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Wiedereinsetzung II: Unterrichtung des Verteidigers, oder: Verloren gegangener Briefumschlag

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Und zur Mittagszeit dann zwei weitere Entscheidungen zur Wiedereinsetzung. Beide sind im Strafbefehleverfahren ergangen, behandeln aber allgemeine „Wiedereinsetzungsfragen“. Die sind auch nicht neu, aber: Die Beschlüsse sind „Reminder“. Hier dann die Leitsätze:

Ist der Briefumschlag, mit dem ein Beschwerdeführer die rechtzeitige Absendung eines Rechtsmittels belegen könnte, nicht mehr vorhanden, kann auf eine Glaubhaftmachung verzichtet werden und. die „schlichte“ Erklärung als geeignet angesehen werden, die richterliche Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit des behaupteten Versäumungsgrundes zu begründen.

Ein Angeklagter darf sich bei fehlenden gegenteiligen Anhaltspunkten grundsätzlich darauf verlassen, dass ein Verteidiger von Entscheidungen gegen ihn unterrichtet wird und dieser die notwendigen Schritte dagegen einleiten wird.

Wiedereinsetzung I: Rechtsmittel des Inhaftierten, oder: Schriftliches Rechtsmittel kann zumutbar sein

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Vorab: Die Woche gibt es vorbereitete Beiträge: Ich bin auf Borkum und wegen „Kinderbetreuung“ gehindert, aktuell zu blogen. Also alles vorbereitet 🙂 .

Zum Beginn der 15. KW. komme ich dann zunächst noch einmal auf den KG, Beschl. vom 03.02.2022 – 2 Ws 12/22– zurück, über den ich ja schon in der vergangenen Woche in Zusammenhang mit der im Beschluss angesprochenen Pflichtverteidigungsfrage berichtet habe (vgl. Pflichti III: Bestellung in der Strafvollstreckung, oder. Exequaturverfahren und inhaftierter Mandant).

Das KG hat in dem Beschluss auch zur Frage der Wiedereinsetzung bei einem inhaftierten Mandanten Stellung genommen. Der inhaftierte Verurteilte hatte gegen eine Anrechnungsentscheidung betreffend in Polen vollstreckte U-Haft sofortige Beschwerde eingelegt. Allerdings zu spät und Wiedereinsetzung wird vom KG nicht gewährt:

„1. Die statthafte (§ 463 Abs. 3 Satz 1, § 454 Abs. 3 Satz 1 StPO) sofortige Beschwerde ist bereits unzulässig, weil sie die Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO nicht wahrt. Der Beschluss der Strafvollstreckungskammer ist dem Beschwerdeführer am 23. Dezember 2021 (Donnerstag) zugestellt worden. Die Wochenfrist endete daher gemäß § 43 Abs. 1 StPO mit Ablauf des 30. Dezember 2021 (Donnerstag). Die sofortige Beschwerde ist aber erst am 11. Januar 2022 – und deshalb verspätet – eingelegt worden (§ 299 Abs. 2 StPO).

Der in dem Vortrag, die Wochenfrist habe aufgrund der Quarantäne, die bereits vor Zustellung des Beschlusses bis zum 7. Januar 2022 in der Teilanstalt verhängt worden sei, nicht gewahrt werden können, weil eine Vorführung zum Urkundsbeamten erst am 11. Januar 2022 möglich gewesen sei, liegende Wiedereinsetzungsantrag ist unzulässig. Denn er genügt nicht den formellen Anforderungen des § 45 Abs. 2 Satz 1 StPO. Danach gehört es zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Wiedereinsetzungsantrages, dass der Antragsteller einen Sachverhalt vorträgt, der ein Verschulden, dass der Wiedereinsetzung entgegenstünde (§ 44 Abs. 1 StPO) ausschließt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 64. Aufl., § 45 Rdn. 5a m.w.N.). Daran fehlt es hier.

