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StPO II: Berufungsverwerfung im Fortsetzungstermin, oder: War der Angeklagte ordnungsgemäß geladen??

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Die zweite Entscheidung, der OLG Bamberg, Beschl. v. 15.9.2021 – 1 Ws 561/21 – behandelt eine Problematik aus dem Berufungsverfahren, nämlich die Berufungsverwerfung gegen den ausgebliebenen, aber vertretenen Angeklagten.

Folgender Sachverhalt: Im ersten Berufungshauptverhandlungstermin vom 17.06.2021 war die Verhandlung ausgesetzt und neuer Hauptverhandlungstermin bestimmt worden auf den 09.08.2021 um 09:00 Uhr. Zur Berufungshauptverhandlung am 09.08.2021 um 09:00 Uhr war der Angeklagte nicht erschienen, jedoch durch seine Verteidigerin mit nachgewiesener und gesonderter Vertretungsvollmacht vertreten. Der Vorsitzende der Berufungskammer unterbrach die Hauptverhandlung zur Entscheidung über einen Befangenheitsantrag und verfügte sodann um 15:00 Uhr, dass die Hauptverhandlung unterbrochen wird, bestimmte Termin zur Fortsetzung der Berufungsverhandlung auf 10.08.2021, 08:30 Uhr, und ordnete das persönliche Erscheinen des Angeklagten zum Fortsetzungstermin an. Zu diesem Termin wurden der Angeklagte über seine Verteidigerin per Telefax am 09.08.2021 um 16:52 Uhr geladen. Zum Fortsetzungstermin am 10.08.2021 um 08:38 Uhr war der Angeklagte erneut nicht erschienen, jedoch wiederum durch seine vorgenannte Verteidigerin vertreten. Nach Verwerfung eines weiteren Ablehnungsantrags verkündete der Vorsitzende sodann bezüglich des Angeklagten ein Verwerfungsurteil gemäß § 329 Abs. 4 Satz 2 StPO, da dieser zum Fortsetzungstermin vom 10.08.2021 nicht erschienen war.

Dagegen u.a. der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Den hat das LG zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten hatte dann aber beim OLG bamberg Erfolg:

„Die sofortige Beschwerde erweist sich als begründet. Dem Angeklagten ist unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung Wiedereinsetzung in die Hauptverhandlung zu bewilligen, da er zu dem Hauptverhandlungstermin vom 10.08.2021 nicht ordnungsgemäß geladen wurde und deshalb bereits kein Fall der Säumnis vorlag.

1. Der Angeklagte ist vorliegend per Fax am 09.08.2021 um 16:52 Uhr über seine auch für die Entgegennahme von Ladungen (§ 145a Abs. 2 Satz 1 StPO) bevollmächtigte Verteidigerin zum Fortsetzungstermin vom 10.08.2021 um 08:30 Uhr geladen und hierbei über die Möglichkeit der Verwerfung gemäß § 329 Abs. 4 Satz 3 StPO belehrt worden. Bei Terminsbestimmung am 09.08.2021 hat das Gericht zudem das persönliche Erscheinen des Angeklagten angeordnet. Die Ladung erfolgte jedoch nicht fristgerecht. Nachdem zwischen dem Eingang der an den Angeklagten adressierten Ladung bei seiner Verteidigerin, die am 09.08.2021 per Telefax erfolgte und dem Tag der Hauptverhandlung, die bereits auf den 10.08.2021 terminiert war, keine Woche lag, wurde die Ladungsfrist des § 217 StPO nicht eingehalten. Zwar ist bei Fortsetzung einer unterbrochenen Hauptverhandlung grundsätzlich keine förmliche Ladung erforderlich und daher auch keine Ladungsfrist einzuhalten (Meyer-Goßner/Schmitt StPO 64. Aufl. § 217 Rn. 6 m.w.N.). Vielmehr genügt grundsätzlich die bloße Bekanntgabe des Fortsetzungstermins (Meyer-Goßner/Schmitt § 229 Rn. 12 m.w.N.). Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn das Gericht – wie vorliegend – trotz der Vertretung des Angeklagten durch einen Verteidiger ausnahmsweise nicht gemäß § 329 Abs. 2 Satz 1 StPO zur Sache verhandeln will, sondern es als erforderlich erachtet, dass der Angeklagte zur Fortsetzung der Hauptverhandlung persönlich anwesend ist. In diesem Falle ist gemäß § 329 Abs. 4 Satz 1 StPO der Angeklagte zum Fortsetzungstermin neu zu laden und das persönliche Erscheinen anzuordnen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt § 329 Rn. 15b). Die ordnungsgemäße Ladung richtet sich nach §§ 216, 217 StPO und setzt deren förmliche Zustellung nach § 35 Abs. 2 StPO (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt § 35 Rn. 10 m.w.N.) unter Einhaltung der einwöchigen Ladungsfrist voraus. Da die Durchführung der Hauptverhandlung nach § 329 Abs. 2 Satz 1 StPO in Abwesenheit des Angeklagten den gesetzlichen Regelfall darstellt, und nach § 329 Abs. 4 Satz 1 StPO nur verfahren werden darf, wenn die Anwesenheit des Angeklagten zur Urteilsfällung unerlässlich ist (Meyer-Goßner/Schmitt § 329 Rn. 15a), darf ein Angeklagter, welcher seinen Verteidiger mit ordnungsgemäßer Vertretungsvollmacht ausgestattet hat, von einem Verhandeln in seiner Abwesenheit ausgehen. Die Ladung zum Fortsetzungstermin nach § 329 Abs. 4 Satz 1 StPO soll ihm von daher Gelegenheit geben, sich auf die veränderte Sachlage einzustellen und sich auf den Fortsetzungstermin vorzubereiten.

