Archiv für den Monat: Juli 2014

„Darf es etwas mehr sein?“ oder: Die Fahrtenbuchauflage beim Motorradfahrer

entnommen wikimedia.org BackeDL - Own work

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Wer kennt sie nicht vom Einkauf, die Frage: Darf es etwas mehr sein. Sie passt ganz gut zu dem OVG Lüneburg, Urt. v. 08.07.2014 – 12 LB 76/14 -, das eine bislang in der obergerichtlichen Rechtsprechung noch nicht behandelte Frage zum Gegenstand hat. Nämlich die, ob bei Motorrädern aufgrund der regelmäßig zeitlich eingeschränkten Nutzung eines Motorrads im Verhältnis zu einem Pkw eine Verlängerung der Fahrtenbuchauflage zulässig ist oder nicht. Der im Verfahren beklagte Landkreis Stade verhängt(e) nämlich für Motorräder in der Regel eine im Vergleich zu Pkw um drei bis sechs Monate länger wirkende Fahrtenbuchauflage. Das OVG hat das „abgesegnet“, und zwar wie folgt:

„Der Beklagte hat zur Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung von Motorrädern im Verhältnis zu Pkw auf die Besonderheiten der Motorradhaltung verwiesen, die darin lägen, dass Motorräder anders als Pkw in der Regel von den jeweiligen Haltern nicht ganzjährig genutzt würden, sondern eine Nutzung in den Wintermonaten regelmäßig unterbleibe oder nur eingeschränkt erfolge. Dies ist nicht zu beanstanden.

Am 1. Januar 2013 – wie auch sonst – verfügte fast ein Drittel aller zugelassenen Krafträder über ein Saisonkennzeichen, vorzugsweise für den Zeitraum April bis Oktober (vgl. http://www.kba.de/DE/Statistik/Fahrzeuge/Bestand/Saisonkennzeichen/2013_b_saison_kurzbericht.html?nn=645902) mit der Folge, dass sie nur in einem begrenzten Zeitraum des Jahres überhaupt genutzt werden können. Dazu kommen die Motorräder, die jedes Jahr – wie im Fall des Klägers – im Winter abgemeldet werden. Ob und in welchem Umfang die übrigen – dauerhaft angemeldeten – Motorräder während der Wintermonate gefahren werden können, hängt von den jeweiligen Witterungsbedingungen ab. Typisierend ist jedoch davon auszugehen, dass eine Nutzung auch dieser Motorräder in der Regel im Winter nicht oder jedenfalls nur deutlich eingeschränkt stattfindet. Vor diesem Hintergrund geht die an den Halter eines Motorrads gerichtete Auflage, für sein Fahrzeug etwa ab Oktober sechs Monate ein Fahrtenbuch zu führen, u. U. ins Leere, wenn das Fahrzeug in diesem Zeitraum gar nicht oder nur zum Teil betrieben wird.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Beschl. v. 17.5.1995 – 11 C 12.94 -, BVerwGE 98, 227), der der Senat in ständiger Rechtsprechung folgt, ist aber eine nur sechsmonatige Verpflichtung als im unteren Bereich der für eine effektive Kontrolle der Fahrzeugbenutzung erforderlichen Dauer angesiedelt. In den genannten Fällen wird mithin ggf. schon der untere Bereich der für die effektive Kontrolle erforderlichen Dauer von sechs Monaten nicht erreicht. Darin liegt ein wesentlicher, die Differenzierung rechtfertigender Unterschied im Verhältnis zu Pkw, die in aller Regel ganzjährig und gleichmäßig genutzt werden. Angesichts dessen liegt ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung von Motorrädern im Verhältnis zu Pkw vor und ist es nicht ermessensfehlerhaft, den Zeitraum, in dem das Fahrtenbuch geführt werden soll, bei Motorrädern in der Regel typisierend zu verlängern. Ist – wie vorliegend – für Pkw in der Regel ein Zeitraum vorgesehen, der über den für die effektive Kontrolle sachgerechten Zeitraum von sechs Monaten hinausgeht (hier: 12 Monate bei einem mit drei Punkten zu ahndenden Verstoß), ist eine (wie hier maßvolle) Verlängerung der Dauer rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden, wenn diese das Ziel verfolgt, die Zeiten der Abmeldung zu kompensieren.“

Da das OVG die Revision zugelassen hat, können wir uns auf eine Entscheidung des BVerwG freuen.

