Archiv für den Monat: November 2010

Live aus dem Gerichtssaal: StPO-Reform in D’dorf

unter dem Thema berichtete heute mittag ein Kollege im Forum bei Heymanns Strafrecht über seine Erfahrungen – oder besser Erlebnisse – beim LG Düsseldorf. Das Posting will ich unseren Blogleser nicht vorenthalten.

„Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sitze gerade in einem Umfangsverfahren und möchte nicht versäumen mitzuteilen, was ich hier gerade erlebe: § 249 scheint einen neuen Abs. 3 zu haben, den ich noch nicht gefunden habe. Hier hängen zwei riesige Beamer an der Decke, mit der auf zwei Leinwände (3 x 3 m) die Protokolle der Beschuldigtenvernehmungen im EV projeziert werden, sodass alle (auch die Zuschauer) schön mitlesen können. Die Vorsitzende liest das Protokoll (wörtlich) vor und der jeweilige Angeklagte nickt fleißig. Wir nennen es amüsiert das neue „Mitleseverfahren“ ;-)“.

Wirklich interessant. Und es stellt sich die Frage: Zulässig oder nicht? Und: Was soll es sein? Urkundenbeweis nach § 249 StPO? Wohl kaum? Protokollverlesung? Warum und nach welcher Vorschrift? Also vielleicht wirklich eine gesetzliche Neuregelung, die wir alle noch nicht entdeckt hatten?

Sie versuchen es immer wieder II – oder: Hier wird mal wieder „kreativ“ gedacht

Der Kollege Siebers berichtete hier über den Versuch des Gerichts, die Gebühr Nr. 4141 VV RVG nicht festzusetzen.

Zu dem Beitrag passt ganz gut eine gebührenrechtliche Anfrage, die mich vor einigen Tagen erreicht hat. Der Kollege schreibt:

„Es geht um ein Strafverfahren mit Ermittlungs- und gerichtlichem Verfahren. Im Ermittlungsverfahren war die Übersendung der polizeilichen Akte nötig, was die 12,00 EUR Aktenübersendungspauschale auslöste. Im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahren wurde diese Gebühr mit geltend gemacht, jedoch hat das Gericht diese nicht festgesetzt und darauf verwiesen, dass man die Akte auch hätte bei der Behörde abholen können. Verwiesen worden ist auf § 464 a StPO i.V.m § 91 ZPO als auch auf § 2 KostO. Nun stellt sich uns die Frage, ob man nicht mit dem Argument der Kostenersparnis (Abwesenheit aus Kanzlei und Fahrtkosten) dagegenhalten könnte und ob dies überhaupt erfolgversprechend wäre. In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass das Verfahren in Berlin stattfand und die Akte auch von der Behörde in Berlin hätte in Berlin abgeholt werden können.“

Wenn man es liest, ist man dann doch erstaunt, darüber wie mal wieder zu Lasten des Verteidigers/Angeklagten kreativ gedacht wird, um 12 € zu sparen (Kleinvieh macht eben doch Mist).

Mich würde interessieren, ob das Einzelfall ist oder die Problematik nur in Berlin von Bedeutung ist oder ob – auch Rechtspfleger nehmen an Schulungen Teil – diese Argumentationslinie auf uns zukommt. M.E. ist sie falsch. Die Justiz bietet die Versendung der Akte an. Damit muss es m.E. dem Rechtsanwalt überlassen sein, ob er davon Gebraucht macht oder die Akte abholt. Lässt er sich die Akte schicken, entsteht die Aktenversendungspauschale, die der Rechtsanwalt dann zu zahlen hat = für den Mandanten verauslagt. M.E. kann dann nicht später die Justiz hingehen und die Zusendung der Akte statt deren Abholung als nicht erforderlich beurteilten, wenn man die Möglichkeit selbst zur Verfügung stellt.

Im Übrigen ist die Argumentation des Kollegen, sich Abwesenheit und Fahrtkosten bezahlen zu lassen, ganz nicht so dumm. Wenn man das durchrechnet, kommt sicherlich mehr dabei heraus, als die 12 €. Auf die Argumentation dazu darf man gespannt.

Das Ganze m.E. ein „schönes Beispiel“ dafür, welcher Aufwand manchmal getrieben wird, um 12 € zu sparen.

Lesetipp: Festschreibung von Beweisergebnissen – geht das, lohnt das?

Die Frage der Festschreibung von Beweisergebnissen in der tatgerichtlichen Hauptverhandlung, z.B. durch einen sog. affirmativen Beweisantrag, ist eine für die strafprozessuale Revision wichtige Frage, die in der Praxis auch immer wieder eine Rolle spielt. Alle Verteidigerhandbücher setzen sich mit der Problematik auch auseinander.

Das tut auch der KollegeVentzke, Hamburg, in seinem Beitrag: „Festschreibung von Beweisergebnissen der tatgerichtlichen Hauptverhandlung für die strafprozessuale Revision – ein Mythos?“ in HRRS 2010, 461. Kollege Ventzke sieht die Möglichkeit der Verteidigung recht skeptisch.

Den Beitrag sollte man mal gelesen haben.

Offensichtlich fehlerhaft – was ist das?

