Archiv für den Monat: August 2017

Ich habe da mal eine Frage: Entstehen die Terminsgebühren immer in gleicher Höhe?

© AllebaziB – Fotolia

Heute dann mal eine etwas längere Frage, die mich in der vergangenen Woche erreicht hat. Ich habe die Gerichtsorte wegen der Anonymität gelöscht 🙂 :

„Sehr geehrter Herr Burhoff,

anbei eine Frage zum RVG:

Entstehen bei mehreren Hauptverhandlungsterminen vor dem AG die Terminsgebühren in gleicher Höhe oder ist dieses von Termin zu Termin unterschiedlich?

Hintergrund:

Ich bin nach einem Einspruch gegen einen Strafbefehl zu insgesamt 3 Terminen beim AG pp. gewesen.

Am ersten Termin (30.06.2016, 7 Minuten) waren keine Zeugen geladen (und der Richter pampte mich an, da ich hier schon eine Terminsverlegung bekommen hätte, wäre es eine Unverschämtheit, dass sich meine Mandantin nicht zur Sache einlassen würde.)

Am 2. Termin (22.09.2016, 6 Minuten) war der Zeuge nicht da.

Am 3. Termin war der Zeuge da, konnte sich aber nicht erinnern, ob meine Mandantin eine von den über 400 Personen war, die er auf dem Festival mit einem Joint in der Hand betroffen und „polizeilich verarztet“ hatte. Nach heftigem Hin und her sowie einer Unterbrechung zur Stellung eines Antrages wurde meine Mandantin dann verurteilt, da der Richter die Verlesung der Protokolle aus der Akte nach § 256 Abs.1 Nr. 5 StPO als zur Meinungsbildung ausreichend erachtete.

Die Berufungsverhandlung vor dem LG dauerte dann ebenfalls nur wenige Minuten und das Verfahren wurde eingestellt. Kosten und Auslagen gingen zu Lasten der Staatskasse.

Bei der Abrechnung habe ich mir erlaubt, die Terminsgebühren beim AG (4108 VV RVG) aufgrund des letztendlichen Erfolges und meiner Fachanwaltseigenschaft (und des unsagbar unfreundlichen Richters) mit 330 € pro Termin anzusetzen.

Dieses wurde vom Bezirksrevisor für die ersten 2 Termine bemängelt und für den 3. Termin zugestanden.

Gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss habe ich sofortige Beschwerde eingelegt mit der Begründung, dass im RVG – Kommentar von Gerold/Schmidt ausgeführt wird: „Die Terminsgebühr entsteht für alle Hauptverhandlungstermine in gleicher Höhe. Es wird nicht zwischen dem ersten Hauptverhandlungstermin, Fortsetzungsterminen und/oder einem nach Aussetzung der Hauptverhandlung erneuten ersten Hauptverhandlungstermin unterschieden.“ (Gerold/Schmidt – Burhoff, RVG, VV 4108-4111, Rn.2)

In einem Hinweis vom 20.07.17 erklärt das LG pp.:

„Soweit der Verteidiger unter Bezugnahme auf die Kommentierung von Burhoff in Gerold/Schmidt (Ziff. 4008 Rn.2) die Auffassung vertritt, die Terminsgebühr falle für jeden Hauptverhandlungstermin in derselben Höhe an, kann dem nicht gefolgt werden. Weder wird diese Auffassung von Burhoff vertreten, noch ist sie mit dem Gesetz vereinbar. Aus dem Wortlaut von Ziff. 4008, der für den Wahlanwalt eine Terminsgebühr im Rahen von 70 bis 480 € je Hauptverhandlungstag vorsieht, erschliesst sich unmittelbar, dass für jeden Hauptverhandlungstag eine gesonderte Terminsgebühr innerhalb dieses Rahmens verlangt werden kann. Eine derartige gesetzliche Regelung wäre sinnlos, wäre die Gebühr innerhalb dieses Rahmens für jeden Hauptverhandlungstag nach -nicht ersichtlichen Kriterien- in gleicher Höhe zu bestimmen“

Man legte mir nahe, meine Beschwerde zurückzunehmen, da im Beschwerdeverfahren das Verbot der Schlechterstellung nicht gelten würde und ich ansonsten mit weiteren Kürzungen zu rechnen hätte.

