Archiv für den Monat: April 2012

„Formulierungshilfe zur Erweiterung der jugendgerichtlichen Handlungsmöglichkeiten “ – was ist das denn? Alter Wein in neuen Schläuchen

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Das BMJ teilt gerade in einer PM mit, dass „das Bundeskabinett heute eine Formulierungshilfe zur Erweiterung der jugendgerichtlichen Handlungsmöglichkeiten beschlossen hat, die der Deutsche Bundestag als Gesetzentwurf einbringen wird.“ Was verstecket sich denn nun dahinter?

Nun, es geht um die Weiterentwicklung früherer Vorschläge. Dazu heißt es in der PM:

In Weiterentwicklung früherer Vorschläge für einen „Warnschussarrest“ sieht der heute beschlossene Entwurf vor, dass das Jugendgericht einen Jugendarrest von bis zu vier Wochen neben einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe anordnen kann. Eine Bundesverfassungsgerichtsentscheidung hatte das Nebeneinander von Bewährungsstrafe und Arrest nicht zugelassen, da diese neue Kombination zweier Reaktionsmöglichkeiten nur auf Grundlage einer gesetzlichen Regelung möglich sei.

Eine solche Regelung wurde nunmehr geschaffen. Dabei wird die breite fachliche Kritik an bisherigen Entwürfen zum voraussetzungslosen „Warnschussarrest“ im Rahmen einer differenzierten Regelung angemessen berücksichtigt. Am Leitbild des Erziehungsgedankens im Jugendstrafrecht wird festgehalten.

Als weitere Neuerung ermöglicht der Gesetzentwurf den Jugendgerichten, gegen Heranwachsende wegen Mordes eine Jugendstrafe bis zu 15 Jahren zu verhängen, wenn das bisherige Höchstmaß von zehn Jahren wegen der besonderen Schwere der Schuld im Einzelfall, etwa bei besonders grausamen und gefühlskalten Taten ohne Reue, nicht ausreichend erscheint.

Als dritte Erweiterung der jugendgerichtlichen Handlungsmöglichkeiten wird eine sachgemäße Anwendung des in der Praxis entwickelten Instruments der sogenannten Vorbewährung gefördert, wenn über die Aussetzung einer verhängten Jugendstrafe zur Bewährung noch nicht im Urteil, sondern erst nachträglich durch Beschluss entschieden werden soll. Hierfür schafft der Entwurf eine klare gesetzliche Grundlage und angemessene Verfahrensregelungen, die gleichzeitig rechtsstaatlichen Anforderungen genügen.“

So richtig etwas Neues ist also nicht beschlossen worden. Eben eine „Formulierungshilfe“

Vollmacht und Zustellung – eine unendliche Geschichte

Es ist wirklich eine unendliche Geschichte, das Zusammenspiel von Vollmacht und Zustellung. Und wie sich der Verteidiger bevollmächtigen lässt, kann erhebliche Auswirkungen haben – lassen wir mal die Frage der Vollmachtsvorlage außen vor.

Ich plädiere dafür auch bei einer Kanzel/Sozietät, die aus mehreren Rechtsanwälten besteht, die Vollmacht nur auf den auszustellen, der auch verteidigen soll. Dann kann/muss auch nur der zum Termin geladen werden – auf ihn kommt es auch nur für Verlegungen an. Und: Nur an ihn kann dann auch wirksam zugestellt werden.

Das hatte offenbar der Kollege übersehen, mit dessen Bevollmächtigung sich der OLG Hamm, Beschl. v. 27.02.2012 – III 3 RBs 386/11 auseinander setzt. Nur in einem Zusatz, aber immerhin. Da heißt es:

Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Zustellung eines Bußgeldbescheides wirksam und mit verjährungsunterbrechender Wirkung (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG) an eine Anwaltssozietät als solche adressiert werden kann, ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung bereits geklärt. Hat der Betroffene eine alle Rechtsanwälte einer aus mehr als drei Rechtsanwälten bestehenden Anwaltssozietät erfassende Verteidigervollmacht unterzeichnet – eine derartige Vollmacht liegt auch vor, wenn im Vollmachtsrubrum nicht alle Rechtsanwälte namentlich genannt sind, sondern nur die Kanzlei- bzw. Sozietätsbezeichnung als solche aufgeführt ist – und haben sich höchstens drei dieser Anwälte (vgl. § 46 Abs. 1 OWiG, § 137 Abs. 1 Satz 2 StPO) im Verfahren zum Verteidiger bestellt, können Zustellungen nach §§ 46 Abs. 1, 51 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 145a Abs. 1 StPO wirksam und mit verjährungsunterbrechender Wirkung an die Anwaltskanzlei bzw. –sozietät als solche adressiert werden (vgl. OLG Hamm, MDR 1980, 513; OLG Köln, Beschluss vom 22. Mai 2003 – Ss 169/03 – <juris>; OLG Stuttgart, Beschluss vom 30. Januar 2002 – 4b Ss 431/01 – <juris>). Dies gilt erst recht, wenn – wie im vorliegenden Falle – die im Rubrum der Vollmachtsurkunde genannte Anwaltssozietät aus lediglich drei Rechtsanwälten besteht und sich lediglich einer der Anwälte im Verfahren zum Verteidiger bestellt hat. Die abweichende Auffassung des Amtsgerichts Stadthagen (BeckRS 2009, 06724), das sich in seiner Entscheidung mit den oben zitierten oberlandesgerichtlichen Beschlüssen nicht auseinandergesetzt hat, ist kein Grund, die Rechtsbeschwerde zuzulassen

