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KG entscheidet bei der zusätzlichen VG nach wie vor falsch, oder: Aber der Verteidiger bessert nicht nach

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Und als zweite Entscheidung dann der KG, Beschl. v. 30.6.2021 – 1 Ws 16/21.

Gegen den Angeklagten war ein Verfahren wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt anhängig. Die Staatsanwaltschaft hatte dem früheren Angeklagten Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in 73 Fällen in der Zeit vom Januar 2005 bis zum November 2006 mit einem Gesamtschaden von 3.033.470,23 Euro vorgeworfen. Einen Einziehungsantrag hatte die Staatsanwaltschaft nicht gestellt. Der Rechtsanwalt meldete sich als Verteidiger des früheren Angeklagten. Er reichte eine Vollmacht zur Akte, die u.a. die Befugnisse enthält, Rechtsmittel und Rechtsbehelfe einzulegen, Anträge auf Kostenfestsetzung zu stellen und Gelder in Empfang zu nehmen. Das LG hat das Verfahren gegen den früheren Angeklagten gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, gemäß § 421 Abs. 1 Nr. 3 StPO von der Einziehung des Wertes von Taterträgen abgesehen und die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Landeskasse auferlegt.

Der Rechtsanwalt hat beantragt, die notwendigen Auslagen des Angeklagten festzusetzen. U.a. hat er auch die Festsetzung einer zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG in Höhe von 10.863,00 € beantragt. Die Gebühr ist nicht festgesetzt worden. Das hat das LG damit begründet, dass keine Tätigkeit des Rechtsanwalts auf eine Einziehung oder verwandte Maßnahme erbracht worden sei, da insoweit kein diesbezügliches Verfahren beantragt oder betrieben worden sei. Dagegen hat der Rechtsanwalt sofortige Beschwerde eingelegt. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg:

„2. Die Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG entsteht nur, wenn der Rechtsanwalt eine auf die Einziehung und verwandte Maßnahmen bezogene Tätigkeit für den Beschuldigten ausübt (vgl. BGH, Beschluss vom 29. November 2018 – 3 StR 625/17 – m.w.N.) und sich dadurch für das — oft besonders wertvolle — Eigentum des Mandanten einsetzt (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Juni 2008 —1 Ws 123/08 — und Urteil vom 18. Juli 2005 — 5 Ws 256/05 —). Erfasst werden von ihr sämtliche Tätigkeiten, die der Rechtsanwalt im Hinblick auf die Einziehung erbringt und die zumindest auch einen Bezug zur Einziehung haben. Nr. 4142 VV RVG setzt dabei — insbesondere im Hinblick auf die Höhe der Gebühr — keine gerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts voraus. Auch Besprechungen und Beratungen des Mandanten lösen die Gebühr aus, sofern die Tätigkeit nach Aktenlage geboten war (vgl. Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG 24. Aufl., W 4142 Rdnr. 10, 12 m.w.N.; OLG Oldenburg, Beschluss vom 3. Dezember 2009 — 1 Ws 643/09 —). Allein der Umstand, dass im Falle der Verurteilung eine derartige Maßnahme gegebenenfalls in Betracht kommen könnte, reicht für die Entstehung der Gebühr nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nicht aus (vgl. Senat, Beschlüsse vom 8: November 2019 — 1 Ws 53/19 —, vom 25. Oktober 2019 — 1 Ws 86/19 — und vom 17. Juni 2008 — 1 Ws 123/08 —).

a) Nach diesem Maßstab ist das Landgericht zu Recht davon ausgegangen, dass Rechtsanwalt eine Gebühr gemäß Nr. 4142 VV RVG nicht zusteht. Weder hat die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift einen Antrag nach § 73c StGB gestellt, noch ist es zu anderen Maßnahmen, wie etwa zu einem Vermögensarrest zur Sicherung der Wertersatzeinziehung oder zu einer Beschlagnahme, gekommen (vgl. Burhoff a.a.O. VV 4142 Rdnr. 7). Auch das Gericht, das die Anklage mit Beschluss vom 25. Juli 2014 unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen hat, hat den Angeklagten zu keinem Zeitpunkt darauf hingewiesen, dass er seine Verteidigung darauf einzurichten habe, dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen gemäß § 73c StGB in Betracht komme (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Oktober 2019 — 1 Ws 86/19 —). Nach der derzeitigen Rechtslage wäre ein gerichtlicher Hinweis nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO jedoch zwingende Voraussetzungen gewesen, um mit einer etwaigen Verurteilung eine Einziehung des Wertes etwaiger Taterträge vorzunehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2018 — 1 StR 186/18 —; BGH, Beschluss vom 14. April 2020 — 5 StR 20/19 —). Zwar führt die Beschwerde zutreffend aus, dass keine gerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts erforderlich ist, sondern auch die nur beratende Tätigkeit des Anwalts die Gebühr auslöst (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 14. Februar 2020 — 1 Ws 40/20 —; KG, Urteil vom 18. Juli 2005 — 5 Ws 256/05 —). Mangels eines entsprechenden Hinweises ist jedoch nicht ersichtlich, dass eine solche Beratung zu irgendeinem Zeitpunkt im Laufe des Verfahrens bis zu seiner Einstellung am 15. Februar 2021 nach Aktenlage geboten war.

