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Pauschgebühr des Wahlanwalts/Auslagenerstattung oder: Antragsreihenfolge beachten

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Am RVG-Tag stelle ich heute zunächst den OLG Jena, Beschl. v. 21.05.2021 – (S) AR 104/20 – vor. Der befasst sich (noch einmal) mit der (Un)Zulässigkeit eines Antrages des Wahlverteidigers auf Feststellung einer Pauschgebühr gem. § 42 RVG nach Stellung eines Kostenfestsetzungsantrages und wirksamer Ausübung seines Bestimmungsrechts nach § 14 Abs. 1 RVG.

Der Wahlverteidiger hatte nach Einstellung des Verfahrens mit einer für den Mandanten günstigen Kostenentscheidung Auslagenerstattung beantragt. Das wird ablehnt. Dagegen dann die Beschwerde des Verteidigers, der im Beschwerdeverfahren noch einen Antrag nach § 42 RVG stellt. Den weist das OLg als unzulässig zurück:

„Der mit Schriftsatz vom 14.09.2020 im Beschwerdeverfahren 1 Ws 282/20 gestellte Antrag des Wahlverteidigers auf Feststellung einer Pauschgebühr gem. § 42 RVG ist als solcher unzulässig.

Der Senat hat zur Zulässigkeit eines Antrages nach § 42 RVG in zwei Verfahren Stellung genommen.

Im – auch vom Antragsteller in Bezug genommenen – Verfahren 1 AR S 72/07 (Beschluss vom 30.10.2007, bei juris) wurde über eine Fallgestaltung entschieden, in welcher der Verteidiger erst nach rechtskräftiger Festsetzung der gesetzlichen Gebühren einen Antrag auf Feststellung einer Pauschgebühr nach § 42 RVG gestellt hatte.

Dieser Umstand war für die Unzulässigkeit des Antrages maßgebend (vgl. Rdnr. 9 der bei juris veröffentlichten Entscheidung sowie den dortigen Leitsatz). Die Formulierung unter Rdnr. 12 dieses Beschlusses – „die Folge dieser in § 42 Abs. 4 RVG statuierten Bindungswirkung ist, dass der Wahlverteidiger die Pauschgebühr zu einem Zeitpunkt beantragen muss, in dem die durch das Oberlandesgericht getroffene Feststellung im Kostenfestsetzungsverfahren noch Berücksichtigung finden kann“ – kann insoweit aber nur als obiter dictum verstanden werden.

Dem weiteren Beschluss des Senats im Verfahren vom AR (S) 25/10 (Beschluss vom 09.08.2010, ebenfalls bei juris veröffentlicht), lag eine andere Fallgestaltung zugrunde. In diesem Verfahren war der Kostenfestsetzungsantrag des Verteidigers vom 23.10.2008 abgelehnt worden und im folgenden Abhilfeverfahren war vom Landgericht mit Beschluss vom 02.12.2009 eine Kostenfestsetzung erfolgt. Der bereits zuvor, ebenfalls am 23.10.2008, gestellte Antrag auf Bewilligung einer Pauschgebühr, der als Antrag nach § 42 RVG auszulegen war, wurde dem Senat erstmals am 08.04.2010 vorgelegt. Der Senat hat diesen Antrag als (nicht mehr) zulässig zurückgewiesen, weil der Verteidiger mit dem Kostenfestsetzungsantrag vom 23.10.2008 sein Ermessen gegenüber der Staatskasse ausgeübt hatte. Zwar hätten die Rechtspflegerin und die Vertreterin der Staatskasse nicht bedacht, dass bei einer gleichzeitigen Antragstellung auf Kostenfestsetzung und Feststellung einer Pauschgebühr nach § 42 RVG die Akten dem Oberlandesgericht zunächst zur Entscheidung über den Antrag nach § 42 RVG hätten vorgelegt werden müssen, jedoch habe es der Antragsteller selbst in der Hand gehabt, der rechtskräftigen Festsetzung der Gebühren unterhalb der Grenzen des § 42 RVG durch Einlegung von Rechtsmitteln entgegen zu wirken.

