Archiv für den Monat: September 2014

Immer wieder: Getürkter Unfall – hier eine Checkliste

entnommen wikimedia.org Author Harald Wolfgang Schmidt at de.wikipedia

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Unfallmanipulation kommt doch wohl häufiger vor, als man denkt. Jedenfalls spricht dafür m.E. die doch recht großen Zahl von (OLG-)Entscheidungen, die sich mit der Problematik befassen. Auch ich habe darüber ja schon häufiger berichtet (vgl. die u.a. Zusammenstellung). Nun hat mir eine Kollege erneut eine Entscheidung übersandt, die zu den mit der Unfallmanipulation zusammenhängenden Fragen Stellung nimmt und noch einmal die Indizien, die für eine Unfallmanipulation sprechen (können) zusammenstellt. Es ist das OLG Düsseldorf, Urt. v. 24.06.2014 – 1 U 122/13. Das OLG stellt, wie zuvor auch schon das LG (vgl. “Getürkter” Unfall auf der BAB: Abdrängen in die Leitplanke?) ab, auf:

  • Die Art des Unfalls = Indizien aus technischer Sicht, die für eine Einwilligung in den Unfallschaden anlässlich eines Unfalls bei einem Fahrstreifenwechsel auf einer BAB sprechen, nämlich
    • ein zu viel zu steiler Fahrstreifenwechsel, der atypisch ist,
    • das Ausweichen des Geschädigten in die Leitplanke, ohne dass dafür objektiv Anlass besteht  und
    • das Aufrechterhalten des Kontakts mit der Leitplanke ohne Ausweichmanöver über einen längeren Zeitraum.
  • das Fehlen von Zeugen,
  • ein Unfall zur Nachtzeit und
  • die fiktive Abrechnung eines lukrativen Seitenschadens.
  • Nicht erforderlich ist, ob eine konkrete Bekanntschaft der Beteiligten oder aber die Verwicklung in eine Vielzahl an anderen Unfällen nachzuweisen ist.

Nun, an der Checkliste kann man sich ja schon mal abarbeiten.

Ähnlich entschieden bzw. ähnliche Indizien findet man bei

Fahrstreifenwechsel – Unfall – i.d.R. volle Haftung

entnommen wikimedia.org Author Fotograf: Stefan Lampert

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Author Fotograf: Stefan Lampert

Folgendes Unfallgeschehen hatte das AG München im AG München, Urt. v. 01.10.2013 – 331 C 28375/12 – zu beurteilen:

„An dem Unfall beteiligt war der PKW des Klägers mit dem amtlichen Kennzeichen xxx zum Unfallzeitpunkt gefahren von dem Zeugen xxx sowie der bei der Beklagten haftpflichtversicherte kroatische Reisebus, welcher zum Unfallzeitpunkt von dem xxx gefahren wurde.

Unstreitig ist, dass das Klägerfahrzeug zunächst auf der linken Spur gefahren ist und dann, wegen der Verengung der xxxstraße von zwei auf eine Fahrspur, auf die rechte Fahrspur gefahren ist. Das Beklagtenfahrzeug befand sich unstreitig bereits auf der rechten Fahrspur. Hier kam es dann zur Kollision, indem das Beklagtenfahrzeug auf das Klägerfahrzeug auffuhr.“

Das AG kommt zu dem Ergebnis: Gegen den Fahrstreifenwechsel gilt der Anscheinsbeweis, dass er den Unfall verursacht hat. Er haftet daher grds. voll:

Bei der Kollision mit einem anderen Fahrzeug im örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem Fahrstreifenwechsel spricht der Anschein für eine Mißachtung der Sorgfaltspflicht nach § 7 Abs. 5 StVO (VGL Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Auflage, § 7 StVO, Rnr. 16). Gemäß § 7 Abs. 5 StVO verlangt jeder Fahrstreifenwechsel die Einhaltung äußerster Sorgfalt, so dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen ist. Er setzt ausreichende Rückschau voraus und ist rechtzeitig und deutlich durch Fahrtrichtungsanzeiger anzukündigen. Ereignet sich die Kollision zweier Fahrzeuge in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einem Fahrstreifenwechsel des vorausfahrenden Verkehrsteilnehmers, so spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, das dieser den Unfall unter Verstoß gegen die vorgenannten Pflichten verursacht und verschuldet hat, vgl. hierzu z.B. Landgericht Bielefeld, Urteil vom 15.05.2008, Az: 2 O 3/08.

Dass das Klägerfahrzeug im örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Kollision die Spur gewechselt hat, ist zwischen den Parteien unstreitig. Der Zeuge xxx selbst gab bei seiner Vernehmung in der mündlichen Verhandlung vom 01.10.2013 an, dass die linke Fahrspur geendet habe und er deswegen auf die rechte Fahrspur gewechselt sei.

