Archiv für den Monat: Dezember 2013

Den „Messerblock“ hätte der Angeklagte bei seinem Raubzug besser stehen lassen…

entnommen wikimedia.org  Rene Ehrhardt from Reading, United Kingdom

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Rene Ehrhardt from Reading, United Kingdom

Folgender Sachverhalt:

Der Angeklagte und der Mitangeklagte begaben sich am Tattag gemeinsam zur Wohnung des Nebenklägers, um diesem – über einen Geldbetrag hinaus, den er dem Angeklagten schuldete – unter Anwendung von Gewalt weitere Wertgegenstände abzunehmen. Wie zuvor zwischen den Angeklagten ebenfalls verabredet, drängte der Angeklagte S. den Nebenkläger in die Wohnung, schlug ihn mehrfach ins Gesicht und würgte ihn, sodass dessen Zungenbein brach. Entsprechend dem gemeinsamen Tatplan bewachte sodann der Mitangeklagte den Nebenkläger, während der Angeklagte die Wohnung nach Wertgegenständen durchsuchte. Danach nahm der Angeklagte S. Bargeld und Gegenstände des Nebenklägers – unter anderem einen Messerblock mit fünf Messern – an sich, um diese zu behalten oder zu verwerten…“

Das LG hat (nur) wegen einfachen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gemäß § 249 Abs. 1, §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 4, § 52 StGB verurteilt. Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision und hat Erfolg. Der BGH, Urt. v. 17.10.2013 –  3 StR 263/13 – hebt auf:

Während der Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung nicht zu beanstanden ist, ist die rechtliche Einordnung der Tat als (einfacher) Raub rechtsfehlerhaft. Nach den bisherigen Feststellungen hat sich der Angeklagte vielmehr insoweit – tateinheitlich zur gefährlichen Körperverletzung – des schweren Raubes gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB schuldig gemacht, indem er den mit fünf Messern bestückten Messerblock des Nebenklägers an sich nahm und somit diese Messer, die ersichtlich objektiv gefährliche Werkzeuge im Sinne der Vorschrift waren, mit sich führte. Für die Erfüllung dieses Tatbestandes ist es nicht erforderlich, dass sich der Täter mit einem der dort bezeichneten Gegenstände zum Tatort begibt. Vielmehr genügt es, dass er einen solchen zu irgendeinem Zeitpunkt während der Tatausführung bei sich führt. Ausreichend ist daher auch, dass sich der Täter – wie hier – erst während der Tat und aus der Tatbeute mit einem solchen Werkzeug versieht (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juni 1985 – 2 StR 125/85, NStZ 1985, 547 mwN; OLG Frankfurt, Beschluss vom 8. August 2006 – 1 Ss 177/06, StraFo 2006, 467 f.; MüKoStGB/Sander, 2. Aufl., § 250 Rn. 33).

Tja, weniger ist manchmal mehr, bzw.: Den Messerblock hätte der Angeklagte besser stehen lassen.

Kann man schon mal vergessen – die Vereidigung des Dolmetschers

entnommen wikimedia.org Quelle Gemeindeamt Mönchhof

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§ 189 GVG schreibt vor, dass ein zur Hauptverhandlung zugezogener Dolmetscher den sog. Dolmetschereid leisten oder sich, wenn er allgemein vereidigt ist, auf den bereits geleisteten Eid berufen muss. Das hatte das LG Halle in einem bei ihm anhängigen Verfahren übersehen und dafür prompt im BGH, Beschl. v. 08.10.2013 – 4 StR 273/13 die Aufhebung durch den BGH „kassiert“:

a) Die Rüge ist zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts handelt es sich nicht lediglich  um eine unzulässige Protokollrüge (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juni 2011 – 4 StR 111/11, StraFo 2011, 317; Urteil vom 20. April 2006 – 4 StR 604/05, NStZ-RR 2007, 52, 53). Dem Revisionsvorbringen ist vielmehr die bestimmte Behauptung zu entnehmen, dass die von der Strafkammer zur Verständigung mit dem der deutschen Sprache nicht mächtigen Angeklagten beigezogene Dolmetscherin in der Hauptverhandlung weder vereidigt worden sei noch sich auf einen allgemein geleisteten Eid berufen habe.

b) Die Verfahrensbeanstandung ist auch begründet.