Bevor ich mich hierzu gegenüber den pp. äußere, wollte ich jedoch der Einfachheit halber höflich beim Kommentator selbst anfragen, ob dieser

a) Meinungen in seine Kommentierungen schreibt, die er selbst gar nicht vertritt  😉 ,  oder

b) der Bezirksrevisor beim LG pp. vorsichtiger mit seinen Urteilen sein sollte, wer welche Meinung vertritt und wer nicht, oder

c) der Verfasser dieser Zeilen nur das aus dem Kommentar herausgelesen hat, was er lesen wollte und einem Irrtum erlegen ist.“

Und? Wie sieht es aus?

(K)eine Frage, oder: Die RSV muss auch das zweite Sachverständigengutachten im OWi-Verfahren zahlen

© fotomek – Fotolia.com

Die zweite Entscheidung ist eine erfreuliche, die allerdings die Rechtsschutzversicherungen nicht so freuen wird. Es handelt sich um das AG Saarlouis, Urt. v. 01.02.2107 – 28 C 845/16 (70) -, das auch schon in der zfs 2017 veröffentlicht worden ist und auf das der Kollege Gratz im VerkehrsrechtsBlog ja auch schon hingewiesen hat. Ich wollte daraus an sich ein „RVG-Rätsel“basteln, das hat sich dann aber erledigt.

Es geht um eine Freistellungsklage gegenüber einer RSV. Dem Kläger wurde im Bußgeldverfahren eine Geschwindigkeitsüberschreitung zur Last gelegt. Zur Überprüfung der Messung holte seine Verteidigerin ein Sachverständigengutachten ein. Die Beklagte, mit dem der Kläger einen Rechtsschutzversicherungsvertrag abgeschlossen hat, der u. a. Versicherungsschutz für Ordnungswidrigkeitenverfahren umfasste, hat Deckungszusage für das Verfahren erster Instanz erteilt und die Kosten für das Sachverständigengutachten übernommen. Im gerichtlichen Verfahren hat das AG dann ebenfalls einen Sachverständigen mit der Überprüfung der Messung beauftragt. Nachdem der gerichtlich bestellte Sachverständige sein Gutachten erstattet hatte, hat die Verteidigerin erneut den von ihr bereits beauftragten Sachverständigen mit der Überprüfung des Gerichtsgutachtens beauftragt. Die Übernahme der dadurch entstandenen Kosten hat die beklagte Rechtsschutzversicherung abgelehnt. Die Freistellungsklage des Klägers hatte Erfolg:

„Unstreitig besteht zwischen den Parteien ein Rechtsschutzversicherungsvertrag, der auch den Versicherungsschutz für Ordnungswidrigkeiten umfasst (6-9 GA).

Nach den diesem Vertrag zu Grunde liegenden Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung pp.  trägt der Versicherer u.a. die übliche Vergütung einer rechtsfähigen technischen Sachverständigen –Organisation im Falle der Verteidigung in verkehrsrechtlichen Straf- oder Ordnungswidrigkeitsverfahren.

Die Üblichkeit der unter dem 21. 08. 2015 mit vorgenanntem Betrag von 577,02 € berechneten ergänzenden Stellungnahme des von dem Kläger beauftragten Sachverständigenbüros steht nicht im Streit. Die Gutachtenprüfung stellt auch inhaltlich ein Gutachten im Sinne der vorzitierten Allgemeinen Versicherungsbedingungen dar.

Zu Recht weist der Kläger auch darauf hin, dass weder die Versicherungsbedingungen – noch die erteilte Deckungszusage – eine zahlenmäßige Beschränkung auf nur ein Gutachten vorsehen.

Zwar regelt § 1 der Versicherungsbedingungen, dass der Versicherer zur Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers lediglich erforderliche Leistungen erbringt. Die Erforderlichkeit ist jedoch aus Sicht des Versicherungsnehmers zu bestimmen.