2. Nach §§ 329 Abs. 7 Satz 1, 44 Satz 1 StPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn ein säumiger Angeklagter ohne Verschulden gehindert war, an der Berufungshauptverhandlung persönlich teilzunehmen. Bei Nichteinhaltung der Ladungsfrist ist ein Angeklagter zwar an sich nicht säumig. Gleichwohl ist ein nichtsäumiger Angeklagter einem säumigen gleichzustellen und ihm ist ohne Rücksicht auf sein Verschulden – ggf. auch von Amts wegen – Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn das Gericht das Fehlen oder die Unwirksamkeit der Ladung übersehen hat (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt § 329 Rn. 41 m.w.N.). Auf die Frage der Glaubhaftmachung der Terminsunkenntnis kommt es vorliegend nicht an, da die Unwirksamkeit der Ladung zur Folge hat, dass der Angeklagte nicht säumig war und ihm auch von Amts wegen Wiedereinsetzung zu gewähren ist.

3. Der Wiedereinsetzungsantrag des Angeklagten stützt sich auf Umstände, die das Berufungsgericht vorliegend in seinem die Berufung verwerfenden Urteil nicht berücksichtigt, weil es sie offenbar für nicht relevant erachtet hat. Für den Angeklagten sind sie von daher als neu einzustufen. Da alle Tatsachen aktenkundig sind, ist deren Glaubhaftmachung nicht erforderlich (BGH, Beschl. v. 26.02.1991 – 1 StR 737/90 = NStZ 1991, 295 = BGHR StPO § 45 Abs 2 Tatsachenvortrag 7).“

Zustellung/Wiedereinsetzung III: Fristbeginn wann?, oder: Betroffener abwesend, Verteidiger anwesend

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Und als dritte Entscheidung dann noch der OLG Brandenburg, Beschl. v. 22.09.2021 – 1 OLG 53 Ss-OWi 340/21. Es geht ebenfalls um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Der Betroffene war von seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung des Bußgeldverfahrens entbunden und hatte nicht teilgenommen. Er wird in Anwesenheit seines Verteidigers verurteilt. Es wird dann die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt. Das AG verwirft, da die Wochenfrist zur Anbringung des Rechtsmittels nicht eingehalten worden sei. Gegen den Verwerfungsbeschluss hat der Betroffene gerichtliche Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nach § 346 Abs. 2 StPO iVm. §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3, 4 OWiG beantragt sowie Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde und – vorsorglich – Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist. Den Wiedereinsetzungsantrag begründet der Verteidiger des Betroffenen damit, dass er davon ausgegangen sei, dass die Rechtsmitteleinlegungsfrist erst mit Zustellung des Urteils beginne, da der Betroffene an der Hauptverhandlung nicht teilgenommen habe.

