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Abstinenzweisung beim Suchtkranken? – Geht nicht = unzulässig….

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Eine Frage, die in der Praxis immer wieder eine – für die Betroffenen – erhebliche Rolle spielt und die nicht unumstritten ist, entscheidet (noch einmal) der schon etwas ältere OLG Saarbrücken, Beschl. v. 13.07.2015 – 1 Ws 114/15. Es ist die Frage nach der Zulässigkeit der sog. Abstinenzweisung bei einem langjährig und manifest suchtkranken Verurteilten (§ 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 StGB). Zulässig oder unzulässig, weil es sich um einen unzumutbaren Eingriff in die Lebensführung des Verurteilten handelt. Das OLG geht davon aus:

„a) Mit der durch das am 18. April 2007 in Kraft getretene Gesetz zur Reform der Führungsaufsicht und zur Änderung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung (BGBl. I, S. 531) neu in den nach 145a StGB strafbewehrten Katalog der Weisungen nach § 68b Abs. 1 StGB eingefügten Möglichkeit einer „Abstinenzweisung“ gemäß § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 StGB wollte der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung tragen, dass der Missbrauch von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln in vielen Fällen einen zentralen Risikofaktor für eine gelungene Resozialisierung darstellt, weshalb es „für einen rückfallfreien Verlauf“ vielfach entscheidend darauf ankomme, Tendenzen des Abgleitens in einen erheblichen Suchtmittelmissbrauch frühzeitig zu erkennen und ihnen zu begegnen (vgl. BT-Drucks. 16/1993, S. 19). Als Weisungsadressaten kommen daher vor allem im Straf- oder Maßregelvollzug erfolgreich behandelte alkohol- oder drogensüchtige Straftäter in Frage, denen die Weisung dazu dienen soll, in der Zeit nach ihrer Entlassung die erforderliche Abstinenz gegen Rückfälle abzusichern (vgl. Schneider, NStZ 2007, 441, 443; Fischer, aaO., § 68b Rn. 12; OLG Hamm, Beschl. vom 10.01.2013 – 5 Ws 358/12 und 5 Ws 359/12, Rn. 39 nach juris).

b) Gegenüber einem – wie hier – langjährig und manifest suchtkranken Verurteilten, der bislang nicht oder nicht erfolgreich behandelt werden konnte, scheidet eine Weisung nach 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 StGB hingegen nach vom Senat für zutreffend erachteter Auffassung aus, da sie an die Lebensführung des Verurteilten unzumutbare Anforderungen stellen würde (vgl. OLG Dresden NJW 2009, 3315, 331; OLG Celle NStZ-RR 2010, 91 f. – Rn. 6 ff. nach juris; Schneider, aaO.; Fischer, aaO., § 68b Rn. 12, 12b; Schönke/Schröder/Stree/Kinzig, aaO.; LKSchneider/StGB, 12. Aufl., § 68b Rn. 36; a. A.: OLG Köln NStZ.RR 2011, 62 f. – Rn. 10 ff. nach juris; OLG Rostock NStZ-RR 2012, 222 f. – Rn. 15 ff. nach juris; differenzierend: OLG Hamm, aaO., das auf die Umstände des Einzelfalls abstellen will; OLG München NStZ-RR 2012, 324 f. – Rn. 12 nach juris, das eine Abstinenzweisung bei Unfähigkeit zur Ab-stinenz für unzumutbar hält, Abstinenzfähigkeit aber bei einem Heroinabhängigen bejaht, der im Strafvollzug abstinent war und hierzu auch „in einer geschützten Umgebung bei lebensbegleitender Therapie“ in der Lage wäre; OLG Bamberg, Beschl. v. 18.06.2014 – 3 Ss 76/14, Rn. 3 nach juris). Denn von ihm würde ein Verhalten – nämlich Suchtmittelfreiheit – verlangt, zu dem er bedingt durch seine Suchterkrankung von vornherein nicht in der Lage ist. Weder während seiner neun Tage andauernden therapeutischen Behandlung im Rahmen der Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG im Dezember 2013 noch im anschließenden Strafvollzug ist es dem Verurteilten gelungen, drogenfrei zu leben. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird er, da lediglich eine erfolgreich absolvierte stationäre Drogentherapie eine realistische Chance auf eine Heilung von der langjährigen Drogensucht böte, auch nunmehr in Freiheit abermals Betäubungsmittel (insbesondere Heroin und Kokain) konsumieren. Ein nach § 145a StGB mit Strafe bedrohter Weisungsverstoß wäre daher vorprogrammiert. Entsprechend dem Zweck der Führungsaufsicht, gefährliche oder rückfallgefährdete Straftäter in ihrer Lebensführung in Freiheit über gewisse kritische Zeiträume hinweg zu unterstützen und zu überwachen, um sie von künftigen Straftaten abzuhalten (vgl. OLG Celle, aaO., Rn. 8 nach juris; Schönke/Schröder/Stree/Kinzig, aaO., § 68 Rn. 3; Fischer, aaO., Vor § 68 Rn. 2; LK-Schneider, aaO., Vor § 68 Rn. 3), sollen Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht dazu dienen, den Verurteilten von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten oder die insoweit bestehende Gefahr zumindest zu verringern (vgl. Schönke/Schröder/Stree/Kinzig, aaO., § 68b Rn. 1; Fischer, aaO., § 68b Rn. 2). Durch eine Weisung nach § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 StGB gegenüber einem langjährig und manifest Drogenabhängigen würde dieser Zweck geradezu in sein Gegenteil verkehrt, indem bereits ein ansonsten straffreier bloßer Konsum von Drogen unter Strafe gestellt wird. Die von dem Verurteilten im Rahmen seiner Anhörung durch die Strafvollstreckungskammer erklärte Überlegung, „ins Substitutionsprogramm zu gehen“, ändert hieran nichts, sondern bestätigt gerade das Fortbestehen der Suchterkrankung.