Die Behauptung des Beschwerdeführers, dass er die sofortige Beschwerde nicht rechtzeitig habe einlegen können, weil der Urkundsbeamte erst am 11. Januar 2022 wieder in die Anstalt gekommen sei, enthält insoweit keinen ausreichenden Tatsachenvortrag. Der Beschwerdeführer war nach § 306 Abs. 1 StPO, der auch für die sofortige Beschwerde gilt, nicht verpflichtet, das Rechtsmittel zur Niederschrift des Urkundsbeamten zu erklären. Die Möglichkeit der schriftlichen Einlegung war ihm – der Rechtsmittelbelehrung entsprechend – unbenommen. Dass er stattdessen von der zeitaufwändigeren und letztlich das Fristversäumnis verursachenden Möglichkeit des § 299 StPO Gebrauch gemacht hat, stellt ein eigenes Verschulden des Beschwerdeführers dar, denn § 299 StPO lässt die Befugnis des Gefangenen, seine Erklärung anders als auf dem Weg des § 299 StPO abzugeben, unberührt (vgl. KG, Beschlüsse vom 30. Juni 2008 – [4] 1 Ss 249/08 [126/08] – und vom 28. Februar 2000 – [4] 1 Ss 26/00 [20/00], jeweils juris). Der historische Gesetzgeber wollte bei der Schaffung des § 341 der „Strafprozessordnung für das Deutsche Reich“, der dem heutigen § 299 StPO entspricht, dem Umstand Rechnung tragen, dass der Gefangene Schriftstücke nicht selbst, sondern nur durch Vermittlung eines Beamten befördern konnte, und ihn vor einer Fristversäumnis durch dessen Säumnis schützen (vgl. Hahn, Materialien zur Strafprozessordnung, 2. Aufl., Abt. I S. 246). Im Vergleich zu den damaligen Verhältnissen ist indes die Absendung an das Gericht adressierter Post heute auch aus der Haft heraus problemlos möglich. Zwar darf der Gefangene nicht generell darauf verwiesen werden, eine Erklärung schriftlich abzugeben. Im Einzelfall kann dies jedoch zumutbar sein und deshalb eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließen (vgl. MüKo/Allgayer, StPO, § 299 Rdn. 13 m.w.N.). Da dem Beschwerdeführer hier bereits bei Zustellung des Beschlusses bekannt war, dass es aufgrund der verhängten Quarantäne – und damit aus nicht von der Vollzugsanstalt zu verantwortenden Gründen – gänzlich ungewiss war, wann eine Vorführung zum Urkundsbeamten wieder möglich sein würde, hätte er die sofortige Beschwerde zur Fristwahrung vorliegend schriftlich einlegen müssen (vgl. Senat, Beschluss vom 28. Februar 2000 – 5 Ws 137/00 –, juris; OLG Karlsruhe Justiz 2003, 490).

Dass er hieran gehindert war, macht er nicht geltend. Dies gilt hier insbesondere deshalb, weil der Beschwerdeführer offensichtlich keine Formulierungshilfe des Rechtspflegers in Anspruch nehmen wollte (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O.), sondern eine Begründung des Rechtsmittels binnen 14 Tagen angekündigt hat.“

Als „Trostpflaster“ weist das KG aber darauf hin, dass das Rechtsmittel auch nicht begründet gewesen wäre.

Wiedereinsetzung, wenn eine Sendung verloren geht, oder: Rechtzeitige Versendung glaubhaft gemacht?

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Im zweiten Posting dann noch einmal etwas zur Wiedereinsetzung (im Zivilverfahren), und zwar der BGH, Beschl. v. 26.01.2022 – XII ZB 227/21.

Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren, in dem die Klägerin/Antragstellering ihren geschiedenen Ehemann, mit der Behauptung, er habe sie während der Ehezeit im Rahmen einer tätlichen Auseinandersetzung verletzt, auf Schmerzensgeld und Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch nimmt. Das von der Klägering ursprünglich angerufene LG hat den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Familiengericht verwiesen. Dieses hat den Anträgen mit Beschluss vom 03.11.2020, dem Antragsgegner zugestellt am 12.11.2020, teilweise stattgegeben.

Hiergegen hat der Ehemann am 30.11.2020 Beschwerde eingelegt. Nachdem sein Verfahrensbevollmächtigter vom OLG am 02.02.2021 darauf hingewiesen worden war, dass die Beschwerde wegen Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist unzulässig sein dürfte, hat er am selben Tag beglaubigte Abschriften einer Beschwerdebegründung vom 07.01.2021 eingereicht und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, sein Verfahrensbevollmächtigter habe die Arbeiten an der Begründung in der Mittagszeit des 07.01.2021 abgeschlossen, das Original unterschrieben, eine Kopie davon gefertigt, die beiden erforderlichen Überstücke gefertigt, diese Unterlagen kuvertiert und dann frankiert. Entgegen der ursprünglichen Planung habe nicht seine mit ihm in der Kanzlei als Rechtsanwältin tätige Ehefrau, sondern er selbst den Umschlag in einen – detailliert bezeichneten – Briefkasten eingeworfen, und zwar zwischen dessen erster Leerung um 14.00 Uhr und der zweiten Leerung um 16.30 Uhr. Diese Angaben hat der Verfahrensbevollmächtigte anwaltlich versichert und zudem eine anwaltliche Versicherung seiner Ehefrau beigefügt.

