Archiv für den Monat: November 2015

Wochenspiegel für die 46. KW., das war die „Verteidigerposse“ bei NSU, Dashcams, und Richter und Talkshows

entnommen wikimedi.org Urheber: SKopp

entnommen wikimedi.org
Urheber: SKopp

Nach den schrecklichen Ereignissen von Freitagabend hatte ich schon gestern überlegt, ob es eigentlich angemessen ist, in den kommenden Tagen weiter zu bloggen zu juristischen Themen/Entscheidungen, die nun nicht unbedingt der Nabel der Welt sind. Aber ich habe mich dann dazu entschlossen, die Dinge hier im Blog ganz einfach weiter laufen zu lassen. Im Netz – es war bei der TAZ – habe ich das gelesen, was wir derzeit so oder ähnlich an vielen Stellen lesen „Terror will Angst machen, islamistische Terroristen wie der IS zielen auf den Kern unseres Lebens: auf unsere Freiheit und Demokratie, auf eine Gesellschaft, in der Menschen mit unterschiedlicher Herkunft, vielfältigen Meinungen und Lebensentwürfen friedlich zusammen leben. Schränken wir das ein, haben die Terroristen schon eine Schlacht gewonnen.“ Und daher: Es gab gestern Beiträge, es gibt heute den Wochenspiegel und es wird nachher auch den Sonntagswitz geben. Es geht weiter und es muss weiter gehen. Nicht, dass es weiter geht, ist m.E. die Frage, sondern das „Wie“.

Ich berichte dann heute über:

  1. Zschäpe-Erklärung: Der entlarvende Urlaub des Dr. Borchert, oder: Verteidiger als Zaungäste, oder:
    Von Wahlanwälten und Pflichtverteidigern, für mich inzwischen eine „Posse“ – so schlimm das auch klingt,
  2. EGMR erklärt der deutschen Justiz die Unschuldsvermutung,
  3. Delikte, gegen die es keine Verteidigung gibt und das Pech der intellektuell Herausgeforderten,
  4. Fer­rari ver­un­fallt bei 200 km/h an Boden­welle auf der Auto­bahn – Land hatte Kennt­nis und haf­tet zu 50%
  5. Richter und Talkshow,
  6. Hausdurchsuchung wegen des Aufrufs einer einzelnen Datei auf frei zugänglicher Webseite,
  7. zum Dauerbrenner Aktenkopien: Immer Ärger mit den Kopierkosten…
  8. „Dashcams“ im Straßenverkehr: Erlaubt? – Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen?
  9. Fahr­läs­sige Ge­wäss­erver­un­reinig­ung bei einem Ver­kehrs­un­fall?,
  10. Überlange Postlaufzeiten – und der erforderliche Vortrag für die Wiedereinsetzung.

Aber: Etwas anders sollte es dann heute hier doch sein. Es gibt deshalb ein anderes Beitragsbild.

Manipulierter Verkehrsunfall: Der Besuch in der Eisdiele, oder: Ausgerutscht

entnommen wikimedia.org Urheber Mindmatrix

entnommen wikimedia.org
Urheber Mindmatrix

Nach dem KG, Beschl. v. 05.10.2015 – (5) 161 Ss 190/15 (40/15)  (vgl. dazu: Manipulierter Verkehrsunfall mal anders, nämlich als Betrug) zum manipulierten Verkehrsunfall aus strafverfahrensrechtlicher Sicht, hier dann noch einmal eine zivilrechtliche Fragestellung, nämlich das LG Duisburg, Urt. v. 17.08.2015 – 3 O 230/13 -, auf das ich durch den Kollegen aus dem Verkehrsrechtsblog aufmerksam geworden bin. Das Urteil fällt sicherlich aus dem Rahmen, und zwar sowohl wegen der Schadenshöhe als auch wegen des beschädigten Objekts. Es ging nämlich offenbar um die Sanierung einer Eisdiele auf „kaltem Weg“. Folgendes Geschehen war dazu Gegenstand des Urteils:

„Der Beklagte zu 1) hatte sich von der Beklagten zu 2) ein Fahrzeug der Marke VW T 5 Kastenwagen mit dem amtlichen Kennzeichen pp., für das der Beklagte zu 3) Haftpflichtversicherer war, gemietet. Am 30. Oktober 2012 gegen 21.25 Uhr war der Beklagte zu 1) in H. auf dem M. platz damit unterwegs. An diesem Tag war es regnerisch, der M. platz war nass.

