPO verstoßen. Das AG hatte für diese Tat eine Einzelfreiheitsstrafe von 9 Monaten verhängt, während die Berufungskammer die Strafe für diesen Fall auf ein Jahr festgesetzt hat. Da das Verbot der ‚reformatio in peius‘ nicht nur eine Erhöhung der Gesamtstrafe, sondern auch der Einzelstrafen ausschließt (vgl. BGH, Urt. v. 21.05.1951 – 3 StR 224/51 = BGHSt 1, 252; Beschl. v. 23.08.2000 – 2 StR 171/00 = wistra 2000, 475 = BGHR StPO § 357 Erstreckung 7; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 60. Aufl. § 331 Rn. 18 m.w.N.), kann das Berufungsurteil in Bezug auf die verhängte Einzelstrafe und die darauf aufbauende Gesamtstrafe keinen Bestand haben. Mit der Verwerfung der von der StA zu Ungunsten des Angekl. eingelegten Berufung lebte das Verschlechterungsverbot wieder auf (BayObLG, v. 11.09.2003 – 1St RR 108/03 = NStZ-RR 2004, 22; OLG Bamberg, Beschl. v. 19.11.2014 – 3 OLG 8 Ss 152/14 [bei juris]; 16.10.2014 – 3 OLG 7 Ss 132/14 = NStZ-RR 2015, 149 und 21.03.2017 – 3 OLG 8 Ss 28/17 [bei juris]; KK/Paul StPO 7. Aufl. § 331 Rn. 2, LR/Gössel StPO 26. Aufl. § 331 Rn. 26, jew. m.w.N.).“

Da braucht aber dringend mal ein „Berufunsgkämmerer“ ein Anleitungsbuch für die Strafzumessung.

Strafzumessung I: Kurzfristige Freiheitsstrafe bei geringem BtM-Besitz zum Eigenkonsum?

entnommen wikimedia.org
Author H. Zell

Heute gibt es dann mal wieder ein paar Strafzumessungsentscheidungen, aber nicht vom BGH, sondern von OLG. Und das ist zunächst der OLG Hamm, Beschl. v. 04.04.2017 – 1 RVs 23/17 -, und zwar noch einmal zur Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe wegen Besitz geringer Mengen von Betäubungsmitteln zum Eigenverbrauch und zur Frage der Unerlässiglichtkeit i.S. von § 47 StGB.

Das AG hatte den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Nach den Feststellungen des AG war der bereits vielfach u.a..“auch wegen (aufgrund von Betäubungsmittelabhängigkeit begangener) Diebstahlstaten vorbestrafte und langjährig betäubungsmittelabhängige Angeklagte am 01.03.2016 um 11:30 Uhr im Eingangsbereich der Bahnstation „T“ in E im Rahmen einer Polizeikontrolle im Besitz von drei Stücken Haschisch im Gesamtgewicht von 3,68 Gramm, zwei Tabletten mit dem Wirkstoff Buprenorphin und zwei angebrochenen Tabletten mit dem Wirkstoff Buprenorphin und einer zerbrochenen Tablette mit dem Wirkstoff Buprenorphin angetroffen worden.“ Dabei war das AG mangels Wirkstoffgutachtens von einem unterdurchschnittlichen Wirkstoffgehalt des sichergestellten Haschisch ausgegangen.

Dagegen hatte die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt und diese auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Das LG hat die Berufung mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt wurde, deren Vollstreckung nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt worden ist.Die Revision des Angeklagten hatte hinsichtlich des Rechsfolgenausspruchs Erfolg.

„a)….Soweit die Kammer hingegen eine Freiheitsstrafe von 2 Monaten als tat- und schuldangemessen sowie unerlässlich im Sinne des § 47 StGB erachtet hat, hält dies rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Grundsätzlich ist die Strafzumessung allein Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht kann im allgemeinen nur dann eingreifen, wenn die Erwägungen, mit denen der Tatrichter Strafart und Strafmaß begründet hat, in sich rechtlich fehlerhaft sind, wenn anerkannte Strafzwecke außer Betracht geblieben sind oder wenn sich die Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein, d.h., wenn die Strafe in einem groben Missverhältnis zu Tatunrecht und Tatschuld steht und gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt. Insoweit ist auch hinsichtlich des letztgenannten Aspektes die grundsätzlich dem Tatrichter vorbehaltene Strafzumessung der rechtlichen Überprüfung durch das Revisionsgericht zugänglich (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 46 Rn. 146, 149 a).