Das OLG hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Beschwerde des Antragsgegners verworfen. Hiergegen wendet sich dieser mit der Rechtsbeschwerde, die Erfolg hatte:

„2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Antragsgegner hat zwar die Rechtsmittelbegründungsfrist versäumt, die am 12. Januar 2021 ablief. Die Begründung des Oberlandesgerichts, mit der es den Antrag auf Wiedereinsetzung gegen diese Versäumung zurückgewiesen hat, ist jedoch rechtsfehlerhaft.

a) Wird – wie hier – Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Behauptung begehrt, ein fristgebundener Schriftsatz sei auf dem Postweg verloren gegangen, kann eine Partei dies regelmäßig nicht anders glaubhaft machen als durch Glaubhaftmachung der rechtzeitigen Aufgabe des Schriftstücks zur Post, die als letztes Stück des Übermittlungsgeschehens noch ihrer Wahrnehmung zugänglich ist. Wiedereinsetzung ist daher zu gewähren, wenn der Antragsteller aufgrund einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe bis zur rechtzeitigen Aufgabe des in Verlust geratenen Schriftsatzes zur Post glaubhaft macht, dass der Verlust mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht im Verantwortungsbereich seines Verfahrensbevollmächtigten eingetreten ist. Ein Nachweis dafür, dass das Schriftstück tatsächlich in den Postlauf gelangt ist, ist dagegen ebenso wie eine Glaubhaftmachung, wo und auf welche Weise es zum Verlust des Schriftstücks gekommen ist, nicht erforderlich. Die eine Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen muss die Partei im Rahmen ihres Antrags auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist gemäß § 236 Abs. 2 ZPO vortragen und glaubhaft machen (Senatsbeschluss vom 13. Januar 2021 – XII ZB 329/20FamRZ 2021, 619 Rn. 8 mwN).

b) Diese Grundsätze hat das Oberlandesgericht auch nicht verkannt und ist zu Recht davon ausgegangen, dass der zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags gehaltene Vortrag den dargestellten Anforderungen an eine Schilderung der tatsächlichen Abläufe zu einer rechtzeitigen (vgl. hierzu etwa BGH Beschluss vom 22. Juni 2021 – VIII ZB 56/20MDR 2021, 1082 Rn. 27 mwN) Postaufgabe des Schriftsatzes gerecht wird. Die Rechtsbeschwerde wendet sich aber mit Erfolg gegen die Auffassung des Oberlandesgerichts, dem Antragsgegner sei mangels Glaubhaftmachung dieses Wiedereinsetzungsgrunds im Sinne von §§ 233 Satz 1, 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtsmittelbegründungsfrist zu versagen.

aa) Eine Behauptung ist dann im Sinne von §§ 236 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2, 294 ZPO glaubhaft gemacht, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sie zutrifft, also letztlich mehr für das Vorliegen der in Rede stehenden Behauptung spricht als dagegen. Dabei hat der Tatrichter die vom Antragsteller angebotenen Mittel zur Glaubhaftmachung im Hinblick darauf nach § 286 ZPO frei zu würdigen. Diese Beweiswürdigung kann von dem Rechtsbeschwerdegericht nur darauf überprüft werden, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO mit dem Verfahrensstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr., vgl. etwa Senatsbeschluss vom 13. Dezember 2017 – XII ZB 356/17FamRZ 2018, 447 Rn. 15 mwN).

bb) Auch unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs kann die zur Glaubhaftmachung vorgenommene Beurteilung des Oberlandesgerichts keinen rechtlichen Bestand haben.

(1) Dies folgt bereits – wie die Rechtsbeschwerde zutreffend rügt – daraus, dass das Oberlandesgericht der anwaltlichen Versicherung des Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners keinen Glauben geschenkt hat, ohne den Antragsgegner hierauf vor der Endentscheidung hinzuweisen. Denn von der Richtigkeit einer anwaltlichen Versicherung ist grundsätzlich auszugehen. Dies gilt lediglich dann nicht, wenn konkrete Anhaltspunkte es ausschließen, den geschilderten Sachverhalt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als zutreffend zu erachten. Schenkt das Rechtsmittelgericht einer anwaltlichen Versicherung im Verfahren der Wiedereinsetzung wie vorliegend keinen Glauben, muss es den die Wiedereinsetzung Begehrenden darauf hinweisen und ihm Gelegenheit geben, entsprechenden Zeugenbeweis anzutreten. Zudem ist dann die – vom Oberlandesgericht vorliegend ersichtlich nicht vorgenommene – Prüfung veranlasst, ob nicht bereits in der Vorlage der anwaltlichen Versicherung zugleich ein Beweisangebot auf Vernehmung des Verfahrensbevollmächtigten als Zeugen zu den darin genannten Tatsachen liegt. Ist das der Fall, bedeutet die Ablehnung der Wiedereinsetzung ohne vorherige Vernehmung des Zeugen eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung (Senatsbeschluss vom 13. Januar 2021 – XII ZB 329/20FamRZ 2021, 619 Rn. 13 f. mwN).