Hierbei ist vorliegend zu berücksichtigen, dass im Laufe des Gerichtsverfahrens durch das Gerichtsgutachten eine andere Bewertung der Geschwindigkeitsmessung als im zuvor von dem Kläger eingeholten Privatgutachten erfolgte und nunmehr aus Sicht der Verteidigung aufgrund  dieser unterschiedlichen Bewertungen des Messverfahrens durch Sachverständige und hieraus sich ergebenden divergierenden Ergebnissen  wohl zulasten ihres Mandanten, aber auch aufgrund der Komplexität der Materie eine ergänzenden Stellungnahme des Privatgutachters geboten schien. Von der Erforderlichkeit durfte der Kläger hierbei auch deshalb ausgehen, als die Beklagte einschränkungslos  die Kosten des vorzitierten Erstgutachten erstattete, sich hierbei nicht darauf berief, dass aus Schadensminderungsgesichtspunkten die Erstellung dieses Privatgutachtens zur Überprüfung des Messverfahrens vorgerichtlich nicht notwendig sei und in ihrer Deckungszusage, die auf ausdrücklichen Hinweis der ehemaligen Bevollmächtigten des Klägers, wonach um Prüfung und Kostenzusage auch für die einzuholende gutachterliche Bewertung gebeten wird, uneingeschränkte Deckung zusagte.

Im Hinblick auf die aus Sicht des Klägers zu bestimmende Erforderlichkeit und der vorstehenden Erwägungen kann die Beklagte sich deshalb auch nicht auf die Regelungen in § 17 ihrer Allgemeinen Versicherungsbedingungen berufen, wonach kostenauslösende Maßnahmen mit dem Versicherer abzustimmen sind und dieser für eine Minderung des Schadens zu sorgen hat, zumal eine ausdrückliche Aufzählung der Beispielsfälle zur Schadenminderung nicht gegeben ist.

(So im Ergebnis auch: Amtsgericht Kirchhain in Zfsch 2015,449).“

Die Entscheidung ist m.E. nicht nur für das Bußgeldverfahren, wo allerdings wohl ihr Hauptanwendungsbereich liegen dürfte, sondern auch für das Strafverfahren von Bedeutung. Denn es kommen damit ggf. die Kosten von drei Sachverständigengutachten auf sie zu. Für den Betroffenen ist es günstig, denn er braucht sich – zumindest nach dem derzeitigen Stand der Rechtsprechung und Fassung der Versicherungsbedingungen – um seine Verteidigungsstrategie keine Gedanken zu machen.

M.E. ist der Ansatz des AG auch zutreffend. Denn was soll ich mit einem Sachverständigengutachten mit einem für mich günstigen Ergebnis, wenn ich ein Gegengutachten mit ungünstigem Ergebnis nicht überprüfen können soll.

Zusätzliche Verfahrensgebühr, oder: Warum schaut der „Proberichter“ nicht mal in einen Kommentar?

© Alex White – Fotolia.com

So, die gebührenrechtlichen Entscheidungen des heutigen Tages beginne ich mit dem AG Aschaffenburg, Beschl. v. 24.07.2017 – 390 AR 46/17, den mir die Kollegin Diane Waterstradt aus Aschafenburg übersandt hat. Die Kollegin war Pflichtverteidigerin des Beschuldigten. Sie hat im Ermittlungsverfahren für den Beschuldigten Stellung genommen. Das Verfahren ist dann nach § 154 StPO eingestellt worden. Die Kollegin hat die Gebühr Nr. 4141 VV RVG geltend gemacht. Die ist von der Rechtspflegerin nicht festgesetzt worden. Die Erinnerung hatte beim AG dann keinen Erfolg:

„Mit Schriftsatz vom 23.05.2017 beantragte Rechtsanwältin Waterstradt die Festsetzung von insgesamt 873,04 Euro, darunter die Gebühr Nr. 4141 VV RVG (BI. 298 d.A.).