In dieser Entscheidung hat der Senat indes bereits unter Bezugnahme auf den Beschluss des OLG Celle vom 29.07.2008 (veröffentlicht in NStZ-RR 2009, 31) dargelegt:

„Mit dem Kostenfestsetzungsantrag hat der Verteidiger sein Ermessen nach § 14 Abs. 1 RVG gegenüber der Staatskasse ausgeübt. Der Rechtsanwalt ist an dieses einmal ausgeübte Ermessen bei der Bestimmung der angefallenen Gebühr innerhalb des Gebührenrahmens gebunden (vgl. Gerold/Schmidt-Madert, § 14 RVG Rdnr. 4; Hartmann Kostengesetze, § 14 Rdnr. 12)“.

Vorliegend hat der Senat – erstmals – über eine Fallgestaltung zu befinden, in der der Wahlverteidiger einen Kostenfestsetzungsantrag – hier am 23.04.2020 – gestellt und in dem er sein Ermessen nach § 14 RVG durch Beantragung der jeweiligen höchsten Rahmengebühren geltend gemacht, er gegen den ablehnenden Beschluss der Rechtspflegerin Beschwerde eingelegt und erst im Beschwerdeverfahren einen Antrag nach § 42 RVG gestellt hat.

Der unter dem 14.09.2020 gestellte Antrag ist unter Anwendung der bereits im Senatsbeschluss vom 09.08.2010 in Bezug genommenen Rechtsauffassung unzulässig.

Mit dem Kostenfestsetzungsantrag vom 23.04.2020 hat der Verteidiger sein Bestimmungsrecht nach § 14 Abs. 1 RVG wirksam ausgeübt. An dieses einmal ausgeübte Ermessen bei Bestimmung der Billigkeit der angefallenen Gebühren innerhalb des Gebührenrahmens ist der Verteidiger gebunden (vgl. Gerold/Schmidt-Mayer, RVG, 24. Aufl., § 14 Rdnr. 4). Die Ausübung des Ermessens ist Bestimmung der Leistung durch den Verteidiger und erfolgt gem. § 315 Abs. 2 BGB durch Erklärung gegenüber dem Mandanten bzw. aufgrund der in der Strafprozessvollmacht vereinbarten Abtretung von Erstattungsforderung gegenüber der Landeskasse dieser gegenüber (vgl. OLG Celle, a.a.O.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.10.2012, 3 RVGs 48/11, bei juris). Nur dann, wenn der Rechtsanwalt eine Gebührenerhöhung ausdrücklich vorbehalten hat, über die Bemessungsfaktoren getäuscht wurde oder einen gesetzlichen Gebührentatbestand übersehen hat, kommt eine Gebührenerhöhung in Betracht (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.).

Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben.

Da der Verteidiger die Feststellung einer Pauschgebühr erst knapp 5 Monate nach dem Kostenfestsetzungsantrag gestellt hat, kann auch nicht schlüssig angenommen werden, dass er sich weitere, über die Rahmenhöchstgebühr hinausgehende Forderungen vorbehalten hat (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.).“

Also: Auf die Reihenfolge der Anträge achten.

Pflichti III: Nochmals Niederlegung des Wahlmandats mit Bestellungsantrag, oder: Richtiges Rechtsmittel

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Und als dritte Entscheidung zu pflichtverteidigungsfragen dann noch der LG Passau, Beschl. v. 26.01.2021 – 1 Qs 6/21. Gegenstand der Entscheidung ist auch eine nachträgliche Bestellung. daher hätte der Beschluss an sich auch in das Mittagsposting gepasst. Aber: Ich stelle ihn hier gesondert vor, weil er noch einmal die Problematik aufgreift, dass in dem Antrag des Wahlverteidigers auf Beiordnung als Pflichtverteidiger die Ankündigung der Niederlegung des Mandats zu sehen ist:

„b) Die Bestellung ist gem. § 141 Abs. 1 S. 1 StPO unverzüglich vorzunehmen, wenn der Ange-klagte dies beantragt und er noch keinen Verteidiger hat.

Ein entsprechender Antrag des Angeklagten ist im Schriftsatz des Verteidigers vom 30.12.2020 enthalten. Der Annahme des Amtsgerichts Passau, es liege nur ein Antrag des Verteidigers vor, kann nicht gefolgt werden. Der Antrag ist dahingehend auszulegen ist, dass er im Namen des An-geklagten gestellt wurde. Insofern ist nicht erforderlich, dass „übliche Formulierungen“ Verwendung finden, wobei dahinstehen mag, ob die vom Verteidiger verwendete Formulierung unüblich ist. Es kommt allein auf die Auslegung des Antrags an.