Nach der Vorschrift des § 189 GVG muss ein für die Hauptverhandlung beigezogener Dolmetscher den Dolmetschereid leisten (§ 189 Abs. 1 GVG) oder, sofern er für Übertragungen der betreffenden Art in einem Land nach den landesrechtlichen Vorschriften allgemein beeidigt ist, sich auf den geleisteten Eid berufen (§ 189 Abs. 2 GVG). Hierbei handelt es sich um eine für die Haupt-verhandlung vorgeschriebene Förmlichkeit, deren Beachtung nach § 274 StPO nur durch das Protokoll bewiesen werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 10. März 2005 – 4 StR 3/05, BGHR GVG § 189 Beeidigung 4). Da die Sitzungsniederschrift keinen Hinweis auf eine eidliche Bekräftigung der Übertragung durch die in der Hauptverhandlung zur Verständigung mit dem Angeklagten beigezogene Dolmetscherin enthält, steht deren Fehlen für das Revisionsverfahren fest.“

Bei der entsprechenden Rüge muss man als Verteidiger immer aufpassen, dass nicht nur eine (unzulässige) Protokollrüge erhoben wird, sich also das Vorbringen in der Revisionsbegründung nicht nur darin erschöpf, dass „ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung vom…. der Dolmetscher nicht vereidigt worden ist“.

„Pflichti 6“: Fairness im Strafverfahren – gibt es erst beim OLG

© M. Schuppich - Fotolia.com

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Die Frage der Beiordnung eines Pflichtverteidigers hat in der Praxis im Revisionsverfahren erhebliche Bedeutung. Die Rechtsprechung der OLG ist hier verhältnismäßig streng und verweist den Angeklagten meist darauf, dass er seine Revision ja zu Protokoll des Urkundsbeamten begründen könne und damit genügend Unterstützung habe. Wenn man allerdings den OLG Braunschweig, Beschl. v. 20.11.2013 – 1 Ws 366/13 – liest, fragt man sich, ob da nicht dem Angeklagten Steine statt Brot gegeben werden. Denn: In der Sache ist  so ziemlich alles schief gelaufen, was nur schief laufen konnte. Im Einzelnen::

  • Die (nicht verteidigte) Angeklagte legt gegen das sie verurteilende Urteil Revision zu Protokoll der Geschäftsstelle ein und beantragt zugleich die Bewilligung von „Prozesskostenhilfe“.
  • Die zuständige Rechtspflegerin weist die Angeklagte dann nicht, was m.E. aber nahe liegen musste, nicht darauf hin, dass Angeklagten im Strafverfahren keine Prozesskostenhilfe bewilligt werden kann, sondern gibt ihr einen Vordruck für die Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen (vielleicht sollte man der Rechtspflegerin einen Pflichtverteidiger beiordnen?).
  • Die Angeklagte begründet die Revision nicht.
  • Das zuständige LG entscheidet bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist auch nicht über das „Prozesskostenhilfegesuch“.
  • Das LG verwirft dann aber die Revision wegen fehlender Revisionsbegründung und lehnt das „Prozesskostenhilfegesuch“ ab, weil Angeklagten im Strafverfahren keine Prozesskostenhilfe bewilligt werden könne.
  • Die Angeklagte stellt einen „Antrag auf Überprüfung des Verwerfungsbeschlusses“.
  • Die Generalstaatsanwaltschaft fasst den Antrag als einen auf Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 346 Abs. 2 S. 1 StPO) auf, beantragt aber – ich verkneife mir das das: natürlich – ihn als unbegründet zu verwerfen.

Das OLG Braunschweig richtet es dann und ordnet wegen der Schwierigkeit der Sach-/Rechtslage einen Pflichtverteidiger bei. So weit so gut. M.E. hätte das OLG aber auch Farbe bekennen können/sollen und die von ihm offen gelassene Frage: Ob die Angeklagte im konkreten Fall schon deshalb nicht mehr an die Urkundsbeamtin verwiesen werden kann, nachdem sie von dieser nicht darüber belehrt worden ist, dass der Strafprozessordnung für Angeklagte das Rechtsinstitut der Prozesskostenhilfe fremd ist, kann dahin stehen.“ entscheiden sollen, und zwar m.E. mit einem kurzen: Nein. Denn was ist von einer Unterstützung zu halten, wenn die unverteidigte/unerfahrene Angeklagte nicht nur noch nicht einmal darüber aufgeklärt wird, dass es die von ihr beantragte PKH in diesem Verfahren nicht gibt, sondern der Irrtum der Angeklagten noch verstärkt wird, in dem ihr die Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen im PKH-Verfahren übergeben wird.

