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Mit Verlaub Herr Verteidiger…. da muss man doch konkretisieren…

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Wenn es in einem Verfahren schief läuft, dann meist aber auch richtig. Ich hatte ja gestern schon auf den BGH, Beschl. v.30.08.2012 – 4 StR 108/12 – hingewiesen (vgl. hier: Der Wechsel in der Verteidigung – auf jeden Fall Aussetzungsantrag stellen) und mich über den fehlenden  Aussetzungsantrag gewundert.

Mit Verlaub: So ganz viel Ahnung hat der Verteidiger von der StPO offenbar nicht gehabt. Denn sonst hätte es m.E. nicht zu einem weiteren Fehler in Zusammenhang mit einem Zeugenbeweisantrag kommen können/dürfen. Den hatte das LG zurückgewiesen. Der BGH hat es nicht beanstandet:

„.. 4. Die Rüge, das Landgericht habe entgegen § 244 Abs. 3 und 6 StPO einen am 12. Oktober 2011 gestellten Beweisantrag auf Einvernahme der Zeugin D. weder erledigt noch verbeschieden, deckt keinen Rechtsfehler auf.

Der Antrag auf Einvernahme der Zeugin war kein Beweisantrag im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO, weil die Zeugin nur durch die Angabe ihres Namens und ihres Wohnortes (Köln) bezeichnet worden ist. Eine eindeutige Ermittlung ihrer genauen Anschrift aus den weiteren im Antrag enthaltenen An-gaben war nicht möglich (BGH, Urteil vom 8. Dezember 1993 – 3 StR 446/93, BGHSt 40, 3, 6 f.). Dementsprechend hatte der Vorsitzende den Verteidiger darauf hingewiesen, dass die Zeugin geladen werden soll, wenn ihre Anschrift bekannt ist. In dem von der Revision herangezogenen Rechtsanwaltsschreiben vom 24. August 2004 wurde eine Frau zwar mit vollständiger Anschrift, aber unter einem anderen Namen bezeichnet. Der Antrag vom 12. Oktober 2011 enthielt weder einen Hinweis auf dieses Schreiben, noch die Information, dass die benannte Person früher einen anderen Namen führte und es sich bei ihr um die nunmehr benannte Zeugin handelte. Unter diesen Umständen drängte sich die Ladung der Zeugin dem Gericht auch nicht auf.“

Bei der Nachfrage und dem Hinweis des Gerichts müssen doch alle Alarmglocken klingeln. Da muss ich doch konkretisieren…

Zwangsmittel gegen den Zeugen – erlaubt oder nicht?

Zwangsmittel gegen einen Zeugen sind nicht nur grundsätzlich erlaubt (vgl. § 70 StPO), sondern möglicherweise sogar geboten. So kann man es aus dem BGH, Beschl. v. 28.12.2011 – 2 StR 195/11 ableiten. Dort geht der BGH davon aus, dass dann wenn der Zeuge grundlos die Aussage verweigert (Berufung hier auf § 55 StPO), die für die Überzeugungsbildung des Gerichts erhebliche Bedeutung hat, es die Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) gebieten kann,“ Anstrengungen nach § 70 StPO zu unternehmen, den Zeugen zu einer Auskunft zu bewegen„. Das hatte der BGH schon in StV 1983, 495 f. entschieden.

Aber aufgepasst:§ 70 StPO dient nicht der Erzwingung wahrheitsgemäßer Aussagen, sondern nur der Beantwortung der offenen Frage, die als wichtig angesehen wird….

Entlassung des Zeugen – nur in Anwesenheit des Angeklagten

§ 247 StPO, der die Entfernung des Angeklagten während der Vernehmung von Zeugen regelt, ist eine für die Gerichte „gefahrenträchtige“ Vorschrift, bei der es häufig zu Fehlern kommt. Das zeigen die große Zahl von Revisionen, die auf einen Verstoß gegen § 247 StPO – in der Revision ist dann der § 338 Nr. 5 StPO zu rügen – gestützt werden und die auch Erfolg haben.

So gerade wieder durch den BGH- Urt. v. 01.12.2012 – 3 StR 318/11. Entschieden worden war über die Entlassung einer Zeugin in Abwesenheit des Angeklagten. Dazu der 3. Strafsenat:

