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Verkehrte Welt, oder: Wenn der Wahlverteidiger Pflichtverteidigergebühren haben will

© santi_ Fotolia.com

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Heute ist nicht Freitag, nein, aber dennoch eine gebührenrechtliche Entscheidung/Problematik? Ja, und zwar deshalb weil der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 03.11.2015 – 2 Ws 277/15 – so schön zu den beiden anderen „Pflichtverteidigerentscheidungen“ des heutigen Tages passt. Er behandelt eine Frage, die bislang in der Rechtsprechung noch nicht entschieden war, aber irgendwann ist es immer so weit, bis sich ein Problem auch der Rechtsprechung stellt. Vielleicht hat es hier ab auch so lange gedauert, bis sich die Rechtsprechung äußern musste, weil m.E. die Lösung auf der Hand liegt.

Ein im Grunde ganz einfacher Sachverhalt: Die Staatsanwaltschaft hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus beantragt. Der Rechtsanwalt hat an der Hauptverhandlung als Pflichtverteidiger teilgenommen. Das LG hat den Antrag auf Unterbringung des Beschuldigten abgelehnt und bestimmt, dass die notwendigen Auslagen des Beschuldigten von der Staatskasse zu tragen sind. Der Rechtsanwalt hat Kostenfestsetzung/-erstattung auf der Grundlage seiner Vergütung als Wahlverteidiger beantragt, wobei für die Hauptverhandlungstermine z.T. ein Längenzuschläge geltend gemacht worden sind.

Und die gibt es, wenn Wahlverteidigergebühren geltend gemacht werden, nicht:

„Der mit der sofortigen Beschwerde weiter verfolgte Gebührenanspruch besteht nicht. Der Längenzuschlag nach Nr. 4116 VV RVG steht dem gerichtlich bestellten Verteidiger nur dann zu, wenn die ihm als bestelltem Verteidiger zustehenden Gebühren beansprucht werden. Entgegen der vom Beschwerdeführer vertretenen Auffassung ist die gesetzliche Regelung eindeutig. In der Begründung des Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts, das dem Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (RVG) zugrunde liegt, heißt es dazu ausdrücklich: „Die vorgeschlagene Regelung [die inhaltlich mit Nr. 4116 VV RVG übereinstimmende Nr. 4110 VV RVG] ist auf den gerichtlich bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalt beschränkt. Es besteht kein Anlass, sie auf den Wahlanwalt auszudehnen, weil diesem eine Rahmengebühr zusteht. Innerhalb dieses Rahmens kann er die jeweils angemessene Terminsgebühr bestimmen, wobei die Dauer des jeweiligen Hauptverhandlungstermins eine nicht unerhebliche Rolle spielen wird“ (BT-Drs. 15/1971 S. 224).“

Und die Entscheidung ist richtig: Der Rechtsanwalt irrt(e), wenn er im Rahmen der Kostenfestsetzung Längenzuschläge beanspruchen will/wollte. Diese stehen nämlich nur dem Pflichtverteidiger zu. Das folgt nicht nur aus den vom OLG zitierten Gesetzesmaterialien sondern auch aus dem RVG unmittelbar. Denn die Längenzuschläge sind bei den Gebühren im VV RVG nur in der rechten Spalte ausgeführt, also nur bei den „Gebühren des gerichtlich bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalts“. Der Wahlanwalt kann sie im Rahmen der Kostenerstattung nicht geltend machen, und zwar auch dann nicht, wenn er dem Beschuldigten im Verfahren als Pflichtverteidiger beigeordnet war. Denn im Rahmen der Kostenerstattung/-festsetzung geht es um die Erstattung/Festsetzung der dem (frei gesprochen) Angeklagten im Verfahren entstandenen Kosten (§§ 52 RVG, 464b StPO). Das ist ein Erstattungsanspruch des ehemaligen Angeklagten auf die Wahlanwaltsgebühren. Dieser – dem Angeklagten zustehende – Anspruch ist zu unterscheiden von dem Anspruch des Pflichtverteidigers auf gesetzliche Gebühren (§ 45 RVG). Nur, wenn der Rechtsanwalt den geltend macht, kann er Längenzuschläge verlangen. Daran ändert sich nichts, wenn der Angeklagte seinen Anspruch an den Verteidiger abgetreten hat. Durch die Abtretung ändert sich nicht die Eigenschaft des Anspruchs als ein Anspruch des Angeklagten auf Wahlanwaltsgebühren.