Archiv für den Monat: April 2012

Sex im Sperrbezirk – versuchen kann man es ja mal…

In der Stadt Dortmund gibt es wie in vielen (Groß)Städten einen sog. Sperrbezirk, in dem die Ausübung der Straßenprostitution verboten ist. Im Sperrbezirk ist es außerdem „untersagt, zu Prostituierten Kontakt aufzunehmen, um sexuelle Handlungen gegen Entgelt zu vereinbaren (Anbahnungshandlungen).“

Das AG trifft zu einem Tatgeschehen in diesem Sperrbezirk folgende Feststellungen:

Am 26.05.2011 gegen 12.55 Uhr befuhr der Betroffene mit seinem PKW Mercedes mit dem amtlichen Kennzeichen XXXX die Bergmannstraße/Ecke Steigerstraße. Auf dem Bürgersteig, der von der Straße durch einen Grünstreifen getrennt ist, lief die Zeugin  Q. Einige Meter hinter ihr lief der Zeuge L. Die Zeugen bestreiften dienstlich in ziviler Kleidung die Nordstadt.

 Auf der Steigerstraße hielt der Betroffene, nachdem er schon zuvor an den Zeugen vorbeigefahren und stehen geblieben ist, auf der Straße an. Er öffnete das Fenster seines Fahrzeugs auf der Beifahrerseite und sprach die Zeugin Q mit den Worten „Was nimmst Du?“ an. Auf die Frage der Zeugin, was der Betroffene meine, antwortete er sinngemäß was sie nehme, wobei er in einem strengen Ton fragte. Daraufhin gab sich die Zeugin Q als Mitarbeiterin des Ordnungsamtes zu erkennen. Auch der sodann ankommende Zeuge L gab sich als Mitarbeiter des Ordnungsamtes zu erkennen.

 Nach Eröffnung des Tatvorwurfs erklärte der Betroffene den Zeugen zunächst, dass er die Zeugin Q mit einer bulgarischen Prostituierten verwechselt habe, die er suche wegen der Vermietung einer Wohnung in seinem Hause.“

© froxx - Fotolia.com

Daraus wird für den Betroffenen ein Bußgeldverfahren wegen Verstoßes gegen die Sperrbezirks-VO und er wird zu einer Geldbuße von 100 € verurteilt. Auf die dagegen eingelegte Rechtsbeschwerde hebt das OLG Hamm, Beschl. v. 07.02.2012 – III-1 RBs 200/11 die Verurteilung auf und spricht den Betroffenen frei:

Das ist rechtlich nicht haltbar. Da es sich nach den amtsgerichtlichen Feststellungen bei der von dem Betroffenen angesprochenen Zeugin Q nicht, wie es § 6 a OBVO aber voraussetzt, um eine Prostituierte, sondern um eine dienstlich die Nordstadt bestreifende Mitarbeiterin des Ordnungsamtes der Stadt Dortmund handelte, konnte der Betroffene eine (vollendete) Ordnungswidrigkeit gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 17 OBVO nicht begehen. Sein Verhalten entspricht vielmehr (lediglich) einem (untauglichen) Versuch. Der Versuch einer Ordnungswidrigkeit kann aber nach § 13 Abs. 2 OWiG nur geahndet werden, „wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt“, d. h. wenn die jeweilige Bußgeldnorm die Ahndung des Versuchs ausdrücklich zulässt (vgl. Göhler, OWiG, 15. Aufl., § 13 Rn. 1). Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Die Möglichkeit der Ahndung eines Versuchs der von dem Amtsgericht angenommenen Ordnungswidrigkeit ist in der OBVO der Stadt Dortmund nicht normiert. Infolgedessen war der Betroffene freizusprechen.“

Folge(n)? Den Betroffenen wird es freuen, die Stadt Dortmund wird ihre Sperrbezirks-VO ändern/ergänzen und ich habe einen neuen begriff kennen gelernt: „Das dienstliche Bestreifen“. In dem Zusammenhang: Nett 🙂 :-).

14 Monate nach der Tat: Weitere „vorläufige“ Entziehung der Fahrerlaubnis nicht mehr vertretbar

© ExQuisine - Fotolia.com

Dauern die Verfahren, in denen dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen worden ist (§ 111a StPO (zu) lange, stellt sich die Frage der Fortbestands der vorläufigen Maßnahme.