Das OLG hat Wiedereinsetzung gewährt:

„1. Dem Betroffenen ist auf seinen Antrag hin Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde nach § 44 Abs. 1 S. 1 StPO iVm. §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 OWiG zu gewähren.

a) Die Entscheidung über das Wiedereinsetzungsgesuch ist auch im vorliegenden Fall vom Rechtsbeschwerdegericht zu treffen. Dem steht nicht entgegen, dass das (unzuständige) Amtsgericht Brandenburg an der Havel mit Beschluss vom 2. Juni 2021 bereits den Wiedereinsetzungsantrag des Betroffenen zurückgewiesen hat. Da der Senat auf Grund des Antrags des Betroffenen auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts gemäß § 346 Abs. 2 StPO iVm. §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3, 4 OWiG mit der Sache befasst ist, ist er auch zur Entscheidung über das von dem Betroffenen gestellte Wiederaufnahmegesuch berufen, ohne durch dessen Ablehnung durch ein unzuständiges Gericht an einer solchen Entscheidung gehindert zu sein.

Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass die Entscheidung des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel noch nicht in Rechtskraft erwachsen ist. Denn die Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO ist durch die entgegen § 311 Abs. 2 2. Hs. iVm. §§ 35 Abs. 2, 35a, 36 Abs. 1 Satz 1 StPO iVm. §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3, 4 OWiG unterbliebene förmliche Zustellung der Entscheidung, zudem ohne Rechtsmittelbelehrung, nicht in Lauf gesetzt worden. Dessen ungeachtet wird von der überwiegenden Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass auch eine formell rechtskräftige, die Wiedereinsetzung ablehnende Entscheidung des unzuständigen Vorgerichts das Rechtsbeschwerdegericht im Verfahren nach § 346 Abs. 2 StPO nicht binde (vgl. bereits RGSt 70, 186 ff.; RGSt 75, 171 ff.; BGH MDR 1977, 284; OLG Neustadt GA 1960, 121; OLG Düsseldorf NStE Nr. 5 zu § 44; OLG Hamm MDR 1979, 426 f.).

Denn hat der Rechtsbeschwerdeführer bzw. Betroffene sowohl einen Antrag nach § 44 StPO als auch nach § 346 Abs. 2 StPO (jeweils iVm. §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3, 4 OWiG) gestellt, so stehen diese beiden Anträge „in einer unlösbaren inneren Verbindung zueinander“ (RGSt 75, 171, 172; OLG Hamm MDR 1979, 426, 427). Das Rechtsbeschwerdegericht hat in einem solchen Fall sowohl zu entscheiden, ob die Frist versäumt ist und – wenn das der Fall ist – als auch zu entscheiden, ob die Fristversäumung im Sinne von § 44 StPO entschuldigt ist. Nach ober- und höchstrichterlicher Rechtsprechung kann durch Beschränkung des Rechtsmittels auf einen Teil der angefochtenen Entscheidung die Nachprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht nur insoweit gehindert werden, als es sich um einen Teil handelt, der einer selbständigen Prüfung und Bewertung zugänglich ist (RG aaO.; OLG Hamm aaO., jeweils m.w.N.). Ist das nicht der Fall, so hindert selbst die Rechtskraft des durch das Vordergericht erledigten Teils nicht das Recht und die Pflicht des Rechtsmittelgerichts zur Nachprüfung. Dieser Grundsatz muss auch dann gelten, wenn ein Angriff auf das Urteil zum Teil durch eine Entscheidung des Vorderrichters erledigt ist (RG aaO.; OLG Hamm aaO.).

Dies betrifft den vorliegenden Fall: Denn die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag setzt die damit abschließende Prüfung der Frage der Fristversäumung notwendig voraus, so dass der Wiedereinsetzungsantrag einer selbständigen Prüfung und Beurteilung unabhängig von der Frage der Fristversäumung nicht zugänglich ist. Entsprechend ist der Senat gehalten, über beide Rechtbehelfe zu entscheiden.

b) Der Betroffene hat die Wochenfrist des § 341 Abs. 1 StPO iVm. §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 OWiG zur Einlegung der Rechtsbeschwerde versäumt. Das angefochtene Urteil wurde in der Hauptverhandlung am 31. März 2021 in Anwesenheit des Verteidigers des Betroffenen verkündet, so dass die nach § 341 StPO iVm. §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 OWiG maßgebliche Wochenfrist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde mit Ablauf des 7. April 2021 endete. Mithin ist der erst am 23. April 2021 bei Gericht angebrachte Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde verfristet erfolgt.