(Kein) Kuscheln mit dem Gegenverkehr – Mithaftung?

entnommen wikimedia.org Author Fotograf: Stefan Lampert

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„Kein Kuscheln mit dem Gegenverkehr“?, nun juristisch sauberer wäre der Titel: „Auch auf nicht so breiten Straßen Rechtsfahrgebot beachten“ gewesen; der ist aber (zu) lang 🙂 . Jedenfalls ist das das Fazit aus dem OLG München, Urt. v. 11.04.2014 – 10 U 4173/13 –, das sagt: Auch wenn die Straße breit genug ist oder erscheint, muss möglichst weit rechts gefahren werden. Und wer gegen das Rechtsfahrgebot verstößt, trägt bei einem Unfall mit Streifschaden eine Mitschuld, und zwar selbst dann, wenn das andere entgegenkommende Fahrzeug in den Gegenverkehr hinragte. Aus dem Beschluss:

„Die von den Unfallbeteiligten in jeweiliger Gegenrichtung genutzte Kreisstraße PAN … misst bis zur weißen Linie eine Breite von 4,65 m. Eine Mittellinie ist nicht eingezeichnet. Wie der Sachverständige Dipl.-Ing. Christoph M. in seinem Gutachten vom 29.04.2013 (Bl. 47/71 d. A.) – von den Parteien nicht angegriffen – herausgearbeitet hat, befand sich der beklagtische Pkw im Moment der Kollision vollständig innerhalb seiner Fahrspur. Der klägerische Pkw befand sich demgegenüber mit dem Fahrzeugheck 25 bis 30 cm in der Gegenfahrspur. Zu berücksichtigen ist weiter, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs, der Zeuge V., aber auch der Zeuge H., Beifahrer im klägerischen Fahrzeug, übereinstimmend angegeben haben, dass der Zeuge V. vor der Kollision noch nach rechts ausgewichen ist. Damit muss sich der klägerische Pkw unmittelbar vor der Kollision noch weiter innerhalb der Gegenfahrspur befunden haben, wobei nicht exakt festgestellt werden konnte, wie viel Zentimeter genau die Überschreitung der Fahrbahnmitte betragen hat…..

b) Ohne Zweifel sind bei einer Fallgestaltung wie der vorliegenden aber die einander entgegenkommenden Verkehrsteilnehmer gemäß § 3 Abs. 1 Satz 5 StVO zum Fahren auf „halbe Sicht“ verpflichtet (vgl. BGH NJW 1996, 3003, 3004; OLG Schleswig NZV 1991, 431, 432).

Die Landstraße hat im Unfallbereich im Schnitt eine Breite von 4,65 m, die einen Begegnungsverkehr unter Kfz von normaler Breite, d. h. regelmäßig bis zu 2,50 m (§§ 22 Abs. 2 Satz 1 StVO; 32 Abs. 1 Nr. 1 a StVZO), nur unter ganz besonderen Umständen noch erlaubt, wenn nämlich die Fahrzeuge unter Einhaltung des noch möglichen Sicherheitsabstandes zur Fahrbahnmitte auf ihrer Fahrbahnhälfte mit sehr niedriger Geschwindigkeit und stets bremsbereit fahren. Der Beklagte zu 1) musste demnach davon ausgehen, dass ihm Fahrzeuge, besonders solche unter 2 m Breite, entgegenkommen konnten. Nach § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO gilt das nämlich schon dann, wenn entgegenkommende Fahrzeuge gefährdet werden könnten. Auch wer mit seinem schmaleren Gefährt selbst die Fahrbahnhälfte nicht überschreitet, muss deshalb auf „halbe Sicht“ fahren, wenn für den Gegenverkehr unter Berücksichtigung von Sicherheitsabständen zwischen den Fahrzeugen und zum Fahrbahnrand kein ausreichender Raum verbleibt (vgl. Mayr, in: Kraftverkehrsrecht von A-Z, „Geschwindigkeit“, Anm. II 2 b S. 10). Mit dem Entgegenkommen jedenfalls bis zu 2,50 m breiter Fahrzeuge musste der Beklagte zu 1) jederzeit rechnen. Da die halbe Fahrbahnbreite im Unfallbereich nur 2,32 m betrug (unter voller Einbeziehung der Asphaltierung der Straße), musste er desweiteren stets damit rechnen, dass ihm Pkw entgegenkommen, die höchstens in einem Abstand von 0,15 m zur gedachten Mittellinie fuhren. Sein eigenes Gefährt hatte eine Breite von 1,74 m. Das bedeutet, dass bei Begegnungsverkehr mit breiten Fahrzeugen (2,50 m) ein hinreichender Sicherheitsabstand zwischen den sich begegnenden Fahrzeugen allenfalls dann noch gewährleistet war, wenn beide Fahrzeuge jeweils auf der äußersten rechten asphaltierten Fahrbahnkante gesteuert wurden. Dann war aber, wie der Sachverständige überzeugend ausgeführt hat, bei einer eigenen Geschwindigkeit von 81 km/h eine gefahrlose Begegnung nicht mehr sichergestellt.

