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(Video)Messung: 5 erste Punkte aus BVerfG 2 BvR 759/10, oder: In Zukunft wird es schwer werden…

Die Entscheidung des BVerfG v. 05.07.2010 – 2 BvR 759/10 beschäftigt – wie nicht anders zu erwarten – natürlich heute die Blogs (vgl. hier, hier und hier und hier)., weitere Beiträge werden sicherlich folgen. Nachdem ich die Entscheidung nun ein paar Mal gelesen habe, kann ich – vorsichtig – folgende erste Einschätzung abgeben:

  1. Die Entscheidung bertifft nicht die Videomessung, sondern eso ES 3.0
  2. Das BVerfG wendet aber seinen Beschluss vom 11.08.2009 ohne Einschränkungen auf dieses Messverfahren an, wenn es die Ermächtigungsgrundlage bestimmt. Damit dürfte die Frage in der Praxis entschieden sein. Die OLG-Rechtsprechung, die § 100h StPo als Ermächtigungsgrundlage angenommen hat, ist damit quasi abgesegnet. Die Tatgerichte werden auch bei anderen Messverfahren gern 🙂 auf 2 BvR 759/10 verweisen. Näher begründet hat das BVerfG seine Entscheidung leider nicht, es hat sich auch nicht mit den Einwänden bzw. Bedenken erwähnt. Die „a.A“ wird genannt. Das war es.
  3. Die Entscheidung des BVerfG wird m.E. auch Auswirkungen bei der Frage des Beweisverwertungsverbotes haben. Die Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit sprechen eine deutliche Sprache. Wir werden sie in der Abwägung der Fachgerichte wieder finden.
  4. Die Diskussion wird sich vermutlich jetzt noch mehr zur Frage der Tatbestandsvoraussetzungen des § 100h StPO verlagern und zur Frage des Anfangsverdachts. Aber auch da: M.E. schlechte Nachrichten aus Karlsruhe. Denn das BVerfG hat die Entscheidung des OLG Brandenburg abgesegnet, in der auch von einer Art „vorgelagertem Tatverdacht“ ausgegangen worden ist. Damit dürfte es auch mit der Verteidigungslinie zumindest nicht einfacher geworden sein.
  5. Fazit: M.E. wird es in Zukunft schwer werden mit der Verfassungswidrigkeit der Messungen. Ich will damit den Beschluss des BVerfG nicht gut heißen, aber: In der Praxis wird schwer an ihm vorbei zu kommen sein 🙁

Da ist die Entscheidung: BVerfG – § 100h StPO ist Ermächtigungsgrundlage für „Blitzer“; Roma locuta, causa finita?

Gerade erreicht mich die PM des BVerfG zu seinem Beschl. v. 05.07.2010 – 2 BvR 759/10, in der jetzt das BVerfG noch einmal zur Videomessung Stellung genommen hat. Im Beschluss heißt es:

Die Auslegung und Anwendung des § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG durch die Fachgerichte ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts ist nicht gegeben.