Die Klägerin behauptet, der Beklagte zu 1) habe beabsichtigt, Campingutensilien seines Vaters, die in seinem Keller untergestellt waren, zu einem Bekannten des Vaters zu transportieren. Daher sei er mit dem Fahrzeug mit leicht erhöhter Schrittgeschwindigkeit auf dem M. platz gefahren. Plötzlich habe der Beklagte zu 1) beabsichtigt, rückwärts in Richtung der Häuserzeile M. platz 3 zu fahren, um mit dem Heck des Fahrzeugs vor dieser Häuserzeile zum Stehen zu kommen. Auf diesem Wege habe der Beklagte zu 1) erreichen wollen, dass er die in seinem Keller gelagerten Gegenstände nicht weitertragen müsse. Der Beklagte zu 1) habe dann das Fahrzeug zurückgesetzt. Um die Geschwindigkeit zu kontrollieren, habe er dies durch Gas und Kupplung gemacht. Als er bereits ein gutes Stück zurückgesetzt habe, sei er mit dem linken Fuß von der leicht getretenen Kupplung abgerutscht. Das Fahrzeug habe hierdurch beschleunigt und stieß mit dem Heck in die Schaufensterscheibentür des Eiscafés. Die Klägerin behauptet, insgesamt seien Schäden in Höhe von 163.634,27 Euro entstanden. Wegen des weiteren Vorbringens bezüglich der Schäden wird auf die Klageschrift verwiesen.

Das LG sagt: Manipuliert, und zwar aufgrund einer Gesamtschau folgender Indizien:

  • „Die Art des behaupteten Unfallhergangs, nämlich das Rückwärtssetzen gegen die Eisdiele, ist leicht und ohne nennenswertes Verletzungsrisiko von den Beteiligten inszeniert worden. Außerdem ist bei einer derartigen Unfallkonstellation die Schuldfrage eindeutig und es muss nicht mit Einwendungen eines Mitverschuldens gerechnet werden. Eine solche eindeutige Haftungslage ist bei einem manipulierten Unfall ein häufig anzutreffender Umstand (vgl. Urteil des OLG Köln vom 2. März 2010, Aktenzeichen: 9 U 122/09).
  • Als weiteres Indiz ist hinzuzufügen, dass sich die Beteiligten gut kannten. Hier hat der Beklagte zu 1) im Rahmen seiner Anhörung selbst ausgeführt, dass er den Kläger seit über 30 Jahren kennt und das Verhältnis als freundschaftlich zu bezeichnen ist. Dieser Umstand ist sicherlich auch als Indiz dafür zu werten, dass der Beklagte sich bereit erklärt hat, an einem manipulierten Unfallereignis mitzuwirken, um der Klägerin wirtschaftlich zu helfen.
  • Darüber hinaus ergibt sich aus dem Gutachten des Sachverständigen T. und auch seiner Anhörung, dass das behauptete Fahrmanöver technisch zwar unter extremen Gesichtspunkten nachvollziehbar ist, dies aber nicht mehr dem normalen Fahrverhalten entspricht…… Damit liegt natürlich ein ganz erhebliche Indiz dafür vor, dass der Beklagte zu 1) mit der Klägerin, welche sich seit langen Jahren kennen, diesen Unfall abgesprochen haben.
  • Als weiteres typisches Indiz für einen manipulierten Unfall ist der Umstand anzusehen, dass der Beklagte zu 1) das Fahrzeug zuvor bei der Beklagten zu 2) angemietet hat. Damit konnte er umgehen, dass sein eigenes Fahrzeug in Mitleidenschaft gezogen wird odermöglicherweise auch eigene Versicherungsrabatte in Mitleidenschaft gezogen werden. Das Anmieten eines Fahrzeugs und dann einen manipulierten Unfall durchzuführen, stellt auch ein weiteres klares Kriterium für ein solches manipuliertes Unfallereignis dar.“