Im Ergebnis ist die Gebühr Nr. 4141 VV RVG nicht entstanden. Im Aktenverlauf lässt sich keine Förderung auf das Verfahren gerichtete Tätigkeit von Rechtsanwältin Waterstradt entnehmen. Die Einstellung des Verfahrens erfolgte mit Verfügung vom 17.05.2017 ausdrücklich aufgrund einer in einem anderen Verfahren zu erwartenden Strafe. Die hier verfolgte Tat würde nicht beträchtlich ins Gewicht fallen. Das von Rechtsanwältin Waterstradt vorgetragene Einlassungsverhalten des Beschuldigten spielte daher für die Einstellung des Verfahrens keine Rolle, sodass die Gebühr Nr. 4141 VV RVG mangels auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit nicht entstanden ist. Auf die zutreffenden Ausführungen des Beschlusses des Amtsgerichts Aschaffenburg vom 05.07.2017 wird Bezug genommen. Für die Entstehung der Gebühr sind höhere Anforderungen als Haftbeschwerde, Akteneinsicht und eine anschließende Einstellung durch die Staatsanwaltschaft erforderlich.“

M.E. ist die Entscheidung falsch. Denn für das Entstehen der Gebühr Nr. 4141 VV RVG reicht jede auf die Förderung der Erledigung des Verfahrens gerichtete und zur Verfahrensbeendigung „objektiv geeignete“ Tätigkeit des Rechtsanwalts aus (zutreffend BGH RVGreport 2008, 431 = AGS 2008, 491 = StRR 2009, 77 m. zust. Anm. Burhoff; OLG Stuttgart RVGreport 2010, 263 = AGS 2010, 202 = StRR 2010, 440; LG Dresden RVGreport 2010, 69 = StRR 2010, 239; LG Saarbrücken RVGreport 2016, 254 = AGS 2016, 171 = StRR 10/2016, 24; weitere Nachw. bei Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, VV 4141 Rn 11 und bei Burhoff/Volpert/Burhoff, Nr. 4141 VV Rn 18). Und dafür wäre das vom AG selbst erwähnte „Einlassungsverhalten“ des Beschuldigte, der im Zweifel geschwiegen hat, ausreichend gewesen, denn das war objektiv geeignet, zur Beendigung des Verfahrens – durch Einstellung – beizutragen. Ob es das tatsächlich hat, ist eine Frage, die im Rahmen der Nr. 4141 VV RVG keine Rolle spielt. Der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft den aus ihrer Sicht vielleicht einfacheren Weg der Einstellung nach § 154 StPO gegangen ist, sagt ja nichts über die Qualität der Mitwirkung des Verteidigers aus. Und das ist m.E. auch zutreffend, denn sonst hätten es die Gerichte in der Hand, durch die Wahl des „richtigen“ Einstellungsgrundes die Voraussetzungen für das Entstehen der Nr. 4141 VV RVG zu legen oder nicht. Das kann aber nicht richtig sein.

Ich hatte der Kollegin zu der Entscheidung, die von einem Proberichter stammt, geschrieben, was ich hier lieber nicht schreibe 🙂 . Dem Proberichter kann man wegen der falschen Entscheidung an sich kaum einen Vorwurf machen, denn auch das übergeordnete OLG Frankfurt kann es in meinen Augen nicht besser (vgl. den OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 05.07. 2017 – 2 Ws 35/17). Was man dem Proberichter allerdings „vorwerfen“ kann, ist, dass er offenbar nicht einmal kurz in einen gebührenrechtlichen Kommentar geschaut, sondern das, was die Rechtspflegerin vorgebetet hatte, fast wortgleich übernommen hat (hier der AG Aschaffenburg, Beschl. v. 05.07.2017 – 390 AR 46/17). So viel Zeit sollte aber trotz aller sicherlich vorhandener Belastung sein, auch wenn es „nur“ um anwaltliche Gebühren geht. Dann hätte er nämlich gemerkt/gelesen, dass der Satz „Für die Entstehung der Gebühr sind höhere Anforderungen als Haftbeschwerde, Akteneinsicht und eine anschließende Einstellung durch die Staatsanwaltschaft erforderlich“ so nicht passt.