Da der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs, der Zeuge V., unstreitig unmittelbar vor der Kollision sein Fahrzeug noch nach rechts gelenkt hat, aber nicht geklärt werden konnte, wie viel weiter er ursprünglich rechts gefahren ist, war für den Beklagten in der unmittelbaren Annäherungsphase nicht erkennbar, dass er durch ein Fahren noch weiter rechts den Unfall hätte vermeiden können. Durch das Sachverständigengutachten konnte jedoch geklärt werden, dass er bei einem Fahren auf „halbe Sicht“ mit maximal 58 km/h rechtzeitig hätte anhalten können.

c) Der Senat hält damit im Hinblick auf die wechselseitigen Verursachungsbeiträge eine Haftungsverteilung von 70 zu Lasten des Klägers und 30 zu Lasten der Beklagtenpartei für sachgerecht.“

„Ich bremse auch für Tiere“ – Aber Vorsicht damit bei kleinen Tieren!

entnommen wikimedia.org Urheber Ray eye

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Mit dem Satz: „Ich bremse auch für Tiere“ – muss man bei kleineren Tieren vorsichtig sein. Das musste sich vor kurzem ein Kraftfahrerin vom AG München im AG München, Urt. v. 25.02.2014 – 331 C 16026/13 – sagen lassen (vgl. auch hier). Die hatte wegen eines Eichhörnchesn gebremst, wodurch es zu einem Auffahrunfall gekommen war.

Beim AG ging es dann um die Frage: Vollbremsung oder „normale“ Bremsung und die Haftungverteilung. Das AG München hat bei dem auffahrenden Nachfolger den größten Haftungsteil gesehen, nämlich 75 %. Die bremsende „Eichhörnchenretterin“ ist aber auch nicht ungeschoren – wie offenbar aber das Eichhörnchen – davon gekommen. Bei ihr hat das AG einen 25-igen Haftungsanteil gesehen.  Denn ohne dessen Bremsen zu Gunsten des Eichhörnchens hätte sich der Unfall nicht ereignet. Der Unfall zu vermeiden gewesen, selbst wenn dies zulasten des Eichhörnchens gegangen wäre.

Tierschützer werden es nicht gern lesen, ist aber nun mal leider so h.M. in der Rechtsprechung. Und wenn man die beteiligten Rechtsgüter sieht, m.E. auch nachvollziehbar.

Ich habe da mal eine Frage: Sind zwei Hauptverhandlungsgebühren entstanden?

© AllebaziB - Fotolia.com

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Vor einiger Zeit hat ein Verteidiger, der als Pflichtverteidiger tätig war, folgende Frage an mich gestellt: Es findet beim AG eine Hauptverhandlung statt, die „ausgesetzt“ wird. Es wird neuer Termin bestimmt, allerdings auf denselben Tag, nur einige Zeit später. Der Verteidiger, der an der Hauptverhandlung teil genommen hat, fragt sich jetzt: Kann ich jetzt zwei Hauptverhandlungsgebühren als gesetzliche Gebühren abrechnen oder doch nur eine?

Antworten werden gern entgegen genommen. Ist an sich nicht schwer 🙂 .