Manipulierter Verkehrsunfall mal anders, nämlich als Betrug

© fabstyle - Fotolia.com

© fabstyle – Fotolia.com

Ich habe ja schon öfter über manipulierte 😉 Verkehrsunfälle berichtet. Das waren aber immer zivilrechtlichen Entscheidungen, in denen es um die Frage ging, ob die (Kasko)Versicherung zahlen muss. Jetzt kann ich dann aber auch mal eine Entscheidung zum manipulierten Verkehrsunfall aus strafrechtlicher Sicht bringen. Daher: Manipulierter Verkehrsunfall mal anders. Ein solcher, wenn es denn einer war, war Gegenstand des KG, Beschl. v. 05.10.2015 – (5) 161 Ss 190/15 (40/15) -. Keine Frage für das KG war es, dass das festgestellte Geschehen um einen gestellten Unfall als Betrug (§ 263 StGB) zu werten wäre, darauf verschwendet das KG – zutreffend – kein Wort. Eine Frage war es dann aber, ob ein ggf. vorliegender Betrug vom LG auch ausreichend sicher festgestellt war bzw. ob die landgerichtliche Beweiswürdigung frei von Rechtsfehlern war.

Und dazu führt das KG u.a. aus:

3. a) Die Schlussfolgerung des Landgerichts, der Angeklagte und der gesondert Verfolgte M. hätten sich verabredet, einen gestellten Verkehrsunfall durchzuführen, um unberechtigte Ansprüche gegenüber der Versicherung durchzusetzen, beruht auf keiner tragfähigen Grundlage. Fehlen Beweismittel, mit denen der Verdacht auf ein manipuliertes Unfallgeschehen nachgewiesen werden könnte, bedarf es einer Häufung von Beweisanzeichen, die für einen fingierten Unfall typisch sind (vgl. BGH, Urteil vom 13. Dezember 1977 – VI ZR 206/75 – Rz. 28; BayObLG, Urteil vom 3. Juli 1997 – 5 St RR 36/97 – Rz. 51). Solche typischen Indizien für einen manipulierten Unfall sind unter anderem, dass der Geschädigte auf Reparaturkostenbasis abrechnet, der Schädiger aufgrund der Unfallsituation voll haften muss, das geschädigte Fahrzeug hochwertig ist, während das schädigende Fahrzeug wertlos ist, der Unfall ohne nennenswerte Verletzungsrisiken war, er im Dunkeln geschah, neutrale Zeugen nicht anwesend waren und sich die Unfallbeteiligten zur Tatzeit in finanziellen schlechten Verhältnissen befanden (vgl. OLG Köln, Urteil vom 12. April 2013 – 19 U 96/12 – Rz. 32 ff. und Rz. 49; KG, Beschlüsse vom 7. September 2010 – 12 U 210/09 – Rz. 20 ff; vom Oktober 2007 – 12 U 72/06 – Rz. 6; OLG Frankfurt, Urteil vom 21. September 2006 – 16 U 75/06 – Rz. 27 f.). Eine ungewöhnliche Häufung derartiger Umstände, welche die Überzeugung zulässt, dass es sich um eine verabredete Schadenszufügung gehandelt haben muss, ist dem Urteil des Landgerichts nicht zu entnehmen. Die mitgeteilten Indizien lassen bloß die Möglichkeit einer Beteiligung des Angeklagten zu.

Der Umstand, dass der Angeklagte fiktive Reparaturkosten geltend machte, ist für sich betrachtet unverdächtig. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat ein Verkehrsunfallgeschädigter im Hinblick auf § 249 Abs. 2 S. 1 BGB in der Regel einen Anspruch auf Ersatz der in einer markengebundenen Vertragswerkstatt anfallenden Reparaturkosten unabhängig davon, ob er den Wagen tatsächlich voll, minderwertig oder überhaupt nicht reparieren lässt (vgl. BGH, Urteil vom 28. April 2015 – VI ZR 267/14 -Rz. 10). Nichts anderes gilt in Bezug auf die Tatsache, dass der gesondert Verfolgte M. gemäß §§ 7 Abs. 1, 17 StVG alleine für die Schäden verantwortlich ist, und der Wagen des Angeklagten zum Zeitpunkt des Unfalles erst fünf Jahre alt und hochwertig war. Diese Umstände sind nur in Verbindung mit einer Vielzahl weiterer Beweisanzeichen geeignet, den Vorwurf eines manipulierten Unfalles zu bestätigen.

