Archiv für den Monat: Juli 2012

Das BVerfG und die widerrufene Haftverschonung…so geht es…

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Ob das BVerfG in den nächsten Monaten noch dazu kommt, andere Fragen als die der „Euro-Rettungs-Schirms“ zu entscheiden, muss man mal sehen. Allerdings: der 2. Senat ist damit ja nicht befasst, es sei denn, er müsste den 1. Senat wegen Überlastung vertreten (habe jetzt nicht nach gesehen, ob es eine solche Regelung im BVerfGG überhaupt gibt). Vom 2. Senat stammen nun auch die Haftentscheidungen, mit denen wir es in den letzten Jahren vermehrt zu tun hatten. So auch der BVerfG, Beschl. v.11.06.2012 – 2 BvR 720/12 – – 2 BvR 835/12 -, den mir von meinem Kollege, der ihn  von dem Kollegen, der ihn erstritten hat, bekommen hat, zugegangen ist.

Es geht (mal wieder) um die an sich ausgeschriebene Frage des Widerrufs einer Haftverschonung. Damit hat sich das BVerfG in den letzten Jahren häufiger befasst. Der Beschluss bringt auf seinen 27 Seiten m.E. auch nichts wesentliche Neues, er fasst nur die Rechtsprechung des BVerfG in der Frage noch einmal schön zusammen und ist daher lesenswert. Und als Argumentationshilfe – wenn es um den Widerruf einer Haftverschonung geht – ist er immer geeignet.

Dem Beschluss könnte man etwas folgende Leitsätze voran stellen:

  1. Entscheidend für den „Widerruf“ einer Haftverschonung (§ 116 Abs. 4 StPO) ist, ob die Vertrauensgrundlage, auf die sie gestützt ist, entfallen ist.
  2. „Neu“ im Sinne des § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO sind nachträglich eingetretene oder nach Erlass des Aussetzungsbeschlusses bekannt gewordene Umstände nur dann, wenn sie die Gründe des Haftverschonungsbeschlusses in einem so we­sentlichen Punkt erschüttern, dass keine Aussetzung bewilligt worden wäre, wenn sie bei der Entscheidung bereits bekannt gewesen wären.
  3. Neu hervorgetretene Umstände können sich nicht auf den (dringen­den) Tatverdacht beziehen. Dieser ist bereits Grundvoraussetzung für Erlass und Aufrechterhaltung jeden Haftbefehls (vgl. § 112 Abs. 1 StPO).
  4. Vor der Rücknahme ist immer zu prüfen, ob nicht ggf. mildere Mittel der Verfahrenssicherung – namentlich eine Verschärfung von Auflagen – in Betracht kommen.

Also: Nichts wesentlich Neues: Aber: Der Punkt 4 ist interessant. Wenn der doch nur häufger von den Instanzgerichten beachtet würden. Die anderen natürlich auch.

 

Eigene Sachkunde des Gerichts? Man sollte sich nie zu viel zutrauen

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Es ist immer schlecht, wenn man sich zu viel zu traut. Denn nicht selten traut man sich dann viel zu viel und das kann fatale Folgen haben. So häufig eben im Strafverfahren, wenn es um Sachverständigenfragen geht. Da werden nämlich Sachverständigengutachten schnell unter Hinweis auf die eigene Sachkunde des Gerichts (§ 244 Abs. 4 Satz 1 StPO) abgelehnt. Das führt nicht selten zur Aufhebung des Urteils, weil der BGH der Strafkammer die eigene Sachkunde abspricht oder weil das Gericht nicht ausreichend dargelget hat, woher denn nun die eigene Sachkunde stammt. So auch im BGH, Beschl. v. 22.05.2012 – 5 StR 15/12:

In dem Beschluss hat zwar der BGH das landgerichtliche Urteil wegen eines Rechtsfehlers in der Beweiswürdigung aufgehoben, in der Segelanweisung wird aber deutlich, dass der BGH mit der Behandlung des Beweisantrages des Angeklagten (auch) nicht zufrieden ist:

„Auf die von der Revision erhobene Verfahrensrüge kommt es mithin nicht mehr an. Sie gibt dem Senat allerdings Anlass zu dem Hinweis, dass die gerügte Behandlung des auf die substantiierte Darlegung methodischer Mängel des Glaubhaftigkeitsgutachtens gestützten Antrags der Verteidigung auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens bedenklich war. Nachdem die von der Staatsanwaltschaft hier durchaus sachgerecht beauftragte Gutachterin in der Hauptverhandlung als Sachverständige und nicht lediglich als Zeugin gehört worden war und das Landgericht deren Ausführungen ausweislich der Urteilsgründe für überzeugend erachtet hat, war nicht auszuschließen, dass sich diese auf die Beweiswürdigung des Landgerichts auswirken würden. Dies begründete wiederum die Gefahr, dass etwaige methodische Mängel des Gutachtens die Beweiswürdigung der Strafkammer beeinflussen könnten. Deswegen war es für sie angezeigt, sich in ihrem auf § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO gestützten Ablehnungsbeschluss mit den von der Verteidigung behaupteten Mängeln des Gutachtens auseinanderzusetzen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 27. Januar 2010 – 2 StR 535/09, BGHSt 55, 5).“

Also: Die Chancen für eine Revision sind in den Fällen nicht schlecht. Aber: Macht natürlich Arbeit, da es sich um eine Verfahrensrüge handelt, die man erheben und begründen muss (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO!!!). Für die Kammern gilt im Übrigen m.E.: Im Zweifel nicht.