Der „richtige Weg“, gegen die Maßnahme vorzugehen, ist m.E. der Aufhebungsantrag – nach § 111a Abs. 2 StPO ist die Maßnahme aufzuheben, wenn ihre Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. Den Weg ist der Kollege, der mir AG Montabaur, Beschl. v. 24.02.2012 – 2020 Js 12711/11 42 Cs übersandt hatte, gegangen. Und er hatte Erfolg.

Das AG hat nach 14 Monaten die weitere vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis – unter Berücksichtigung der übrigen Umstände des Einzelfalls – die weitere Fortdauer der Maßnahme als nicht mehr vertretbar angesehen. Dabei hat es darauf abgestellt,

„dass der Angeklagte keinerlei Vorstrafen aufzuweisen hat, zwischenzeitlich nicht straßenverkehrsrechtlich in Erscheinung getreten ist und ein erheblicher Zeitraum nach der vorläufigen Ent­ziehung durch die Einholung und Erstellung eines von der Staatsanwaltschaft beantragten Sach­verständigengutachtens verstrichen ist.“

Und: Nach Auffassung des AG kommt es nicht darauf an, ob die eingetretenen Verfahrensverzögerungen allein auf einem Verschulden der Justiz beruhen. Welche Umstände sonst eine Rolle gespielt haben, sagt der Beschluss nicht. 🙂

Die Sanktionsschere der Staatsanwaltschaft

In Zusammenhang mit der Verständigungsregelung hat die Diskussion um die sog. Sanktionsschere – (zu) weites Auseinanderklaffen von bei Geständnis zu erwartender Strafe zu Straf ohne ohne Geständnis – an Bedeutung zugenommen. Meist geht es aber um eine beim Gericht angesiedelte Strafe. Der BGH, Beschl. v. 22.03.2012 – 1 StR 618/11 – behandelt hingegen mal den Fall einer Sanktionssschere auf Seiten der StA.

Das LG hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in sieben Fällen, Beihilfe zur Steuerhinterziehung in zwei Fällen, versuchter Steuerhinterziehung, Kreditbetruges, Betruges in zwei Fällen, vorsätzlichen Bankrotts in drei Fällen, vorsätzlicher Verletzung der Buchführungspflicht in zwei Fällen und vorsätzlicher Verletzung der Insolvenzantragspflicht in vier Fällen zu vier Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Der Angeklagte hat in der Revision geltend gemacht, sein Geständnissei wegen Verstoßes gegen § 136a StPO, gegen § 257c StPO und gegen den Grundsatz fairen Verfahrens unverwertbar, weil seitens der Staatsanwaltschaft für den Fall des Bestreitens eine Freiheitsstrafe zwischen acht und neun Jahren „angedroht“ worden war. Dazu der BGH:

Zur Rüge, das Geständnis des Angeklagten sei wegen Verstoßes gegen § 136a StPO, gegen § 257c StPO und gegen den Grundsatz fairen Verfahrens unverwertbar, weil seitens der Staatsanwaltschaft für den Fall des Bestreitens eine Freiheitsstrafe zwischen acht und neun Jahren „angedroht“ worden war, für den Fall des Geständnisses und umfassender Schadenswiedergutmachung indes eine solche zwischen vier und fünf Jahren, bemerkt der Senat: Angesichts der Vielzahl der Taten, der Höhe der jeweils erzielten Steuerhinterziehungserfolge und der deswegen zu beachtenden Grundsätze bei der Strafzumessung in Steuersachen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 2012 – 1 StR 525/11) einerseits, einer gemäß § 46 Abs. 2 StGB zu beachtenden Strafmilderng eines umfassenden Geständnisses und einer mit besonderem Einsatz geleisteten Schadenswiedergutmachung andererseits erscheinen die von der Staatsanwaltschaft geäußerten Strafvorstellungen keinesfalls unrealistisch. Die Strafkammer hatte sich jedenfalls durch den protokollierten Hinweis, dass sie selbst keine Straferwartung geäußert und auch keine Straferwartungen anderer akzeptiert habe, hinreichend deutlich von den seitens der Staatsanwaltschaft in den Raum gestellten Straferwartungen distanziert. Die Strafkammer selbst hat im Rahmen einer dann – rechtsfehlerfrei – erfolgten Verständigung nach § 257c StPO eine Gesamtfreiheitsstrafe zwischen vier Jahren und vier Jahren und neun Monaten in Aussicht gestellt; durch die Verhängung einer der Untergrenze entsprechenden, den Rahmen schuldangemessenen Strafens nach unten gerade noch nicht verlassenden Freiheitsstrafe ist der Angeklagte nicht beschwert.“