(2) Ebenfalls richtig ist der Hinweis der Rechtsbeschwerde, das Oberlandesgericht habe die Verneinung der Glaubhaftmachung nicht mit Erfolg auf die Überlegung stützen können, dass es an Vortrag zur Organisation der Fristenkontrolle in der Kanzlei des Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners und an Belegen zur internen Dokumentation der Fristwahrung und der Ausgangskontrolle zum hier in Rede stehenden Vorgang fehle. Denn auf diese Umstände käme es nicht an, wenn der Einwurf der Rechtsmittelbegründung in den Postkasten ausreichend dargelegt und glaubhaft gemacht wäre, weil in diesem Fall eventuelle Organisations- und Dokumentationsmängel nicht für die Fristversäumung ursächlich wären (vgl. Senatsbeschluss vom 25. November 2020 – XII ZB 200/20NJW-RR 2021, 505 Rn. 16 mwN; BGH Beschluss vom 19. Juni 2013 – V ZB 226/12 – juris Rn. 14).

(3) Schließlich macht die Rechtsbeschwerde zu Recht geltend, die angefochtene Entscheidung werde auch nicht von der Erwägung des Oberlandesgerichts getragen, dass der Schriftsatz – anders als die übrigen im Laufe des Verfahrens eingereichten Schriftsätze – nicht auch per Fax übersandt worden sei. Denn der Antragsgegner war nicht gehalten, sich zu einer solchen zusätzlichen Vorsorge seines Verfahrensbevollmächtigten, zu der keine Rechtspflicht besteht, zu äußern (vgl. dazu BGH Beschluss vom 19. Juni 2013 – V ZB 226/12 – juris Rn. 14).“

Wiedereinsetzung II: Das falsche Rechtsmittel, oder: Rechtskenntnis macht es dem Rechtsanwalt leichter

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Und die zweite Entscheidung zur Wiedereinsetzung kommt dann vom 8. Zivilsenat des BGH. Der hat über folgenden Sachverhalt entschieden:

Die Beklagte war Mieterin einer Wohnung der Klägerin in Duisburg. Wegen rückständiger Miete und Nebenkosten in Höhe von insgesamt 6.811,66 EUR nebst Zinsen erwirkte die Klägerin einen Vollstreckungsbescheid. In dem auf den Einspruch der Beklagten durch das AG bestimmten Termin sind weder diese noch deren Rechtsbeistand erschienen. Das AG hat daher den Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid durch ein zweites Versäumnisurteil verworfen.

Hiergegen hat die Beklagte fristgerecht Berufung eingelegt. Diese hat das LG – nach einem entsprechenden Hinweis – mit Beschluss vom 08.06.2021 als unzulässig verworfen, da die Voraussetzungen des § 514 Abs. 2 ZPO, mithin das Nichtvorliegen eines Falls schuldhafter Säumnis, durch die Beklagte mit ihrer Berufung nicht schlüssig dargelegt worden seien. Gegen diesen, ihrem zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten am 15.06.2021 zugestellten Beschluss, hat die Beklagte am 17.06.2021 beim Berufungsgericht Anhörungsrüge erhoben. Das Berufungsgericht hat die Beklagte mit Verfügung vom 20.07.2021, dem Prozessbevollmächtigten am 23.07.2021 zugegangen, darauf hingewiesen, dass die Anhörungsrüge wegen der gegen den Beschluss vom 08.06.2021 eröffneten Rechtsbeschwerde nicht statthaft sein dürfte.

Mit am 05.08.2021 beim BGH eingegangenem Schriftsatz hat die Beklagte gegen den (die Berufung als unzulässig verwerfenden) Beschluss des LG vom 08.06.2021 Rechtsbeschwerde eingelegt, diese begründet sowie beantragt, ihr wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Dies hatte beim BGH keinen Erfolg. Der hat den Antrag im BGH, Beschl. v. 11.01.2022 – VIII ZB 37/21 – zurückgewiesen.

„Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig.

1. Sie wurde nicht innerhalb der mit der Zustellung des die Berufung verwerfenden Beschlusses des Landgerichts beginnenden und am 15. Juli 2021 endenden Monatsfrist (§ 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO) eingelegt. Die erhobene Gehörsrüge hindert den Eintritt der formellen Rechtskraft nicht (vgl. Senatsbeschluss vom 13. April 2021 – VIII ZB 80/20, juris Rn. 15 mwN). Dies stellt auch die Beklagte nicht in Frage.

