Archiv für den Monat: Januar 2012

Die Summe macht es (auf jeden Fall) – Pflichtverteidigung beim betreuten Beschuldigten

Das LG Braunschweig, Beschl. v. 12. 12. 2011 – 5 Qs 301/11 setzt sich mit der Frage der Beiordnung eines Pflichtverteidigers bei einem unter Betreuung stehenden Beschuldigten auseinander. Er kommt zum Ergebnis: Die Summe machte es, nämlich die Kumulation eines drohenden mittelbaren Nachteils sowie die Besorgnis der Unfähigkeit der Selbstverteidigung des Angeklagten. Die können dazu führen, dass die Verteidigung des Angeklagten notwendig i. S. d. § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO ist.

Leider teilt der Beschluss nicht mit, ob nicht ggf. schon allein der drohene Widerruf wegen der Höhe der Gesamtstrafewartung ausgereicht hätte, zur notwendigen Verteidigung zu kommen. M.E. reicht aber auch schon allein der Umstand aus, dass der Angeklagte unter Betreuung stand. Beides zusammen reicht auf jeden Fall.

Und es gibt sie doch – die Lebensakte, jedenfalls so etwas Ähnliches

Der Begriff der „Lebensakte“ und die Einsicht in diese ist sicherlich ein fast ebenso großer Dauerbrenner im Bußgeldverfahren wie der Kampf um die Bedienungsanleitung eines Messgerätes.  Wird Einsicht in die Lebensakte beantragt, wird der Verteidiger häufig entgegengehalten: Haben wir nicht, brauchen wir nicht, gibt es nicht. M.E. falsch, da es zwar im Gesetz nicht den Begriff der Lebensakte gibt, aber in der Rechtsprechung (immerhin zwei OLG verwenden ihn) und auch in der Literatur. Und zumindest gibt es eine Zusammenfassung von Urkunden, die einem bestimmten Messgerät zugeordnet werden können/müssen. Das wird man als „Lebensakte“ bezeichnen können. Und insoweit besteht Akteneinsichtsrecht. Das hat jetzt das AG Heidelberg richtig erkannt und dazu ausgeführt:

„Das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers umfasst die Bedienungsanleitung eines Messgerätes und mangels Existenz einer offiziellen Lebensakte im engeren Sinn eine Mitteilung über Reparaturen, zusätzliche Wartungen oder eine vorgezogene Neueichung an dem verfahrensgegenständlichen Messgerät in dem die verfahrensgegenständliche Tat betreffenden durch den Eichschein festgelegten Eichzeitraum.

AG Heidelberg, Beschl. v. 05.12.2011 – 3OWi 731/11

Na, geht doch.

Sonntagswitz: Dinner for one – etwas verspätet – aber interessante Teilnehmer

Man ist ja immer wieder erstaunt,w as es alles so gibt. So bin ich bei der Suche nach Material für diese Rubrik auf eine Version von „Dinner for one“ gestoßen, die ich bisher nicht kannte. Ich will sie, obwohl die Zeit für diesen „Dauerbrenner“ ja an sich überschritten ist, dennoch heute hier einstellen. Zumindest passt es ja immer noch wegen der Teilnehmer an der netten Runde:

http://www.youtube.com/watch?v=jVGl8ShlD2g

Wochenspiegel für die 2 KW., das waren ein Kunstpenis, Peter Ramsauer und ein Teddybär

Zu berichten ist über – wie lassen Christian Wulff mal außen vor (na ja, fast):

  1. Charakterliche Ungeeignetheit wegen Kunstpenis,
  2. Gefängnis wegen Wulff-Witze – das wäre dann der 3. Akt,
  3. den geringen Wert eines HV-Protokolls,
  4. einen misslungenen Autokauf,
  5. Schleichwerbung (?) im RSV-Blog,
  6. ein nicht nachvollziehbares Urteil des AG Schleswig, vgl. auch hier,
  7. Peter Ramsauer und die Kopfhörer,
  8. den Strafverteidiger als steuerliche Belastung,
  9. die Auswirkungen des Machtkampfes beim BGH,
  10. und dann war da noch: die Fahndung nach einem Teddybär.

Welche Auswirkungen haben die Tätigkeiten des BND?

Bei der Recherche des Materials zur 6. Auflage des „Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren“ bin ich auf eine Haftentscheidung des BGH gestoßen. So häufig gibt es die ja nicht, von daher ganz interessant. Es ist der BGH, Beschl. v. 22.12.2010 – AZ: AK 19/10. Der BGH hat in dem Beschluss einen Haftbefehl des OLG Düsseldorf aufgehoben, und das wie folgt begründet:

….Auch kann dahinstehen, ob gegen den Angeklagten weiterhin ein Haftgrund vorliegt. Denn der weitere Vollzug der nunmehr bereits fast zehn Monate andauernden Untersuchungshaft verstößt jedenfalls gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Der Senat hat schon in seinem Beschluss vom 16. September 2010 darauf hingewiesen, dass der Einfluss des Bundesnachrichtendienstes auf die Mitwirkung des Angeklagten in der DHKP-C sich gegebenenfalls – abhängig von der Art und Intensität – bei der Strafzumessung zu dessen Gunsten auswirken muss. Die in der Zwischenzeit durchgeführten weiteren Ermittlungen – insbesondere die Angaben des Bundesnachrichtendienstes in dem Schreiben vom 13. Dezember 2010 – belegen, dass die Zusammenarbeit zwischen dem Angeklagten und dem Bundesnachrichtendienst besonders intensiv war und die vom Angeklagten gelieferten Informationen einen hohen Wert hatten. Danach fand etwa die erste Begegnung bereits im Dezember 2002 und damit nur kurz nach Beginn des Tatzeitraums im Oktober 2002 statt. Insgesamt kam es zu 134 Treffen, die im 14tägigen Rhythmus durchgeführt wurden. Im Zusammenhang mit den nachrichtendienstlichen Tätigkeiten wurde im August 2008 ein Betrag in Höhe von 10.000 € auf einem Konto des Angeklagten gutgeschrieben. Dessen Einlassung, er habe darüber hinaus ein monatliches Entgelt in erheblicher Höhe erhalten, ist nach den bisherigen Angaben des Bundesnachrichtendienstes nicht zu widerlegen. Über die einzelnen aktuellen Tätigkeiten des Angeklagten für die DHKP-C einschließlich der Schleusungsfahrten war der Bundesnachrichtendienst teilweise sogar im Voraus, zumindest jedoch nach deren Durchführung unterrichtet. Aus den vom Angeklagten übermittelten Informationen wurde eine Vielzahl von Meldungen erstellt; seine Arbeit wurde vom Bundesnachrichtendienst als besonders wichtig und hochwertig eingestuft, um die Strukturen der DHKP-C aufdecken zu können.
Bei sachgerechter Berücksichtigung all dieser Umstände ergibt sich, dass die Straferwartung des Angeklagten deutlich reduziert ist. Deshalb muss trotz des kurz bevorstehenden Beginns der Hauptverhandlung das staatliche Interesse an der weiteren Sicherung des Verfahrens hinter dem überwiegenden Freiheitsinteresse des Angeklagten zurücktreten.“