c) Die Argumente der Gegenauffassung geben dem Senat keine Veranlassung für eine hiervon abweichende Beurteilung…….“

Hilfe, mein Nachbar beobachtet mich mit einer Dashcam…. darf der das?

wikimedia.org Urheber Ellin Beltz

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Über das LG Memmingen, Urt. v. 14.01.2016 – 22 O 1983/13 – ist ja auch schon an verschiedenen anderen Stellen berichtet worden. Ich hole das dann heute nach. Es geht mal wieder um die Frage der Zulässigkeit der Nutzung von Dashcams . Das LG Memmingen hat sie als ist unzulässig angesehen. Dem Urteil liegt m.E. aber ein etwas anderer Sachverhalt zugrunde, als wir ihn sonst haben.

Gestritten wurde um die Unterlassung von Videoaufnahmen mittels einer im Fahrzeug der Beklagten montierten und sog. Dash-Cam sowie um Schadensersatz und Schmerzensgeld. Die Klägerin des Verfahrens wohnt zusammen mit ihrem Sohn in einem in Neu-Ulm gegenüber dem dortigen Kindergarten in dem die Beklagte als Erzieherin beschäftigt ist. Die Beklagte hat regelmäßig den Pkw ihres Ehemannes gegenüber des Anwesens der Kläger geparkt und dabei eine aufnahmebereite Bordkamera (sog. Dash-Cam) an der Windschutzscheibe befestigt. Diese schaltet sich automatisch per Bewegungsmelder ein und zeichnet dann die Vorgänge in Blickrichtung der Kamera jeweils über einige Minuten auf. Ist der Speicher voll, werden die Daten überschrieben. Auf das Vorhandensein einer Bordkamera weist ein kleines Schild an einem Fahrzeugfenster hin. Der Beklagte erstattete gegen die Klägerin Strafanzeige bei der PI Neu-Ulm mit der Behauptung, dass die Klägerin am 04.o9.2013 beim Vorbeifahren mit ihrem Pkw am geparkten Fahrzeug des Beklagten mutwillig dessen Fahrzeug zerkratzt habe. Zum Beweis übergab er der Polizei eine mittels der Dash-Cam gefertigte Videoaufzeichnung die zeigt wie eine Frau in das Fahrzeug der Klägerin steigt, am Fahrzeug des Beklagten vorbeifährt und dabei den Arm durch das geöffnete Fenster in Richtung des Pkw des Beklagten streckt.