In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird nahezu durchgängig die Auffassung vertreten, dass in den Fällen des Besitzes geringer Mengen Betäubungsmittel zum Eigenkonsum im Sinne der §§ 29 Abs. 5, 31 a BtMG auch bei einschlägig vorbestraften abhängigen Drogenkonsumenten die Verhängung einer Freiheitsstrafe nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt und sich – soweit sie sich als unerlässlich erweist – im untersten Bereich des Strafrahmens des § 29 Abs. 1 BtMG zu bewegen hat (OLG Oldenburg, Beschluss vom 11. 12.2009 – 1 Ss 197/09 –, juris, Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 27. 09.2006 – III – 104/06 – 1 Ss 166/06 -, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14. 04.2003 – 3 Ss 54/03 –, juris; BGH, Beschluss vom 16. 02.1998 – 5 StR 7/98 –, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 28.12.2011 – III-2 RVs 45/11 -). Dies gilt insbesondere für die Fälle, in denen über den festgestellten strafbaren Betäubungsmittelbesitz zum Eigenkonsum hinausgehend nach den getroffenen Feststellungen konkrete Anhaltspunkte für eine etwaige Fremdgefährdung – etwa durch die nahe liegende Möglichkeit der Abgabe von Betäubungsmitteln an Dritte oder durch Beschaffungskriminalität – nicht ersichtlich sind (vgl. Senatsbeschluss vom 26.03.2014 – 1 RVs 10/14). So liegt der Fall hier; entgegenstehende Feststellungen sind zumindest bisher nicht getroffen.

Grundsätzlich kann nach den gegebenen Umständen die Verhängung einer auch vollstreckbaren kurzen Freiheitsstrafe gemäß § 47 Abs. 1 StGB vorliegend angesichts der zahlreichen Vorstrafen und des Bewährungsversagens des Angeklagten durchaus in Betracht kommen. Durch die Existenz der Vorschrift § 47 Abs. 1 StGB kommt der gesetzgeberische Wille zum Ausdruck, auch in Fällen objektiv verhältnismäßig geringen Tatunrechts namentlich in den Fällen vorangegangener wiederholt fruchtloser Sanktionen mit der im Verhältnis zur Geldstrafe deutlich belastenderen Strafart der Freiheitsstrafrecht reagieren zu können. Dementsprechend steht außer Zweifel, dass auch in Fällen der Bagatellkriminalität die Festsetzung einer Freiheitsstrafe nicht ohne Weiteres gegen das Übermaßverbot verstößt (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 09.06.1994 – 2 BvR 710/94 –, juris; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 22.07.2003 – 5St RR 167/03 – juris; OLG Nürnberg, Beschluss vom 25.10.2005 –2 St OLG Ss 150/05 –, juris). Bei Festsetzung deren Höhe ist jedoch gerade im Bereich der Bagatellkriminalität zu beachten, dass das in § 38 Abs. 2 StGB festgesetzte Mindestmaß von einem Monat im Vergleich zu einer nach dem Gesetz grundsätzlich primär vorgesehenen Festsetzung einer Geldstrafe das insoweit gemäß § 40 Abs. 1 S. 2 StGB festgelegte gesetzliche Mindeststrafmaß von 5 Tagessätzen Geldstrafe bereits deutlich übersteigt und auch die gewählte Sanktionsart für sich genommen eine erheblich belastendere Beschwer darstellt. In den Fällen eines vom äußeren Tatbild eher nur geringen kriminellen Unrechts ist daher auch im Fall der Erforderlichkeit der Festsetzung einer Freiheitsstrafe gemäß § 47 Abs. 1 StGB sorgfältig zu prüfen, ob zur Einwirkung auf den Täter sowie zur Herbeiführung eines gerechten Schuldausgleichs tatsächlich auch hinsichtlich deren Höhe die Verhängung einer möglicherweise auch deutlich über das Mindestmaß hinausgehenden Freiheitsstrafe tatsächlich rechtlich geboten erscheint.

Bei der konkreten Strafzumessung im Rahmen des § 47 StGB hat das Landgericht hierzu ausgeführt, dass mit der Festsetzung von Geldstrafen nicht mehr hinreichend auf den Angeklagten einzuwirken sei. Er sei vielfach vorverurteilt und trotz früher erlittenen Strafvollzugs und mehrfacher Bewährungschancen wiederholt straffällig geworden, so dass eine Freiheitsstrafe unerlässlich sei.

Dabei hat das Landgericht vorliegend jedoch zumindest nicht erkennbar in seine Erwägungen einbezogen, dass sich der Angeklagte zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung aktuell in Strafhaft befunden hat. Das Urteil des Landgerichts verhält sich nicht darüber, welche Einwirkungen die aktuelle Vollstreckung der Freiheitsstrafe von 5 Monaten auf den Angeklagten hat bzw. gehabt hat, mithin nicht zu der Frage, ob der Angeklagte sich als von der aktuell vollzogenen Haft beeindruckt gezeigt hat oder etwa nicht. Insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen erlittenen Strafhaft wäre prognostisch näher zu erörtern gewesen, aus welchen Gründen angesichts des relativ geringen Schuldumfangs die Verhängung einer weiteren zu vollstreckenden kurzzeitigen Freiheitsstrafe auch unter Berücksichtigung dieses Umstandes unerlässlich ist, zumal die letzte Vollstreckung einer Freiheitsstrafe bereits vor knapp 9 Jahren erledigt war.“