Im Antrag des Verteidigers wird die Verteidigung angezeigt und ausgeführt, dass der Verteidiger „betraut“ wurde. Betraut sein bedeutet, dass jemandem eine bestimmte Aufgabe oder Funktion (von einer anderen Person) übertragen oder anvertraut worden ist (vgl. https://www.du-den.de/rechtschreibung/betrauen). Allein aus dem Wortsinn ergibt sich daher, dass der Verteidiger – wie regelmäßig im Rahmen der Pflichtverteidigerbestellung – nicht für sich selbst in eigenem Namen tätig werden wollte, sondern für den Angeklagten handelte.

Der Angeklagte war zum Zeitpunkt der Antragstellung auch unverteidigt im Sinne des § 141 Abs. 1 S. 1 StPO. Zwar trat Rechtsanwalt pp. als Wahlverteidiger des Angeklagten auf, jedoch ist regelmäßig im Antrag eines Wahlverteidigers auf Beiordnung die Ankündigung der Niederlegung des Wahlmandats für den Fall der Beiordnung zu sehen (OLG Jena 26.11.2008 – 1 Ws 497/08, NJW 2009, 1430 (1431); OLG München 6.3.1992 – 1 Ws 161/92, wistra 1992, 237). Davon ist auch in diesem Fall, trotz mangelnder eindeutiger Erklärung, auszugehen.“

Anzumerken ist: Besser als „noch einmal“ hätte ich wohl geschrieben: „Schon wieder…“.

Und: Ein wenig ratlos bin ich wegen der Ausführungen der Kammer zur Zulässigkeit der Beschwerde. Der Kolleger Wamser, der mir die Entscheidung geschickt hat, hatte: „sofortige Beschwerde“ gegen die Ablehnung der Bestellung eingelegt. Das ist m.E. im Hinblick auf den neuen § 142 Abs. 7 StPO – na ja, so neu ja nun auch nicht mehr – richtig. Aber warum schreibt die Kammer dann:

„1. Die Beschwerde ist zulässig gem. §§ 304, 306 StPO.

Statthaftes Rechtsmittel ist gem. § 304 StPO die (einfache) Beschwerde. Die Erklärung des Verteidigers ist dahingehend auszulegen. Die Falschbezeichnung schadet insofern nicht, gem. § 300 StPO.“

Anhörung im Strafvollstreckungsverfahren, oder: Wenn der Wahlanwalt nicht anwesend ist

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Die zweite Tagesentscheidung kommt vom KG. Sie ist im Vollstreckungsverfahren ergangen. Die Strafvollstreckungskammer hat gegen den Veurteilten, der durch Urteil des LG Berlin am 08.05.1998 u.a. wegen versuchter Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung und vorsätzlicher Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt und dessen anschließende Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist, die Fortdauer der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dagegen hat der Verurteilte Beschwerde eingelegt, mit der er – so das LG – der angeordneten Fortdauer der Sicherungsverwahrung „sachlich nichts entgegengesetzt, sondern lediglich über seinen Wahlverteidiger das Verfahren der Strafvollstreckungskammer kritisiert“ hat. Das hatte beim KG keinen Erfolg. Das weist im KG, Beschl. v. 26.11.2018 – 2 Ws 188/18 – das Rechtsmittel zurück:

„a) Die Strafvollstreckungskammer durfte trotz des erneuten Ausbleibens des Sicherungsverwahrten (und des von ihm gewählten Verteidigers) im Anhörungstermin vom 22. August 2018 über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung entscheiden.

Es lag zwar kein Absehensgrund im Sinne des § 454  Abs. 1 Satz 4 StPO vor, jedoch konnte die Strafvollstreckungskammer aufgrund des Verhaltens des Beschwerdeführers davon ausgehen, dass er auf eine Anhörung berechtigterweise verzichtet (vgl. OLG Hamm NStZ 2011, 119; Senat, Beschluss vom 19. Dezember 2011 – 2 Ws 564/11 –), jedenfalls aber das Recht auf Anhörung verwirkt hat. Die Verweigerung der Vorführung zum Anhörungstermin beruht nicht auf einem von der Strafvollstreckungskammer zu berücksichtigen und ggf. zu behebenden wichtigen und nachvollziehbaren Grund (vgl. hierzu OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2003, 59). Vielmehr ergibt sich aus dem Verhalten des Beschwerdeführers, dass er zu einer Teilnahme am Termin – wie schon bei früheren Anhörungen – nicht bereit war.