Die Kläger haben sehen in der Nutzung der Bordkamera mit der Möglichkeit insbesondere den Eingang zu ihrem Wohnanwesen zu überwachen eine Verletzung ihres informationellen Selbstbestimmungsrechts.

Das LG Memmingen hat einen Unterlassungsanspruch gegen Fahrer und Halter des Fahrzeugs, in dem die Dashcam angebracht ist/war, bejaht. Das LG ist außerdem von einem Beweisverwertungsverbot und einem Löschungsanspruch ausgegangen. Gestützt wird das u.a. auf § 6b BDSG:

„b) Soweit die Beklagten der Ansicht sind, dass aus § 6b II BDSG zu folgern sei, dass die Vorschrift nur auf stationäre Kameras anzuwenden sei, so ist dem nicht zu folgen. Diese Auslegung ist dem Gesetzeswortlaut nicht zu entnehmen (vgl. VG Ansbach, DAR 2014, 663 ff). Zudem wird die Kamera im konkreten Fall tatsächlich auch stationär verwendet, da aus dem über längere Zeit am gleichen Ort parkenden Fahrzeug heraus gefilmt wird.

c) Da die Beobachtung weder zur Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen oder zur Wahrnehmung des Hausrechts der Beklagten diente, wäre sie nur zulässig zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke, wenn keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Beklagten überwiegen. Letzteres war vorliegend nicht der Fall. Zwar mag für die Beklagten die Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke sprechen, weil sie glaubhaft versichert haben durch den Betrieb der Kamera die Aufklärung von Unfällen oder Sachbeschädigungen an ihrem Fahrzeug verbessern zu wollen. Allerdings überwiegen die schutzwürdigen Interessen der Kläger am Schutz ihrer Privatsphäre. Den Klägern ist es nicht zumutbar sich oder ihre Besucher ständig der Gefahr einer Beobachtung mittels Videokamera ausgesetzt zu sehen (vgl. BGH NJW 1995, 1955ff). Die bloß theoretische Möglichkeit des Notwendigwerdens einer Beweisführung aufgrund der generellen Gefährlichkeit des Straßenverkehrs oder der Möglichkeit von Vandalismus, genügt nicht für ein überwiegendes Interesse der Beklagten zu diesem Zwecke zu beliebige Zeitpunkten den Zugang zum Anwesen der Kläger zu überwachen (vgl. AG München, ZfSch 2014, 692 LG Heilbronn, NJW-RR 2015, 1019). Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass eine gerichtliche Beweisführung in naher Zukunft unmittelbar erforderlich würde, bestanden für die Beklagte in der Vergangenheit nicht.

d) Darüber hinaus wurde die Beobachtung entgegen § 6 b II BDSG auch nicht in geeigneter Weise deutlich gemacht. Das kleine Warnschild im Pkw-Fenster genügt insoweit nicht, da es nicht ins Auge sticht und erst aus großer Nähe ersichtlich ist, wenn die Kamera die jeweilige Person bereits in größerer Entfernung erfasst hat.“

Dash me, if you cam – it is allowed – sagt das LG Landshut für das Zivilverfahren

wikimedia.org Urheber Ellin Beltz

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Die mit der Dashcam und der Zulässigkeit der Verwertung von Dashcam-Aufzeichnungen zusammenhängenden Fragen sind derzeit in der Diskussion; sie beschäftigen ja auch in der kommenden Woche den 54. VGT. Diskutiert wird mehr im Zivilverfahren, es gibt allerdings auch eine Entscheidung, die das Strafverfahren betrifft (vgl. das AG Nienburg, Urt. v. 20.01.2015 – 4 Ds 155/14 und dazu Dash me, if you cam – it is allowed (?)).