Der Beschluss macht deutlich, welche Strafhöhe der 1. Strafsenat ggf. „mitgetragen“ hätte – „keinesfalls unrealistisch“ –

Führerschein mit 16 – Ramsauer sagt „Unfug“

Dieses Mal ist es nicht der Bundesverkehrsminister selbst, der sich in die Schlagzeilen katapultiert, sondern seine Parteifreunde aus der CDU. Die haben den Vorschlag gemacht, dass man schon mit 16 den Führerschein erwerben kann – wie heute in der Tagespresse berichtet wird (vgl. auch hier bei Focus online). Der Minister sagt „Unfug“ (hoffentlich nicht nur, weil nicht er auf die Idee gekommen ist :-)).

So ganz kann ich mich mit dem Vorschlag allerdings auch nicht anfreunden. Die Begründung für den Vorschlag:

Bleser sagte am Mittwoch, in ländlichen Gebieten sei es für junge Leute schwer, jenseits der Hauptfahrzeiten öffentlicher Verkehrsmittel zur Ausbildungsstelle zu kommen. Mit 16 Jahren dürften sie bereits Moped fahren, was aber vor allem im Winter zu Unfällen führen könne. Im Auto zu fahren wäre sicherer. Der Vorschlag geht zurück auf den CDU-Fachausschuss Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, dessen Vorsitzender Bleser ist. Der CDU-Vorstand erarbeitet gerade ein Konzept zu den ländlichen Räumen.

Die Argumentation ist nicht unbedingt zwingend. Allerdings der Einwand/Hinweis des Ministers auf die Möglichkeiten des begleiteten Fahrens auch nicht. Also bleibt es letztlich „Ansichtssache“, ob man einem 16-Jährigen zutraut, schon allein einen Pkw zu führen. In anderen Ländern tut man es teilweise (vgl. hier).

Sonntagmorgens gegen 7.45 Uhr 100m am Ende einer Sackgasse gefahren – kein Regelfall der Fahrerlaubnisentziehung

© ExQuisine - Fotolia.com

Im Moment häufen sich die Entscheidungen, in denen bei Trunkenheitsfahrten von der Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen wird; zuletzt hatte ich am 10.04.2012 über eine Entscheidung des AG Düsseldorf berichtet.

Ein Kollege hat mir daraufhin das AG Essen, Urt. v. 13.05.2011 – 49 Cs-49 Js 501/11-185/11 geschickt, gegen das die StA zunächst Berufung eingelegt hatte, diese inzwischen aber wieder zurück genommen hat. Das  AG Essen hat auch einen Regelfall bei § 316 StGB mit 1,53 Promille verneint, und zwar mit folgender Begründung:

Das Gericht hatte einen Regelfall nach § 69 StGB angesichts der Umstände der Fahrt verneint. Die von dem Angeklagten gefahrene Fahrstrecke von weniger als 100 Metern am Ende einer Sackgasse am Sonntagmorgen gegen 7.45 Uhr ohne Verkehr entsprechen nicht dem Durchschnittsfall einer normalen Trunkenheitsfahrt. Zudem kommen besondere Umstände, die in der Person des Angeklagten liegen, hinzu, die die Vermutung der mangelnden Eignung widerlegen: Er fuhr bisher unbeanstandet im Straßenverkehr und hätte bei einer Entziehung der Fahrerlaubnis mit dem Verlust seines Arbeitsplatzes zu rechnen. Die bisherige Beschlagnahme des Führerscheins hat auf ihn bereits einen entscheidenden Eindruck hinterlassen, da er auf den Führerschein angewiesen ist und berufliche Nachteile spürt.“

Kann sich also lohnen, die Tatumstände auf Besonderheiten abzuklopfen.