Für die Ladung eines Sicherungsverwahrten zu der durch §§ 463 Abs. 3, 454 Abs. 1 Satz 3 StPO vorgeschriebenen mündlichen Anhörung sieht das Gesetz keine bestimmte Frist vor. Der Anspruch des Verurteilten auf rechtliches Gehör, dem die Anhörung dient, ist dann erfüllt, wenn ihm ausreichend Zeit bleibt, den Termin wahrzunehmen (vgl. BVerfG NJW 1958, 1436; KG, Beschluss vom 21. Februar 2002 – 5 Ws 96/02 –, juris). Dies war hier der Fall.

Der Beschwerdeführer und sein Pflichtverteidiger sind bereits am 2. August 2018 formlos  zum Anhörungstermin am 22. August 2018 geladen worden.

Dem Pflichtverteidiger lag das 39 Seiten umfassende Gutachten der Sachverständigen Dr. pp. vom 23. Juli 2018 spätestens am 6. August 2018 vor. Der Wahlverteidiger, der sich für den aktuellen Vollstreckungsabschnitt zuvor nicht förmlich gemeldet hatte, sondern lediglich (vergeblich) darum gebeten hatte, ihn anstelle des bisherigen Pflichtverteidigers zu bestellen, wurde durch den Beschwerdeführer spätestens am 15. August 2018 über den Anhörungstermin informiert.

Das 39 Seiten umfassende Gutachten der Sachverständigen Dr. pp. und die (formlose) Ladung zum Anhörungstermin erhielt der Wahlverteidiger am 17. August 2018. Mit Schriftsatz vom 20. August 2018 teilte er der Strafvollstreckungskammer mit, er sei im Hinblick auf seine Mitwirkung an Hauptverhandlungen nicht in der Lage, das Gutachten der Sachverständigen vor dem Anhörungstermin, der am Terminstag erst auf 12 Uhr angesetzt war, zu besprechen. Der Beschwerdeführer hatte das Gutachten bereits zuvor (mit Schreiben vom 6. August 2018 von seinem Pflichtverteidiger erhalten).

Der Verurteilte lehnte seine Vorführung zum Anhörungstermin ab, sein Wahlverteidiger erschien – wie zuvor angekündigt – nicht. Der Anhörungstermin vor der Strafvollstreckungskammer fand deshalb lediglich in Anwesenheit der Sachverständigen, eines Mitarbeiters der Vollzugsanstalt und des Pflichtverteidigers statt. Letzterer hatte zuvor mit Schriftsatz vom 6. August 2018, den er auch dem Beschwerdeführer übersandt hatte, beantragt, die Sicherungsverwahrung für erledigt zu erklären.

Nach allem hätte der Beschwerdeführer – dem zudem auf Antrag seines Pflichtverteidigers ein Einzeltransport bewilligt worden war – zum Anhörungstermin ohne weiteres erscheinen können. Dass der Wahlverteidiger, ohne seine Verhinderung näher zu belegen, nicht erschienen ist, hinderte die Strafvollstreckungskammer nicht zu entscheiden, weil der Beschwerdeführer ausreichend verteidigt war. Ein vertiefter Besprechungsbedarf bestand hinsichtlich des aktuellen Gutachtens der Sachverständigen ohnehin nicht, weil es lediglich eine nach Aktenlage gefertigte Fortschreibung des letzten Gutachtens darstellt, da der Beschwerdeführer sich erneut geweigert hatte, mit der Sachverständigen zu sprechen.

