Archiv für den Monat: August 2011

Aufpasst: Kostenfestsetzungantrag – Wann kann er ggf. in eine sofortige Beschwerde umgedeutet werden?

Schon etwas älter ist der Beschl. des OLG Celle v. 14.10.2010 – 2 Ws 350/10, über den ich aber dennoch berichten will, weil er die für die Praxis interessante Frage behandelt, ob und wann ein Kostenfestsetzungsantrag ggf. in eine sofortige Beschwerde gegen eine Kostengrundentscheidung umgedeutet werden kann. Die Frage ist in der Praxis z.B. immer dann von Bedeutung, wenn die Kostengrundentscheidung fehlerhaft ist, das aber nicht unmittelbar mit dem Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde geltend gemacht wird, sondern später dann auf der Grundlage eines „an sich richtigen Kostenausspruchs“ Kostenfestsetzung beantragt wird.

So auch in OLG Celle, Beschl. v. 14.10.2010. Der Angeklagte wird vom AG verurteilt, die dagegen gerichtete Berufung der StA vom LG verworfen, die notwendigen Auslagen des Angeklagten werden aber nicht der Staatskasse auferlegt. Im Kostenfestsetzungsantrag werden die aber geltend gemacht.

Die Frage, die sich dann im Laufe des Verfahrens stellte: Ist das ggf. eine (konkludente) Beschwerde gegen die unterbliebene Auslagenentscheidung. Das OLG sagt: nur dann, wenn sich aus dem Kostenfestsetzungsantrag der Wille ergibt, die vorliegende bzw. unterbliebene Kostengrundentscheidung anzugreifen. Damit schließt es sich der insoweit wohl h.M. an.

Für den Verteidiger bedeutet das: Aufgepasst und jeweils sofort auf die „richtige Kostengrundentscheidugn“ achten. Später lassen sich Fehler in dem Bereich – wenn überhaupt – nur schwer reparieren.

Der angeschnittene Bremsschlauch und § 315b StGB

Manchmal denkt man, wenn man Tatbestände in BGH-Entscheidungen liest: Das gibt es nur in einer Strafrechtsklausur, nicht aber im „wirklichen Leben“. So auch in BGH, Beschl. v. 26.07.2011 – 3 StR 340/11, der von folgendem Sachverhalt ausgeht:

Das Landgericht hat sich rechtsfehlerfrei davon überzeugt, dass die Angeklagte am 21. September 2008 entweder den rechtskräftig freigesprochenen Mitangeklagten K. , den Zeugen D. oder beide gemeinsam dazu veranlasste, an dem Pkw ihres Vaters einen Bremsschlauch anzuschneiden. Dadurch wurde die Wirkung des Bremssystems bei scharfen Bremsungen um bis zu 50 % vermindert. Außerdem kam es zu einer Verlängerung des Bremspedalweges. Die Angeklagte und der auf ihre Aufforderung hin handelnde Haupttäter wollten auf diese Weise erreichen, dass der Vater der Angeklagten bei seiner nächsten Autofahrt einen Verkehrsunfall erleidet und sich dabei Verletzungen zuzieht. Dass die Angeklagte eine Tötung ihres Vaters anstrebte oder zumindest billigend in Kauf nahm, vermochte das Landgericht nicht festzustellen.

Am 22. September 2008 verließ der Vater der Angeklagten mit dem Fahrzeug den Innenhof seines Wohnanwesens und fuhr in eine öffentliche Straße ein, auf der die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h beschränkt war. Als er hinter parkenden Fahrzeugen anhalten wollte, um Gegenverkehr passieren zu lassen, bemerkte er bei der Betätigung des Bremspedals zunächst keine Bremswirkung. Er bremste deshalb stärker und zog die Handbremse an. Sein Fahrzeug kam daraufhin zum Stillstand, ohne dass andere Fahrzeuge berührt wurden. Anschließend fuhr er vorsichtig zurück zu seinem Wohnanwesen und veranlasste eine fachkundige Überprüfung, bei der die Beschädigung des Bremsschlauches entdeckt wurde. Weitere Feststellungen hat das Landgericht nicht zu treffen vermocht.“