Man fragt sich allerdings auch, wie man das Verhalten der Kammer des LG bewerten soll, in der offenbar niemand auf die Idee gekommen ist, dass man den „Prozeßkostenhilfeantrag“ der Angeklagten auch auslegen könnte. Ok, die Revision aus formellen Gründen zu verwerfen, ist auch einfacher.

Rockerkluft/Kutte in der JVA?

entnommen Wikimedia.org originally posted to Flickr as Metal kutte

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Der Verurteilte sitzt in der JVA Hagen ein. Er ist offenbar Mitglied einer Rockergruppe bzw. sympathisiert mit einer solchen. Zunächst war ihm das Tragen von Kleidung mit Symbolen oder Aufdrucken, welche die Zugehörigkeit zu einer Rockergruppe erkennen lässt, gestattet. Als er jedoch im Vollzug einen anonymen Drohbrief erhielt, hat der Leiter der JVA allen Gefangenen und Besuchern das Tragen von solcher Kleidung untersagt. Das dagegen gerichtete Rechtsmittel hatte beim OLG Hamm keinen Erfolg. Der OLG Hamm, Beschl. v. 29.01.2013 – 1 Vollz (Ws) 659/12 – ist also schon etwas älter – führt dazu aus:

„Nach § 20 Abs. 1 StVollzG ist der Grundsatz, dass der Gefangene Anstaltskleidung zu tragen hat. § 20 Abs. 2 S. 2 StVollzG gibt dem Anstaltsleiter lediglich die Möglichkeit, zu gestatten, Privatkleidung zu tragen, sofern der Gefangene für Reinigung, Instandsetzung und regelmäßigen Wechsel auf eigene Kosten sorgt. Bei § 20 StVollzG handelt es sich um ein allgemeines Gesetz i.S.v. Art. 5 Abs. 2 GG.

Bei der Entscheidung nach § 20 Abs. 2 S. 2 StVollzG handelt es sich um eine Ermessensentscheidung (vgl. BT-Drs. 7/918 S. 56), die nur im Rahmen des § 115 Abs. 5 StVollzG gerichtlich überprüfbar ist. Das Gericht prüft daher lediglich nach,

ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen nicht oder nicht in einer nicht dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde (vgl. Arloth, StVollzG, 3. Aufl. § 115 Rdn. 13 m.w.N.).

Derartige Ermessensfehler sind hier nicht gegeben. Die Grenzen des Ermessens sind ersichtlich eingehalten, denn das Gesetz sieht eine große Bandbreite von der weitgehenden Genehmigung des Tragens von Privatkleidung bis zum gesetzlichen Regelfall ihres völligen Ausschlusses vor. Hintergrund der Vorschrift sind Sicherheitserwägungen (Arloth a.a.O. § 20 Rdn. 1; vgl. auch: BT-Drs. 7/918 S. 56). Dem Zweck der Ermächtigung hat die Justizvollzugsanstalt dementsprechend Rechnung getragen, wenn sie das Verbot der Ermächtigung mit der Vermeidung von Konflikten rivalisierender Gruppen begründet. Dass es noch zu keinen Zwischenfällen in der Justizvollzugsanstalt gekommen ist, steht dem nicht entgegen. Angesichts der allgemein bekannten gewalttätigen Rivalitäten bestehender Rockergruppen ist es durchaus nicht fernliegend, dass sich diese auch innerhalb des Strafvollzuges entfalten, wenn Angehörige verschiedener Gruppen als solche offen erkennbar aufeinander treffen. Dass es bisher noch nicht zu entsprechenden Auseinandersetzungen gekommen ist, besagt noch nicht, dass eine solche Gefahr nicht bestünde. Der Leiter der Justizvollzugsanstalt kommt mit einer entsprechenden Einschränkung des Rechts zum Tragen von Privatkleidung letztlich nur seinem Auftrag nach, schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges entgegenzuwirken (§ 3 Abs. 2 StVollzG), indem er etwaigen körperlichen Übergriffen, die durch die erkennbare Gruppenzugehörigkeit provoziert werden könnten, entgegenwirkt. Der Leiter der Justizvollzugsanstalt hat sein Ermessen auch ausgeübt, indem er nicht etwa Privatkleidung generell verboten hat und damit zum gesetzlichen Regelfall übergegangen wäre, sondern eben die Erlaubnis zum Tragen von Privatkleidung nur partiell eingeschränkt hat. Damit hat er insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen.