b) Seit der letzten Entscheidung des Senats sind keine maßgeblichen Veränderungen eingetreten, weshalb er auf die Gründe seines Beschlusses vom 31. Januar 2018 – 2 Ws 206/17 – weitgehend Bezug nehmen kann. Nach den Stellungnahmen der Einrichtung für den Vollzug der Sicherungsverwahrung vom 12. April 2018 und vom 14. Mai 2018 war auch im weiteren Vollzugsverlauf keine Zusammenarbeit mit dem Untergebrachten möglich. Er verharrt in seiner Verweigerungshaltung und nimmt kein Behandlungsangebot wahr; insbesondere führt er keine Gespräche mit dem zuständigen Psychologen, weil er darin eine Zwangstherapie sieht. Wie schon zuvor festgestellt, bestehen erhebliche Defizite seiner sozialen und alltagspraktischen Kompetenzen (Reinlichkeit, Ordnung im Wohnraum, Einkäufe im Rahmen von Ausführungen). Die Vollzugsanstalt beurteilt die Prognose aufgrund der Ablehnung jeder Betreuung und Therapie als weiterhin ungünstig. Auch an der Einschätzung der Sachverständigen zur fortbestehenden Gefährlichkeit des Beschwerdeführers hat sich ausweislich ihres aktuellen Gutachtens vom 23. Juli 2018 nichts geändert.“

Pflichti II: Der „Verdrängler“ wird nicht beigeordnet

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Der zweite Streich nach dem dem KG, Beschl. v. 09.02.2016 – (4) 121 Ss 231/15 (5/16) (vgl. dazu Pflichti I: Rechtsfragen aus Bereichen außerhalb des Kernstrafrechts) ist dann der KG, Beschl. v. 10.02.2016 – 4 Ws 10/16. In ihm hat das KG eine Entscheidung des LG Berlin abgesegnet, mit dem das die Bestellung eines Wahlverteidigers als Pflichtverteidiger abgelehnt hat. Begründung:

„b) ….. Der Vorsitzende der Jugendkammer ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Beiordnung des Wahlverteidigers als Pflichtverteidiger in aller Regel nicht in Betracht kommt, wenn dieser zuvor durch die Übernahme eines Wahlmandats die Entpflichtung des bisherigen Pflichtverteidigers gemäß § 143 StPO bewirkt und diesen aus seiner Verteidigerstellung verdrängt hat. Dabei kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob der Wahlverteidiger, der die Entpflichtung eines Pflichtverteidigers erwirkt, seinen Beiordnungsantrag in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Entpflichtung oder mit zeitlicher Verzögerung stellt (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 24. September 2012 – III-2 Ws 678/12 – [juris] m.w.Nachw.).

Mit der Übernahme des Wahlmandates trägt der Verteidiger regelmäßig das Risiko, dass sich das Verfahren anders, nämlich kostenintensiver entwickelt als (von ihm) vorhergesehen oder erhofft. Das muss jedenfalls dann gelten, wenn es sich um eine so unwesentliche Abweichung von dem (von der Kammer vorgesehenen und mit dem Wahlverteidiger abgestimmten) Verfahrensverlauf handelt wie das Erfordernis, nach Aussetzung der Hauptverhandlung zur Einholung eines (wegen der unklaren Personalien des Angeklagten erforderlichen) Altersbestimmungsgutachtens einen zweiten Hauptverhandlungstermin wahrzunehmen, zumal zum Zeitpunkt der Übernahme des Wahlmandats durch Rechtsanwalt M und Stellung des Antrags, Rechtsanwalt E zu entpflichten, am 17. August 2015  – vor Erhebung der Anklage – noch gar nicht absehbar war, wie sich das Verfahren entwickeln würde und ob es (wie es dann von der Jugendkammer nach Trennung der Verfahren gegen den Beschwerdeführer und den erwachsenen Mitangeklagten vorgesehen war) nach eintägiger Hauptverhandlung abgeschlossen werden könnte.

Ob dem Angeklagten ausnahmsweise dann der Wahlverteidiger, der zuvor einen Kollegen aus seiner Stellung als Pflichtverteidiger verdrängt hat, zum Pflichtverteidiger zu bestellen sein könnte, wenn dieser wegen im Laufe eines längeren Verfahrens unvorhergesehen eingetretener Mittellosigkeit des Angeklagten oder seiner Angehörigen das Mandat niedergelegt hat und der ehemalige Pflichtverteidiger wegen des Zeitablaufs und der Entwicklung, die das Verfahren inzwischen genommen hat, die Verteidigung zu diesem Zeitpunkt nicht erneut übernehmen kann, muss der Senat nicht entscheiden. Denn vorliegend handelte es sich – abgesehen davon, dass Rechtsanwalt M das Mandat nicht niedergelegt hat, obwohl sein „Mandant bzw. seine familiären Unterstützer“ nach dem Vorbringen in seinem Schriftsatz vom 17. Dezember 2015 im Nachgang zum Hauptverhandlungstermin am 22. Oktober 2015 und vor dem 15. Dezember 2015, „wie befürchtet, mittellos“ geworden sei(en) – jedenfalls nicht um ein längeres oder sich sonst in Abweichung von dem bei Mandatsübernahme zu erwartenden Verfahrensgang erheblich ausweitenden Verfahren, in welchem ein erneutes Tätigwerden des ehemaligen Pflichtverteidigers aus tatsächlichen Gründen nicht in Betracht gekommen wäre.“