2. Der Beklagten ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde zu gewähren (§ 233 ZPO), da sie nicht ohne Verschulden an der Einhaltung dieser Fristen gehindert war. Ihr zweitinstanzlicher Prozessbevollmächtigter, dessen Verschulden der Beklagten zuzurechnen ist (§ 85 Abs. 2 ZPO), hat die Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde (§ 575 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO) schuldhaft verstreichen lassen.

a) Zu den – nicht auf sein Büropersonal übertragbaren – Aufgaben eines Rechtsanwalts gehört es, Art und Umfang des gegen eine gerichtliche Entscheidung einzulegenden Rechtsmittels zu bestimmen. Dabei wird vom Rechtsanwalt, an den insoweit hohe Sorgfaltsanforderungen zu stellen sind, die Kenntnis des Rechtsmittelsystems der Zivilprozessordnung erwartet (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Mai 2014 – V ZB 172/13, NJW 2014, 2503 Rn. 9; vom 12. Oktober 2016 – V ZB 178/15, NJW 2017, 1112 Rn. 12; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 23. Aufl., § 233 Rn. 50, Stichwort Rechtsirrtum [Anwalt] unter c). Zugleich ist es seine Aufgabe, alle gesetzlichen Anforderungen an die Zulässigkeit des danach bestimmten Rechtsmittels in eigener Verantwortung zu prüfen und dafür Sorge zu tragen, dass dieses Rechtsmittel innerhalb der jeweils gegebenen Rechtsmittelfrist bei dem zuständigen Gericht eingeht (vgl. Senatsbeschluss vom 10. Mai 2016 – VIII ZR 19/16, NZM 2016, 767 Rn. 6 mwN; vgl. auch Senatsurteil vom 24. Juni 1992 – VIII ZR 203/91, NJW 1992, 2413 unter I 2 c, insoweit in BGHZ 119, 35 nicht abgedruckt).

b) Dem ist der Prozessbevollmächtigte der Beklagten nicht gerecht geworden. Denn statt eine Rechtsbeschwerde durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt einlegen zu lassen hat er gegen den die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss des Landgerichts eine unstatthafte Anhörungsrüge erhoben.

Nach § 321a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO ist die Anhörungsrüge nur statthaft, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Endentscheidung nicht gegeben ist. Diese Voraussetzung lag hier (offensichtlich) nicht vor (vgl. auch Senatsurteil vom 5. November 2003 – VIII ZR 10/03, NJW 2004, 1598 unter II 1 a; BT-Drucks. 15/3706, S. 15). Denn gegen einen Beschluss des Berufungsgerichts, mit welchem die Berufung – wie hier – gegen ein zweites Versäumnisurteil der Vorinstanz als unzulässig verworfen wird (zu den Anforderungen an eine Berufungsbegründung im Fall des § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 1990 – IX ZR 62/90, BGHZ 112, 367, 371; Beschluss vom 18. Februar 2020 – XI ZB 11/19, NJW-RR 2020, 575 Rn. 8), ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO die Rechtsbeschwerde statthaft. Auch dies muss einem Rechtsanwalt bekannt sein (vgl. BGH, Beschluss vom 25. November 2020 – XII ZB 256/20, NJW 2021, 784 Rn. 8).

Daher hätte der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Beklagten die rechtzeitige Beauftragung eines bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalts zur fristgerechten Einlegung einer solchen Rechtsbeschwerde veranlassen müssen, um auf diese Weise das angefochtene Urteil unter anderem wegen der vermeintlichen Gehörsverletzungen zur Überprüfung zu stellen (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).

c) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde entfällt das für die Fristversäumung ursächliche Verschulden des Instanzbevollmächtigten der Beklagten nicht wegen eines mitwirkenden Fehlers des Gerichts. Soweit die Rechtsbeschwerde meint, das Berufungsgericht habe die Beklagte zu spät auf die Unstatthaftigkeit der Anhörungsrüge hingewiesen und es versäumt, seinen Hinweis bereits so rechtzeitig vor Ablauf der Monatsfrist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde zu erteilen, dass für die Beklagte noch die Möglichkeit bestanden hätte, fristgerecht Rechtsbeschwerde einzulegen, wird verkannt, dass eine derartige Hinweis- und Fürsorgepflicht des Berufungsgerichts vorliegend nicht bestanden hat.