Vorsatz, oder: Immer dann, wenn der Lkw-Fahrer 52 % zu schnell ist

© lassedesignen Fotolia.com

Entscheidungen der OLG zum Vorsatz/zur Fahrlässigkeit bei der Geschwindigkeitsüberschreitung sind nicht so häufigt. Das OLG Celle hat aber jetzt vor kurzem mal wieder einen Beschluss veröffentlicht, in dem die Vorsatzfragen eine Rolle gespielt hat. Es ist der OLG Celle, Beschl. v. 23.06.2017 – 2 Ss (Owi) 137/17. Das AG hatte den betroffenen Lkw-Fahrer wegen einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt. U.a. dagegen hatte sich die Rechtsbeschwerde gerichtet, die keinen Erfolg hatte. Zum Vorsatz führt das OLG aus:

„bb) Auch die Annahme der vorsätzlichen Tatbegehung, unterliegt unter Berücksichtigung der im angefochtenen Urteil mitgeteilten Umstände keinen Bedenken.

Eine Verurteilung wegen Vorsatz setzt voraus, dass der Betroffene die Geschwindigkeitsbegrenzung wahrgenommen und deren Überschreitung zumindest billigend in Kauf genommen hat.

(1) Vorliegend war die außerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit im Bereich der dem Tatvorwurf gegen den Betroffenen zugrunde liegenden Geschwindigkeitsmessung auf 50 km/h herabgesetzt. Dies war durch ein aus Sicht des Betroffenen vor der Messstelle einseitig aufgestelltes Vorschriftszeichen angezeigt worden. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene das Verkehrsschild nicht sehen konnte oder nicht gesehen hat, sind nicht ersichtlich. Nach der Rechtsprechung kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass (ordnungsgemäß aufgestellte) Vorschriftszeichen, auch solche, durch die eine Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit erfolgt, i.d.R. wahrgenommen werden und ein fahrlässiges Übersehen die Ausnahme darstellt. Daher braucht die Möglichkeit, dass der Betroffene das Vorschriftszeichen übersehen hat, nur in Rechnung gestellt zu werden, wenn sich hierfür Anhaltspunkte ergeben (vgl. BGH, 11. September 1997, 4 StR 638/96; OLG Celle NZV 2014, 232). Entsprechende Anhaltspunkte hat weder der Betroffene vorgetragen noch ergeben sie sich aus den sonstigen in dem angefochtenen Urteil mitgeteilten Umständen. Dem steht nicht entgegen, dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit hier nur durch ein einseitig aufgestelltes Vorschriftszeichen herabgesetzt war.

Der vom Oberlandesgericht Brandenburg in seiner von der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 19.05.2017 zitierten Entscheidung vom 20.02.2017, Az. (1) 53 SsOWi 56/17 (34/17) angestellten – die Entscheidung nicht tragenden – Erwägung, der Umstand eines lediglich einseitig aufgestellten Vorschriftszeichens spreche gegen die Regelvermutung der Wahrnehmung durch einen Betroffenen, vermag der Senat in ihrer Allgemeinheit nicht zu folgen. Dass die Regelvermutung ohne eine den Vorsatz bestreitende Einlassung des Betroffenen und ohne andere entgegen stehende Anhaltspunkte allein wegen des Umstands einer einmaligen und einseitigen Beschilderung entfallen soll, erschließt sich dem nicht. Dem stehen die von der Generalstaatsanwaltschaft zitierten früheren Entscheidungen des hiesigen Bußgeldsenats nicht entgegen. Der in der Entscheidung vom 26.01.2015 (Az. 322 SsBs 176/14) behandelte Sachverhalt ist mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Denn der dortige Betroffene hatte eingewendet, das maßgebende einseitig aufgestellte Vorschriftszeichen nicht gesehen zu haben, während der Betroffene im vorliegenden Verfahren keine Einlassung zur Frage seiner Wahrnehmungen abgegeben hat. In der weiteren Entscheidung vom 17.10.2011 (Az. 322 SsBs 338/11) hatte das Amtsgericht – anders als im vorliegenden Fall – keinerlei Feststellungen zur vorhandenen Beschilderung getroffen, was den Senat zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht veranlasste. In der Entscheidung vom 17.10.2011 (Az. 322 SsBs 338/11) hat der Senat sich mit der Frage der Voraussetzungen der Annahme einer vorsätzlichen Tatbegehung nicht befasst.