Dem steht nicht entgegen, dass die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Betroffenen stattgefunden hat. Die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde beginnt, wenn die Hauptverhandlung zwar nicht in Anwesenheit des Betroffenen, aber in Anwesenheit des nach § 73 Abs. 3 OWiG bevollmächtigten Verteidigers stattgefunden hat, nach §§ 79 Abs. 4 OWiG mit der Verkündung des Urteils. Ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls ist der Betroffene in der Hauptverhandlung durch den von ihm bevollmächtigten Verteidiger vertreten worden.

c) Dem Betroffenen ist jedoch Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zu gewähren.

aa) Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist innerhalb der Wochenfrist des § 45 Abs. 1 StGB iVm. § 46 Abs. 1 OWiG ab Kenntnis von der Fristversäumung bei Gericht angebracht worden; auch im Übrigen erfolgte der Antrag formgerecht.

bb) Der – vorsorglich gestellte – Antrag des Betroffenen auf Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist ist daher zurückzuweisen, da insoweit keine Frist versäumt worden ist.

cc) Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde ist begründet, da nach den Ausführungen des Verteidigers des Betroffenen das Fristversäumnis infolge von Unkenntnis über den Fristbeginn seitens des Verteidigers jedenfalls nicht auf einem (Mit-) Verschulden des Betroffenen beruht. Ein Verschulden des gewählten Verteidigers oder ein Kanzleiverschulden kann dem Betroffenen nicht zugerechnet werden (vgl. BVerfG NJW 1991, 351; BGHSt 14, 306, 308); zu einer Überwachung seines Verteidigers ist er nicht verpflichtet (BGH NStZ 1990, 25).“

Rechtsmittel II: Wartezeit von 15 Minuten auch vor Fortsetzungsverhandlung, oder: Berufungsverwerfung

In der zweiten Entscheidung, dem OLG Dresden, Beschl. v. 30.07.2021 – 3 OLG 22 Ss 246/21 – spielen die mit der Berufungsverwerfung zusammenhängenden Fragen (§ 329 Abs. 1 StPO) eine Rolle.

Das LG hatte die Berufung der Angeklagten verworfen. Die zuvor anwesendeAngeklagate war nach dem Ende einer vom Kammervorsitzenden angeordneten Unterbrechung, die von 13:32 Uhr bis 13:45 Uhr gedauert hat, nicht wieder erschienen. Nach erneuter Unterbrechung, die ausweislich des Sitzungsprotokolls um 13:52 Uhr geendet hat, hat die Berufungskammer dann unter Bezugnahme auf § 329 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StPO die Berufung der nun weiterhin abwesenden Angeklagten durch Urteil verworfen. Zur Begründung ist ausgeführt, nach einer Unterbrechung sei die Fortführung der Hauptverhandlung dadurch verhindert worden, dass die ordnungsgemäß geladene und belehrte Angeklagte sich ohne genügende Entschuldigung entfernt habe. Nicht zurückzukehren, habe die Angeklagte bereits bei Verlassen des Sitzungssaales zu Beginn der Unterbrechung angekündigt.

Dagegen Revision und Wiedereinsetzungsantrag. Zur Begründung hat die Angeklagte im Wesentlichen vorgetragen, sie habe sich während der Unterbrechung der Hauptverhandlung vor dem Gerichtsgebäude mit ihrem Verteidiger beraten, der sich geweigert habe, eine – seiner Auffassung nach unrechtmäßige – Anordnung des Präsidenten des Landgerichts zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung oder, im Falle eines ärztlichen Attests über die Befreiung hiervon, eines Plexiglas-Gesichtsvisiers auf den Gerichtsfluren zu befolgen, und dem deswegen der Zutritt zum Gebäude und damit die Teilnahme an der Hauptverhandlung verwehrt worden sei. Um 13.45 Uhr sei sie ins Gebäude zurückgekehrt, habe die Toilette aufgesucht und sei hiernach spätestens um 13.53 Uhr an der Tür zum Sitzungssaal angelangt. Dort habe sie von dem Kammervorsitzenden, der gerade mit den Schöffen und der Urkundsbeamtin den Saal verlassen habe, erfahren, dass die Berufung verworfen worden sei. Wegen der Einzelheiten des Wiedereinsetzungsvorbringens wird auf die Antragsschrift des Verteidigers vom 20. Januar 2021 Bezug genommen. Zur Glaubhaftmachung dieses Vorbringens beruft sich die Angeklagte auf die schriftlichen Angaben einer Zeugin, die sie zur Hauptverhandlung begleitet habe.

