Und in die neue Woche starte ich dann mit zwei Entscheidungen zu Corona, zwei – von mir so genannte „Abarbeitungsentscheidungen“, die also Fragen betreffen, die während der Corona-Pandemie eine Rolle gespielt haben.
Ich beginne mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 27.04.2023 – 3 RVs 16/23 – zur Vorlage eines gefälschten Impfpasses. Es geht um die Verurteilung eines Mitglieds der AFD. Das hatte im November 2021 an einer Sitzung des Ältestenrates des Gütersloher Kreistages teilgenommen, wobei er ein verhindertes Mitglied dieses Gremiums vertrat. Bei der Überprüfung der Einhaltung der seinerzeit infolge der Coronaviruspandemie geltenden 3-G-Regelung legte er der Protokollführerin einen gefälschten Impfausweis vor, in dem zwei tatsächlich nicht erfolgte Impfungen eingetragen waren. Bei einer anschließenden Hausdurchsuchung wurde dieser Impfausweis bei ihm sichergestellt. Nach Bekanntwerden des Vorfalls in der Öffentlichkeit trat der Angeklagte von allen politischen Ämtern zurück und trat aus der Partei AfD aus.
Das Verhalten des Angeklagten hat das LG als Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse im Sinne des § 279 StGB gewertet und den Angeklagten entsprechend verurteilt. Das hat das OLG Hamm bestätigt:
„In sachlichrechtlicher Hinsicht erfüllt dieses Tatgeschehen den Tatbestand des Gebrauchs unrichtiger Gesundheitszeugnisse gem. § 279 StGB in der bis zum bis zum 23. November 2021 geltenden Fassung (§ 279 StGB a. F.).
a) Bei dem Impfausweis, den der Angeklagte der Zeugin H. vorlegte, handelt es sich um ein Gesundheitszeugnis (RGSt 24, 284, 285f.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26. Juli 2022 – 2 Rv 21 Ss 262/22 -, juris; OLG Celle, Urteil vom 31. Mai 2022 – 1 Ss 6/22 -, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 8. März 2022 – 1 Ws 33/22 -, juris; OLG Hamburg, Beschluss vom 27. Januar 2022 – 1 Ws 114/21 -, juris; Erb, in: Müchener Kommentar zum StGB, 4. Auflage 2022, § 277, Rn. 2). Dieses Gesundheitszeugnis war auch unrichtig, denn entgegen den darin enthaltenen Angaben war der Verurteilte nicht gegen das Coronavirus geimpft.
b) Indem der Angeklagte den Impfausweis zur Überprüfung seines Impfstatus vorlegte, gebrauchte er diesen. Entgegen der Auffassung der Revision handelte er dabei in der Absicht, eine Behörde im Sinne von § 279 StGB a. F. zu täuschen.
aa) Allgemein wird unter dem Merkmal „Behörde“ in Anlehnung an das Reichsgericht (RGSt 18, 246, 249f.) „eine in den Organismus der Staatsverwaltung eingeordnete, organisatorische Einheit von Personen und sächlichen Mitteln“ verstanden, „die mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestattet dazu berufen ist, unter öffentlicher Autorität für die Erreichung der Zwecke des Staates oder von ihm geförderter Zwecke tätig zu sein“ (BVerfG, Urteil vom 14. Juli 1959 – 2 BvF 1/58 -, juris; BGH, Urteil vom 23. Juli 1963 – 6 StE 1/63 -, juris; BayObLG, Beschluss vom 5. Juli 1993 – 4St RR 37/93 -, juris; Hilgendorf, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage 2020, § 11, Rn. 93; Radtke, in: Müchener Kommentar zum StGB, 4. Auflage 2020, § 11, Rn. 150; Hecker, in: Schönke/Schröder Strafgesetzbuch, 30. Auflage 2019, § 11, Rn. 55). Auch die Revision beruft sich auf diese Definition.