In den letzten Tagen ist nun eine weitere (land)gerichtliche Entscheidung bekannt geworden, die sich mit der Frage der Zulässigkeit der Verwertung einer Dashcam-Aufnahme im Zivilverfahren befasst. Es ist der Hinweis- und Beweisbeschluss des LG Landshut vom 01.12.2015 – 12 S 2603/15, über den schon in vielen Blogs berichtet worden ist. Ich will dann da nicht „zurückstehen“ und weise heute dann auch noch einmal mit dem Volltext auf diese Entscheidung hin, in der die Kammer zunächst den Sach- und Streitstand darstellt und dann zu folgender Abwägung kommt:

„2. Bei der hier zu treffenden Abwägung ist folgendes zu beachten:

Die Kammer ist der Ansicht, dass die dem soeben zitierten Urteil des Bundesverfassungsgerichts sowie die dem von den Beklagten zitierten Urteil des BGH in NJW 1995, 1955, zugrundeliegenden Sachverhalte mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar sind.

Was die Bundesverfassungsgerichtsentscheidung anbelangt, so geht es um das heimliche Mithören von Telefonaten. Das Verwertungsverbot soll das Recht des Sprechenden Schützen, darüber zu bestimmen, wem er sich mitteilt. Der Mitteiler hat das Recht, zu entscheiden, ob er sich an nur eine Person oder mehrere Personen mündlich wendet, wobei es schon aus Praktikabilitätsgründen nicht darauf ankommen kann, ob die Mitteilungen vertraulich sind oder nicht. Dieses Recht würde durch das heimliche Zuhören von Dritten ohne Kenntnis des Sprechenden konterkariert. Bei derartigen Konstellationen handelt es sich allerdings um Fälle aus dem engen Persönlichkeitsbereich, während es im vorliegenden Fall um ein Verhalten im öffentlichen Straßenverkehr geht. Der Fahrer eines Autos muss, anders als Jemand, der am Telefon spricht, zwingend damit rechnen, dass seine Fahrweise von anderen beobachtet wird.

Auch die Entscheidung des-BGH in NJW 1995, S. 1955 hat einen anderen Sachverhalt zum Gegenstand. Die Entscheidung betrifft die ständige Überwachung des Hauszugangs des Nach-. bam mittels Videokamera. Der BGH hat dazu entschieden, dass es sich eine Privatperson nicht gefallen lassen muss, regelmäßig beim Betreten der eigenen Wohnung rund um die Uhr gefilmt und erfasst zu werden. Im vorliegenden Fall geht es demgegenüber um ein einmaliges Fahrmanöver der Beklagten am Flughafen.

Abgesehen davon sind die vom Kläger verursachten Grundrechtseingriffe geringfügig. Das laufende Filmen von Auto aus erfolgt wahllos und ohne bestimmte Absicht. Eine systematische Erfassung anderer Verkehrsteilnehmer zur Erstellung von Bewegungsprofiten findet nicht statt. Die Filmaufnahmen werden, soweit es nicht zu einem Unfall kommt, immer wieder überschrieben. Zutreffend weist das AG München in seinem Urteil vom 06.06.2013 in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die abgebildeten Personen anonym bleiben und allein durch die Tatsache, dass eine Aufnahme erstellt wird, nicht in ihren Rechten betroffen werden. Entsprechend weist Greger in seinem Aufsatz in NZV 2005, S.115 darauf hin, dass das zufällige und wahllose Erfassen von sonstigen Passanten und Verkehrsteilnehmern praktisch ohne Grundrechtsrelevanz ist, da dieses Erfassen für den Kläger mit keinem Erkenntnisgewinn verbunden ist. Auch die Kammer sieht keinen gravierenden Grundrechtseingriff darin, wenn. andere Verkehrsteilnehmer, deren Identität dabei nicht geklärt wird und auch nicht geklärt werden soll, von einer Onboard-Kamera erfasst werden, ohne dass dies für den Kamerabetreiber mit einem Erkenntnisgewinn verbunden ist.

Relevanz kommt der Erfassung des Verkehrsgeschehens erst in dem Moment zu, in dem es zu einem Unfall kommt. Allerdings ist es gang und gäbe, dass nach einem Unfall die Fahrzeuge, die Unfallspuren und unter Umständen auch die umstehenden Beteiligten fotografisch erfasst werden und diese Erhebungen dann Eingang in einen Prozess finden. Demnach ist es eindeutig zulässig, nach dem Unfall zu filmen. Das AG Nienburg, DAR 2015, 5.280. hat im Zusammenhang mit einem Straßenverkehrsdelikt entschieden, dass das Filmen durch einen Privatmann denn zulässig ist, sobald sich die Erforderlichkeit einer Beweiserhebung abzeichnet. In der Konsequenz würde dies bedeuten, dass die Kamera eingeschaltet werden darf, sobald das vorausfahrende Fahrzeug den Rückwärtsgang einlegt und sich bedenklich nähert, vorher aber nicht. Eine derartige Abgrenzung erscheint gekünstelt.

