Archiv für den Monat: August 2013

Andere Länder – andere Sitten: Haftstrafe auf (Teil)Bewährung für Datenklau in einer Schweizer Privatbank

Hier bei LTO, aber auch an anderer Stelle, wird über den Ausgang eines Strafverfahrens in der Schweiz berichtet, in der ein  geständiger Deutscher für „Datenklau“ in der Schweiz zu einer Gefängnisstrafe von drei Jahren verurteilt worden ist, wovon ein zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Es handelt sich um einen 54-Jährige IT-Techniker, der am gestrigen Donnerstag vom Schweizer Bundesstrafgericht in Bellinzona der Wirtschaftsspionage, der Verletzung des Bank- und Geschäftsgeheimnisses sowie der Geldwäscherei für schuldig befunden worden ist. Der Mann hatte laut Anklage rund 2700 Datensätze deutscher Kunden bei der Zürcher Privatbank Julius Bär gestohlen und für 1,1 Millionen Euro an den deutschen Fiskus verkauft. Er war 2012 aufgeflogen und im Juni 2013 vor dem Bundesstrafgericht angeklagt worden.

Die Hälfte der Strafe – also 18 Monate – setzte das Gericht zur Bewährung aus (vgl. hier bei welt.de). Und – was es alles gibt: Der Angeklagte befindet sich bereits seit längerem auf eigenen Wunsch im Strafvollzug, diese Zeit wird angerechnet. Neben der Gefängnisstrafe sollen Bankguthaben des Mannes in Höhe von umgerechnet rund 190.000 €, Fahrzeuge sowie Münz- und Uhrensammlungen eingezogen werden. Zudem bestätigte das Gericht Forderungen des Staates nach Wiedergutmachungszahlungen in einer Gesamthöhe von 740.000 €. Auf diese Summe hatten sich der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft zuvor verständigt.

„Neigungsbeschluss“ des BGH zur Jugendstrafe

Wer die Rechtsprechung von Revisionsgerichten verfolgt, weiß: Sog. Neigungsbeschlüsse des Revisionsgericht sind immer von Bedeutung, weil sie i.d.R. eine Änderung/Klarstellung der Rechtsprechung andeuten. Das Revisionsgericht teilt quasi vorab schon mal mit, wie es eine bestimmte Frage ggf. demnächst sehen will. So eine Neigungspassage enthält der BGH, Beschl. v. 06.05.2013 – 1 StR 178/13. Die Angeklagte war wegen verschiedener Handlungen zum Nachteil einer Nebenklägerin u.a. wegen Vergewaltigung in zwei Fällen zu einer Jugendstrafe  verurteilt worden. In der Revision ging es u.a. um die Verhängung der Jugendstrafe und deren Bemessung. Dazu der BGH:

a) Der Senat teilt insbesondere nicht die Auffassung der Revision, der Anordnungsgrund der „Schwere der Schuld“ in § 17 Abs. 2 JGG könne grundsätzlich lediglich bei „Kapitalstrafsachen“ in Betracht kommen. Dies entspricht nicht der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die auch außer-halb dessen bei besonders schweren Straftaten, zu denen gravierende Sexualdelikte gehören können (BGH, Beschlüsse vom 27. Oktober 2009 – 3 StR 404/09, NStZ-RR 2010, 56 f. und vom 28. September 2010 – 5 StR 330/10, StV 2011, 588 f.), die Verhängung einer allein auf die Schwere der Schuld gegründeten Jugendstrafe zugelassen hat (etwa BGH, Beschluss vom 20. Januar 1998 – 4 StR 656/97, StV 1998, 332, 333; weit. Nachw. bei Radtke in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., 2013, Band 6, JGG § 17 Rn. 67).

b) Im Übrigen neigt der Senat dazu, bereits das Vorliegen eines gewissen Schuldausmaßes allein als Anordnungsgrund einer auf das Merkmal der „Schwere der Schuld“ gestützten Jugendstrafe ohne eine faktische Erziehungsfähigkeit und -bedürftigkeit des jugendlichen oder heranwachsenden Täters genügen zu lassen. Weder der Wortlaut von § 17 Abs. 2 JGG noch dessen Entstehungsgeschichte (vgl. BT-Drucks. I/3264 S. 40 re. Spalte/S. 41 li. Spalte) deuten auf ein kumulatives Erfordernis eines solchen Erziehungsbedürfnisses als Anordnungsvoraussetzung der Jugendstrafe hin. Die in § 18 Abs. 2 JGG enthaltene Vorgabe, bei der Bemessung der Jugendstrafe die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich zu machen, betrifft unmittelbar lediglich die Festsetzung der Dauer einer Jugendstrafe, nicht aber die vorgelagerte, in § 17 Abs. 2 JGG (in Verbindung mit § 5 und § 13 Abs. 1 JGG) geregelte Auswahl der jugendstrafrechtlichen Sanktion. Es entspricht zudem ohnehin der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, im Rahmen der Strafbemessung der Jugendstrafe gemäß § 18 Abs. 2 JGG neben der Erziehungswirksamkeit auch andere Strafzwecke, bei schweren Straftaten vor allem das Erfordernis des gerechten Schuldausgleichs, zu berücksichtigen (BGH, Beschlüsse vom 1. Dezember 1981 – 1 StR 634/81, StV 1982, 121; vom 27. November 1995 – 1 StR 634/95, NStZ 1996, 232 f.; BGH, Urteil vom 23. Oktober 1997 – 5 StR 486/97; Beschluss vom 23. März 2010 – 5 StR 556/09, NStZ-RR 2010, 290, 291). Dem Gedanken des Schuldausgleichs ist insbesondere bei fünf Jahre übersteigenden Jugendstrafen Bedeutung zugemessen worden, weil bei derar-tigen Verbüßungszeiträumen eine (weitere) erzieherische Wirkung bezweifelt wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. November 1995 – 1 StR 634/95, NStZ 1996, 232 f. und vom 20. März 1996 – 3 StR 10/96, StV 1998, 344; siehe aber auch BGH, Beschluss vom 7. Mai 1996 – 4 StR 182/96, NStZ 1996, 496 f.).“