Als die Zeugin H. den Impfausweis des Angeklagten kontrollierte, war sie für eine Behörde im vorgenannten Sinne tätig. Mit der Kontrolle nahm sie im Auftrag des Landrats dessen Befugnisse gem. § 36 Kreisordnung NRW (KrO NRW) wahr. Die Vorschrift überträgt dem Landrat öffentliche Gewalt zur Ausübung der Sitzungspolizei bei den Sitzungen des Kreistags, zu dem gem. § 4 der Geschäftsordnung des Kreistags des Kreises E. auch der Ältestenrat gehört. Gem. § 36 KrO NRW leitet der Landrat die Verhandlungen des Kreistags, eröffnet und schließt die Sitzungen, sorgt für die Aufrechterhaltung der Ordnung und übt das Hausrecht aus. Dazu zählte auch die Überwachung der Zugangsbeschränkungen gem. § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Coronaschutzverordnung NRW in der ab dem 8. Oktober 2021 gültigen Fassung (CoronaSchVO NRW) sowie die Kontrolle von Impfnachweisen gem. § 4 Abs. 5 CoronaSchVO NRW. Mit der Wahrnehmung dieser Aufgaben wirkt der Landrat selbständig auf die Erreichung von Staatszwecken hin. Denn gem. § 2 Abs. 1 KrO NRW sind die Kreise, soweit das Gesetz nicht etwas anderes bestimmt, ausschließliche und eigenverantwortliche Träger der öffentlichen Verwaltung zur Wahrnehmung der auf ihr Gebiet begrenzten überörtlichen Angelegenheiten. Zur Erfüllung dieser Aufgaben handeln die Kreise u. a. durch den Kreistag, dessen Kompetenzen in § 26 KrO NRW geregelt sind. Die Sitzungspolizei des Landrats sichert die Handlungsfähigkeit des Kreistags und dient damit der Staatsverwaltung (so bereits OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 13. Mai 1964 – 1 Ss 257/64 -, NJW 1964, 1682, für Stadtverordnetenvorsteher nach hessischem Kommunalrecht).
bb) Auf die von der Revision vorgenommene funktionale Differenzierung zwischen der Rolle des Landrats als Hauptverwaltungsbeamter des Kreises einerseits und Vorsitzendem des Kreistags (§ 25 Abs. 2 KrO NRW) andererseits kommt es somit schon im Hinblick auf die eindeutigen Aufgabenzuweisungen in §§ 26, 36 KrO nicht an. Auch der Einwand der Verteidigung, die hier in Rede stehende Tätigkeit des Landrats entfalte keine Außenwirkung, spielt für den strafrechtlichen Behördenbegriff keine Rolle.
Schließlich erfordert auch der Schutzzweck von § 279 StGB a. F. kein anderes Verständnis des Merkmals. Denn die Regelung dient dem Schutz des Rechtsverkehrs vor unwahren Urkunden; ein Grund, den Landrat als Vorsitzenden des Kreistags und Inhaber der Sitzungspolizei von diesem Schutz auszunehmen, ist nicht ersichtlich (vgl. BGH, Urteil vom 24. April 1963 – 2 StR 81/63 -, juris).
Für dieses Ergebnis spricht, dass es sich hierbei um die für den Täter günstigste Auslegung der Strafgesetze handelt (vgl. Peglau, NJW 1996, 1193): Das Verhalten des Angeklagten erfüllt zugleich den Tatbestand der Urkundenfälschung gem. § 267 Abs. 1 StGB in Gestalt des Gebrauchens einer unechten Urkunde. Während § 267 Abs. 1 StGB eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe ermöglicht, sieht § 279 StGB a. F. als Strafmaß nur Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe vor. Würde man in Fällen wie dem vorliegenden in Abrede stellen, dass der Angeklagte zur Täuschung einer Behörde gehandelt hat, wäre der Angeklagte nach der schärferen Regelung des § 267 StGB zu bestrafen. Denn entgegen der Auffassung von Teilen der obergerichtlichen Rechtsprechung entfaltet § 279 StGB a. F. keine „Sperrwirkung“ gegenüber der Urkundenfälschung (§ 267 StGB), wenn der Tatbestand der Fälschung von Gesundheitszeugnissen nicht vollständig erfüllt ist (BGH, Urteil vom 10. November 2022 – 5 StR 283/22 -, Pressemitteilung Nr. 161/2022 vom 10 November 2022; OLG Karlsruhe a. a. O.; OLG Celle, a. a. O.; OLG Stuttgart, a. a. O.; OLG Hamburg, a. a. O.).
c) Am Vorsatz und der Täuschungsabsicht des Angeklagten bestehen nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen keine Zweifel. Da dem Angeklagten die äußeren Umstände des Tatgeschehens bekannt waren, kommt ein Erlaubnistatbestandsirrtum analog § 16 1 Satz 1 StGB nicht in Betracht. Gleiches gilt für einen Verbotsirrtum gem. § 17 Satz 1 StGB. Es liegt fern, dass der Angeklagte sich irrtümlich für befugt hielt, mit einem falschen Impfausweises über seinen Impfstatus zu täuschen.“
Achtung: Die Entscheidung betrifft „altes Recht“.
Wegen anderer vom OLG behandelter Fragen, komme ich auf die Entscheidung noch einmal zurück.