a) Die Gerichte haben bei der Auslegung und Anwendung von einfachem Recht den grundgesetzlichen Wertmaßstäben Rechnung zu tragen. Die fachgerichtliche Rechtsprechung unterliegt jedoch nicht der unbeschränkten verfassungsgerichtlichen Nachprüfung (BVerfGE 18, 85 <92 f.>). Eine umfassende Kontrolle der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts findet nicht statt. Das Bundesverfassungsgericht überprüft – abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot – nur, ob die angefochtenen Entscheidungen Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f., 96>; 85, 248 <257 f.>; 87, 287 <323>). Ein Grundrechtsverstoß, der zur Beanstandung der angegriffenen Entscheidungen führt, liegt vor, wenn übersehen worden ist, dass bei Auslegung und Anwendung der einfachgesetzlichen Vorschriften Grundrechte zu beachten waren, wenn der Schutzbereich der zu beachtenden Grundrechte unrichtig oder unvollkommen bestimmt oder ihr Gewicht unrichtig eingeschätzt worden ist (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f., 96>; 101, 361 <388>; 106, 28 <45>).
b) Ein derartiger Verstoß gegen Grundrechte wurde vom Beschwerdeführer nicht plausibel geltend gemacht und ist auch sonst nicht ersichtlich. Er rügt lediglich die fehlerhafte Anwendung der einfachgesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen des § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG. Die obergerichtliche Rechtsprechung zieht diese Regelung überwiegend als Rechtsgrundlage für die Anfertigung von Bildaufnahmen zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr heran, wenn der Verdacht eines Verkehrsverstoßes gegeben ist (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 25. Februar 2010 – 3 Ss OWi 206/10 -, juris; Thür.OLG, Beschluss vom 6. Januar 2010 – 1 Ss 291/09 -, NJW 2010, S. 1093 f.; OLG Bamberg, Beschluss vom 15. Oktober 2009 – 2 Ss OWi 1169/09 -, juris; vgl. auch OLG Rostock, Beschluss vom 1. März 2010 – 2 Ss [OWi] 6/10 I 19/10 -, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 29. Januar 2010 – 4 Ss 1525/09 -, DAR 2010, S. 148 f.; OLG Bamberg, Beschluss vom 16. November 2009 – 2 Ss OWi 1215/09 -, NJW 2010, S. 100 f.; OLG Hamm, Beschluss vom 22. Oktober 2009 – 4 Ss OWi 800/09 -, juris; a.A. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. Februar 2010 – IV-3 RBs 8/10 -, DAR 2010, S. 213 ff.). Dem folgen Teile der Literatur (vgl. Seitz, in: Göhler, OWiG, 15. Aufl. 2009, vor § 59, Rn. 143, 145a; Krenberger, NJ 2009, S. 481; Krumm, NZV 2009, S. 620 <621>; a.A. Niehaus, DAR 2009, S. 632 <634>; Roggan, NJW 2010, S. 1042 <1044>).
aa) Das Oberlandesgericht geht zutreffend davon aus, dass bei einer Bildaufnahme, bei der Fahrer und Kennzeichen identifizierbar sind, ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung vorliegt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. August 2009 – 2 BvR 941/08 -, NJW 2009, S. 3293 f.). Als Rechtsgrundlage hat es § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG herangezogen und unter Berufung auf den Wortlaut ausgeführt, dass diese Eingriffsbefugnis Bildaufnahmen zur Erforschung des Sachverhalts sowie zu Ermittlungszwecken ermöglicht, ohne auf Observationszwecke beschränkt zu sein (ebenso OLG Rostock, Beschluss vom 1. März 2010 – 2 Ss [OWi] 6/10 I 19/10 -, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 29. Januar 2010 – 4 Ss 1525/09 -, DAR 2010, S. 148 f.; Seitz, in: Göhler, OWiG, 15. Aufl. 2009, vor § 59, Rn. 143, 145a). Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers, der mit einer Auffassung in der Rechtsprechung und in der Literatur eine Beschränkung dieser Befugnis auf die Anfertigung von Bildaufnahmen zu Observationszwecken befürwortet (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. Februar 2010 – IV-3 RBs 8/10 -, DAR 2010, S. 213 ff.; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl. 2009, § 100h, Rn. 1; Wolter, in: SK StPO, § 100h Rn. 4 [April 2009]), hat das Oberlandesgericht dadurch den Schutzbereich von Grundrechten nicht verkannt und ihr Gewicht auch nicht unrichtig eingeschätzt. Die Heranziehung dieser Rechtsgrundlage begegnet vielmehr keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Es handelt sich um eine Frage der Anwendung und Auslegung einfachen Rechts, die vom Bundesverfassungsgericht nicht zu überprüfen ist. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot, der voraussetzen würde, dass diese Rechtsauffassung unter keinem rechtlichen Aspekt vertretbar wäre (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. August 2009 – 2 BvR 941/08 -, NJW 2009, S. 3293 f.), ist nicht ersichtlich.
Entsprechendes gilt auch für die Feststellung des Oberlandesgerichts, dass eine verdachtsabhängige Anfertigung von Bildaufnahmen stattgefunden hat. Im angegriffenen Beschluss wird nachvollziehbar dargelegt, dass der erforderliche Tatverdacht vorlag (vgl. auch OLG Bamberg, Beschluss vom 25. Februar 2010 – 3 Ss OWi 206/10 -, juris; Thür.OLG, Beschluss vom 6. Januar 2010 – 1 Ss 291/09 -, NJW 2010, S. 1093 f.). Ein Verstoß gegen spezifisches Verfassungsrecht ist – entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers – darin ebenfalls nicht zu sehen.“
Damit dürfte die Grundsatzfrage entschieden sein. Die Diskussion wird sich jetzt nur noch darauf erstrecken können ob die Voraussetzungen der Vorschrift vorgelegen haben.

