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Führt eine unberechtigte Entpflichtung des Pflichtverteidigers zur Befangenheit des Vorsitzenden. Das war die Frage, die ein Angeklagter mit der Revision an den 2. Strafsenat des BGH herangetragen hat (ich weiß, „Besorgnis der Befangenheit“ reicht 🙂 ). Und die hat der BGH im BGH, Beschl. v. 23.09.2015 – 2 StR 434/14 – dann entschieden, und zwar auf der Grundlage folgenden Verfahrensgeschehens:
„Die Angeklagte hatte den Vorsitzenden Richter zu Beginn der (zweiten) Hauptverhandlung wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, da dieser ihren als Pflichtverteidiger beigeordneten Verteidiger mit Verfügung vom 16. September 2013, am ersten Tag der (ersten) Hauptverhandlung, wegen mangelnder Zuverlässigkeit entbunden und ihm die durch die gleichzeitig verfügte Aussetzung der (ersten) Hauptverhandlung entstandenen Kosten auferlegt habe. Dem lag zugrunde, dass der Verteidiger am 10. September 2013, wenige Tage vor Beginn der (ersten) Hauptverhandlung (16. September 2013), einen Antrag auf ergänzende Akteneinsicht gestellt und, nachdem ihm die Akten in der Folgezeit nicht zugesandt worden waren, die Aussetzung des Verfahrens beantragt hatte. Die mangelnde Zuverlässigkeit begründete der Vorsitzende in seiner Verfügung vom 16. September 2013 damit, dass der Verteidiger schuldhaft „nicht zeitig nach Anklageerhebung … sondern erst wenige Tage vor dem Termin“ sein ergänzendes Akteneinsichtsgesuch gestellt habe.
Auf die Beschwerde des Verteidigers hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom 28. Oktober 2013 die angefochtene Kostenentscheidung und die Verfügung des Vorsitzenden vom 16. September 2013 auf-gehoben.
In der dienstlichen Erklärung zum Ablehnungsantrag hat der Vorsitzende Richter ausgeführt, „an den Entscheidungen mitgewirkt bzw. die Entscheidung getroffen“ zu haben und sich im Übrigen „nicht für befangen“ zu halten.
Mit Beschluss vom 25. März 2014 hat das Landgericht den Befangenheitsantrag – ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters – als unbegründet zurückgewiesen. Es sei nicht ersichtlich, dass die Entbindungs- oder die Kostenentscheidung des Vorsitzenden willkürlich oder von sachfremden Erwägungen beeinflusst gewesen seien.“
Der BGH sieht es anders. Nach seiner Auffassung ist das Ablehnungsgesuch gegenüber dem Vorsitzenden Richter zu Unrecht zurückgewiesen worden. Durch die Erwägung, auf welche er den Widerruf der Pflichtverteidigerbestellung stützte, habe er der Angeklagten berechtigten Grund zu der Annahme mangelnder Unvoreingenommenheit gegeben. Nach dem üblichen allgemeinen Vorspann (Textbaustein 🙂 ) geht es recht deutlich zur Sache:
Zwar lässt sich diese Besorgnis grundsätzlich nicht schon allein mit einer fehlerhaften Sachbehandlung begründen. Verfahrensverstöße, die auf einem Irrtum oder auf einer unrichtigen Rechtsansicht beruhen, stellen grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund dar (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 20. Juni 2007 – 2 StR 84/07, BGHR StPO § 24 Abs. 2 Befangenheit 19 mwN), sondern nur dann, wenn die Entscheidungen unvertretbar sind oder den Anschein der Willkür erwecken. So liegt der Fall hier.
Die Verfügung des Vorsitzenden Richters vom 16. September 2013, mit der der Pflichtverteidiger der Beschwerdeführerin entpflichtet worden ist, und der Beschluss, dem Verteidiger die durch die Aussetzung der (ersten) Haupt-verhandlung entstandenen Kosten aufzuerlegen, sind, wie auch der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 11. Dezember 2014 und das Ober-landesgericht Frankfurt am Main – ohne Bindungswirkung für den Senat – im Rahmen des Beschwerdeverfahrens für diesen Sachverhalt mit Beschluss vom 28. Oktober 2013 ausgeführt haben, rechtsfehlerhaft.
Der Widerruf der Bestellung eines Pflichtverteidigers, der das Vertrauen der Angeklagten besitzt, berührt die Verteidigungsbelange auf das stärkste. Er setzt daher einen wichtigen Grund voraus. Es müssen Umstände vorliegen, die den Zweck der Pflichtverteidigung ernsthaft gefährden. Dieser besteht darin, dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern und einen geordneten Verfahrensablauf zu gewährleisten (BVerfGE 39, 238, 245; vgl. auch Senat, Urteil vom 31. Januar 1990 – 2 StR 449/89, BGHR StPO § 24 Abs. 2 Vorsitzen-der 3).
Die – angeblich – verspätete Stellung eines ergänzenden Akteneinsichtsgesuchs durch den Verteidiger der Angeklagten, rechtfertigte es hier nicht, einen geordneten Verfahrensablauf für gefährdet zu halten. Vielmehr konnte diese Begründung den Eindruck erwecken, es handele sich um einen nur vorgeschobenen Grund, mit dem das Ziel verfolgt wurde, einen missliebigen, weil unbequemen Verteidiger aus dem Verfahren zu entfernen.
Eine solche bloße Demonstration von Macht richtete sich dann aber nicht nur gegen den Verteidiger, der es – wie auch das Oberlandesgericht Frankfurt am Main im Beschluss vom 28. Oktober 2013 ausgeführt hat – lediglich versehentlich, keineswegs grob pflichtwidrig unterlassen hatte, zeitnah ein ergänzendes Akteneinsichtsgesuch zu stellen. Er traf vielmehr unmittelbar auch die Verteidigungsbereitschaft der Angeklagten. Diese konnte zu Recht befürchten, der Vorsitzende werde ihre Interessen auch sonst nicht ausreichend berücksichtigen und geneigt sein, auf nicht genehmes Verhalten ihrer selbst oder ihres Verteidigers in einer für sie nachteiligen Weise sachfremd zu reagieren (vgl. BGH, Urteil vom 9. März 1988 – 3 StR 567/87, BGHR StPO § 24 Abs. 2 Vorsitzen-der 1; Beschluss vom 9. August 1988 – 4 StR 222/88, BGHR StPO § 24 Abs. 2 Vorsitzender 2).