(2) Das Amtsgericht ist zudem rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Betroffene die Geschwindigkeitsüberschreitung erkannt und zumindest billigend in Kauf genommen hat.

Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung, der sich auch der erkennende Senat angeschlossen hat, kann bei erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen in der Regel von vorsätzlicher Begehungsweise ausgegangen werden, wobei dies bei Überschreitungen ab ca. 40 % angenommen wird (vgl. Senatsbeschluss vom 28.02.2017, Az. 2 SsOwi 52/17 mwN).

Vorliegend hat der Betroffene die an der Messstelle zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 26 km/h, mithin um 52 % überschritten. Anhaltspunkte dafür, dass er diese massive Überschreitung nicht erkannt und zumindest billigend in Kauf genommen hat, hat er weder vorgetragen noch sind diese aus den sonstigen Umständen ersichtlich.“

Beförderungserschleichung, oder: Dreimal „Schwarzfahren“ führt zum Strafbefehl

entnommen wikimedia org
By Jcornelius – Own work, CC BY-SA 3.0

Nicht nur Saubermachen beim 2. Strafsenat des BGH, sondern auch in meinem Blogordner, in dem einige Entscheidungen hängen, die schon länger auf eine Veröffentlichung warten. Die ist – weil mir andere Entscheidungen wichtiger erschienen – dann immer wieder verschoben worden. So ist es auch dem KG, Beschl. v. 09.03.2016 – 1 VAs 4/16 -, den ich allerdings auch erst später übersandt bekommen habe.

Die Entscheidung „spielt“ auf einem „Nebenkriegsschauplatz“ der Verfolgung von Delikten der Beförderungserschleichung (§ 265a StGB). Die Amtsanwaltschaft Berlin hat dem Antragsteller – wir befinden uns im Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG – drei am 16.12.2014, 10.06.2015 und 01.08.2015 begangene Vergehen des Erschleichens von Leistungen zum Nachteil der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) zur Last gelegt. In ihrem Antrag auf Erlass eines Strafbefehls hat sie das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht (§ 265a Abs. 3 i.V.m § 248a StGB). Das AG Tiergarten hat den Strafbefehl antragsgemäß erlassen, der Antragsteller hat hiergegen Einspruch eingelegt. Termin zur Hauptverhandlung war auf den 05.04.2016 anberaumt. Mit seinem auf §§ 23 ff. EGGVG gestützten Antrag hat der Antragsteller geltend gemacht, die Entscheidung der Amtsanwaltschaft, dass ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bestehe, aufzuheben.

„Das KG hat den Antrag als unzulässig zurückgewiesen:

Nach ganz herrschender Auffassung kann das Gericht im Strafverfahren die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses durch die Staats- bzw. Amtsanwaltschaft nicht nachprüfen (vgl. nur BGHSt 16, 225; BVerfGE 51, 176 [offenlassend für den Fall, dass sich die Annahme des besonderen öffentlichen Interesses angesichts der besonderen Umstände des Einzelfalls als objektiv willkürlich erweist]; Fischer, StGB 63. Aufl., § 230 Rdn. 3 m.w.N.).