Auch der örtliche und zeitliche Zusammenhang mit dem Spurwechsel ist vorliegend gewahrt. Der Zeuge xxx gab an, er sei ca. 10 bis 15 m auf der rechten Spur gefahren. Dies unterbricht den örtlichen und zeitlichen Zusammenhang nicht, vgl. hierzu OLG Bremen, Urteil vom 31.08.1988,3 0 66/88.

Gegen die Beklagtenseite spricht dagegen nicht der Anscheinsbeweis gegen den Auffahrenden. Bei Unfällen durch Auffahren spricht zwar der erste Anschein für ein Verschulden des Auffahrenden, vgl. hierzu BGH, Urteil vom 18.10.1988, Az: VI ZR 223/87.

Dieser erste Anschein wird nach allgemeinen Grundsätzen aber dann erschüttert, dass ein atypischer Verlauf, der die Verschuldensfrage in einem anderen Licht erscheinen lässt, von dem Auffahrenden dargelegt und bewiesen wird. Erforderlich ist hierfür der Nachweis, dass ein Fahrzeug vorausgefahren ist, welches erst unmittelbar vor dem Unfall die Fahrspur gewechselt hat und dadurch dem Nachfahrenden ein Ausweichen nicht mehr möglich war oder erheblich erschwert war, so BGH, Urteil vom 13.02.2011, VI ZR 177/10.“

Ich habe da mal eine Frage: Gibt es eine (Vernehmungs)Terminsgebühr für diese Hafttermine?

© AllebaziB - Fotolia.com

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Die Nr. 4102 VV RVG  ist durch das RVG 2004 eingeführt worden, aber so ganz richtig noch nicht bei den Gerichten, aber auch den Verteidigern, angekommen. Denn doch recht zahlreiche Fragen zu der Nr. 4102 VV RVG zeigen, dass wegen des Anfalls der Gebühr noch Klärungsbedarf besteht. So auch die Anfrage eines Kollegen, der die Nr. 4102 Nr. 3 VV RVG abrechnen möchte, sich aber nicht ganz sicher ist, ob er Erfolg haben wird. Und zwar bei folgendem Sachverhalt:

Der Kollege war dem Angeklagten in einem Verbundverfahren als Pflichtverteidiger beigeordnet. Er möchte nun für seine Teilnahme an im Ermittlungsverfahren stattgefundenen Vorführungsterminen vor dem AG die Nr. 4102 Nr. 3 VV RVG abrechnen. Und zwar:

  • Der eine Termin betraf die Vorführung des Angeklagten vor den Ermittlungsrichter nach vorläufiger Festnahme in einem später nachverbundenen Verfahren; der Ermittlungsrichter erließ im Termin einen Haftbefehl, nachdem sich der Beschuldigte zur Sache nicht eingelassen hatte.
  • In dem zweiten war dem Angeklagten in dem — später führenden — Verfahren der am Vortag gegen ihn erlassene Haftbefehl des AG verkündet worden, wobei der Angeklagte  ebenfalls keine Erklärung zur Sache abgegeben hatte.

Frage: Vernehmungsterminsgebühren ja oder nein, oder ggf. nur eine?

Klassischer Fehler XVI: die Krux mit der Bewährung

© J.J.Brown - Fotolia.com

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Zu Bewährungsfragen liest man in BGH-Entscheidungen nicht so häufig etwas. Meist geht es im Rahmen der Strafzumessung mehr um allgemeine Strafzumessungsfragen. Deshalb ist dann mal der BGH, Beschl. v. 10.07.2014 – 3 StR 232/14 – von Interesse, in dem der BGH ein Urteil des LG Schwerin insoweit aufgehoben hat, soweit die Aussetzung der Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung abgelehnt worden ist. Insoweit m.E. dann aber, da allgemeine – an sich allseits bekannte – Bewährungsfragen eine Rolle spielen, für eine Strafkammer ein klassischer Fehler. Das können z.T. Richter am AG besser.

Das LG hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Aussetzung der Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung hat das LG abgelehnt, da eine Strafaussetzung „im Hinblick darauf, dass der Angeklagte H. die Tat während einer laufenden Bewährung – und dies nicht aus einer Notlage heraus – begangen hat, nicht in Betracht“ komme. Das reichte dem BGH nicht:

„Diese Begründung genügt den rechtlichen Anforderungen nicht. § 56 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 StGB ermöglicht es dem Gericht, bei Vorliegen einer günstigen Sozialprognose und besonderer, in der Tat oder der Persönlichkeit des Angeklagten liegender Umstände auch die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren zur Bewährung auszusetzen. Dabei sind die Voraussetzungen des Abs.1 stets vorrangig zu prüfen. Dies gilt schon des-halb, weil zu den nach Abs. 2 zu berücksichtigenden Faktoren nicht allein, aber auch solche gehören, die schon für die Prognose nach Abs. 1 von Belang sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 28. August 2012 – 3 StR 305/12, StV 2013, 85).
Vorliegend lässt sich den Urteilsgründen schon nicht entnehmen, ob das Landgericht eine Strafaussetzung zur Bewährung mangels günstiger Sozialprognose nach § 56 Abs. 1 StGB oder aber wegen Fehlens besonderer Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB abgelehnt hat. Der Senat vermag des-halb nicht zu beurteilen, ob das Landgericht die geforderte Prüfungsreihenfolge eingehalten und unter Zugrundelegung des jeweils richtigen Maßstabes entschieden hat.

Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil auch. Der Umstand, dass der Angeklagte die abgeurteilte Tat wenige Tage vor Ablauf der Bewährungszeit, die eine nicht einschlägige Straftat betraf, begangen hat, steht einer günstigen Sozialprognose nicht ohne Weiteres entgegen. Die Tatbegehung während des Laufs einer Bewährungszeit schließt die erneute Strafaussetzung zur Bewährung nicht grundsätzlich aus (BGH, Urteil vom 10. November 2004 – 1 StR 339/04, NStZ-RR 2005, 38). Vielmehr ist bei der zu treffenden Prognoseentscheidung eine Gesamtwürdigung vorzunehmen, bei der namentlich die Persönlichkeit des Täters, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen sind, die von der Strafaussetzung für ihn zu erwarten sind (§ 56 Abs. 1 Satz 2 StGB; vgl. BGH, Beschluss vom 15. Mai 2001 – 4 StR 306/00, BGHSt 47, 32, 36). Dem Urteil kann indes nicht entnommen werden, ob das Landgericht nach der gebotenen Gesamtwürdigung aller wesentlichen negativen sowie positiven Prognosekriterien eine günstige Sozialprognose verneint hat.“

Der „Kampf-Fiffi“ oder: Anleinpflicht beim American Staffordshire Terrier-Mischling

entnommen wikimedia.org Uploaded by Tatanga 2006

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Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung ist jeder Hundehalter verpflichtet, seinen Hund zu überwachen und so abzusichern, dass Verletzungen oder sonstige Schädigungen Dritter verhindert werden. Denn – so die Rechtsprechung: Ein Hund stellt eine Gefahrenquelle dar, weil er in seinem Verhalten nicht vernunftgesteuert und im Allgemeinen unberechenbar ist. Das gilt insbesondere bei einem Kampfhund, bei ihm sind die Sorgfaltspflichten des Tierhalters verschärft. Darauf weist jetzt das OLG Karlsruhe im OLG Karlsruhe, Beschl. v. 02.07.2014 – 2 Ss 318/14 AK 97/14 – betreffend einen American Staffordshire Terrier-Mischling hin:

„Handelt es sich um einen Kampfhund, werden die Sorgfaltspflichten des Tierhalters durch § 4 der Polizeiverordnung des Innenministeriums und des Ministeriums Ländlicher Raum über das Halten gefährlicher Hunde vom 03. August 2000 (PolVOgH) konkretisiert. Während die Pflichten des Tierhalters lediglich beim besonders gefahrenträchtigen Führen eines solchen Hundes außerhalb des befriedeten Besitztums in § 4 Abs. 2 bis 5 PolVOgH im Einzelnen geregelt sind, statuiert § 4 Abs. 1 PolVOgH im Übrigen, dass diese Tiere so zu halten und zu beaufsichtigen sind, dass von ihnen keine Gefahr für Menschen, Tiere oder Sachen ausgehen kann. Für die Beurteilung des Falles spielt dabei weiter eine Rolle, dass bei Kampfhunden aufgrund ihrer rassespezifischen Merkmale eine gesteigerte Aggressivität und Gefährlichkeit vermutet wird, diese Vermutung jedoch durch eine Verhaltensprüfung widerlegt werden kann (§ 1 Abs. 1 und 2 PolVOgH).

bb. Nachdem der Angeklagte eine Verhaltensprüfung des Hundes nicht vorgenommen hatte, musste der Angeklagte danach allein aufgrund der rassespezifischen Gefährlichkeit des Hundes damit rechnen, dass dieser auch ohne vorherige Warnzeichen Menschen anfallen könnte und dagegen Vorkehrungen treffen. Gerade beim Zusammentreffen mit Kindern, bei denen aufgrund ihrer altersbedingten Unerfahrenheit mit nicht sachgerechtem Umgang mit Hunden zu rechnen ist, war erhöhte Vorsicht geboten. Der Angeklagte wäre deshalb gehalten gewesen, den Hund in Anwesenheit des Kindes entweder anzuleinen oder ihn während des Besuchs des Kindes in einem anderen Raum einzusperren, um jegliche Gefährdung des Kindes durch den Hund auszuschließen. Die Missachtung dieser Sorgfaltspflichten, die vorhersehbar – wie geschehen – zu durch den Hund verursachten Verletzungen führen konnte, begründet den Vorwurf fahrlässigen Handelns, wobei dem Angeklagten auch die nachfolgende Verletzung des um den Schutz seiner Tochter bemühten Vaters zuzurechnen ist.“