Die zu a) behandelte Frage ist nichts Neues. Aber mit den unter b) aufgeführten Gedanken könnte sich eine Änderung bzw. Klarstellung in der Rechtsprechung andeuten. Die OLG haben das nämlich in der Vergangenheit zum zum Teil anders gesehen und messen dem Merkmal der „Erforderlichkeit“ gerade die Bedeutung bei, dass die Verhängung einer Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld grundsätzlich nur dann zulässig sein soll, wenn dies (auch) aus erzieherischen Gründen erforderlich bzw. geboten ist. Vielleichz demnächst anders?

Man fragt sich nazürlich immer: Warum ein Neigungsbeschluss und warum gerade in dieser Sache. Nun, das weiß man nie. Hier könnte der Grund gewesen sein, dass das LG angesichts drn festgestellten Gesamtumständen der sich über rund 24 Stunden erstreckenden Misshandlungen, Demütigungen und Erniedrigungen der Nebenklägerin zu einer „ungewöhnlich niedrigen Straf“ gekommen ist.

Notfalls Nothilfe auch mit dem Bierkrug

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Notfalls kann auch mit dem Bierkrug Nothilfe geleistet werden, so das OLG Hamm. Urt. v. 15.07.2013, 1 RVs 38/13. Der 1. Strafsenat hat die Revision eines Nebenklägers gegen ein frei sprechendes landgerichtliches Urteil zurückgewiesen. Der Angeklagte hatte mit einem Glaskrug auf einen anderen eingeschlagen, um einen Freund nach einem Faustangriff vor weiteren Angriffen zu schützen. Der Geschlagene erlitt eine Platzwunde und eine Gehirnerschütterung. Das OLG hat eine Nothilfehandlung angenommen. Auch ein kräftiger Schlag auf den Kopf mit einem gefüllten Bierkrug könne zur Abwehr eines Angriffs rechtens sein. In einer Notlage dürfen sich der Angegriffene mit dem Mittel zur Wehr setzen, das er zur Hand habe. Das OLG:

„Die Nothilfehandlung des Angeklagten war auch erforderlich i.S.d. § 32 Abs. 2 StGB. Ob die Verteidigungshandlung erforderlich ist, hängt im Wesentlichen von Art und Maß des Angriffs ab. Dabei darf sich der Angegriffene grundsätzlich des Abwehrmittels bedienen, das er zur Hand hat und das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr erwarten lässt. Das schließt auch den Einsatz lebensgefährlicher Mittel ein. Zwar kann dieser nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen und darf auch nur das letzte Mittel der Verteidigung sein; doch ist der Angegriffene nicht genötigt, auf die Anwendung weniger gefährlicher Verteidigungsmittel zurückzugreifen, wenn deren Wirkung für die Abwehr zweifelhaft ist. Auf einen Kampf mit ungewissem Ausgang braucht er sich nicht einzulassen. Bei mehreren Einsatzmöglichkeiten des vorhandenen Abwehrmittels hat der Verteidigende nur dann das für den Angreifer am wenigsten gefährliche zu wählen, wenn ihm Zeit zum Überlegen zur Verfügung steht und durch die weniger gefährliche Abwehr dieselbe, oben beschriebene Wirkung erzielt wird (BGH NStZ 2006, 152, 153 m.w.N.; OLG Koblenz a.a.O.).

Der Schlag mit dem Bierglas ließ eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr erwarten. Der Angeklagte musste sich nicht auf ein bloßes Wegschubsen des Nebenklägers, einen Schlag mit seiner freien linken Hand (der Angeklagte ist Rechtshänder) oder darauf einlassen, zunächst das Bierglas aus der rechten Hand zu nehmen, um dann mit der bloßen Faust zuzuschlagen, oder vorher den Schlag mit dem Bierglas anzudrohen. Angesichts der Unmittelbarkeit der Gefahr eines weiteren Angriffs hätten schon diesbezügliche Überlegungen zu einer zeitlichen Verzögerung geführt, die womöglich eine erneute Attacke des Nebenklägers begünstigt hätten. Hinzu kommt, dass die dargestellten Alternativen, auch wenn der Nebenkläger von eher schmächtiger Natur ist, angesichts der Aggressivität seines bis dahin gezeigten Verhaltens und der Rückendeckung durch den Zeugen U in ihrer Geeignetheit zur sofortigen Beseitigung der Gefahr zweifelhaft gewesen wären.