Auch im Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG ist die Überprüfung einer solchen Entscheidung der Strafverfolgungsbehörden grundsätzlich nicht möglich. Der Rechtsweg nach diesen Vorschriften ist nicht eröffnet. Ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung kann nur auf die Beseitigung, die Vornahme oder die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Justizverwaltungsaktes im Sinne des § 23 Abs. 1 EGGVG gerichtet werden. Maßnahmen der Staats- bzw. Amtsanwaltschaft, die sich – wie hier die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses nach § 265a Abs. 3 i.V.m § 248a StGB – auf die Einleitung, Durchführung, Gestaltung oder Beendigung eines Strafverfahrens beziehen, stellen keine den Einzelfall regelnde Verwaltungsakte, sondern Prozesshandlungen dar, die der richterlichen Kontrolle nur nach Maßgabe der abschließenden Regelungen der Strafprozessordnung unterliegen und damit einer Überprüfung nach den §§ 23 ff. EGGVG grundsätzlich entzogen sind. Dies entspricht – verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG NStZ 1984, 228; NJW 1984, 1451; NJW 1985, 1019) – der ganz herrschenden Meinung (vgl. etwa OLG Hamm, Beschluss vom 11. März 2014 – III-1 VAs 13/14, 1 VAs 13/14 – bei juris; ständige Rechtsprechung des Kammergerichts, vgl. Beschluss vom 12. Februar 2013 – 4 VAs 3/13 – bei juris und Senat StraFo 2010, 428; näher dazu Böttcher in Löwe-Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 23 EGGVG Rdn. 52 ff., 106 ff. m.w.N.).

Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen zum Ausdruck gebracht, dass es mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG dazu neigt, eine Ausnahme von dem Grundsatz der Unanfechtbarkeit staatsanwaltschaftlicher Prozesshandlungen zu bejahen, wenn der Antragsteller schlüssig darlegt, dass diese als schlechthin unvertretbar und damit objektiv willkürlich zu qualifizieren sind (vgl. BVerfG NStZ 2004, 447; NJW 1984, 1451; NStZ 1984, 228). Davon kann hier jedoch keine Rede sein.

Die vom Antragsteller geschilderte Praxis der Amtsanwaltschaft, das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu bejahen, ist offensichtlich nicht objektiv willkürlich, sondern im Gegenteil sachgerecht.

a) Erhält die Amtsanwaltschaft durch einen Strafantrag des Verkehrsunternehmens Kenntnis von dem Verdacht, dass ein Beschuldigter in einem überschaubaren Zeitraum dreimal die Beförderung durch ein Verkehrsmittel erschlichen hat, liegt es auf der Hand, dass ihn die mit der Feststellung der ersten beiden Schwarzfahrten einhergehenden Warnungen nicht beeindruckt haben und es nunmehr der vom Gesetzgeber in § 265a StGB vorgesehenen Sanktionen bedarf. Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Amtsanwaltschaft in solchen Fällen – naheliegend – von hartnäckigen Verstößen gegen Rechtsvorschriften ausgeht und grundsätzlich ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bejaht. Die vom Antragsteller vermisste Prüfung des Einzelfalls geschieht dann im gerichtlichen Verfahren bei der Überprüfung des Tatverdachts und der Entscheidung, welche Rechtsfolge angemessen ist.

b) Das Vorbringen des Antragstellers, die Amtsanwaltschaft dürfe das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung nicht bejahen, weil dieses durch die (zivilrechtliche) Einforderung eines erhöhten Beförderungsentgelts nicht mehr bestehe, liegt ebenfalls neben der Sache. Der Antragsteller übersieht, dass der Gesetzgeber den Straftatbestand der Beförderungserschleichung – anders z.B. als den Hausfriedensbruch (§ 123 Abs. 2 StGB) – nicht als absolutes, sondern als relatives Antragsdelikt gestaltet und damit die Strafverfolgung auch beim Fehlen eines form- und fristgerecht gestellten Strafantrag des geschädigten Verkehrsunternehmens ermöglicht hat. Dies geschah in Kenntnis des Umstands, dass das sog. Schwarzfahren regelmäßig auch zivilrechtlich durch die Erhebung eines erhöhten Beförderungsentgelts sanktioniert wird. Der Gesetzgeber ist mithin davon ausgegangen, dass allein die zivilrechtliche Sanktion nicht geeignet ist, ein besonderes öffentliches Interesse an der Verfolgung des rechtswidrigen Verhaltens (auch) nach dem Strafrecht entfallen zu lassen.“

M.E. zutreffend.