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Beförderungserschleichung, oder: Dreimal „Schwarzfahren“ führt zum Strafbefehl

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Nicht nur Saubermachen beim 2. Strafsenat des BGH, sondern auch in meinem Blogordner, in dem einige Entscheidungen hängen, die schon länger auf eine Veröffentlichung warten. Die ist – weil mir andere Entscheidungen wichtiger erschienen – dann immer wieder verschoben worden. So ist es auch dem KG, Beschl. v. 09.03.2016 – 1 VAs 4/16 -, den ich allerdings auch erst später übersandt bekommen habe.

Die Entscheidung „spielt“ auf einem „Nebenkriegsschauplatz“ der Verfolgung von Delikten der Beförderungserschleichung (§ 265a StGB). Die Amtsanwaltschaft Berlin hat dem Antragsteller – wir befinden uns im Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG – drei am 16.12.2014, 10.06.2015 und 01.08.2015 begangene Vergehen des Erschleichens von Leistungen zum Nachteil der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) zur Last gelegt. In ihrem Antrag auf Erlass eines Strafbefehls hat sie das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht (§ 265a Abs. 3 i.V.m § 248a StGB). Das AG Tiergarten hat den Strafbefehl antragsgemäß erlassen, der Antragsteller hat hiergegen Einspruch eingelegt. Termin zur Hauptverhandlung war auf den 05.04.2016 anberaumt. Mit seinem auf §§ 23 ff. EGGVG gestützten Antrag hat der Antragsteller geltend gemacht, die Entscheidung der Amtsanwaltschaft, dass ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bestehe, aufzuheben.

„Das KG hat den Antrag als unzulässig zurückgewiesen:

Nach ganz herrschender Auffassung kann das Gericht im Strafverfahren die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses durch die Staats- bzw. Amtsanwaltschaft nicht nachprüfen (vgl. nur BGHSt 16, 225; BVerfGE 51, 176 [offenlassend für den Fall, dass sich die Annahme des besonderen öffentlichen Interesses angesichts der besonderen Umstände des Einzelfalls als objektiv willkürlich erweist]; Fischer, StGB 63. Aufl., § 230 Rdn. 3 m.w.N.).

Auch im Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG ist die Überprüfung einer solchen Entscheidung der Strafverfolgungsbehörden grundsätzlich nicht möglich. Der Rechtsweg nach diesen Vorschriften ist nicht eröffnet. Ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung kann nur auf die Beseitigung, die Vornahme oder die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Justizverwaltungsaktes im Sinne des § 23 Abs. 1 EGGVG gerichtet werden. Maßnahmen der Staats- bzw. Amtsanwaltschaft, die sich – wie hier die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses nach § 265a Abs. 3 i.V.m § 248a StGB – auf die Einleitung, Durchführung, Gestaltung oder Beendigung eines Strafverfahrens beziehen, stellen keine den Einzelfall regelnde Verwaltungsakte, sondern Prozesshandlungen dar, die der richterlichen Kontrolle nur nach Maßgabe der abschließenden Regelungen der Strafprozessordnung unterliegen und damit einer Überprüfung nach den §§ 23 ff. EGGVG grundsätzlich entzogen sind. Dies entspricht – verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG NStZ 1984, 228; NJW 1984, 1451; NJW 1985, 1019) – der ganz herrschenden Meinung (vgl. etwa OLG Hamm, Beschluss vom 11. März 2014 – III-1 VAs 13/14, 1 VAs 13/14 – bei juris; ständige Rechtsprechung des Kammergerichts, vgl. Beschluss vom 12. Februar 2013 – 4 VAs 3/13 – bei juris und Senat StraFo 2010, 428; näher dazu Böttcher in Löwe-Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 23 EGGVG Rdn. 52 ff., 106 ff. m.w.N.).

Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen zum Ausdruck gebracht, dass es mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG dazu neigt, eine Ausnahme von dem Grundsatz der Unanfechtbarkeit staatsanwaltschaftlicher Prozesshandlungen zu bejahen, wenn der Antragsteller schlüssig darlegt, dass diese als schlechthin unvertretbar und damit objektiv willkürlich zu qualifizieren sind (vgl. BVerfG NStZ 2004, 447; NJW 1984, 1451; NStZ 1984, 228). Davon kann hier jedoch keine Rede sein.

Die vom Antragsteller geschilderte Praxis der Amtsanwaltschaft, das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu bejahen, ist offensichtlich nicht objektiv willkürlich, sondern im Gegenteil sachgerecht.

a) Erhält die Amtsanwaltschaft durch einen Strafantrag des Verkehrsunternehmens Kenntnis von dem Verdacht, dass ein Beschuldigter in einem überschaubaren Zeitraum dreimal die Beförderung durch ein Verkehrsmittel erschlichen hat, liegt es auf der Hand, dass ihn die mit der Feststellung der ersten beiden Schwarzfahrten einhergehenden Warnungen nicht beeindruckt haben und es nunmehr der vom Gesetzgeber in § 265a StGB vorgesehenen Sanktionen bedarf. Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Amtsanwaltschaft in solchen Fällen – naheliegend – von hartnäckigen Verstößen gegen Rechtsvorschriften ausgeht und grundsätzlich ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bejaht. Die vom Antragsteller vermisste Prüfung des Einzelfalls geschieht dann im gerichtlichen Verfahren bei der Überprüfung des Tatverdachts und der Entscheidung, welche Rechtsfolge angemessen ist.

b) Das Vorbringen des Antragstellers, die Amtsanwaltschaft dürfe das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung nicht bejahen, weil dieses durch die (zivilrechtliche) Einforderung eines erhöhten Beförderungsentgelts nicht mehr bestehe, liegt ebenfalls neben der Sache. Der Antragsteller übersieht, dass der Gesetzgeber den Straftatbestand der Beförderungserschleichung – anders z.B. als den Hausfriedensbruch (§ 123 Abs. 2 StGB) – nicht als absolutes, sondern als relatives Antragsdelikt gestaltet und damit die Strafverfolgung auch beim Fehlen eines form- und fristgerecht gestellten Strafantrag des geschädigten Verkehrsunternehmens ermöglicht hat. Dies geschah in Kenntnis des Umstands, dass das sog. Schwarzfahren regelmäßig auch zivilrechtlich durch die Erhebung eines erhöhten Beförderungsentgelts sanktioniert wird. Der Gesetzgeber ist mithin davon ausgegangen, dass allein die zivilrechtliche Sanktion nicht geeignet ist, ein besonderes öffentliches Interesse an der Verfolgung des rechtswidrigen Verhaltens (auch) nach dem Strafrecht entfallen zu lassen.“

M.E. zutreffend.