Archiv für den Monat: Mai 2012

„…die eher dürftigen Erwägungen,…sind lückenhaft…“

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Der Angeklagte ist wegen des  Vorwurf des schweren räuberischen Diebstahls angeklagt. Er wird vom LG aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Dagegen die Revision der StA, die Erfolg hat.

Der BGH, Beschl. v. 26.04.2012 – 5 StR 82/12 – referiert zunächst das, was der BGH in Entscheidungen, die einen Freispruch aus tatsächlichen Gründen aufheben so oder ähnlich immer referiert:

Das Revisionsgericht hat es grundsätzlich hinzunehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an dessen Täterschaft oder einer strafbaren Beteiligung an einer Tat nicht zu überwinden vermag. Die revisionsrechtliche Überprüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht etwa dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (BGH, Urteile vom 2. Dezember 2005 – 5 StR 119/05, NJW 2006, 925, 928, insoweit in BGHSt 50, 299 nicht abgedruckt, und vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401). Solche Rechtsfehler liegen hier vor.“

Dann kommt es aber für das LG „Dicke“, denn das liest kein Tatgericht gerne:

„b) Die eher dürftigen Erwägungen, mit denen das Landgericht den Nachweis einer Beteiligung der Angeklagten R. an der Tat der Mitangeklagten T. , Ku. und B. verneint hat, sind lückenhaft. Das Landgericht erörtert maßgebliche Umstände nicht, die für eine strafbare Beteiligung der Angeklagten sprechen.

Also: Auf ein Neues…

Schmuggel = Steuerhinterziehung, zumindest bei der Strafhöhe

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Der BGH meldet mit PM vom 22.0.50.2012 die Aufhebung eines Urteils gegen zwei wegen Schmuggels von gefälschten iPhones und MP3-Playern verurteilte Chinesen (Urt. v. 11.05.2012 – 1 StR 103/12). Diese müssen jetzt möglicherweise mit härteren Strafen rechnen. Der BGH hat das Bewährungsurteil auf. Der 1. Strafsenat betonte, dass – wie bei Steuerhinterziehung – auch beim Schmuggel nur in Ausnahmefällen eine Bewährungsstrafe möglich ist, wenn der Schaden mehr als eine Million € beträgt.

Der Bundesgerichtshof hob damit das Urteil der Vorinstanz auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurück an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des LG. Die Beschränkung der Revisionen auf den Rechtsfolgenausspruch sei unwirksam, weil die Feststellungen zu den Taten so „knapp, unvollständig und insgesamt so unklar waren, dass sie keine hinreichende Grundlage für die Prüfung der Rechtsfolgenentscheidung sein konnten“,

Die beiden Angeklagten hatten zwischen 2008 und 2010 Elektronikgeräte nach Deutschland eingeführt und dabei Einfuhrumsatzsteuer von insgesamt mindestens 1.088.933 € hinterzogen.

Die Geräte waren bei der Einfuhr nach Deutschland in funktionslose Netzteile verpackt und wurden beim Zoll entsprechend als Netzteile deklariert. Das Landgericht Hamburg hatte die beiden zu Bewährungsstrafen von zwei Jahren beziehungsweise einem Jahr und vier Monaten verurteilt, die Staatsanwaltschaft hatte Revision eingelegt, um eine härtere Strafe zu erreichen.

Die Karlsruher Richter hoben das Urteil komplett auf und entsprachen dem Antrag von Verteidiger Gerhard Strate. Dennoch könnten den Angeklagten härtere Strafen drohen. Nach Ansicht des BGH gelten die Grundsätze zur Strafzumessung bei Steuerhinterziehung in Millionenhöhe in gleicher Weise auch für den Schmuggel – einem Qualifikationstatbestand der Steuerhinterziehung. Demnach sei, darauf wies der BGH ausdrücklich hin, nur in Ausnahmefällen eine Bewährungsstrafe möglich, wenn der Zoll um mehr als eine Million € geprellt wird.