aa) Ein Gericht ist nur unter besonderen Umständen dazu gehalten, einer drohenden Fristversäumnis seitens der Partei entgegenzuwirken. Denn einer gerichtlichen Fürsorgepflicht sind im Interesse der Funktionsfähigkeit der Justiz Grenzen gesetzt (vgl. BVerfG, NJW 1995, 3173, 3175; BGH, Beschlüsse vom 5. Oktober 2005 – VIII ZB 125/04, NJW 2005, 3776 unter III 1 b aa; vom 1. Juli 2021 – V ZB 71/20, NJW-RR 2021, 1317 Rn. 7; jeweils mwN). Es darf allerdings nicht sehenden Auges zuwarten, bis die Partei Rechtsnachteile erleidet (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Juni 2004 – VI ZB 9/04, NJW-RR 2004, 1364 unter II 2 a; vom 1. Juli 2021 – V ZB 71/20, aaO). Dabei ist es jedoch grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn der Richter die Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Rechtsmittels beziehungsweise hier des Rechtsbehelfs nach § 321a ZPO nicht zeitnah nach dessen Eingang, sondern erst bei der Bearbeitung des Falls und gegebenenfalls nach Ablauf der Fristen überprüft (vgl. BVerfG, NJW 2001, 1343; BGH, Beschlüsse vom 15. Juni 2004 – VI ZB 9/04, aaO; vom 6. Mai 2009 – KZR 7/08, juris Rn. 17; vom 1. März 2016 – VIII ZB 57/15, NJW 2016, 2042 Rn. 31).

bb) Hiernach war das Berufungsgericht – entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde – nicht verpflichtet, die Statthaftigkeit der Anhörungsrüge bereits unmittelbar nach deren Einlegung und insbesondere noch vor Ablauf der Monatsfrist des § 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu prüfen. Die Erteilung des Hinweises erst nach Ablauf der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde stellt daher keinen das Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten ausschließenden Fehler des Gerichts dar. Dass das Berufungsgericht mit der Erteilung seines Hinweises sehenden Auges bis zum Fristablauf zugewartet hätte, ist von der Beklagten nicht dargelegt worden (vgl. zu dieser Darlegungsobliegenheit BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2005 – IX ZB 138/05, juris Rn. 7).

cc) Zu Unrecht beruft sich die Beklagte schließlich auf die Weiterleitungspflicht des unzuständigen, bereits mit der Sache befasst gewesenen Gerichts bezüglich einer Rechtsmittelschrift (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 5. Oktober 2005 – VIII ZB 125/04, NJW 2005, 3776 unter III 1 b aa; vom 19. September 2017 – VI ZB 37/16, NJW-RR 2018, 314 Rn. 5; jeweils mwN). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die Beklagte hat beim zuständigen Berufungsgericht ausdrücklich eine (unstatthafte) Anhörungsrüge erhoben. Sie hat damit nicht ein an sich gegebenes Rechtsmittel bei einem unzuständigen Gericht eingelegt, sondern vielmehr einen ersichtlich nicht eröffneten Rechtsbehelf gewählt. Eine Umdeutung in eine – mangels Einhaltung der Form- und Fristerfordernisse unzulässige – Rechtsbeschwerde kam daher nicht in Betracht, so dass eine Weiterleitung an den Bundesgerichtshof nicht in Frage gestanden hat (vgl. auch BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2005 – IX ZB 138/05, aaO Rn. 5).“

Der Entscheidung des BGH ist m.E. nichts hinzu zu fügen, außer: Gesetz- und Rechtskenntnis erleichtert dann doch auch für den Rechtsanwalt die Rechtsfindung bzw. hilft, kapitale Fehler zu vermeiden. Hier bleibt dem zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Beklagten dann wohl nur noch, schon mal die Haftpflichtversicherung zu informieren.

Wiedereinsetzung I: Wenn Fristablauf droht, oder: Rechtsanwalt muss Email-Lesebestätigung anfordern

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Und im „Kessel Buntes“ heute dann zwei Entscheidungen des BGH zur Wiedereinsetzung. Sie stammen zwar aus dem Zivilbereich, aber es lohnt sich ja immer mal über den Tellerrand zu schauen.

Zunächst der BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – I ZR 125/21. Es geht um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision. Der BGH hat den Antrag zurückgewiesen. Der Sachverhalt ergibt sich aus dem BGH-Beschluss:

„II. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist gemäß § 233 ZPO kommt nicht in Betracht. Die Beklagte war nicht ohne ihr Verschulden gehindert, das Rechtsmittel rechtzeitig einzulegen.