Das hatte das LG als eine Anstiftung zum vollendeten gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB) gewertet. Der BGH sagt: Nein, nur Versuch, weil es zu keiner konkreten Gefährdung eines der in § 315b Abs. 1 StGB bezeichneten Individualrechtsgüter gekommen ist:

Die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache ist erst dann konkret gefährdet, wenn durch die Tathandlung ein so hohes Verletzungs- oder Schädigungsrisiko begründet worden ist, dass es nur noch vom Zufall abhängt, ob es zu einer Rechtsgutsverletzung kommt. Kritische Verkehrssituationen erfüllen diese Voraussetzungen im Allgemeinen nur, wenn sie sich aus der Perspektive eines objektiven Beobachters als ein „Beinahe-Unfall“ darstellen (Senatsurteil vom 30. März 1995 – 4 StR 725/94, NJW 1995, 3131; SSW-StGB/Ernemann § 315b Rn. 16). Aus den landgerichtlichen Feststellungen ergibt sich dazu nur, dass der Vater der Angeklagten bei der Betätigung des Bremspedals zwar anfänglich keine Bremswirkung verspürte, dann aber sein Fahrzeug doch noch mit der eigenen Bremsanlage rechtzeitig zum Stehen brachte. Dass es dabei zu einer hochriskanten, praktisch nicht mehr beherrschbaren Verkehrssituation gekommen wäre, die dem Bild eines „Beinahe-Unfalls“ entspricht, kann weder den weiteren Feststellungen, noch dem Gesamtzusammenhang des Urteils entnommen werden. Die bloße Inbetriebnahme eines Fahrzeuges, dessen Bremsanlage be-schädigt worden ist, reicht für die Annahme einer konkreten Gefahr nicht aus. Das dadurch begründete besondere Unfallrisiko stellt sich nur als eine – wenn auch möglicherweise erhebliche – Steigerung des allgemeinen Unfallrisikos dar, ohne die darin liegende abstrakte Gefahr bereits im Sinne von § 315b StGB zu konkretisieren (Senatsurteil vom 30. März 1995 – 4 StR 725/94, NJW 1995, 3131).“

Bahn oder Pkw? – Der Umweltschutz ist im Gebührenrecht angekommen.

Und dann mal wieder etwas Gebührenrechtliches, zwar nicht aus dem Straf- bzw. OWi-Bereich, sondern eine Entscheidung aus dem Arbeitsrecht, allerdings mit Auswirkungen auch auf die Vergütung der anwaltlichen Tätigkeit in anderen Rechtsgebieten. Es geht nämlich um die Reisekosten beim beigeordneten Rechtsanwalt oder kurz ausgedrückt um die Frage: Bahn oder Pkw?

Dazu sagt der LAG Niedersachsen, Beschl. v. 17.06.2011 – 17 Ta 520/10:

Die Höhe der zu erstattenden Reisekosten richtet sich nach VV 7003 bis 7006. Nach VV 7003 sind bei Benutzung eines eigenen KfZ für jeden gefahrenen km 0,30 Euro zu erstatten. Die Fahrtkosten eines anderen Verkehrsmittels werden – soweit sie angemessen sind – in voller Höhe erstattet. Zu ersetzen sind dem Rechtsanwalt bei Benutzung anderer Verkehrsmittel gemäß VV 7004 daher die tatsächlichen Aufwendungen, soweit sie angemessen sind. Dabei darf der Anwalt frei wählen, ob er mit der Bahn oder mit seinem eigenen KfZ fährt. Was gem. § 5 Abs.1 JVEG für die Reisekosten einer Partei gilt, muss auch für den Rechtsanwalt gelten. Es ist keine Vergleichsberechnung hinsichtlich der Kosten mit dem eigenen KfZ und der Bahn durchzuführen. Es sind nicht nur die Kosten des billigeren Verkehrsmittels zu erstatten (Gerold/Schmidt, aaO., Rn 21 zu VV 7003, 7004).“

Und zum Umweltschutz:

„Gerade in Zeiten des Klimaschutzes wird man den Bahn fahrenden Anwalt nicht auf die PKW-Benutzung verweisen können.“

Der „große Loriot“ verstorben

Gerade läuft die Meldung über die Ticker, dass gestern Loriot im Alter von 87 Jahren verstorben ist (vgl. u.a. hier).