4. Auch war die Handlung des Angeklagten als Nothilfehandlung geboten. Sein Handlungsspektrum war nicht dadurch eingeschränkt, dass es zuvor Beleidigungen in Richtung des Nebenklägers und des Zeugen U gegeben hatte. Die allein festgestellte Beleidigung durch Bezeichnung des Nebenklägers und des Zeugen U als „Kanaken“ ging von dem Zeugen Y, nicht aber vom Angeklagten aus. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Angeklagte den Zeugen Y zu diesen Äußerungen angestiftet, ihn sonst dabei unterstützt oder diese Äußerungen auch nur gebilligt hätte.“

Frage: War der Bierkrug (noch) gefüllt oder nicht (mehr) gefüllt?

 

Peinlich, peinlich für die Schwurgerichtskammer – Einlassung des Angeklagten übersehen

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Ebenso peinlich wie für die Verteidigerin im Verfahren BGH 1 StR 252/13 der BGH, Beschl. v.08.08.2013 – 1 StR 252/13 –war, ist m.E. für das Schwurgericht des LG Ulm der BGH, Beschl. v. 16.05.2013 – 1 StR 79/13. Das LG hat Angeklagten wegen dreifachen versuchten Mordes, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, u.a. zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten dringt mit einer Verfahrensrüge durch. Denn: Das Schwurgericht hat die Einlassung des Angeklagten übersehen:

„Die Rüge der Verletzung des § 261 StPO führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

In den Feststellungen hat die Schwurgerichtskammer aufgeführt: „Zum Sachverhalt hat der Angeklagte bis zuletzt keine Angaben gemacht“ (UA S. 19).

Demgegenüber macht die Revision, bestätigt vom Hauptverhandlungsprotokoll vom 15. Oktober 2012, unwidersprochen geltend, dass der Verteidiger an diesem Tag für den Angeklagten eine schriftlich vorbereitete Erklärung abgegeben hat, wobei sich der Angeklagte auf Nachfrage diese Erklärung ausdrücklich zu eigen gemacht hat.

In Überlegungen darüber, ob und wie es sich auf die Feststellungen ausgewirkt hätte, wenn diese – als Anlage zum Protokoll genommene – Erklärung, die sich vor allem auf die subjektive Tatseite, aber auch auf die Verhältnisse am Tatort bezieht, von der Strafkammer in ihre Erwägungen einbezogen worden wäre, tritt der Senat nicht ein, da ihm eine eigene Beweiswürdigung verwehrt ist.

Zack, das war es. Auch ohne Worte.

Peinlich, peinlich Frau Verteidigerin – man sollte BGH Beschlüsse zu Ende lesen

Hochnotpeinlich ist m.E. der BGH, Beschl. v.08.08.2013 – 1 StR 252/13 – für die Verteidigerin. Warum bzw. was ist passiert?

Die Verteidigerin erhebt nach Verwerfung der Revision des Angeklagten durch den BGH, Beschl. v. 09.07.2013 – 1 StR 252/13 – mit Schriftsatz vom 06.08.2013 eine Anhörungsrüge. Die wird vom BGH mit Beschluss vom 08.08.2013 zurückgewiesen (man beachte die Schnelligkeit), und zwar wie folgt:

„Der Angeklagte erhebt mit Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 6. August 2013 eine Gehörsrüge. Hierfür trägt er allein vor, es sei nicht ersichtlich, ob die „materielle Revisionsbegründung“ zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats bereits vorgelegen hat und bezieht sich auf das Vorbringen in diesem Schriftsatz vom 8. Juli 2013.

Damit sind schon die Voraussetzungen des § 356a Satz 2 StPO nicht erfüllt, da der Angeklagte nicht vorträgt, wann er Kenntnis von dem Senatsbeschluss erhalten hat. Die Zusendung ist am 19. Juli 2013 veranlasst worden.“

Bis hierhin m.E. schon peinlich, denn wenn ich mit Schriftsatz v. 06.08.2013 eine Anhörungsrüge gegen einen Beschluss vom 09.07,2013 erhebe, dann sollte ich etwas zum Zeitpunkt der Kenntnisnahme schreiben. Immerhin liegt der angefochtene Beschluss fast einen Monat zurück 🙁

Hochnotpeinlich wird es aber dann. Denn der BGH führt weiter aus:

Der Antrag wäre aber auch in der Sache unbegründet. Dass der Schriftsatz vom 8. Juli 2013 dem Senat bei der Entscheidungsfassung vorgelegen hat, ergibt sich aus dem Beschluss vom 9. Juli 2013. …“

Und siehe da: Wenn man in den BGH, Beschl. v. 09.07.2013 – 1 StR 252/13 schaut, liest man tatsächlich: „Der Schriftsatz vom 8. Juli 2013 hat vorgelegen.

Was soll man da noch schreiben? Also: Ohne Worte