Der Betroffene kann sich auch nicht erfolgreich auf einen Vertrauensschutz berufen (etwa weil er nach der Bedrohungssituation noch geraume Zeit die inkriminierten Symbole auf seiner Kleidung hat tragen dürfen).

………..“

Das LG Aurich kann es auch nicht, oder: Auricher Ping-Pong

© J.J.Brown - Fotolia.com

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Ich hatte länger überlegt, welche Überschrift ich für dieses Posting wählen soll, da m.E. mehrere zur Auswahl standen – anfangen von“Quatsch vom LG Aurich“ bis eben hin zu: „Das LG Aurich kann es auch nicht..“, wofür ich mich dann letztlich entschieden habe. Es geht um eine gebührenrechtliche Porblematik, über die ich hier schon mehrfach berichtet habe, und zwar um die Frage: Wer muss wann über einen Erstreckungsantrag (§ 48 Abs. 6 Satz 3 RVG) entscheiden, wenn der Rechtsanwalt in mehreren eigenständigen Verfahren, die von der Staatsanwaltschaft geführt und dann vor Anklageerhebung verbunden worden sind, über die Erstreckung entscheiden, wenn der Verteidiger dann von Gericht als Pflichtverteidiger beigeordnet wird. Daran hatte sich bereits das AG Aurich versucht (vgl. dazu So geht es m.E. nicht, verehrte Frau Kollegin…)  und war in meinen Augen mit dem AG Aurich, Beschl. v. 21.10.2013 – 5 Ls 210 Js 8603/12 (27/13) – gescheitert, als es die nachträgliche Erstreckung abgelehnt hatte. Dagegen hatte der Verteidiger Beschwerde eingelegt, über die nun das LG Aurich entschieden hat.

M.E. ist die Strafkammer genauso gescheitert, denn der LG Aurich, Beschl. v. 25.11.2013 –  13 Qs 35/13 – ist in meinen Augen schlicht falsch, wenn es dort „zur Begründung“ einfach heißt: „Über den Erstreckungsantrag ist erst im Gebührenfestsetzungsverfahren zu entscheiden.“ Damit passiert nämlich genau das, was nicht passieren darf: Es setzt ein Ping-Pong ein. Liebe Kammer, wer soll denn bitte schön über den Erstreckungsantrag entscheiden? Etwa der Rechtspfleger? Das kann doch nicht richtig sein, da es um die grundsätzliche Frage geht, ob überhaupt ein Grund für die beantragte Festsetzung vorliegt. Wir befinden uns also noch auf der Ebene des „Ob-überhaupt-Gebühren?“ und nicht bereits auf der Ebene „Welche und wie hoch?“ Über das „Ob“ entscheidet aber nicht der Rechtspfleger, sondern eine gerichtliche Kostengrundentscheidung, die er umsetzen muss. Daran hätte die Kammer vielleicht mal einen Satz verschwenden und denken sollen. Ihre o.a. „Begründung“ ist keine, sondern nichts anderes als eine (falsche) Behauptung, da der Rechtspfleger zur Entscheidung der Frage: Hätte erstreckt werden müssen?, gar nicht zuständig ist.

Im Übrigen: Vorbei drücken können sich AG und LG an der Entscheidung über die Erstreckung letztlich nicht. Denn nun muss der Rechtspfleger entscheiden, soll das Ganze nicht zu einer „Auricher Farce“ werden. Lehnt er ab, kann der Verteidiger dagegen in Erinnerung und Beschwerde gehen, über die dann – man ist erstaunt, oder doch nicht? – AG und LG entscheiden. Also doch „Auricher Ping-Pong“?