Archiv für den Monat: Juni 2013

In NRW Klausurenschreiben mit dem Computer? Dann aber bitte auch für Fachanwälte

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LTO berichtet unter dem Titel: „NRW plant das Computer-Examen – Flinke Finger machen sich bezahlt“ über ein Projekt in NRW, nach dem ggf. eine eine grundlegende Änderung des zweiten juristischen Staatsexamens in NRW ins Haus steht. Statt von Hand sollen danach demnächst ggf. die Klausuren am Computer geschrieben werden können (wegen der Einzelheiten vgl. den Beitrag bei LTO).

Spontan fiel mir dazu ein. Es klagen ja nicht nur die Referendare über 5-stündige Handschreibarbeit, sondern in den Fachanwaltskursen auch die angehenden Fachanwälte, die m.E. noch weiter weg von „händischen Klausurenschreiben“ sind. Wenn man also für Referendare Klausuren am Computer einführt, dann sollte die BRAK aber nachziehen und in der FAO eine entsprechende Regelung vorsehen. Bei der Gelegenheit könnte man sich gleich mal Gedanken darüber machen, warum eigentlich ausgewachsene Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen die Klausuren im FA-Kurs ohne Hilfsmittel, wie z.B. einen Kommentar, schreiben müssen. Das ist Erst-Examens-Stand. Da haben es die Referendare im 2. Examen besser. Die dürfen Standardkommentare benutzen. Gleiches Recht für alle :-).

„Ein Haftraum ist kein „Briefkasten“……

Mal wieder etwas aus dem Strafvollzug, und zwar zur Ersatzzustellung im Strafvollzug. Einem Verurteilten wird im Strafvollstreckungsverfahren ein Beschluss der Strafvollstreckungskammer „zugestellt“, und zwar, da der Verurteilte wohl nicht in seiner Zelle anwesend war, im Wege der „Ersatzzustellung“ dadurch, dass der Beschluss – im wahrsten Sinne des Wortes – in der Zelle niedergelegt wird. Das OLG Hamm bezweifelt im OLG Hamm, Beschl. v. 11.04.2013 – 1 Vollz (Ws) 106/13 – die Wirksamkeit der Zustellung:

„Zwar war die Zustellung des angefochtenen Beschlusses am 17.08.2012 womöglich unwirksam, da nach der Gefangenenzustellungsurkunde eine Ausfertigung des Beschlusses lediglich im Haftraum hinterlegt, hingegen nicht dem Gefangenen übergeben wurde. Es erscheint zweifelhaft, ob eine Hinterlegung der Sendung im Haftraum den Anforderungen an eine Ersatzzustellung nach §§ 120 StVollzG, 37 StPO, 180 ZPO genügt. Der Haftraum ist kein „Briefkasten“. Ob er als „ähnliche Vorrichtung“, die der Adressat für den Postempfang eingerichtet hat, anzusehen ist, ist ebenfalls zweifelhaft. Für das Niederlegen von Sendungen an irgendeiner Stelle in der Wohnung des Adressaten durch den Postzusteller ist höchstrichterlich entschieden, dass dies die Anforderungen an die Ersatzzustellung nicht erfüllt, weil dies keine Gewähr mehr dafür bietet, dass der Empfänger die Mitteilung auch tatsächlich vorfindet, vielmehr besteht die Gefahr, dass er sie achtlos beiseite legt oder wegwirft, weil er sie an diesen Stellen üblicherweise nicht erwartet (BVerwG NJW 1973, 1945). Etwas anders kann nach Auffassung des Senats auch nicht für den Haftraum eines Sicherungsverwahrten gelten.“

Entscheiden musste der Senat die Frage nicht, da die Rechtsbeschwerde des Verurteilten aus anderen Gründen, auch wenn die Zustellung als unwirksam angesehen worden wäre, keinen Erfolg gehabt hätte.

Da war das AG zu schnell mit der Pflichtverteidigerbestellung..zu früh gefreut?

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Wer kennt sie als Strafverteidiger nicht: Die zu schnelle Bestellung eines anderen Rechtsanwalts als Pflichtveteidiger durch das (Amts)Gericht und den sich dann anschließenden Kampf um die „Umbeiordnung“? Das Szenario wird jeder Strafverteidiger schon mal erlebt haben. I.d.R. hat es seinen Ausgangspunkt darin, dass der Mandant die sog. Benennungsfrist des §142 Abs. 2 Satz 1 StPO hat verstreichen lassen. Dann wird ihm vom (Amts)Gericht ein anderer Verteidiger als Pflichtverteidiger beigeordnet. Wird erst danach der (an sich gewünschte) Verteidiger benannt bzw. dieser meldet sich dann „verspätet“ beim Gericht als „benannter Verteidiger“ und beantragt seine Beiordnung, wird die in vielen Fällen dann vom Gericht mit dem Hinweis auf die bereits erfolgte Bestellung des anderen Kollegen abgelehnt. Vor allem gerne dann, wenn es sich bei dem Verteidiger, der die „Umbeiordnung“ beantragt hat, nicht um einen „Urteilsbegleiter“ handelt. Um es  – aus  Sicht des Gerichts – ein wenig locker auszudrücken: Den ist man schon mal gut los.