Mir wird etwas fehlen. Wenn ich nur an die wunderbaren Beiträge zu „Weihnachten bei Hoppenstedts“ denke oder an den Kosakenzipfel.

Von Loriot stammt wohl auch das schöne Zitat:

In der Politik gibt niemals der Klügere nach, sondern immer der Schwächere.

Wir werden ihn vermissen.

Geschwindigkeitsmessung, Richtlinien, Gefahrenstelle und „fehlendes Zusatzschild“

Derzeit sind – aus welchen Gründen auch immer – die mit der Beachtung der Richtlinien für die Geschwindigkeitsmessung zusammenhängenden Fragen im Gespräch. Nachdem gerade erst das OLG Stuttgart seine Rechtsprechung in dem Bereich (teilweise) nach einer Änderung der Richtlinien in Baden-Württemberg geändert hat (vgl. hier OLG Stuttgart), kommt jetzt eine Entscheidung aus Niedersachsen.

Das OLG Celle befasst sich in OLG Celle, Beschl. v. v. 25. 7. 2011 – 311 SsRs 114/11 auch mit der Richtlinienproblematik, und zwar mit einer vom Verteidiger aufgeworfenen Fragestellung, die m.E. bislang noch nicht Gegenstand der Rechtsprechung gewesen ist.

Der Betroffene hatte gegen die Messung eingewendet, an der Stelle, an der gemessen worden sei, nämlich nur 80m nach dem geschwindigkeitsbegrenzenden Schild, habe nicht gemessen werden dürfen, da es sich nicht um einen Ausnahmefall i.S. der Richtlinie gehandelt habe. Zudem hatte er moniert, dass bei der ihn betreffenden Messung die Geschwindigkeitsüberschreitung durch das Aufstellen weiterer Verkehrszeichen an einer vorgezogenen Position ? wie es bei einer späteren Messung erfolgt sei – hätte vermieden werden können.

Das OLG Celle setzt sich mit beiden Einwänden auseinander, und zwar wie folgt:

  1. Nach Nr. 4 Satz 3 der Anlage zur niedersächsischen Richtlinie sei eine Unterschreitung des Regelabstands wegen der unmittelbar hinter der Messanlage liegenden Gefahrstelle zulässig gewesen sei. Bei der Ausübung des Ermessens, welche Gründe ein Abweichen von der Regel rechtfertigen, ist nach Ansicht des OLG Celle den Straßenverkehrsbehörden ein weiter Spielraum einzuräumen. Ist, wie hier, eine Gefahrenstelle vorhanden, so obliegt es grds. der Verkehrsbehörde, anhand der Gegebenheiten vor Ort zu entscheiden, wo die Messstelle eingerichtet wird; diese Entscheidung ist von den Gerichten hinzunehmen, soweit nicht ausnahmsweise die Grenze zur Willkür überschritten wird. Anhaltspunkte für letzteres hat das OLG verneint.
  2. Willkür sieht das OLG insbesondere auch darin begründet, dass eine Unterschreitung des Mindestabstands durch das Aufstellen weiterer Verkehrszeichen an einer vorgezogenen Position, wie es bei einer weiteren Messung erfolgt sei, hätte vermieden werden können. Bestandteil der Richtlinie, auf deren Einhaltung der Betroffene nach Art. 3 GG Anspruch hat, sei eben auch die Ausnahmeregelung in Nr. 4 Satz 3 der Anlage; die Richtlinie enthalte hingegen an keiner Stelle eine Einschränkung dahingehend, dass die Ausnahme nicht gelte, wenn ein Verkehrszeichen auch in größerer Entfernung von einer Gefahrstelle hätte aufgestellt werden können, was im übrigen sehr oft der Fall sein dürfte. Eine nicht existierende Regelung kann indes keinen Anspruch auf Gleichbehandlung begründen.