Die Kammer vermag sich dem abweichenden Hinweis des AG München und der abweichenden Entscheidung des LG Heilbronn nicht anzuschließen. Die dort genannten Befürchtungen einer privat organisierten dauerhaften und flächendeckenden Überwachung sämtlicher Personen, welche am öffentlichen Verkehr teilnehmen, mögen durchaus begründet sein, jedoch ersetzen diese Befürchtungen nicht eine Abwägung der Interessen der Beteiligten im Einzelfall. Die Gefahr zunehmender Datenerhebung, auch durch Private, mag bestehen, jedoch kann dieser Gefahr aus Sicht der Kammer nicht dadurch begegnet werden, dass die Zivilgerichte so gewonnene Erkenntnisse ohne Rücksicht auf den Einzelfall nicht zur Kenntnis nehmen. Im vorliegenden Fall sind die konkreten Interessen der Beklagten lediglich insoweit betroffen, als man auf einem Film und auf Fotos einen Audi mit dem Kennzeichen ppp. am Flughafen München zu einem bestimmten Zeitpunkt kurz rückwärtsfahren sieht. Die Beklagte selbst Ist nicht zu erkennen. Von einem gravierenden Grundrechtseingriff ist nicht auszugehen. Umgekehrt ist der Kläger beweislos. Er müsste gegebenenfalls, eine Klageabweisung wegen der – bei Betrachtung des Videos möglicherweise ohne weiteres widerlegbaren – unrichtigen Behauptung hinnehmen, der Audi wäre gar nicht rückwärtsgefahren. Derartiges ist nur schwer zu vermitteln, zumal das Interesse der Beklagten eigentlich nur darin besteht, dass ein streitiger Verkehrsunfall nicht aufgeklärt werden soll. Dieses Interesse ist nicht schützenswert.“

Ich bin gespannt, wie der 54. VGT mit der Frage umgehen wird.

Na bitte, geht doch, oder: Der zulässige Gebührenverzicht des (neuen) Pflichtverteidigers

© yvon52 - Fotolia.com

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Und zum Abschluss des heutigen Tages dann noch eine Problematik, die in der Praxis häufig noch Schwierigkeiten macht, nämlich die Auswechselung/Umbeiordung eines Rechtsanwalts als Plfichtverteidiger. Das wird zwar grundsätzlich bei allseitigem Einverständnis, dem Ausschluss einer Verfahrensverzögerung und der Vermeidung von Mehrkosten als möglich angesehen. Einige OLG machen aber Probleme bei der Frage, ob der neue Verteidiger auf Geltendmachung der durch den Verteidigerwechsel entstandenen Mehrkosten – meist u.a. die Grundgebühr – verzichten kann.

Das OLG Karlsruhe hat im OLG Karlsruhe, Beschl. v. 17.12.2015, 2 Ws 582/15 – das nun noch einmal – mit der m.E. überwiegenden Meinung – als zulässig angesehen:

„Nach allgemeiner Meinung kann eine Auswechslung des Pflichtverteidigers indes auch dann erfolgen, wenn der Angeschuldigte und beide Verteidiger damit einverstanden sind, dadurch keine Verfahrensverzögerung eintritt und auch keine Mehrkosten entstehen (OLG Bremen NStZ 2014, 358; OLG Oldenburg NStZ-RR 2010, 210; OLG Frankfurt NStZ-RR 2008, 47; OLG Köln StraFo 2008, 348 und StV 2011, 659; OLG Braunschweig StraFo 2008, 428; OLG Bamberg NJW 2006, 1536; OLG Jena JurBüro 2006, 366; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O., § 143 Rn. 5a).