Allerdings ganz so einfach ist es nun doch nicht mit der Ablehnung der „Umbeiordnung“. Das ruft  der LG Magdeburg, Beschl. v. 26.03.2013 – 21 Qs 22/13 – noch einmal ins Gedächtnis. Denn die in § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO normierte „Benennungsfrist“ ist keine Ausschlussfrist. Vielmehr ist auch ein Vorschlag des Beschuldigten, der nach Fristablauf eingeht, bei der Auswahlentscheidung zu berücksichtigen, solange eine Pflichtverteidigerbestellung noch nicht ergangen ist oder eine bereits ergangene Entscheidung noch keine Außenwirkung erlangt hat. Dazu das LG:

„Nach § 142 Abs. 1 S. 1 StPO soll dem Beschuldigten vor der Bestellung eines Pflichtverteidigers Gelegenheit gegeben werden, innerhalb einer zu bestimmenden Frist einen Verteidiger seiner Wahl zu bezeichnen. Steht kein wichtiger Grund entgegen, bestellt der Vorsitzende diesen Verteidiger, § 142 Abs. 1 S. 2 StPO. Dem Beschuldigten wird dadurch die Möglichkeit gegeben, sich von einem Verteidiger seines Vertrauens verteidigen zu lassen. Allein der Ablauf der gesetzten Benennungsfrist kann dem Beschuldigten dieses Recht nicht nehmen. Denn die Benennungsfrist stellt keine Ausschlussfrist dar. Vielmehr ist auch ein Vorschlag des Beschuldigten, der nach Fristablauf eingeht, bei der Auswahlentscheidung zu berücksichtigen, solange eine Pflichtverteidigerbestellung noch nicht ergangen ist oder eine bereits ergangene Entscheidung noch keine Außenwirkung erlangt hat (vgl. LG Braunschweig, Beschluss vom 21. September 2009, Az.: 7 Qs 280/09, BeckRS 2010, 03738; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 142 Rdnr. 10; Wessing, in BeckOK StPO, Stand 1. Oktober 2012, § 142 Rdnr. 8a; zu einer ähnlichen Fristenfrage siehe LG Magdeburg, Beschluss vom 13. Februar 2012, 22 Qs 11/12, Rdnr. 15, zitiert nach juris). Im Ergebnis wird die Ermessensentscheidung des Gerichts damit auch bei einer verspäteten Benennung über § 142 Abs. 1 S. 2 StPO erheblich eingeschränkt. So liegt der Fall hier. …“

Vgl. auch noch hier: Pflichtverteidiger – Benennungsfrist versäumt – macht nichts …..

„och nö, nicht schon wieder“ II, leider doch: Die Nebenklägerrevision

Der Kollege Göhle vom Blog „rechtbrechung [rg]“ hatte unter der Überschrift „och nö, nicht schon wieder“ seine Gedanken zur Anrufung des Vermittlungsausschusses zum 2. KostRMoG zusammengefasst und übrigens zu einem Kommentar eines Lesers gleich noch ein Posting: „was wollen Sie denn bekommen? “ hinterher geschoben.

„Och nö, nicht schon wieder“, genau das habe ich (auch) gedacht, als ich gestern auf der Homepage des BGH den BGH, Beschl. v.03.05.2013 – 1 StR 637/12 – entdeckt habe, der sich mal wieder zu einem verfahrensrechtlichen Dauerbrenner verhält (hoffen wir, dass das 2. KostRMoG nicht ein gebührenrechtlicher wird).

Im Beschluss geht es mal wieder um die Zulässigkeit der Revision von Nebenklägern. Dazu betet der BGH ja nun immer wieder, dass diese ein Urteil eben nicht mit dem Ziel anfechten können, dass (nur) eine andere Rechtsfolge verhängt werden soll. Das steht übrigens auch (sogar) so im Gesetz. Aber § 400 Abs. 1 StPO liest offenbar keiner :-(. Wenn man es tun und ggf. mehr zur Begründung vortragen würde, dann könnte man sich – und dem BGH – solche Ausführungen wie im Beschl. v. 03.05.2013 ersparen:

„Die Rechtsmittel der Nebenkläger sind unzulässig. Nach § 400 Abs. 1 StPO kann ein Nebenkläger das Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, dass eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt wird. Daher bedarf die Revision des Nebenklägers eines Antrags oder einer Begründung, die deutlich macht, dass er eine Änderung des Schuldspruchs hinsichtlich eines Nebenklagedeliktes und damit ein zulässiges Ziel verfolgt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2012 – 3 StR 426/12; BGH, Beschluss vom 28. Mai 1990 – 4 StR 221/90, BGHR StPO § 400 Abs. 1 Zulässigkeit 4; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 400 Rn. 3, 3a, 6 mwN).

