Archiv für den Monat: Juli 2012

Das liest der Verteidiger sicherlich nicht gern – auf der ganzen Linie gescheitert

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Na, habe ich bei der Lektüre des BGH, Beschl. v. 03.07.2012 – 3 StR 211/12 – gedacht, das wird der Verteidiger sicherlich nicht gern gelesen haben. Der BGH weist mehr als deutlich darauf hin, dass sowohl sein in der Hauptverhandlung gestellter Beweisantrag „Makulatur war“ – und das trotz Nachbesserung – als wohl auch die von von ihm dann in der Revision erhobene Aufklärungsrüge. Zu letzterer hätte wahrscheinlich mehr dazu vorgetragen werden müssen, warum das Beweismittel entgegen der Auffassung des LG doch nicht ungeeignet war und sich das LG zu der Beweisaufnahme hätte gedrängt sehen müssen.

„Der Beschwerdeführer Ö. beanstandet die Zurückweisung eines „Hilfsbeweisantrages“ auf Einholung eines rechtsmedizinischen Sachverständigengutachtens allein mit der Aufklärungsrüge (s. S. 2 und 6 der Revisionsbegründung; zum Wahlrecht des Revisionsführers, die Ablehnung eines Beweisantrages mit der Rüge der Verletzung des Beweisantragsrechts oder / und mit der Aufklärungsrüge anzugreifen, vgl. BGH, Urteil vom 13. Januar 2011 – 3 StR 337/10, NStZ 2011, 471, 472; LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 380). Diese stand ihm im Übrigen auch ausschließlich zu Gebote; denn bei seinem Beweisbegehren handelte es sich nicht um einen Beweisantrag. Ihm fehlte sowohl in seiner ursprünglichen, als auch in seiner ergänzten Fassung eine bestimmte Beweisbehauptung, weil nicht dargelegt wurde, welche konkreten Verletzungen bei dem Zeugen G. durch den Einsatz des Baseballschlägers hätten entstehen müssen.

Die Aufklärungsrüge ist unbegründet. Denn aus den Erwägungen, die das Landgericht zur (vermeintlichen) völligen Ungeeignetheit des Beweismittels dargelegt hat, war es zur Einholung eines rechtsmedizinischen Sachverständigengutachtens jedenfalls durch die Amtsaufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) nicht gedrängt.“

Wohlverhalten schützt nicht vor Fahrtenbuchauflage

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Interessant für Halter von Firmen-, Dienst- und Geschäftsfahrzeugen ist der VG Düsseldorf, Gerichsbescheid v. 25.06.2012 -6 K 6286/11. Denn:

Der Halter eines Geschäftsfahrzeugs wirkt im Rahmen eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens an der Aufklärung des Fahrzeugführers mit, indem er denjenigen benennt, dem er das Fahrzeug überlassen hat. Das VG sagt, dass dann die Bußgeldbehörde zwar so gegen diesen vorgehen muss, als ob er der Halter wäre. Bleiben aber die gegen den Benannten gerichteten Aufklärungsmaßnahmen erfolglos, kann ein Fahrtenbuch auch gegen den kooperierenden Halter angeordnet werden.

Und: Die Erforderlichkeit der Fahrtenbuchauflage soll nicht dadurch entfallen, dass derjenige, dem das Fahrzeug zur Tatzeit überlassen gewesen ist, keinen Zugriff mehr darauf hat. Das gelte auch bei Firmen-, Dienst- und Geschäftsfahrzeugen. Also ein Art nachwirkende/zurückfallende Störerhaftung. Gibt es so etwas eigentlich im Verwaltungsrecht. da verlassen mich meine nur noch rudimentären Kenntnisse.

Lebensakte im Bußgeldverfahren – es gibt sie – und wenn nicht sind wenigstens Auskünfte zu erteilen – gut so

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Akteneinsicht im Bußgeldverfahren – sicherlich nichts aus dem Sommerloch, sondern ein Thema, dass die Gerichts nun schon länger beschäftigt. Das zeigt sich für mich nicht zuletzt daran, dass ich immer wieder von Kollegen Entscheidungen der AG zu den damit zusammenhängenden Fragen zugesandt bekomme., mit der Bitte, über diese Entscheidungen dann hier zu berichten.

Tue ich gerne, vor allem, wenn man so schöne Entscheidungen bekommt wie den AG Hagen, Beschl. v. 28.06.2012 – 97 OWi 5/12 (b) -, den man überschreiben könnte: Und es gibt sie doch – die Lebensakte. Und wenn es sie nicht gibt bzw. sie nicht geführt wird, hat Verwaltungsbehörde „Auskunft zu erteilen über Reparaturen, Wartungen, vorgezogene Neueichungen oder vergleichbare, die Funktionsfähigkeit des Messgeräts berührende Ereignisse, die im betroffenen Eichzeitraum stattgefunden haben.“ M.E. richtig.