Die Wiedereinsetzung wird nicht gewährt. Dagegen dann die sofortige Beschwerde, die Erfolg hatte:

„1. Bei Verkündung des Verwerfungsurteils vom 07. Januar 2021 haben die Voraussetzungen des § 329 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StPO nicht vorgelegen.

a) Gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO hat das Gericht eine Berufung des Angeklagten ohne Verhandlung zur Sache zu verwerfen, wenn bei Beginn eines Hauptverhandlungstermins weder der Angeklagte noch ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht erschienen und das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist. Allerdings gebieten es die Grundsätze eines fairen Verfahrens und die hieraus abzuleitende Fürsorgepflicht dem Gericht, zunächst eine angemessene Zeit zuzuwarten, da mit stets möglichen kleineren Verspätungen gerechnet werden muss (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 30. April 2013 – (4) 161 Ss 89/13 (86/13), Rn. 4, juris; OLG Köln, Beschluss vom 08. Juli 2013 – III-2 Ws 354/13, Rn. 13; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 24. Oktober 2016 – 1 OLG 1 Ss 74/16, Rn. 6, juris; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 329 Rn. 13, jeweils m.w.N.). Als Wartezeit sind 15 Minuten in der Regel ausreichend, aber auch erforderlich (KG Berlin; OLG Köln; OLG Zweibrücken; Meyer-Goßner/Schmitt, jeweils a.a.O.).

Eine solche Wartezeit ist nach Auffassung des Senats nicht nur zu Beginn der Hauptverhandlung und eines jeden weiteren Verhandlungstages, also vor einer Entscheidung nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO, sondern auch nach kürzeren Unterbrechungen während eines Verhandlungstages (“Pausen“) vor einer Entscheidung nach § 329 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 oder Nr. 2 StPO einzuhalten; denn auch im räumlichen Umfeld des Sitzungssaales können unvorhersehbare Verzögerungen eintreten. Dass vorliegend das Landgericht nach dem Ende der vom Kammervorsitzenden angeordneten Unterbrechung bis 13.45 Uhr nicht 15 Minuten zugewartet hat, bevor es die Berufung der Angeklagten verworfen hat, ergibt sich aus dem Hauptverhandlungsprotokoll. Danach hat der Kammervorsitzende bereits rund sieben Minuten später das Verwerfungsurteil verkündet und ist die Sitzung um 13:58 Uhr beendet gewesen.

b) Es kann dahinstehen, ob eine Wartezeit von 15 Minuten auch dann einzuhalten ist, wenn der Angeklagte (oder sein Verteidiger im Fall des § 329 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StPO) bei Beginn einer angeordneten Verhandlungspause erklärt, dass er nicht in den Sitzungssaal zurückkehren werde. Solches hat hier die Angeklagte weder ausdrücklich noch durch schlüssiges Verhalten getan.

Es ist bereits vor der Berufungshauptverhandlung durch Schriftsatz des Verteidigers vom 4. Januar 2021 aktenkundig geworden, dass dieser es einer hausrechtlichen Anordnung des Präsidenten des Landgerichts Dresden zuwider generell ablehnt, auf den Gerichtsfluren eine Mund-Nase-Bedeckung oder ein Gesichtsvisier zu tragen. Auch ist dem Hauptverhandlungsprotokoll zu entnehmen, dass die Angeklagte zu Beginn des Termins dem Vorsitzenden auf dessen Frage nach dem Verbleib ihres Verteidigers mitgeteilt hat, dass dieser zwar „da“, aber nicht ins Gerichtsgebäude hineingelassen worden sei, weil er die Anordnung des Gerichtspräsidenten zum Tragen einer Maske nicht befolgen wolle. Ferner ergibt sich aus dem Hauptverhandlungsprotokoll, dass der Kammervorsitzende im Laufe der Hauptverhandlung der Angeklagten die Anregung erteilt hat, ihre Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch zu beschränken. Hierauf hat die Angeklagte erklärt, ohne Verteidiger sei das „alles Mist“ und sie benötige etwa zehn Minuten Zeit, um sich das zu überlegen. Diese Äußerung hat der Kammervorsitzende zum Anlass für die Anordnung genommen, die Verhandlung von 13:32 Uhr bis 13.45 Uhr zu unterbrechen.