Die im vorliegenden Verfahren erfolgte Adressierung des Bußgeldbescheides an die „Anwaltskanzlei A Partner“ begegnet nach dem oben Gesagten keinen Bedenken.“

Kennzeichenmissbrauch mit ausländischem Händlerkennzeichen?

Manipulationen  rund um das Kfz-Kennzeichen haben die Gerichte in der letzten Zeit häufiger beschäftigt (vgl. z.B. OLG Düsseldorf oder OLG Celle).Jetzt hatte auch das OLG Nürnberg eine solche Problematik. Im OLG Nürnberg, Beschl. v. 21. 3. 2012 – 2 St OLG Ss 272/11 – ging es um einen Kennzeichenmissbrauch bei ausländischem Händlerkennzeichen. Nach Auffassung des OLG scheidet ein Kennzeichenmissbrauch nach § 22 StVG aus, wenn ein Fahrzeug, das im Inland keinen regelmäßigen Standort (mehr) hat, im Inland auf öffentlichen Straßen in Betrieb gesetzt wird und dieses mit einem Kennzeichen eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum versehen ist, sowie der Betreiber für das Fahrzeug eine gültige Zulassungsbescheinigung hat, die den Anforderungen in §  20 Abs. 1 Satz 2 FZV entspricht. Die Strafbarkeit bzw. der von den Vorgaben des OLG abweichende Missbrauch muss sich aus den tatsächlichen Feststellungen der Tatgerichte ergeben. Das war nicht der Fall. Also hat das OLG aufgehoben und zurückverwiesen.

10 Stunden eher zu Hause, aber ein Urlaubstag futsch

Wer hat das nicht schon erlebt? Man ist im Urlaub, hat die Rückflugdaten und sich darauf eingerichtet. Und dann fällt der Fluggesellschaft ein, dass man auch eher fliegen könnte. Man ist dann zwar eher zu Hause, aber häufig ist ein Urlaubstag futsch. Vor allem bei Kurzreisen. So in dem dem BGH, Urt. v. 07. 04.2012 – X ZR 76/11 – zugrunde liegenden Sachverhalt, über das der BGH heute mit der PM 42/12 berichtet hat. In der PM heißt es dazu und zur BGH-Entscheidung:

„Die Klägerin verlangt aus eigenem und abgetretenem Recht ihres Lebensgefährten die Rückzahlung eines gezahlten Reisepreises und Schadensersatz.

Der Lebensgefährte der Klägerin buchte im Februar 2009 für sich und die Klägerin bei der Beklagten eine einwöchige Pauschalreise in die Türkei zum Preis von 369 € pro Person mit einem Rückflug am 1. Juni 2009 um 16.40 Uhr. In ihren in den Vertrag einbezogenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen behielt sich die Beklagte die kurzfristige Änderung der Flugzeiten und Streckenführung vor, soweit dadurch der Gesamtzuschnitt der Reise nicht beeinträchtigt wird, und wurde die Abtretung von Ansprüchen gegen die Beklagte, die auf Leistungsstörungen beruhen, ausgeschlossen. Der Rückflug wurde am Vortag auf 5.15 Uhr des 1. Juni 2009 vorverlegt, wozu die Reisenden um 1.25 Uhr am Hotel abgeholt werden sollten. Die Klägerin und ihr Lebensgefährte bemühten sich um einen anderen Rückflug, den sie an dem vorgesehenen Rückflugtag um 14.00 Uhr antraten und selbst bezahlten. Der Lebensgefährte der Klägerin trat ihr seine Ansprüche ab. Nach Geltendmachung von Reisemängeln zahlte die Beklagte an die Klägerin 42,16 €.

Die Klägerin verlangt von der Beklagten unter anderem die Rückzahlung des gesamten Reisepreises abzüglich 70 € für in Anspruch genommene Verpflegungsleistungen, die Erstattung von insgesamt 504,52 € Rücktransportkosten sowie Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit in Höhe von 480,80 € für sich selbst und 2.193,10 € für ihren Lebensgefährten.

Das Amtsgericht hat der Klägerin 25,00 € wegen Minderung des Reisepreises zugesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Das Landgericht hat angenommen, wegen des in den AGB der Beklagten enthaltenen, rechtlich nicht zu beanstandenden Abtretungsverbots seien die Ansprüche ihres Lebensgefährten nicht wirksam an die Klägerin abgetreten worden. Im Übrigen begründe die Vorverlegung des Rückflugtermins zwar einen Reisemangel, der den Reisepreis um 25,00 € mindere, jedoch liege darin angesichts des besonders günstigen Reisepreises keine erhebliche Beeinträchtigung der Reise, die die Klägerin zu einer Kündigung des Vertrags oder einer Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit berechtigen würde. Auch die Kosten der anderweitigen Rückreise müsse die Beklagte nicht erstatten, denn diese beruhten auf einem eigenen Entschluss der Klägerin und ihres Lebensgefährten und seien damit der Beklagten nicht mehr zuzurechnen.