Nach der durch den Großen Senat für Strafsachen (BGH, Beschluss vom 21. April 2010 – GSSt 1/09, BGHSt 55, 87) bestätigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur BGH, Beschluss vom 26. September 2006 – 4 StR 353/06, NStZ 2007, 352, 353) gehört die Verhandlung über die Entlassung eines in Abwesenheit des Angeklagten vernommenen Zeugen nicht mehr zu seiner Vernehmung im Sinne des § 247 StPO, sondern bildet einen selbständigen Verfahrensabschnitt und regelmäßig einen „wesentlichen Teil“ der Hauptverhandlung. Der Angeklagte, dessen Entfernung aus dem Sitzungssaal für die Dauer der Vernehmung der Zeugin K. angeordnet war, musste daher zur Verhandlung über die Entlassung der Zeugin wieder zugelassen werden. Dies ist hier ausweislich der Sitzungsniederschrift nicht geschehen. Zwar wurde der Angeklagte zuvor in Abwesenheit der Zeugin über den wesentlichen Inhalt von deren Aussage unterrichtet. Dass er im Rahmen der Unterrichtung auf Fragen an die Zeugin verzichtet und sich mit ihrer Entlassung einverstanden erklärt hat, ist indes nicht ersichtlich. Der Angeklagte wurde nach dem unwidersprochenen Sachvortrag der Revision vielmehr weder gefragt, ob er noch Fragen an die Zeugin stellen wolle, noch hat er von sich aus erklärt, keine Fragen mehr stellen zu wollen (dazu BGH, Großer Senat, aaO.; Urteil vom 8. April 1998 – 3 StR 463/97 – und Beschluss vom 19. August 1998 – 3 StR 290/98, BGHR StPO § 247 Abwesenheit 18, 19; Beschluss vom 30. März 2000 – 4 StR 80/00, NStZ 2000, 440). Im Anschluss daran wurde der Angeklagte wieder aus dem Sitzungssaal entfernt. Der im Protokoll enthaltene Vermerk, die Entlassung der Zeugin sei „im allseitigen Einverständnis“ geschehen, kann deshalb das Einverständnis des (abwesenden) Angeklagten nicht belegen. Das Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensmangel wird gemäß § 338 Nr. 5 StPO gesetzlich vermutet. Dass sich der Verfahrensverstoß vorliegend ausnahmsweise denkgesetzlich im Urteil nicht ausgewirkt haben könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2006 – 4 StR 131/06, NStZ 2006, 713), ist nicht zu erkennen.“

Der Zeuge als völlig ungeeignetes Beweismittel – nicht immer

Der Beweisantrag auf Zeugenbeweis wird in der Praxis nicht selten mit der Begründung abgelehnt, der Zeuge sei ein völlig ungeeignetes Beweismittel. Das ist häufig dann der Fall, wenn die vom Zeugen zu bekundenden Umstände schon länger zurückliegen. Der Argumentation hat jetzt der BGH im BGH, Beschl. v. 05.10.2011 – 4 StR 465/11 noch einmal etwas entgegen gesetzt. Das LG hatte einen Beweisantrag abgelehnt „da sich mit diesem Beweismittel das im Antrag begehrte Beweisergebnis nicht „nach sicherer Lebenserfahrung erzielen“ lasse.“ Ausführungen zum Grund für die angenommene Ungeeignetheit fehlten.

Der BGH hat das als rechtsfehlerhaft angesehen.

„3. Die Ablehnung des Antrags ist rechtsfehlerhaft und zwingt zur Aufhebung des Urteils.
a) Ein Beweisantrag kann wegen völliger Ungeeignetheit des Beweismittels im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO abgelehnt werden, wenn dessen Inanspruchnahme von vornherein gänzlich aussichtslos wäre, so dass sich die Erhebung des Beweises in einer reinen Förmlichkeit erschöpfen müsste (BGH, Beschluss vom 12. Januar 2010 – 3 StR 519/09, NStZ-RR 2010, 211 m.w.N.). Dies ist dann der Fall, wenn mit dem vom Antragsteller benannten Beweismittel die behauptete Beweistatsache nach sicherer Lebenserfahrung nicht bestätigt werden kann (LR-Becker, StPO, 26. Aufl., § 244, Rn. 230). Zeugen sind grundsätzlich geeignete Beweismittel zum Nachweis des Inhaltes von ihnen geführter Gespräche. Im vorliegenden Fall käme die Annahme völliger Ungeeignetheit der Zeugin als Beweismittel daher nur dann in Betracht, wenn ausgeschlossen werden könnte, dass diese Zeugin den Gesprächsverlauf zuverlässig in ihrem Gedächtnis behalten hat (vgl. Senatsbeschluss vom 14. September 2004 – 4 StR 309/04, BGHR StPO, § 244 Abs. 3 Satz 2 Ungeeignetheit 23). Dies hat der Tatrichter anhand allgemeiner Lebenserfahrung unter Berücksichtigung aller Umstände zu beurteilen, die dafür oder dagegen sprechen, dass ein Zeuge die in sein Wissen gestellten Wahrnehmungen gemacht hat und sich an sie erinnern kann (Senatsbeschluss vom 14. September 2004 – 4 StR 309/04, aaO). Eine solche Beurteilung enthält die Begründung des den Antrag ablehnenden Beschlusses nicht. Die völlige Ungeeignetheit der Zeugin als Beweisperson zu Bekundungen über ein Gespräch, das bei Antragstellung weniger als sieben Monate zurücklag und das einen außergewöhnlichen Lebensvorgang zum Gegenstand hatte, lag auch nicht auf der Hand.…“

Was mich am Beschluss stört ist die Formulierung: „… zwingt zur Aufhebung des Urteils…“. Wieso „zwingt“? Wenn das Urteil rechtsfehlerhaft ist, wird aufgehoben, wenn das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht. Das hat doch nichts mit „zwingen“ zu tun. Aber: Der BGH hat es sicher nicht so gemeint 🙂

Abwegig, haltlos oder in ihrem Tatsachenkern widerlegt,

müssen (weitere) Strafanzeigen eines Zeugen zu bewerten sein, wenn im Eröffnungsverfahren die belastende Aussage eines Zeugen, der noch weitere Strafanzeigen gegen den Angeschuldigten erstattet hat, als unglaubhaft bewertet werden soll – so das OLG Stuttgart, Beschl. v. 12.04.2011 – 5 Ws 6/11.

Ist das nicht der Fall, muss man die Aussage des Zeugen im Eröffnungsverfahren zugrunde legen und die endgültige Bewertung der Hauptverhandlung vorbehalten.