Mit Rücksicht auf die vorgenannten Umstände, die der Berufungskammer nahe gelegt haben, dass die Angeklagte beabsichtigt habe, eine anwaltliche Beratung durch ihren sich vor dem Gerichtsgebäude aufhaltenden Verteidiger einzuholen, hat die Kammer der für den Zeitpunkt des Verlassens des Sitzungssaales protokollierten Äußerung der Angeklagten, sie könne auch gehen, „wenn das Ganze eh keinen Erfolg“ habe, nicht die Bedeutung beimessen dürfen, die Angeklagte sei entschlossen gewesen, zum Ende der Pause nicht in den Sitzungssaal zurückzukehren. Vielmehr hat hiernach, wie ebenfalls protokolliert ist, der Kammervorsitzende die Angeklagte über die prozessualen Folgen eines solchen Verhaltens belehrt. Ferner hat bei objektiver Bewertung der vorausgegangenen Anregung des Kammervorsitzenden, die Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch zu beschränken, Aussicht auf einen Teilerfolg des Rechtsmittels bestanden, und ist zu erwarten gewesen, dass die Angeklagte diese Erfolgsaussicht bezüglich der Rechtsfolgen aufgrund der anwaltlichen Beratung in der Pause auch erkennen und sich schon deswegen zur Rückkehr veranlasst sehen werde……“

Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist, oder: Wenn der erste Antrag auf dem Postweg verloren geht.

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Im „Kessel Buntes“ heute dann zunächst eine zivilverfahrensrechtliche Fristensache, und zwar der BGH, Beschl. v. 22.06.2021 – VIII ZB 56/20. Es geht um einenauf dem Postweg verloren gegangenen Verlängerungsantrag für die Berufungsbegründungsfrist.

In einem Mietrechtsstreit vor dem AG jat der Vermieter Berufung gegen das zu seinen Lasten ergangene Urteil eingelgt. Sein Prozessbevollmächtigter stellt wegen akuter Arbeitsüberlastung sechs Tage vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist den Antrag, die Frist um einen Monat zu verlängern. Der Antrag wird in einen Briefkasten in der Nähe der Kanzlei eingeworfen, er erreicht das Gericht jedoch nicht. Nach Ablauf der Frist teilte das LG dem Prozessvertreter mit, dass keine Berufungsbegründung vorliege. Daraufhin beantragte dieser Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und erneut die Fristverlängerung. Innerhalb der beantragten Verlängerung reichte er auch die Berufungsbegründung ein. Das LG weist den Wiedereinsetzungsantrag zurück und verwirft die Berufung als unzulässig.

Die dagegen erhobene Rechtsbeschwerde hat beim BGH Erfolg. Der BGH hat Wiedereinsetzung gewährt. Er sieht die vom LG gestellten Anforderungen an die Begründungpflicht als zu hoch an. Bei einem erstmaligen Verlängerungsantrag wegen Arbeitsüberlastung nach § 520 Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO kann der Rechtsanwalt nach Auffassung des BGH darauf vertrauen, dass ihm entsprochen wird, ohne dass es weiterer Substanziierung bedarf. Insbesondere müsse der Rechtsanwalt keine Angaben dazu machen, wie er wann welche Fristen notiert habe.