Daran fehlt es hier. Ausweislich der Revisionsbegründungen soll mit den Rechtsmitteln trotz formal weiterreichenden Antrags lediglich die Verhängung anderer, für die Angeklagten ungünstigerer Rechtsfolgen erreicht werden. Das Landgericht hat das Tötungsdelikt zum Nachteil des Geschädigten L. M. als Mord i.S.v. § 211 StGB gewertet. Mit dem Ziel der Annahme eines weiteren Mordmerkmals (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Juli 1997 – 4 StR 266/97, NStZ-RR 1997, 371), der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld i.S.d. § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB hinsichtlich des Angeklagten H. (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juni 2001 – 5 StR 45/01, BGHR StPO § 400 Abs. 1 Zulässigkeit 12) sowie der Anwendung des allgemeinen Strafrechts statt Jugendstrafrechts hinsichtlich der Angeklagten M. (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2007 – 2 StR 599/06, StraFo 2007, 245) kann das Urteil nicht angefochten werden.“

Gedanken des BGH nach dem Absprache-Urteil des BVerfG: Der „Sonderstrafrahmen“

Das BVerfG, Urt. v. 19.03.2013 – 2 BvR 2628/10 – – 2 BvR 2883/10 – – 2 BvR 2155/11, das uns die Bewährung für die Absprache/Verständigungsregelung gebracht hat (vgl. zum Urteil hier: Da ist die Entscheidung aus Karlsruhe: Die genehmigte Verständigung, der verbotene Deal), ist nun auch in der Rechtsprechung des BGH angekommen. Der 5. Strafsenat macht sich in seinem Beschl. v. 25.04.2013 –  5 StR 139/13 – Gedanken um die Umsetzung des Urteils. Zu entscheiden war ein Verfahren, in dem das LG den Angeklagten wegen – in einem Fall bewaffneten – Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt hatte. Dagegen die Revision, die der BGH verworfen hat, allerdings mit folgender Anmerkung:

1. Dem Urteil liegt – bei eindeutiger Beweislage – eine Verfahrensabsprache gemäß § 257c StPO zugrunde. Ausweislich der Urteilsgründe (UA S. 5) wurde dem Angeklagten dabei „für den Fall eines umfassenden Geständnisses unter Annahme eines minder schweren Falles des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge eine Gesamtfreiheitsstrafe zwischen zwei Jahren und sechs Monaten und drei Jahren und drei Monaten zugesichert“. Dies führt auch im Lichte des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 19. März 2013 (NJW 2013, 1058) nicht zu revisionsgerichtlicher Beanstandung.

a) Zwar sind nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts Strafrahmenverschiebungen selbst im Fall unbenannter Strafänderungsgründe wie dem hier in Frage stehenden § 30a Abs. 3 BtMG von Verfassungs wegen grundsätzlich kein zulässiger Gegenstand von Verfahrensabsprachen (vgl. BVerfG aaO Rn. 74, 109, 130). Jedoch hat der Angeklagte die Revision wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Er kann deshalb durch die Zubilligung des milderen Sonderstrafrahmens unter keinem Gesichtspunkt beschwert sein.

b) Bei dieser Sachlage kann dahingestellt bleiben, ob das Landgericht – dann unbedenklich – bei der Verständigung die Annahme eines minder schweren Falles nicht ohnehin vorausgesetzt oder – was nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken erwecken kann – die Annahme des minder schweren Falles von der Abgabe eines Geständnisses abhängig gemacht hat. Bereits an der Vielgestaltigkeit denkbarer Verfahrensabläufe erweist sich indessen, dass die revisionsrechtliche Beurteilung von Verfahrensabsprachen die Kenntnis der Details voraussetzt. Demgemäß muss die Beanstandung bei Anfechtung des Schuldspruchs im Rahmen einer dahingehenden Verfahrensrüge erfolgen.

c) Der Senat gibt zu bedenken, ob nach dem Gesamtzusammenhang des genannten Urteils des Bundesverfassungsgerichts Verfassungsgründe gegen die Einbeziehung von Sonderstrafrahmen in eine Verständigung gemäß § 257c StPO jedenfalls dann ausgeschlossen werden können, wenn die Zubilligung des Sonderstrafrahmens in nach herkömmlichen Strafzumessungsregeln nicht zu beanstandender Weise an den aus dem Geständnis abzuleitenden bestimmenden Strafzumessungsgrund anknüpft. Dem stehen als rechtsfehlerhaft zu erachtende Absprachen gegenüber, in denen sich aus der Verfahrensgestaltung im Zuge der Verständigung Anhaltspunkte für eine die Selbstbelastungsfreiheit des Angeklagten sachwidrig beeinträchtigende Drucksituation ableiten lassen (vgl. BVerfG aaO insbesondere Rn. 130).“

Also:

  1. Die Annahme eines minder schwerer Fall kann nicht von der Abgabe eines Geständnisses abhängig gemacht werden.
  2. Ist das geschehen und soll das gerügt werden, bedarf es dazu einer Verfahrensrüge.
  3. Passt ein zugebilligter „Sonderstrafrahmen“, dann kann das ggf. zulässig sein, auch wenn seine Annahme in die Absprache/Verständigung einbezogen worden ist.