Interessant ist die Entscheidung auch noch aus einem zweiten Grund. Sie lässt es der Verwaltungsbehörde nicht durchgehen, wenn sie überhaupt oder zögerlich entscheidet. Auch dann ist der Antrag nach § 62 OWiG zulässig.

„Die Verwaltungsbehörde hat vorliegend zwar den Antrag des Verteidigers nicht ausdrücklich abgelehnt. Aus ihrem gesamten Verhalten ergibt sich jedoch, dass die Verwaltungsbehörde das Akteneinsichtsrecht nicht oder jedenfalls nicht hinreichend erfüllt hat. Zunächst wurde am 06.02.2012 ausdrücklich auch Einsicht in die im Tenor näher bezeichneten Unterlagen begehrt. Dem ist die Behörde nicht nachgekommen, sondern sie hat stattdessen einen Bußgeldbescheid erlassen. Nachdem der Verteidiger im Einspruchsverfahren seinen Antrag wiederholt und eine gerichtliche Entscheidung beantragt hat, hat die Verwaltungsbehörde nicht etwa abgeholfen, sondern zunächst zu einer möglichen Abhilfe angehört. Sie hat auch nicht etwa zeitgleich eine Einholung der Auskünfte verfügt, woraus ein ernsthafter Abhilfewille zumindest objektiv erkennbar geworden wäre. Schließlich wurde die Akte, wiederum ohne objektiv erkennbare Abhilfebemühungen, dem Gericht vorgelegt.

Eine solch zögerliche Sachbehandlung kommt für den Betroffenen einer Ablehnung gleich. Der Betroffene hat insofern zu Recht eine gerichtliche Entscheidung verlangt, die allein aus Gründen der Rechtssicherheit auch zu ergehen hat, wenngleich eine förmliche Ablehnung seines Begehrens bislang nicht erfolgt ist. Indem die Verwaltungsbehörde aber das Verfahren ohne objektive Bemühungen der Abhilfe weiterbetrieben und sogar einen Bußgeldbescheid erlassen hat, zeigt sie zumindest so unzureichend ihren Willen zur Abhilfe, dass eine gerichtliche Entscheidung zugunsten des Betroffenen geboten war.“

Die zweite Entscheidung, über die ich in dem Zusammenhang „Akteneinsicht“ berichten will, ist weniger „schön“. Der AG Aurich, Beschl. v. 06.07.2012 – 5 OWi 1647/12 – stärkt der Fraktion den Rücken, die bei der Akteneinsicht mehr die Interessen der Verwaltungsbehörden im Blick hat. Das Argument: Akteneinsicht durch Übersenden einer Kopie ist für die Behörde unzumutbar, zieht m.E. aber nicht. Das geht mit einem PDF ganz einfach. Und das gibt es sicherlich auch schon in Aurich :-).

 

Paukenschlag: Höherer Toleranzabzug als Folge nicht ausreichender Akteneinsicht im Bußgeldverfahren

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Ich hatte ja vorhin mal wieder über zwei Entscheidungen zur Akteneinsicht im Bußgeldverfahren berichtet. Dazu passt thematisch das AG Schwerte, Urt.v. 05.07.2012 – 10 OWi 872 Js 366/12-58/12, das sich mit der Frage befasst: Welche Folgen hat die nicht (ausreichende) Akteneinsicht. Damit haben sich ja schon AG Kaiserslautern und AG Landstuhl befasst (zu letzterem unser Posting); beide Entscheidungen sollen sich übrigens – wie ich höre – in der Rechtsbeschwerde beim OLG Zweibrücken befinden, was zu erwarten war.

Das AG Schwerte geht einen anderen Weg. Es kommt nicht zum Freispruch sondern es nimmt einen höheren Sicherheitsabschlag vor und sagt: Ist dem Verteidiger auf seine Anforderung von der Verwaltungsbehörde nicht die Lebensakte eines Geschwindigkeitsmessgerätes zur Verfügung gestellt worden,  rechtfertigt dieser Umstand eine Erhöhung des Toleranzabzugs hinsichtlich der dem Verfahren zugrunde liegenden Geschwindigkeitsmessung um 10 %.

Der Toleranzabzug war jedoch um 10 % zu erhöhen, das ausweislich der Bußgeldakte seitens des Verteidigers mit Schriftsatz vom 31.01.2012 die Lebensakte für das Messgerät angefordert worden war und sogar wegen dieses Antrags ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG gestellt wurde. Dem ist die Verwaltungsbehörde nicht nachgekommen und hat die Lebensakte nicht übermittelt. Dementsprechend hat auch das erkennende Gericht keine genauen Erkenntnisse darüber gewinnen können, ob an dem betreffenden Messgerät zwischen Eichung (am 31.03.2011) und Messung (am 29.10.2011) Reparaturen oder sonstige Eingriffe vorgenommen worden sind. Die schriftliche Äußerung vom 15.12.2011 diesbezüglich vermag letzte Zweifel gegenüber einer Einsichtnahme in die Lebensakte nicht vollständig ausschließen. Nach Auffassung des erkennenden Gerichts rechtfertigt dieser Umstand eine Erhöhung des Toleranzabzugs und somit zu einer Geschwindigkeit von 91 km/h.