Soweit die Beschwerde sich darauf beruft, dass sich schon aus dem Beschluss des Landgerichts vom 15. Februar 2021, in dem gemäß § 421 Abs: 1 Nr. 3 StPO von der Einziehung der Taterträge abgesehen wurde, umstandslos ergebe, dass nach Akten-lage im Fall der Hauptverhandlung mit der Einziehung zu rechnen war, kann dem nicht gefolgt werden. Denn der Einziehung unterliegen keine Beträge, die durch nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellte Taten erlangt worden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 1. August 2018 — 1 StR 326/18—). Mit der Einstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 2 StPO, mit der die gerichtliche Anhängigkeit endet (vgl. BGH, Beschluss vorn 9. September 1981 — 3 StR 290/81 —), musste daher nicht von der Einziehung abgesehen werden. Die Einziehung wäre vielmehr nur noch im selbständigen Verfahren nach § 76a Abs. 1, Abs. 3 StGB in Betracht gekommen, das einen Antrag der Staatsanwaltschaft nach § 435 StPO voraussetzt (vgl. BGH, Beschluss vom 8. November 2018 — 4 StR 297/18 —). Der Einstellungsbeschluss lässt daher entgegen dem Beschwerde-vorbringen weder eine „Prognose“ für eine etwaige Einziehung in der Hauptverhandlung zu, noch zeigt er an, dass eine Einziehung Gegenstand der anwaltlichen Beratung sein musste.“

Was der Senat grundsätzlich zur Nr. 4142 VV RVG schreibt, ist m.E. falsch. Aber das ist nun mal leider die falsche Rechtsprechung des KG, von der man auch nicht abweicht. Im Ergebnis ist die Entscheidung allerdings zutreffend. Denn:

„b) Darüber hinaus merkt der Senat an, dass sich insbesondere aus dem Beschwerde-vorbringen nicht ergibt, welche Tätigkeit der Rechtsanwalt tatsächlich im Hinblick auf eine etwaige Einziehung ausgeübt hat, Zwar genügt der Kostenfestsetzungsantrag diesbezüglich den Anforderungen des § 10 Abs. 2 RVG (vgl. dazu BGH MDR 2019, 127). Zudem kommt es für das Entstehen und die Höhe der Gebühr auf den Umfang der Tätigkeit nicht an (vgl. OLG Oldenburg a.a.O.). Der angefochtene Beschluss stellt aber ausdrücklich darauf ab, dass keine Tätigkeit des Rechtsanwalts auf eine Einziehung oder verwandte Maßnahme erbracht worden sei. Im Rahmen des im Kostenfestsetzungsverfahren grundsätzlich geltenden Beibringungsgrundsatzes (vgl. Toussaint, Kostenrecht 51. Aufl., § 11 RVG Rdnr. 61) wäre daher zu erwarten gewesen, dass der Rechtsanwalt mit seiner Beschwerde eine dem Vergütungsanspruch zugrundeliegende Tätigkeit vorträgt. Soweit die Beschwerde auf den anwaltlichen Schriftsatz vom 9. Dezember 2013 verweist, enthält dieser aber allein eine Auseinandersetzung mit dem Zahlenwerk der Anklageschrift. Im Übrigen stützt sich die Beschwerde darauf, dass eine Beratung hinsichtlich der Einziehung nicht lediglich geboten, sondern unerlässlich gewesen sein soll. Diesen Ausführungen lassen sich konkrete Tätigkeiten mit Bezug auf eine Einziehung nicht entnehmen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass allein die telefonische Anhörung durch die Vorsitzende Richterin vor der Beschlussfassung zu einer entsprechenden Tätigkeit führte.“

Warum man als Verteidiger nicht nachbessert, wenn mangelnder Vortrag „angenöhlt“ wird, erschließt sich mir nicht.