Nachdem das Zustimmungserfordernis erfüllt ist und Rechtsanwalt S. gegenüber dem Senat verbindlich erklärt hat, für die Durchführung einer Hauptverhandlung – wie vom Gericht mit den übrigen Verteidigern abgesprochen – am 21. und 22.1.2016 zur Verfügung zu stehen, ist danach allein noch erheblich, ob Rechtsanwalt S. auf seinen Gebührenanspruch in Höhe der bereits durch die Vertretung durch Rechtsanwalt M. angefallenen Gebühren verzichten darf und deshalb durch den Verteidigerwechsel keine Mehrkosten entstehen. Dies wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung teilweise im Hinblick auf § 49b Abs. 1 Satz 1 BRAO für unzulässig erachtet (OLG Bremen a.a.O.; OLG Köln a.a.O.; OLG Jena a.a.O.). Dem wird jedoch zutreffend entgegengehalten, dass dem von § 49b BRAO verfolgten Zweck, einen Preiswettbewerb um Mandate zu verhindern, in der vorliegenden Fallkonstellation ausreichend dadurch begegnet wird, dass ein Wechsel nur bei Einverständnis beider beteiligter Anwälte möglich ist (OLG Frankfurt a.a.O.; OLG Oldenburg a.a.O.; im Ergebnis auch OLG Braunschweig a.a.O.; OLG Bamberg a.a.O.).“

Na bitte, geht doch…. 🙂

Kann/darf man eine Atemalkoholmessung in eine BAK umrechnen?

© monticellllo - Fotolia.com

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Wer viel Strafrecht macht, weiß bzw. sollte wissen: Zu Lasten des Angeklagten darf aus einer Atemalkoholmessung nicht auf eine Blutalkoholkonzentration geschlossen werden. Aber: Umgekehrt geht es bzw: Die Ergebnisse einer Atemalkoholmessung sind aber dann zu dessen Gunsten zu berücksichtigen, wenn andere verwertbare Ausgangsdaten für die Berechnung der Blutalkoholkonzentration nicht zur Verfügung stehen (§ 21 StGB), denn die Messwerte sind erhebliche Beweisanzeichen für die BAK Tatzeit. Das ruft noch einmal der KG, Beschl. v. 24.09.2015 – (1) 121 Ss 157/15 (15/15) – in Erinnerung:

„a) Das Landgericht führt im Rahmen der rechtlichen Würdigung aus, dass sich „keine konkreten Anhaltspunkte für eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit i.S.d. § 21 StGB ergeben“ hätten (UA S. 15). Dies widerspricht den getroffenen Feststellungen, denen zufolge eine um 4.45 Uhr durchgeführte Atemalkoholmessung, die das Landgericht als nicht „gerichtsfest“ würdigt, eine Atemalkoholkonzentration von 1,85 ‰ ergab (UA S. 10). Bei Zugrundelegung eines maximalen stündlichen Abbauwertes von 0,2 ‰ und eines einmaligen Sicherheitszuschlags von 0,2 ‰ (zur Berechnung vgl. BGH NStZ 1986, 114) wirkte zur Tatzeit gegen 4.10 Uhr möglicherweise eine Alkoholkonzentration von etwa 2,15 ‰ auf ihn ein. Bei Blutalkoholwerten ab 2,0 ‰ kommt in der Regel eine verminderte Schuldfähigkeit in Betracht (vgl. Fischer StGB, 62. Aufl., § 20, Rdnr.19). Zwar ist es nach der Rechtsprechung (vgl. Bayerisches Oberstes Landesgericht NZV 1988, 1950; OLG Köln VRS 67, 245) ausgeschlossen, zum Nachteil eines Angeklagten eine Blutalkoholkonzentration aufgrund von Messungen festzustellen, die mittels Atemalkoholtestgeräten vorgenommen worden sind. Das Landgericht war jedoch, da andere verwertbare Ausgangsdaten für die Berechnung der Blutalkoholkonzentration nicht zur Verfügung standen, verpflichtet, die Ergebnisse der Atemalkoholmessung, die erhebliche Beweisanzeichen für die Blutalkoholkonzentration des Angeklagten zur Tatzeit darstellten, zu dessen Gunsten zu berücksichtigen (vgl. BGH, NStZ 1995, 96; Fischer, a.a.O. § 316 Rdnr. 23).“