Soweit sich auf die Angaben des Sachverständigen gründen lässt, dass der gesondert Verfolgte M. seinen Wagen bewusst auf das parkende Auto des Angeklagten lenkte, ist dies in erster Linie ein gewichtiges Beweisanzeichen dafür, dass der gesondert Verfolgte M. gegen Normen des Strafgesetzbuches verstoßen haben könnte. Dem Umstand kommt aber nicht das gleiche Gewicht zu für die Frage, ob der Unfall mit dem Angeklagten verabredet war. Denn neben einer Verabredung kommt gleichermaßen in Betracht, dass sich der gesondert Verfolgte M. – z.B. durch den Genuss von Alkohol oder Betäubungsmitteln – in einem Ausnahmezustand befand, er aus sonstigen Gründen Vandalismus betrieb oder er allein die A. Versicherung betrügen wollte. Welchen körperlichen und geistigen Zustand der gesondert Verfolgte M. kurz nach dem Unfall aufwies, hat das Landgericht nicht festgestellt. Soweit es ein nur auf den gesondert Verfolgten M. beschränktes Tatgeschehen mit dem Argument verneint hat, dass sich bei Schädigung anderer Kraftfahrzeuge, wie hier, die Haftpflichtversicherungskosten wegen einer entsprechenden Heraufstufung erhöhten, hat es nicht bedacht, dass dieser – im Übrigen dem Grunde und der Höhe nach nicht näher aufgeklärte – Umstand sogar gegen die für einen Betrug notwendige Absicht des gesondert Verfolgten M. streiten könnte, sich im Zusammenhang mit dem Unfall einen Vermögensvorteil zu verschaffen, weil sich eine Erhöhung der Versicherungsbeiträge infolge der Anzeige des Unfalles gegenüber der Versicherung wirtschaftlich nachteilig auswirkt. Hingegen drängt sich nicht auf, dass dieser Gesichtspunkt gerade auf eine Verabredung mit dem Angeklagten hindeuten könnte.

Zwar könnte im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung ein – starkes – Indiz für ein manipuliertes Unfallgeschehen sein, dass der BMW innerhalb von nur rund eineinhalb Jahren in insgesamt fünf gleichartige Verkehrsunfälle verwickelt war (vgl. hierzu OLG Düsseldorf, Urteil vom 19. März 2013 – 1 U 99/12 – […] Rz. 40 f).

Jedoch hat das Landgericht dieses Indiz in die Beweiswürdigung nicht ausdrücklich einbezogen, so dass nicht auszuschließen ist, dass es dem Angeklagten geglaubt hat, er habe bei den vier weiteren Unfällen „Pech gehabt.“ Zudem sind zu den anderen Unfällen keine Einzelheiten bekannt, insbesondere fehlen Angaben zu der jeweiligen Schadenshöhe und der Frage, ob der Angeklagte die anderen Schäden auf Gutachtenbasis mit dem Ansatz von Kosten einer BMW-Werkstatt abrechnete, obwohl er den Wagen nicht oder jedenfalls nicht in einer BMW-Werkstatt reparieren ließ.“

Verlangt werden also letztlich dieselben Prüfschritte, die man bei den zivilrechtlichen Fragen auch gehen muss. Liegt m.E. ja auch auf der Hand.

Ich habe da mal eine Frage: Gehören zu den „Sachakten“ auch die „Beiakten pp.“?

© AllebaziB - Fotolia

© AllebaziB – Fotolia

Anfang Oktober 2015 hatte ich über den OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.06.2015 – III-3 AR 65/14 berichtet. Das ist die Entscheidung, in der das OLG in Zusammenhang mit der Bewilligung einer Pauschgebühr nach § 51 RVG neue Grundsätze hinsichtlich der Bewilligung einer Pauschgebühr für den „Verfahrensabschnitt Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG“ aufgestellt hat. Die hat das OLG u.a. in dem Leitsatz formuliert: „Angesichts der Höhe der Grundgebühr kann vom (Pflicht)Verteidiger das Studium einer Akte von in der Regel nicht mehr als 500 Blatt erwartet werden.“

Daran knüpfte sich in der vergangenen Woche die Frage eines Kollegen, und zwar wie folgt:

„….
Ich sitze gerade über einem Pauschantrag bzgl der Grundgebühr für ein Verfahren vor dem AG Düsseldorf. Es begann in 2011. Ein HVT war in 2012. Eine weitere Akteneinsicht in ein beigezogenes Verfahren (das der Haupttat) kam im Juni 2014. Im März 2015 erfolgte dann die endgültige Einstellung nach §153a StPO.