1. Die Beklagte hat zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrags vorgetragen, die Fristversäumung habe ihre Ursache in einem technischen Fehler ihres E-Mailsystems. Ihre Prozessbevollmächtigten hätten ihr mit Schreiben vom 7. Juli 2021, 19. Juli 2021 und mit E-Mails vom 19. Juli 2021, 27. Juli 2021 und 28. Juli 2021 jeweils unter Hinweis auf die Revisionsfrist die Einlegung der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision empfohlen. Sowohl die Schreiben als auch die E-Mails seien bei ihr eingegangen und zur Kenntnis des für die Entscheidung über die Einlegung des Rechtsmittels zuständigen Prokuristen gelangt. Der Prokurist habe sich am 29. Juli 2021 im Rahmen eines Videotelefonats mit ihrem Produktentwickler besprochen und sei zu dem Ergebnis gelangt, dass das Revisionsverfahren durchgeführt werden solle. Der Prokurist habe unmittelbar nach Beendigung des Videotelefonats eine E-Mail an ihre Prozessbevollmächtigten verschicken wollen, mit der er diese habe bitten wollen, alle notwendigen Schritte für eine Revision einzuleiten. Der Prokurist sei der festen Überzeugung gewesen, dass er noch am 29. Juli 2021 eine solche E-Mail an die Prozessbevollmächtigten geschickt habe. Deshalb habe er die Angelegenheit für sich „ad acta“ gelegt. Eine entsprechende E-Mail des Prokuristen sei jedoch weder am 29. Juli 2021 noch zu einem späteren Zeitpunkt bei den Prozessbevollmächtigten eingegangen. Es sei zu vermuten, dass es zu technischen Problemen im E-Mailsystem der Beklagten gekommen sei.

Aber selbst wenn sie es übersehen haben sollte, am 29. Juli 2021 tatsächlich eine E-Mail an ihre Prozessbevollmächtigten zu senden, sei davon auszugehen, dass sie durch eine E-Mail vom 30. Juli 2021 ihrer Prozessbevollmächtigten rechtzeitig auf die ablaufende Revisionsfrist hingewiesen worden wäre. Nachdem die Prozessbevollmächtigten auf ihre E-Mail vom 28. Juli 2021 keine Antwort von ihr erhalten hätten, hätten sie nämlich am 30. Juli 2021 erneut eine E-Mail an sie übersandt, mit der wiederum auf die am selben Tag ablaufende Revisionsfrist hingewiesen worden sei. Ganz offensichtlich sei diese E-Mail aufgrund eines nicht aufzuklärenden technischen Fehlers nicht bei ihr eingegangen. Es sei davon auszugehen, dass es dem Prokuristen im Falle des Erhalts dieser E-Mail aufgefallen wäre, dass er nicht bereits am 29. Juli 2021 der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten mitgeteilt habe, dass das Revisionsverfahren durchgeführt werden solle.

Dass es offenbar zu technischen Problemen in der E-Mail-Korrespondenz mit ihren Prozessbevollmächtigten gekommen sei, zeige sich auch daran, dass am 17. August 2021 eine Mitarbeiterin der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten erfolglos eine E-Mail mit einem PDF-Anhang an sie versandt habe. Im Rahmen eines Telefonats am Folgetag habe diese Mitarbeiterin erneut zweimal erfolglos den Versuch der Übersendung einer E-Mail mit einem PDF-Anhang an sie unternommen. Erst die Übersendung an die private E-Mail-Adresse des Prokuristen sei erfolgreich gewesen. Daraus lasse sich schließen, dass bereits am 29. und 30. Juli 2021 bei ihr technische Probleme vorgelegen hätten.

2. Mit diesem Vorbringen hat die Beklagte keine unverschuldete Fristversäumung dargelegt ( § 233 Satz 1 , § 236 Abs. 2 ZPO ).

a) Nach § 233 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter anderem zu gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, die Revisionsfrist ( § 548 ZPO ) einzuhalten. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den seitens der Partei vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen ( § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO ) zumindest die Möglichkeit offenbleibt, dass die Fristversäumnis von der Partei beziehungsweise ihrem Prozessbevollmächtigten verschuldet war ( BGH, Beschluss vom 26. August 2021 – III ZB 9/21 , juris Rn. 11, mwN). So liegt es hier. Auf der Grundlage des Vortrags der Beklagten im Wiedereinsetzungsantrag kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein ihr gemäß § 51 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihres Prokuristen (dazu unter II 2 b) oder ein ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten (dazu unter II 2 c) ursächlich für die Versäumung der Revisionsfrist geworden ist.

b) Sowohl im Parteiprozess als auch im hier in Rede stehenden Anwaltsprozess kann die Fristversäumung auf einem Verschulden der Partei beruhen, wobei gemäß § 51 Abs. 2 ZPO das Verschulden ihres gesetzlichen Vertreters dem Parteiverschulden gleichgestellt ist (MünchKomm.ZPO/Stackmann, 6. Aufl., § 233 Rn. 40; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 233 Rn. 22). Im Streitfall hat die Beklagte einen Sachverhalt vorgetragen, der es nicht ausschließt, dass die Fristversäumung auf einem Verschulden ihres Prokuristen beruht.