Die „dauernde Verhinderung“ beim OLG Düsseldorf, oder: Warum „kanzeln“ Senate den Einzlerichter ab?

Der Kollege Flauaus hatte sich vor ein paar Tagen in seinem Beitrag zum Beweisverwertungsverbot bei der Videomessung darüber gewundert, dass die Senate des OLG Düsseldorf in ihren Senatsentscheidungen (vgl. hier und hier) die Einzelrichterentscheidung vom 09.02.2010 so „abgekanzelt“ hatten (vgl. hier).

Wenn man den vermutlichen Hintergrund dieser Entscheidung kennt bzw. das, was darüber berichtet/behauptet wird, wundert das dann nicht mehr so (war an sich schade, da die Einzelrichterentscheidung schön“ begründet war“. Jetzt scheint die Sache erledigt zu sein: Das Navi hat den Betroffenen B. offenbar gerettet (vgl. auch hier).

Nun berichtet der LawBlog, dass das OWi-Verfahren – der vermutliche Stein des Anstoßes – eingestellt worden ist: Der Täter habe nicht identifiziert werden können, man ist also an der Identifizierung quasi „dauernd gehindert“. Anwaltskosten beim Betroffenen (na ja, wenn er nicht identifiziert werden konnte, hätte er an sich frei gesprochen werden müssen mit der Kostenfolge bei der Staatskasse). Jedenfalls hat es, wie man der Homepage des OLG Düsseldorf entnehmen kann, schon früher eine Änderung in der Geschäftsverteilung gegeben, auch wegen „dauernder Verhinderung“.

Keine Fernwirkung der (verfassungswidrigen) Videomessung auf die Fahrtenbuchanordnung.

Das VG Oldenburg hatte im Beschl. v. 19.01.2010 die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage beanstandet, wenn Grundlage der Anordnung der Führung eines Fahrtenbuches (§ 31a StVZO) zwar ein Abstandsverstoß  durch einen letztlich nicht zu ermittelnden Fahrer gewesen ist, aber erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit und damit die Verwertbarkeit der durch das Messsystem gewonnenen Daten bestehen.

Das dagegen eingelegte Rechtsmittel hatte jetzt beim OVG Lüneburg Erfolg. Dieses hat in seinem Beschl. v. 07.06.2010 – 12 ME 44/10 unter Hinweis auf seine Entscheidung zur Blutentnahme in 12 ME 37/10 darauf hingewiesen, dass die vom VG Oldenburg herangezogenen Gründe der Entscheidung des OLG Oldenburg, wonach die Abstandsmessung mangels gesetzlicher Grundlage als unzulässiger Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung anzusehen sei und wegen der Schwere dieses Eingriffs im Ordnungswidrigkeitenverfahren einem Verwertungsverbot unterliege, sich auf Verfahren, die ausschließlich der Gefahrenabwehr dienen, nicht ohne Weiteres übertragen lassen. Der Beschluss war nach der Entscheidung in 12 ME 37/10 zu erwarten.

Also: Keine einheitliche Rechtsordnung.

Videomessung im Straßenverkehr: Warum wird nicht beim BGH vorgelegt?

Inzwischen gibt es eine Vielzahl von Beschlüssen zur Videomessung im Straßenverkehr und zu ggf. bestehenden Beweisverwertungsverboten: Grundlage ist jeweils die Entscheidung des BVerfG v. 11.08.2009 – 2 BvR 941/08. Immer wieder wird nach einer Entscheidung des BGH gefragt und beanstandet, dass nicht (endlich) ein OLG dem BGH die Fragen, in denen die OLG zerstritten sind, vorlegt. Das OLG Bamberg hat nun in seinem Beschl. v. 16.03.2010 – 2 Ss OWi 235/10 mal eingehender zur Vorlagepflicht Stellung genommen und sie verneint.