Wenn der Wahlanwalt kommt, muss der Pflichtverteidiger i.d.R. gehen

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Im Moment stehen aufgrund der „Ereignisse“ im Münchner NSU-Verfahren (vgl. dazu mein Posting: Ich behaupte: Es wird nicht reichen Frau Zschäpe und das Posting zu weiteren Entwicklung vom „Terrorismus-Blog unter: Konflikt um Zschäpe-Verteidigerin spitzt sich zu) mal wieder Pflichtverteidigungsfragen im Fokus. Daher dann hier jetzt der Hinweis auf den OLG Dresden, Beschl. v. 05.06.2015 – 3 Ws 47/15, der sich (auch) mit der Frage der Entpflichtung eines Pflichtverteidigers befasst. Allerdings unter anderen Voraussetzungen, nämlich hinsichtlich der Frage: Was ist mit der Pflichtverteidigerbestellung, wenn sich der Beschuldigte einen Wahlanwanlt genommen hat?

Nun, die Frage ist in § 143 StPO geregelt, und zwar eindeutig. Dann „ist“ die Bestellung zurückzunehmen. Und das ist – wie das OLG Dresden ausfeührt – „grundsätzlich zwingend“. Dazu dann weiter:

„Eine Ausnahme von dieser Regel wird nur für den Fall zu machen sein, wenn konkrete Gründe für die Annahme vorhanden sind, andernfalls sei die ordnungsgemäße Durchführung der Hauptverhandlung nicht mehr gewährleistet. Hierfür bietet der Akteninhalt keine Anhaltspunkte. Die Berufungskammer hat die in der Sache für erforderlich angesehenen Verhandlungstermine mit dem Wahlverteidiger abgesprochen. Dass er sie nicht wahrnehmen wird oder kann, ist nicht zu befürchten.

Ein im Sinne des § 143 StPO unabwendbares Bedürfnis, die Entpflichtung des bisherigen Pflichtverteidigers abzulehnen, besteht auch nicht deswegen, weil zu befürchten wäre, dass der Wahlverteidiger das Mandat wegen Mittellosigkeit des Angeklagten alsbald wieder niederlegen wird (Meyer-Goßner/Schmitt, § 143 Rn. 2). Zwar ist davon auszugehen, dass der Angeklagte die aus der Wahlverteidigung anfallenden Gebühren aus eigenen Mitteln nicht zu begleichen vermag; indes hat der Wahlverteidiger ausdrücklich und mehrfach schriftlich versichert, „keinen Pflichtverteidigungsantrag“ stellen zu wollen, weil seine Kosten anderweitig gedeckt seien. Der Senat hat keinen Anlass, an dieser Erklärung zu zweifeln. Die Befürchtung des Landgerichts, die „Verzichtserklärung“ des Wahlverteidigers beziehe sich nur auf die bisher angesetzten und mit dem Wahlverteidiger abgesprochene drei Verhandlungstage und werde für den Fall einer sich ausdehnenden Berufungshauptverhandlung u. U. zurückgenommen werden, vermag keine andere Beurteilung zu rechtfertigen. Der Wahlverteidiger hat seine Erklärung in Kenntnis der Sach- und Rechtslage des Verfahrens abgegeben und weiß deshalb, mit welchem Verfahrenslauf, zumindest aus seiner Sicht, zu rechnen ist.“

Bezogen auf das NSU-Verfahren: Selbst wenn Frau Zschäpe sich einen Wahlverteidiger suchen und dieser das Mandat annehmen würde, würde das m.E. an der Bestellung der drei bisherigen Pflichtverteidiger nichts ändern. Man wird eine „Ausnahme“ von der Regel des § 143 StPO annehmen und die dann zmit der bisherigen Prozessdauer und dem Prozessverlauf, in den die Pflichtverteidiger eingearbeitet sind, begründen.