Das Landgericht Frankfurt/Main verurteilt wegen „Fälschung von Zahlungskarten mit Kreditfunktion“ (gemeint war: Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion, § 152b StGB) zu einer Freiheitsstrafe und stellt dabei fest, dass „der Besitz der zahlreichen gefälschten Kreditkarten einen Gesamtvorsatz umfasste, die Karten so oft wie möglich einzusetzen“ (UA S. 12); daher liege nur eine einzige Tat vor. …. „. Der BGH sagt in seinem Beschluss v. 01.09. 2010 – 2 StR 481/10: Nein. Denn:

Diese rechtliche Würdigung war offensichtlich fehlerhaft. Für die Annahme eines „Gesamtvorsatzes“ auf „möglichst häufige“ Begehung selbständiger Taten ist nach Aufgabe der Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung im Jahr 1994 (BGHSt 40, 138) kein Raum mehr. Da der Besitz von gefälschten Zahlungskarten als solcher nicht strafbar ist, bildet er entgegen der Ansicht des Landgerichts auch keinen Anknüpfungspunkt für einen solchen „Gesamtvorsatz“. Auch unter dem Gesichtspunkt der natürlichen Handlungseinheit lag hier keine einheitliche Tat vor; vielmehr handelte es sich bei den 13 im einzelnen festgestellten Taten offensichtlich um jeweils selbständige, auf jeweils neuen Tatentschlüssen und Vorgaben beruhende Taten.“

Man beachte die Formulierung des BGH: „offensichtlich fehlerhaft“. Das ist mehr als fehlerhaft, nämlich. Ganz falsch.

„Handstreich“ (?) im Bundesrat – die (neue) Gleichrangigkeit von StA und Polizei

Manchmal ist man ja erstaunt, wie schnell es gehen kann. Da hat der Bundesrat gerade erst am 15.10.2010 über den den Richtervorbehalt stärkenden Änderungsvorschlag des Landes Niedersachen zur teilweisen Abschaffung von § 81a Abs. 2 StPO beraten (vgl. hier und hier), da steht dieses Gesetzesvorhaben schon wieder auf der Tagesodnung des Bundesrates (vgl. die TO der 876. Sitzung hier).  Ein Schelm, wer Böses dabei denkt :-).

Wenn man sich die dazu vorliegende Drucksache 615/10/1 ansieht, dann ist man doch ein wenig überrascht. Nicht darüber, dass der Gesetzesvorschlag nun im Bundestag eingebracht werden soll und auch nicht über die redaktionellen Änderungswünsche. Auch nicht darüber, dass Herr Busemann nun eine Art Bundes(rats)beauftragter zur Abschaffung des Richtervorbehaltes in § 81a Abs. 2 StPO ist – das steht ihm, da er sich dieses Vorhabens ja nun schon seit längerem angenommen hat, auch zu. Nein. Mich überrascht ein anderer Änderungswunsch, der mich auf einen Umstand aufmerksam macht, der mir bisher auch noch nicht aufgefallen war. In der ursprünglichen Drucksache 615/10 war die Rede von der „eigenen gleichrangigen“ Anordnungskompetenz der Ermittlungsperson zur Staatsanwaltschaft. Jetzt soll es heißen:

„3. Zur allgemeinen Begründung, letzter Satz, Zur Einzelbegründung zu Artikel 1, Satz 1

In der allgemeinen Begründung, letzter Satz und in Satz 1 der Einzelbegründung zu Artikel 1 sind jeweils die Wörter „eine eigene gleichrangige“ durch die Wörter „jeweils eine eigenständige gleichrangige“ zu ersetzen.

Begründung (nur für das Plenum):

Durch die Änderung wird klargestellt, dass den Ermittlungspersonen auch im Verhältnis zur Staatsanwaltschaft eine eigenständige gleichrangige Anordnungskompetenz zusteht.“

Was steckt hinter diesen Formulierungen? M.E. der Versuch, auf „kaltem Weg“ der m.E. anderen Auffassung des BVerfG in der Frage der Gleichrangigkeit von StA und Polizei (vgl. dazu Beschl. v. 11.06.2010 – 2 BvR 1046/10) einen „Riegel vorzuschieben“

Das BVerfG hat in seinem Beschl. u.a. beanstandet, dass AG und LG nicht thematisiert haben, ob die Ermittlungsbehörden sich zunächst um eine richterliche Entscheidung und nachrangig dann um eine staatsanwaltschaftliche Weisung hätten bemühen müssen. Das OLG Brandenburg (VA 2009, 84 = VRR 2009, 151 = StRR 2009, 143) hat dieses stufenweise Vorgehen als nicht erforderlich angesehen, ebenso das OLG Celle in  seinem Beschl. v. 15.07.2010 – 322 SsBs 159/10 (vgl. dazu hier). Das BVerfG scheint diese Frage in seinem Beschl. bejahen zu wollen, was nicht ganz ungefährlich 🙂 ist, da sich für die Nachtzeit auf der staatsanwaltschaftlichen Ebene dann dieselben Fragen wie beim richterlichen Eildienst: Erforderlich, ja oder nein? Dem kann man in der Diskussion nun demnächst ggf. eine „eigenständige geleichrangige“ Kompetenz entgegenhalten. Zwar ist eine Gesetzesbegründung kein Gesetz, sie kann und wird aber gern (was hat der Gesetzgeber sich eigentlich gedacht?) zur Auslegung herangezogen.

Und das wäre m.E. nicht nur bei § 81a Abs. 2 StPO – soweit er Bestehen bleibt bzw. bestehen bleiben soll – von Bedeutung, sondern ggf. auch an anderen Stellen, wenn es um die Fragen des Rangverhältnisses geht, so z.B. bei der Durchsuchung. Ist das gewollt?

Abschließend: Die Staatsanwaltschaften werden sich freuen, wenn man sie nun auf eine Stufe mit den übrigen Ermittlungsbehörden stellt. Sie haben davon sicherlich ein anderes Verständnis.

Zur Überschrift: „Handstreich“ ist vielleicht ein wenig massiv, aber mir fiel für dieses Vorhaben nichts Besseres ein. 🙂