Der unter anderem für das Reiserecht zuständige X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat das Berufungsurteil teilweise aufgehoben und die Sache insoweit an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist das in den AGB enthaltene Abtretungsverbot bei einem Reisevertrag wegen einer unangemessenen Benachteiligung der Reisenden unwirksam. Da es sich auf Gewährleistungsansprüche beschränkt, sind die Interessen des Reiseveranstalters nur von geringem Gewicht. Hingegen haben die Reisenden nicht selten das Bedürfnis, solche Ansprüche an einen ihrer Mitreisenden abzutreten, der wirtschaftlich (anteilig) die Kosten der Reise (mit)getragen hat.

Auch bei Berücksichtigung des in den AGB enthaltenen Vorbehalts hat das Berufungsgericht in der Vorverlegung des Flugs um mehr als 10 Stunden zu Recht einen Reisemangel erkannt. Dieser berechtigte die Reisenden aber grundsätzlich auch zur Selbstabhilfe und zur Erstattung der mit dem selbst organisierten Rückflug entstandenen Kosten, wenn sie zuvor dem Reiseveranstalter eine Abhilfefrist gesetzt hatten oder eine solche Fristsetzung entbehrlich war. Letzteres kann sich bereits aus den Umständen ergeben, etwa wenn der Reiseveranstalter den Reisemangel bewusst vurursacht und ihn als unvermeidlich darstellt.

Die Vorverlegung des Rückflugs stellt im Streitfall hingegen keine erhebliche Beeinträchtigung der Reise dar. Dies kann zwar nicht mit dem geringen Reisepreis begründet werden. Nach Bejahung eines Reisemangels kommt es vielmehr darauf an, welchen Anteil der Mangel in Relation zur gesamten Reiseleistung hatte und wie gravierend sich der Mangel für den Reisenden ausgewirkt hat. Da die Reisenden dem Reisemangel aber im Wesentlichen selbst abgeholfen haben, ist danach keine erhebliche Beeinträchtigung mehr zu erkennen, die zur Kündigung oder einer Entschädigung für nutzlos aufgewendete Urlaubszeit berechtigen würde.

Für das Berufungsgericht bleibt zu prüfen, ob die Klägerin und ihr Lebensgefährte der Beklagten eine Frist zur Abhilfe gesetzt haben oder diese nach den Umständen entbehrlich war, sowie in welcher Höhe Kosten für den Rückflug tatsächlich angefallen sind.

Erst Mittäter, dann Alleintäter – darauf hinweisen muss das Gericht…

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Die Anklage  legte dem Angeklagten zur Last, gemeinschaftlich mit einem Mitangeklagten ein Gebäude, das der Wohnung von Menschen dient, in Brand gesetzt zu haben. Am letzten Tag der Hauptverhandlung wurden beide Angeklagte darauf hingewiesen, dass eine Verurteilung wegen Brandstiftung nach § 306 StGB und der Angeklagte R. , dass eine Verurteilung wegen Anstiftung zur Brandstiftung nach § 306 StGB in Betracht kommt. Anschließend verurteilte die Jugendkammer den Angeklagten wegen in Alleintäterschaft begangener Brandstiftung, während sie den Mitangeklagten insoweit freisprach. Das hat der Angeklagte mit der Revision angegriffen. Und er hatte Erfolg.

Der BGH, Beschl. v. 22.03.2012 – 4 StR 651/11 sieht einen Verstoß gegen § 265 Abs. 1 StPO:

Diese Verfahrensweise verletzt § 265 Abs. 1 StPO. Will das Gericht im Urteil von einer anderen Teilnahmeform ausgehen als die unverändert zugelassene Anklage, muss es den Angeklagten nach § 265 Abs. 1 StPO zuvor darauf hinweisen und ihm Gelegenheit geben, seine Verteidigung darauf einzurichten. Das gilt auch bei einer Verurteilung wegen Alleintäterschaft statt Mittäterschaft (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Februar 1989 – 1 StR 24/89, BGHR StPO § 265 Abs. 1 Hinweispflicht 5; Beschluss vom 17. Mai 1990 – 1 StR 157/90, NStZ 1990, 449; Urteil vom 24. Oktober 1995 – 1 StR 474/95, StV 1997, 64; Beschluss vom 17. Januar 2001 – 2 StR 438/00, StV 2002, 236; Beschluss vom 14. Oktober 2008 – 4 StR 260/08, NStZ 2009, 105). Gegenüber dem Vorwurf der Alleintäterschaft ist regelmäßig eine andere Verteidigung geboten als gegenüber dem der Mittäterschaft.“

Nichts Neues, wie die Zitate zeigen, aber immer wieder übersehen…