aa) Die Beklagte hatte nach ihrem Vorbringen aufgrund der an den zuständigen Prokuristen gerichteten und ihm auch zugegangenen anwaltlichen Schreiben vom 7. Juli 2021 und 19. Juli 2021 und der E-Mails vom 19. Juli 2021, 27. Juli 2021 und 28. Juli 2021 Kenntnis von der am 30. Juli 2021 ablaufenden Revisionsfrist und dem Umstand, dass die erfolgreiche Durchführung einer Revision eine rechtzeitige Beauftragung ihrer Prozessbevollmächtigten erforderte. Aus ihrem Vorbringen ergibt sich ferner, dass den Prozessbevollmächtigten bis zum Ablauf der Revisionsfrist keine E-Mail mit dem Auftrag der Beklagten zur Einlegung der Revision zugegangen ist.

bb) Es kann auf sich beruhen, ob – wie die Beklagte behauptet – am 29. oder am 30. Juli 2021 ihr E-Mailsystem technisch gestört war. Die Beklagte hat nicht vorgetragen, dass der Prokurist am 29. oder 30. Juli 2021 eine E-Mail mit dem Auftrag zur Einlegung der Revision an ihre Prozessbevollmächtigten tatsächlich versandt hat. In ihrem Wiedereinsetzungsantrag hat die Beklagte lediglich geltend und durch eine eidesstattliche Versicherung des Prokuristen glaubhaft gemacht, dass dieser nach dem Videotelefonat mit dem Produktentwickler der Beklagten den Prozessbevollmächtigten eine E-Mail habe schicken wollen und er der festen Überzeugung sei, dass er eine solche Mail noch am 29. Juli 2021 abgeschickt habe. Mit diesem einschränkend allein auf den Willen und die Überzeugung des Prokuristen abstellenden Vortrag und seiner entsprechend eingeschränkt abgefassten eidesstattlichen Versicherung ist nicht dargelegt und – beispielsweise durch einen Screenshot einer Sendebestätigung des E-Mailprogramms – glaubhaft gemacht, dass der Prokurist eine E-Mail mit dem Auftrag zur Revisionseinlegung tatsächlich versandt hat.

 

c) Das weitere Vorbringen der Beklagten, ihre Prozessbevollmächtigten hätten sie durch eine E-Mail vom 30. Juli 2021 nochmals auf die ablaufende Revisionsfrist hinweisen wollen, diese Mail sei ihr jedoch aufgrund einer technischen Störung nicht zugegangen, lässt ebenfalls die Möglichkeit offen, dass die Fristversäumnis verschuldet ist. Es kann auf sich beruhen, ob die Beklagte hinreichend substantiiert vorgetragen hat, dass am 30. Juli 2021 im E-Mailsystem eine technische Störung vorgelegen hat. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, läge auch bei Zugrundelegung des im Antrag auf Wiedereinsetzung gehaltenen Vortrags ein der Beklagten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten vor.

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt ein Rechtsanwalt seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle bei der Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes per Telefax nur dann, wenn er anhand des Sendeprotokolls überprüft oder durch eine zuverlässige Kanzleikraft überprüfen lässt, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist, weil mögliche Fehlerquellen nur so mit einem hohen Maß an Zuverlässigkeit ausgeschlossen werden können. Gleiches gilt für die Übersendung einer E-Mail. Auch insoweit besteht die Gefahr, dass die E-Mail-Nachricht den Empfänger wegen einer technischen Störung bei der Übermittlung nicht erreicht. Um sicherzustellen, dass eine E-Mail den Adressaten erreicht hat, hat der Versender über die Optionsverwaltung eines E-Mailprogramms die Möglichkeit, eine Lesebestätigung anzufordern (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juli 2013 – I ZR 64/13 , NJW 2014, 556 Rn. 10 f. mwN). Nichts anderes gilt, wenn – wie im Streitfall – ein Rechtsanwalt die Partei mittels einer E-Mail auf die am selben Tag ablaufende Rechtsmittelfrist hinweisen und sie zur Einlegung des Rechtsmittels motivieren will. Nutzt ein Rechtsanwalt im Kanzleibetrieb die E-Mail-Korrespondenz, muss er die Kenntnisnahme empfangener Nachrichten durch die Anforderung einer Lesebestätigung sicherstellen (Zöller/Greger, ZPO, 34. Aufl., § 233 Rn. 23.16).

bb) Die Beklagte hat weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass ihre Prozessbevollmächtigten durch die Anforderung einer Lesebestätigung sichergestellt hätten, dass die E-Mail vom 30. Juli 2021 der Beklagten zur Kenntnis gelangt sei und eine Entscheidung der Partei über die Einlegung der Revision damit noch rechtzeitig hätte erfolgen können.“