Ich habe meine Zweifel – ebenso wie bei AG Landstuhl – ob das so richtig ist bzw. so einfach geht oder ob sich das AG nicht zunächst mal um eine ausreichende Akteneinsicht für den Betroffenen – und für sich selbst – bemühen muss, ehe es zu einem höheren Sicherheitsabschlag kommt. Und dann stellt sich die Frage: Ist dann nicht der Weg des AG Landstuhl der richtigere? Warum verwertbar, aber dann nur mit einem höheren Sicherheitsabschlag.

Nun dem Betroffenen wird es es egal sein. Er hat so eine Chance, ggf. aus der fahrverbotsträchtigen Zone des BKatV herauszufallen. Also: Eine Entscheidung, auf die man sich berufen kann/sollte.

 

Mit 3 Promille besoffen, aber nicht unbedingt vermindert schuldfähig

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Der Angeklagte ist vom LG wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a. verurteilt worden. Festgestellt wird eine Tatzeit-BAK von 3,03 Promille. DA LG hat – nach Beratung durch zwei Sachverständige – festgestellt, dass der Angeklagte zur Tatzeit alkoholbedingt enthemmt, jedoch in seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit weder aufgrund des Alkoholkonsums noch aufgrund sonstiger Umstände i.S.v. § 21 StGB erheblich vermindert war. Das wird von der Revision angegriffen, aber ohne Erfolg. Der zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmte BGH, Beschl. v. 29.05.2012 – 1 StR 59/12 fasst die Rechtsprechung der BGH zu dieser Problematik zusammen und stellt fest:

Bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit kommt der Blutalkoholkonzentrationumso geringere Bedeutung zu, je mehr sonstige aussagekräftige psychodiagnostische Beweisanzeichen zur Verfügung stehen.

Er ist damit eine Bestätigung und Fortführung von BGHSt 43, 66. Zur Begründung u.a.

„(3) Für die Beurteilung der Schuldfähigkeit maßgeblich ist demnach eine Gesamtschau aller wesentlichen objektiven und subjektiven Umstände, die sich auf das Erscheinungsbild des Täters vor, während und nach der Tat beziehen (grundlegend Senatsentscheidung vom 29. April 1997 – 1 StR 511/95, BGHSt 43, 66 ff.; auch BGH, Beschluss vom 5. April 2000 – 3 StR 114/00; BGH, Urteil vom 22. Januar 1997 – 3 StR 516/96). Dabei kann die – regelmäßig deshalb zu bestimmende (vgl. BGH, Beschluss vom 28. März 2012 – 5 StR 49/12; BGH, Beschluss vom 8. Oktober 1997 – 2 StR 478/97) – Blutalkoholkonzentration ein je nach den Umständen des Einzelfalls sogar gewichtiges, aber keinesfalls al-lein maßgebliches Beweisanzeichen (Indiz) sein (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 2004 – 1 StR 248/04; BGH, Urteil vom 6. Juni 2002 – 1 StR 14/02; BGH, Urteil vom 3. Dezember 2002 – 1 StR 378/02; vgl. auch BGH, Urteil Welcher Beweiswert der Blutalkoholkonzentration (die weniger zur Auswirkung des Alkohols als lediglich zu dessen wirksam aufgenommener Menge aussagt) im Verhältnis zu anderen psychodiagnostischen Beweisanzeichen beizumessen ist, lässt sich nicht schematisch beantworten. Er ist umso geringer, je mehr sonstige aussagekräftige psychodiagnostische Kriterien (Überblick hierzu z.B.: Plate, Psyche, Unrecht und Schuld, 2002, S. 194 ff.; Detter, Strafzumessung, 2009, II. Teil Rn. 83) zur Verfügung stehen. So können die konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls eine erheblich vermin-derte Steuerungsfähigkeit bei Tatbegehung auch bei einer Blutalkoholkonzentration schon von unter 2 ‰ begründen (BGH, Beschluss vom 3. Dezember 1999 – 3 StR 481/99), umgekehrt eine solche selbst bei errechneten Maximal-werten von über 3 ‰ auch ausschließen (BGH, Urteil vom 6. Juni 2002 – 1 StR 14/02: 3,54 ‰; vgl. auch Foerster in Venzlaff/Foerster, aaO).“

Für die Verteidigung bedeutet das: Der Automatismus – hohe BAK = (verminderte/ausgeschlossene) Schuldfähigkeit = §§ 21, 20 StGB – wird in Zukunft noch weniger greifen als bisher. Man muss als Verteidiger noch mehr das Augenmerk auf die sonstigen Umstände richten, die ggf. für eine verminderte Schuldfähigkeit sprechen.