 

Überlange Sicherungsverwahrung – Berufung gegen Entschädigungsurteil

In einem Verfahren vor dem LG Karlsruhe ist vier ehemaligen Sicherungsverwahrten im April ein Schmerzensgeld von insgesamt 240.000 € zugesprochen worden (vgl. u.a. hier). In dem Verfahren war erstmals in Deutschland die Frage verhandelt worden, ob und wie viel Schadenersatz Straftätern zusteht, die nach ihrer verbüßten Haftstrafe zu lange in Sicherungsverwahrung waren.

Das Verfahren um die Entschädigung von ehemaligen Sicherungsverwahrten wird in eine neue Runde gehen. Wie erwartet hat das Land Baden-Württemberg Berufung zum OLG Karlsruhe eingelegt. Das gab die Generalstaatsanwaltschaft am in Karlsruhe bekannt (vgl. hier).

Der Abschied von der Untätigkeitsbeschwerde

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Ich hatte ja vor einigen Tagen über den KG, Beschl. v. 15.03.2012 – 8 W 17/12 -berichtet (vgl. hier), der für das Zivilrecht davon ausgeht, dass nach Inkrafttreten des § 198 Abs. 3 GVG (Verzögerungsrüge) es eine Untätigkeitsbeschwerde nicht mehr gibt bzw. diese unzulässig ist. Jetzt hat mich ein Kollege auf einem im Strafverfahren ergangenen Beschluss hingewiesen, und zwar auf den OLG Hamburg, Beschl. v. 19.03.2012 – 3 (Vollz) Ws 9/12, – der für den Bereich des Strafvollzugs dieselbe Auffassung vertritt, und zwar mit folgender Begründung:

 „Mit dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ist die gesetzliche Rechtsschutzlücke geschlossen worden. Dabei erschöpft sich dieses Gesetz nicht in der Regelung von Entschädigungsansprüchen (so offenbar Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 27.12.11, L 8 KR 326/11 B, Rdnr. 15, zitiert nach juris).

 Bereits die gesetzliche Überschrift des siebzehnten Titels des GVG „Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren“ macht deutlich, dass hier eine umfassende und abschließende Regelung des Rechtsschutzes erfolgt. (OVG, Mecklenburg-Vorpommern aaO. Rdnr. 4). Entsprechendes ergibt sich auch aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes. So wird in der Begründung ausdrücklich hervorgehoben, dass die von der Rechtsprechung entwickelten Rechtsbehelfskonstruktionen mit diesem Gesetz grundsätzlich hinfällig sind, weil eine abschließende Regelung beabsichtigt ist (BT-Drucks. 17/3802, S. 16).

 Die Neuregelung berücksichtigt auch den Präventionsgedanken der bisherigen Untätigkeitsbeschwerde. So kann ein Verfahrensbeteiligter gemäß § 198 Abs. 3 S. 1 GVG nur eine Entschädigung erhalten, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens zuvor gerügt hat (Verzögerungsrüge). Mit dieser Verzögerungsrüge soll erreicht werden, dass die Gerichte auf entsprechende Rügen mit Abhilfe reagieren können (BT-Drucks. aaO.).

 Im Übrigen würde ein Nebeneinander der von der Rechtsprechung entwickelten Untätigkeitsbeschwerde und gesetzlicher Regelung dem gesetzgeberischen und verfassungsrechtlichen Ziel der Rechtsbehelfsklarheit widersprechen (vgl. BT-Drucks. aaO. S. 1, 15 unter Berufung auf BVerfGE 107, 395, 416; 122, 190, 202).“

M.E. falsch und widerspricht im Grunde auch den Intentionen des Gesetzgebers, den Rechtsschutz durch die gesetzliche Neuregelugn auszudehnen. Durch diese Rechtsprechung wird er aber eingeschränkt. Sie führt zudem zu dem in meinen Augen widersinnigen Ergebnis, dass der Betroffene keine Möglichkeit hat, von sich aus auf eine schnellere Verfahrensführung zu drängen. Ihm bleibt nur die Verzögerungsrüge. Und ob die die Gerichte veranlasst, das Verfahren voran zu treiben, wage ich zu bezweifeln. Zudem auch die Staatsanwaltschaften dürfte diese Rechtsprechung nicht erfreuen. Denn auch sie haben dann jetzt keine Möglichkeit mehr, in ihren Augen verzögerte Verfahren – es fehlt z.B. die Eröffnungsentscheidung – voran zu treiben. Und sie sollen die Verzögerungsrüge erheben? Mit welchem Ziel?