Meinem Mandanten wurde Beihilfe zu einem gewerbsmäßigen Betrug in 4 Fällen vorgeworfen. Es ging am „Anlagebetrügereien“. Er war Telefonverkäufer.

Das gesamte Aktenmaterial beläuft sich auf über 16.500 Seiten. Diese verteilen sich auf Hauptakten, Fallakten, die beigezogene Akte nebst dortigen Sonderheften etc, Beweismittelordner, Finanzermittlungen und sonstige Sonderhefte und wurden mir alle digital zur Verfügung gestellt, lagen also auch dem Gericht vor.

Die bekannte Entscheidung des OLG Düsseldorf – alle 500 Seiten wird der Taxameter eine Nummer weiter gedreht – geht dort bei der Berechnung von den „Sachakten“ aus, ohne diese näher zu bezeichnen.

Dort liegt mein Problem. Ich gehe davon aus, dass Sachten die Akten i.S.d. § 147 I StPO sind, also die dem Gericht vorzulegenden und alle diesem vorliegenden Aktenteile, also auch Sonderhefte etc. Sehen Sie das auch so?
Ich befürchte, dass der natürliche Feind des Verteidigers – Rechtspfleger und Bezirksrevisor – den Begriff der „Sachakte“ kreativ nur auf die Hauptbände einengen will.

Wie sehen Sie das?“

Ich gebe die Frage dann weiter: Wie sehen die Leser das?

Raub/Erpressung im Knast

© ogressie Fotolia.cm

© ogressie Fotolia.cm

Dass das Leben im Knast kein Urlaub ist, wissen wir alle. Und wir hören auch immer wieder von der dort vorhandenen „Subkultur“ und/oder von Übergriffen von Gefangenen auf andere. Mit einem „Ableger“ aus diesem Bereich hatte jetzt vor kurzem das OLG Bamberg zu tun. In dem dem OLG Bambwerg, Beschl. v. 29.09. 2015 – 3 OLG 7 Ss 96/15 – zugrunde liegenden Verfahren war der Angeklagte wegen versuchter räuberischer Erpressung verurteilt worden. Grundlage waren die Feststellungen des LG, wonach der Angeklagte von ihm verfasste Drohbriefe einem Mitgefangenen „in der Absicht zukommen [ließ], diesen zur Zahlung offener Kaufpreisforderungen in Höhe von insgesamt 320 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 80 € täglich für den Fall nicht fristgerechter Erfüllung der Hauptforderung bis zum 22.01.2014 zu veranlassen, die daher rührten, dass der Angeklagte an den Mitgefangenen zuvor „innerhalb der Justizvollzugsanstalt verbotenerweise Mobiltelefone verkaufte“, wobei er „seiner Zahlungsaufforderung durch die in den Briefen enthaltenen Drohungen massiv Nachdruck verleihen wollte“. Dem Angeklagten sei es „mit diesen Drohungen“ darauf angekommen, „dass der Geschädigte […] um Leib und Leben fürchtete und zur Abwendung der in Aussicht gestellten Übel die geforderte Geldsumme zzgl. der geforderten Zinsen zahlt“.

Das LG hatte darin eine versuchte räubersiche Erpressung gesehen. Soweit es um die Geltendmachung der Kaufpreisforderung geht, rechtfertigen nach seiner Auffassung diese Feststellungen nicht ein für die Annahme eines für einen entsprechenden Tatentschluss unverzichtbares vorsätzliches Handeln des Angeklagten im Hinblick auf das objektive Merkmal der Nachteilszufügung (vgl. § 253 Abs. 1 StGB). Es fehle insoweit an einem Vermögensschaden, weil durch die Erfüllung eines bestehenden Anspruchs die entsprechende Verpflichtung des Käufers aus § 433 Abs. 2 BGB in gleicher Höhe gemäß § 362 Abs. 1 BGB erlischt.

a) Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn ein Anspruch nicht bestanden hätte. Dies wäre aber nur dann der Fall, wenn der vom Landgericht zugrunde gelegte Kaufvertrag über die Mobiltelefone nichtig gewesen wäre. Hierfür gibt es indes nach den tatrichterlichen Feststellungen keinen Anhaltspunkt. Insbesondere scheidet eine Nichtigkeit des Kaufvertrags wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot gemäß § 134 BGB – anders als bei den noch vom Amtsgericht angenommenen Betäubungsmittelgeschäften, deren Unwirksamkeit ohne weiteres aus § 134 BGB in Verbindung mit dem Betäubungsmittelgesetz resultiert – von vornherein aus. Eine gesetzliche Vorschrift, welche Kaufverträge zwischen Strafgefangenen generell verbieten würde, existiert gerade nicht. Sie kann insbesondere auch nicht aus dem Bayerischen Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der Jugendstrafe (Bayerisches Strafvollzugsgesetz – BayStVollzG) abgeleitet werden.

b) Zwar dürfen Gefangene gemäß Art. 90 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG „nur Sachen in Gewahrsam haben oder annehmen, die ihnen von der Anstalt oder mit ihrer Zustimmung überlassen werden“. Ferner ist es ihnen nach Art. 90 Abs. 1 Satz 2 BayStVollzG untersagt, Sachen abzugeben oder anzunehmen, „außer solche von geringem Wert“.

c) Schon der Wortlaut der Bestimmung macht allerdings deutlich, dass es dem Gesetzgeber allein darum ging, den mit dem Sachbesitz an der persönlichen Habe verbundenen vielfältigen Missbrauchsmöglichkeiten im Interesse der Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in der Anstalt effektiv dadurch zu begegnen, dass während des Vollzugs der Haft jeglicher unkontrollierter unmittelbaren Gewahrsams- bzw. Besitzübertragung auch und gerade unter den Gefangenen entgegen gewirkt werden soll.

d) Indessen kann Art. 90 Abs. 1 BayStVollzG ein dem Abschluss eines Kaufvertrages zwischen Gefangenen entgegen stehendes gesetzliches Verbot im Sinne von § 134 BGB und damit die Nichtigkeit des schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts gerade nicht entnommen werden. Art. 90 BayStVollzG normiert nach seinem klaren Wortlaut kein allgemeines Handels- und Geschäftsverbot unter Gefangenen, mag auch die auf Vermeidung subkulturellen Tauschhandels und vergleichbarer Tätigkeiten und hieraus entstehender Abhängigkeiten gerichtete Intention des Gesetzgebers bei Etablierung des Gesetzes hiervon mitbestimmt gewesen sein. Wie vor allem Art. 90 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 90 Abs. 1 Satz 3 BayStVollzG verdeutlicht, verpflichtet das Gesetz zwar den Gefangenen in den dort genannten Fällen dazu, die (vorherige) Zustimmung der Vollzugsbehörde einzuholen. Nachdem aber Gegenstand des Erlaubnisvorbehalts allein die tatsächliche Sachherrschaft des Gefangenen bleibt (vgl. Beck-OK/Arloth BayStVollzG [Stand: 15.02.2015] Art. 90 Rn. 2: „Der Zustimmungsvorbehalt begründet ein Besitzverbot bezüglicher aller Gegenstände, die dem Gefangenen nicht durch die Anstalt oder mit ihrer Zustimmung überlassen wurden, soweit nicht die Ausnahme des Satzes 2 eingreift“ und derselbe StVollzG 3. Aufl. [2011] § 83 Rn. 2), beschränkt es ihn nicht darin, rechtsgeschäftlich erhebliche und damit bindende (Willens-) Erklärungen abzugeben, gleichgültig, ob sich ihr (gering- oder hochwertiges) Bezugsobjekt innerhalb oder außerhalb der Anstalt befindet (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26.08.1990 – 1 Vollz (WS) 7/90 = NStZ 1991, 208; siehe auch schon OLG Koblenz, Beschluss vom 25.08.1988 – 2 Vollz [Ws] 43/88 [bei juris] = ZfStrVo 1989, 313 und OLG Frankfurt, Beschluss vom 12.02.1982 – 3 Ws 3/82 = NStZ 1982, 351; vgl. im gleichen Sinne Ver- rel in Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel StVollzG 12. Aufl. [2015] § 82 [Bund] M Rn. 18 ff., insbesondere Rn. 25 a.E.; AK-StVollzG/Feest/Köhne Aufl. [2012] § 83 Rn. 2 a.E. und Ullenbruch in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal StVollzG 6. Aufl. [2013] § 83 Rn. 2 und 4).“