Irgendwann ist Schluss – Rechtsmittel beim BGH gibt es nicht

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Und nochmal BGH zu einer an sich eindeutigen Frage, die aber ein Angeklagter nicht unbedingt kennen muss.

Der Vorsitzende des Revisionssenats bestellt dem Angeklagten einen Pflichtverteidiger. Der Angeklagte beantragt dann später dessen Auswechselung. Das wird abgelehnt. Dagegen dann die Beschwerde des Angeklagten.

Dazu der BGH, Beschl. v. 19.06.2012 – 4 StR 77/12:

Die Beschwerde ist unzulässig. Gegen die Entscheidung des Senatsvor-sitzenden gemäß § 350 Abs. 3 StPO ist ein Rechtsmittel nicht statthaft. Der Zu-lässigkeit einer Beschwerde steht entgegen, dass Entscheidungen des Bundesgerichtshofs nach § 304 Abs. 4 Satz 1 StPO nicht anfechtbar sind; dies gilt auch für Entscheidungen eines Senatsvorsitzenden des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 27. April 2001 – 3 StR 112/01, NStZ 2001, 551; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 304 Rn. 10).

Kurz und zackig :-).

…“Der hilfsweise beantragte „Termin vor dem angerufenen Gericht“…

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Es ist immer wieder erstaunlich, was man u.a. im Zusammenhang mit der Anhörungsrüge (§ 356a StPO) so alles in den BGH-Beschlüssen liest. So auch im BGH, Beschl. v. 21.06.2012 – 1 StR 197/12:

„…Der hilfsweise beantragte „Termin vor dem angerufenen Gericht“ ist für das Anhörungsrügenverfahren nicht vorgesehen (vgl. § 356a Satz 2 StPO). Die am 7. September 2010 durch den Vorsitzenden des Tatgerichts vorgenommene Bestellung zum notwendigen Verteidiger wirkt in der Revisionsinstanz – abgesehen von einer Revisionshauptverhandlung (§ 350 Abs. 3 Satz 1 StPO) – fort.“

Also: Termin im Anhörungsrügenverfahren beantragt und einen Antrag auf Beiordnung zum Pflichtverteidiger bestellt, obwohl das bereits in der 1. Instanz erledigt war.

Der BGH fasst sich zu Recht kurz: Beides liegt neben der sache. Termine im Anhörungsverfahren sind nicht vorgesehen – nun gut, man kann es ja mal hilfsweise beantragen: Dass die Pflichtverteidigerbestellung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens fortwirkt – Ausnahme § 350 Abs. 3 StPO – , sollte man als Verteidiger allerdings wissen.

 

 

530 Stehordner Akten – das ist dann doch mal ein Umfangsverfahren – und natürlich gibt es eine Pauschvergütung

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Ein Kollege hat mir neulich zwei Entscheidungen des OLG Düsseldorf zugesandt – OLG Düsseldorf, Beschl. v. 15. u3. 2012 – III-3 RVGs 24/11 – und OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.05. 2012 – III 3 RVGs 31/12§ 51 RVG, die sich im Zusammenhang mit der Festsetzung einer Pauschgebühr mit den insoweit zugrunde zu legenden Bemessungskriterien befassen. Der Kollege war als Pflichtverteidiger in zwei beim OLG Düsseldorf anhängigen Terroristenverfahren tätig. Nach Abschluss des Verfahrens hat er in beiden Verfahren eine Pauschgebühr nach § 51 Abs. 1 RVG beantragt. Im Verfahren 3 RVGs 24/11 ist ihm anstelle seiner gesetzlichen Gebühren in Höhe 38.634 € eine Pauschgebühr in Höhe von 80.300 € bewilligt worden. Im Verfahren 3 RVGs 31/12 hat das OLG anstelle der gesetzlichen Gebühren von 22.093 € eine Pauschgebühr von 44.700 € bewilligt.

Wenn man es so liest, denkt man schnell: Na ja, immerhin zusammen 125.000 €, das ist doch schon mal was. Wenn man dann aber liest bzw. aus den Beschlüsssen ableitet, was der Kollege in den beiden Verfahren für einen Zeitaufnwand hatte, dann relativiert sich das schnell.

Ich habe das mal für eine Bearbeitung im RVGreport zusammengestellt. Da kommt folgendes zusammen

Allein schon die 530 Stehordner Akten im Verfahren III-3 RVGs 24/11 haben einen m.E. immensen Zeitaufwand erfordert, wenn in diese ordnungsgemäß Einsicht genommen worden ist. Hinzu kommt auf der Grundlage der Berechnung der gesetzlichen Gebühren durch das OLG zumindest folgender anwaltlicher Zeitaufwand:

 Termin Berechnung Dauer insgesamt
HV normal (bis zu fünf Stunden 26 Termine x 5 Stunden 130 Stunden
HV mehr als 5 Stunden 57 Termine x 6,5 Stunden (mittel) 370,5 Stunden
HV mehr als 8 Stunden 12 Termine x 8 Stunden 96 Stunden
BKA-Vernehmungen (ganztags = 8 Stunden) 21 Termine x 8 Stunden 168 Stunden
sonstige Termine mindestens 5 Termine x 4 Stunden 20 Stunden
insgesamt: 784,50 Stunden

Berücksichtigt man nun noch Vor-, Nachbereitung der Hauptverhandlungstermine, Zeit für Mandantengespräche und sonstiger Zeitaufwand, dann sind die auf den ersten Blick vielleicht erstaunlichen 125.000 € gar nicht mehr „so dolle“.

Aber: Immerhin „etwas“ 🙂