Es war übrigens, das OLG Hamburg, dass, worauf der Senat im Beschl. v. 19.03.2012 hinweist, „der das Institut der Untätigkeitsbeschwerde durch Beschluss vom 03.06.02 (3 Vollz (Ws) 46/02) in Anlehnung an eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH, NJW 1993, 1279) im Strafvollzugsrecht zur Schließung einer Rechtsschutzlücke für Fälle begründet [erachtet hat, in denen die Untätigkeit des Gerichts praktisch einer endgültigen Ablehnung der begehrten Entscheidung gleichkommt bzw. eine Rechtsverweigerung darstellt. In diesen Fällen sollte die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Untätigkeit präventive Funktion entfalten, indem durch die Feststellung eine beschleunigte Bearbeitung durch das betroffene Gericht erreicht werden sollte (vgl. BVerfG, NJW 2005, 3488, 3489).“ Also Abschied von der Untätigkeitsbeschwerde?

 

Strafzumessung: Vergesst den Erziehungsgedanken nicht…

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Der BGH muss in JGG-Verfahren immer wieder darauf hinweisen, auch bei einer wegen der Schwere der Schuld verhängten Jugendstrafe sich deren Höhe gem. 18 Abs. 2 JGG vorrangig nach erzieherischen Gesichtspunkten bemisst. Das wird häufig in Verfahren, vor allem, wenn Heranwwachsende nach Jugendrecht verurteilt werden, übersehen. So auch in dem dem BGH, Beschl. v. 28.02.2012 – 3 StR 14/12 zugrundeliegenden Verfahren beim LG Hildesheim. Im BGH, Beschl. heißt es dazu:

„Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnen jedoch die Erwägungen, mit denen die Jugendkammer die Höhe der Strafe begründet hat. Auch bei einer wegen der Schwere der Schuld verhängten Jugendstrafe bemisst sich deren Höhe gemäß § 18 Abs. 2 JGG vorrangig nach erzieherischen Gesichtspunkten. Die Urteilsgründe müssen deshalb erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt und bei Bemessung der Jugendstrafe das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Heranwachsenden abgewogen worden ist (BGH, Beschluss vom 21. Juli 1995 – 2 StR 309/95, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 10). Diesen Anforderungen genügen die Strafzumessungserwägungen des angefochtenen Urteils nicht.

Das Landgericht hat zwar ausgeführt, es habe sich bei der Bemessung der konkreten Höhe der Jugendstrafe vorrangig am Erziehungszweck orientiert (UA S. 23). Nachfolgend werden jedoch ausschließlich Zumessungserwägungen mitgeteilt, die auch im Erwachsenenstrafrecht maßgeblich sind. Auch an anderer Stelle des Urteils finden sich keine Hinweise darauf, dass die Jugendkammer bei der Bemessung der Jugendstrafe den Vorrang des Erziehungszwecks beachtet hat. Lediglich am Ende der Strafzumessungserwägungen hat das Landgericht ausgeführt, es habe auf die konkrete Strafe „unter besonderer Beachtung der Persönlichkeitsentwicklung und des noch bestehenden Erziehungsbedarfs des Angeklagten“ erkannt (UA S. 24), ohne dies allerdings näher zu substantiieren. Eine derartige, lediglich formelhafte Erwähnung des Erziehungsgedankens in den Urteilsgründen genügt grundsätzlich nicht (BGH, Beschluss vom 19. November 2009 – 3 StR 400/09, NStZ 2010, 281).“