Sexueller Missbrauch u.a.: Löschung von Dateien geht vor Einziehung des Laptops

laptop-2Fragen der Einziehung/des Verfalls spielen in der Rechtsprechung zunehmend eine Rolle, was man auch an der m.E. doch recht großen Zahl von BGH-Entscheidungen sieht, die sich mit der Problematik befassen. Es kommt auch doch recht häufig allein deshalb zur Aufhebung durch den BGH, weil bei Einziehung und/oder Verfall (Rechts)Fehler gemacht worden sind. Ein Beispiel dafür ist der BGH, Beschl. v. 18.06.2014 – 4 StR 128/14, den mir der Kollege, der ihn erstritten hat, schon vor der Einstellung auf der HP des BGH zugesandt hatte (da war der BGH aber schneller). Da hatte die Strafkammer den Angeklagten u.a. wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen (§ 201a StGB) verurteilt. Ferner hatte es die Einziehung verschiedener Gegenstände angeordnet, unter denen sich auch ein Laptop Acer „Aspire 5315“ befand. Die Revision hatte dann im Hinblick auf die Einziehungsentscheidung Erfolg.

2. Jedoch kann die Anordnung über die Einziehung des Laptops Acer „Aspire 5315“ nicht bestehen bleiben.

a) Das Landgericht hat zwar im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend angenommen, dass der Laptop als Einziehungsgegenstand in Betracht kommt, weil der Angeklagte ihn zur Speicherung der von ihm angefertigten Videoaufzeichnungen benutzt hat. Auch dass es die Einziehung nicht auf § 201a Abs. 4 Satz 1 StGB gestützt hat, macht die Anordnung für sich genommen noch nicht durchgreifend rechtsfehlerhaft. Denn durch diese Bestimmung werden die all-gemeinen Voraussetzungen der Einziehung für Straftaten nach § 201a StGB lediglich erweitert (vgl. § 74 Abs. 4 StGB; dazu MüKoStGB/Joecks, 2. Aufl., § 74 Rn. 52). Nach den Feststellungen waren im vorliegenden Fall auch die Voraussetzungen des § 74 Abs. 1 StGB gegeben.

b) Das Landgericht hat jedoch die für alle Fälle der obligatorischen oder fakultativen Einziehung geltende Bestimmung des § 74b Abs. 2 StGB (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 28. November 2008 – 2 StR 501/08, BGHSt 53, 69, 71; OLG Schleswig, Beschluss vom 15. März 1988 – 1 Ss 85/88, StV 1989, 156;  Altenhain in Matt/Renzikowski, StGB, § 74b Rn. 5) übersehen und daher nicht erkennbar geprüft, ob unter Anordnung des Vorbehalts der Einziehung eine weniger einschneidende Maßnahme zu treffen war, sofern der Zweck der Einziehung auch dadurch erreicht werden konnte. Als Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit hat die Vorschrift – anders als die Absätze 1 und 3 dieser Norm – zwingenden Charakter (Senatsbeschluss vom 28. August 2012 – 4 StR 278/12, BGHR StGB § 74b Abs. 2 Einziehung 1 mwN).

Da eine Rückgabe des Laptops mit den betreffenden Videodateien an den Angeklagten nicht in Betracht kommt, hätte hier geprüft werden müssen, welche Dateien auf der Festplatte des Laptops im Einzelnen die Videoaufnahmen enthalten und ob deren Löschung technisch möglich ist. Stünde damit ein milderes geeignetes Mittel als die sonst gebotene (vorbehaltlose) Einziehung zur Verfügung, ist letztere vorzubehalten und eine entsprechende Anordnung zu treffen; es ist dann Sache des Verurteilten, ob er die Anordnung befolgt und dadurch die Einziehung abwendet oder nicht. Ein Ermessen, etwa hinsichtlich der anfallenden Kosten für die Löschung im Verhältnis zum Wert des Computers, ist dem Tatrichter bei dieser Entscheidung schon nach dem Gesetzeswortlaut nicht eröffnet (Senatsbeschluss aaO). Diese Prüfung wird nunmehr nachzuholen sein.“

Eigentlich auch ein Klassiker…(vgl. auch Sichverschaffen/Besitz kinderpornografischer Schriften – eingezogen wird nur die Festplatte!!!!)