Und – so der zweite Leitsatz des umfangreiche begründeten Beschlusses:

„b) Die Fristensicherung verlangt von dem Rechtsanwalt bei einem Antrag auf erstmalige Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist – auf deren Bewilligung er bei Vorliegen erheblicher Gründe (§ 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO) im Allgemeinen vertrauen darf – nicht, dass er sich bereits innerhalb der noch laufenden Berufungsbegründungsfrist durch Nachfrage beim Berufungsgericht über den Eingang des Fristverlängerungsantrags und über eine Verlängerung dieser Frist erkundigt (Anschluss an BGH, Beschlüsse vom 9. Mai 2017 – VIII ZB 69/16, NJW 2017, 2041 Rn. 19; vom 30. Mai 2017 – VI ZB 54/16, NJW-RR 2017, 1532 Rn. 13; vom 18. Januar 2018 – V ZB 166/17, juris Rn. 7; vom 2. Dezember 2020 – XII ZB 324/20, FamRZ 2021, 446 Rn. 9 f.; st. Rspr.).

 

Zudem: Es bleibt dabei, dass man grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass die Postlaufzeiten eingehalten werden und aufgegebene Postsendungen am folgenden Werktag ausgeliefert werden.

Im Übrigen: Wegen der Einzelheiten bitte den Volltext lesen.

StPO I: Unzulässiger Wiedereinsetzungsantrag, oder: Die versäumte Handlung muss man nachholen

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Heute dann StPO-Entscheidung. Ich beginne mit einer Entscheidung zur Wiedereinsetzung, und zwar mit dem KG, Beschl. v. 07.04.2021 – 3 Ws (B) 80/21. Das AG hat den Betroffenen im Verfahren nach § 72 Abs. 1 Satz 1 OWiG verurteilt. Gegen den Beschluss hat der Verteidiger des Betroffenen ein als „Einspruch“ bezeichnetes Rechtsmittel eingelegt, dass er weder begründet noch mit Anträgen versehen hat. Das AG hat das als Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ausgelegte Rechtsmittel als unzulässig verworfen und zur Begründung ausgeführt, es seien bis zum Abschluss der sich nach §§ 345, 43 StPO bestimmenden Frist keine Beschwerdeanträge bei Gericht eingegangen. Der Betroffenen hat dann einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, er habe von der Existenz des Verwerfungsbeschlusses wegen seiner Covid 19-Erkrankung lediglich über seine Frau erfahren. Der ihm gemachte Vorwurf einer Verkehrsordnungswidrigkeit sei unzutreffend. Zudem sei die Zustellung des Bußgeldbescheides nicht binnen drei Monaten erfolgt. Das KG hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen:

„1. Der sich offenkundig auf die versäumte Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde beziehende Wiedereinsetzungsantrag ist nach Maßgabe von §§ 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG, 342 Abs. 1, 45 Abs. 1 Satz 1, 2 Satz 2 StPO bereits unzulässig. Denn ein Wiedereinsetzungsantrag ist nur zulässig, wenn der Antragsteller die versäumte Handlung – hier die Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde – binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses nachholt, woran es im vorliegenden Fall fehlt. Zwar ist der Vortrag des Betroffenen in seiner Gesamtheit dahingehend auszulegen, dass er die Aufhebung der Entscheidung vom 12. Januar 2021 beantragt. Auch war bei Eingang des Schreibens des Betroffenen vom 28. Februar 2021 (am 2. März 2021) die Frist des § 45 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 StPO noch nicht abgelaufen.

Eine versäumte Handlung gilt jedoch nur dann als nachgeholt, wenn sie den gesetzlichen Formerfordernissen entspricht (vgl. BGH NJW 1997, 1516 und bei Miebach in NStZ 1989, 15; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 63. Aufl., § 45 Rdn. 11 m.w.N.; Maul in KK-StPO 8. Aufl., § 45 Rdn. 9 m.w.N.). Der Antrag des Betroffenen genügt nicht den Formerfordernissen von §§ 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG, 345 Abs. 2 StPO, da der Betroffene einen wirksamen Rechtsbeschwerdeantrag nur durch eine von einem Rechtsanwalt unterzeichnete Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle des Gerichts stellen kann. Dies ist bis zum Ablauf der nach §§ 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG, 345 Abs. 1 StPO (beginnend ab Ablauf der Rechtsmittelfrist) einen Monat betragenden Begründungsfrist jedoch nicht geschehen; bis heute liegt kein der Form von § 345 Abs. 2 StPO entsprechender Antrag vor.“

Manches „Verteidigerhandeln“ versteht man nicht.