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Nichts Neues nach der Punktereform/dem FAER – weiterhin kein Ermessen bei der Entziehung der Fahrerlaubnis

© sashpictures - Fotolia.com

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Ups, das ging aber schnell, habe ich gedacht, als ich Ende der vergangenen Woche auf den VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 03.06.2014 – 10 S 744/14 – gestoßen bin, der (bereits) zum neuen Fahreignungsregister (FAER) Stellung nimmt. Gerade mal einen Monat nach Inkrafttreten der „Punktereform“ am 01.05.2014 die – m.E. erste – bekannt gewordene – Entscheidung. Und da will ich mal eben so schnell sein und den Beschluss dann gleich hier einstellen. Er führt einiges zur Übergangsregelung aus und vor allem auch dazu, ob der Verwaltungsbehörde auf der sog. dritten Maßnahmestufe – Entziehung der Fahrerlaubnis – Ermessen zusteht. Das wird – wie auch schon zur alten Regelung verneint:

„3. Nach alldem hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG a.F. zwingend ohne Ermessensbetätigung zu entziehen. Das im Zeitpunkt der Entziehungsverfügung geltende Fahrerlaubnisrecht beurteilt einen mehrfach auffällig gewordenen Fahrerlaubnisinhaber kraft Gesetzes als eine nicht mehr hinnehmbare Gefahr für den Straßenverkehr und damit unwiderleglich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wenn er trotz der vorgeschalteten Maßnahmen nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 StVG a.F. Verkehrszuwiderhandlungen begangen hat, die im Verkehrszentralregister mit 18 oder mehr Punkten zu erfassen sind. Diese unwiderlegliche gesetzliche Ungeeignetheitsvermutung mit der zwingenden Folge der Entziehung der Fahrerlaubnis bei dem genannten Punktestand wird damit begründet, dass die weitere Teilnahme von solchen Kraftfahrern am Straßenverkehr, die trotz Hilfestellung durch Aufbauseminare und gegebenenfalls durch vorausgegangene verkehrspsychologische Beratung sowie trotz Bonus-Gutschriften und der Möglichkeit von zwischenzeitlichen Tilgungen im Verkehrszentralregister 18 oder mehr Punkte erreichen, für die übrigen Verkehrsteilnehmer eine Gefahr darstellen. Dabei fällt insbesondere ins Gewicht, dass es sich um Kraftfahrer handelt, die eine ganz erhebliche Anzahl von noch nicht getilgten Verkehrsverstößen, die im Verkehrszentralregister erfasst sind bzw. nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem zu speichern sind, begangen haben (vgl. hierzu die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 07.02.1997, BT-Drs. 13/6914, S. 50; zu diesem Normzweck auch Beschluss des Senats vom 07.12.2010 – 10 S 2053/10VBlBW 2011, 194 m.w.N.).

An dieser gesetzgeberischen Wertung hat sich auch durch die Einführung des Fahreignungs-Bewertungssystems, das neben der Vereinfachung des Punktsystems auch der Erhöhung der Verkehrssicherheit dienen soll (vgl. BT-Drs. 17/12636 S. 17), nichts geändert. Auch nach der gesetzlichen Neuregelung ist auf der dritten Maßnahmestufe die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen, ohne dass der Fahrerlaubnisbehörde ein Ermessen eingeräumt ist (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG n.F.). Der Fahrerlaubnisinhaber gilt unwiderleglich als ungeeignet, wenn er trotz Durchlaufens der ersten und zweiten Maßnahmenstufen nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 und 2 StVG n.F. – wie etwa Ermahnung und Verwarnung – und trotz der Möglichkeit der Tilgung so viele fahreignungsrelevante Straftaten oder verkehrssicherheitsbeeinträchtigende Ordnungswidrigkeiten begangen hat, dass er acht und mehr Punkte erreicht (vgl. zum Ganzen BT-Drs. 17/12636 S. 17, S. 41).“

Fahrtenbuchauflage (auch) für den Fahrschulwagen

entnommen wikimedia.org Urheber:  Wiki-text

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Der VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 04.12.2013 – 10 S 1162/13 – behandelt (mal wieder) die (ungeliebte) Fahrtenbuchauflage (§ 31a StVZO). Sie bringt an sich nichts wesentlich Neues. Denn, dass bei einem Geschwindigkeitsverstoß von 21 km/h innerorts eine Fahrtenbuchauflage gerechtfertigt ist, haben wir auch schon in anderen Entscheidungen gelesen. Und auch die Ausführungen des VGH zum erforderlichen Umfang der Bemühungen der Verwaltungsbehörde zur Feststellung des verantwortlichen Fahrzeugführers und wann diese unmöglich sind/waren, sind nicht neu.

Interessant sind dann aber die Ausführungen zur Ermessensbetätigung der Verwaltungsbehörde:

„2. Entgegen der Auffassung der Beschwerde begegnet auch die – freilich knapp zum Ausdruck gebrachte – Ermessensbetätigung des Antragsgegners keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Dass eine Geschwindigkeitsüberschreitung um 21 km/h einen hinreichend gewichtigen Verkehrsverstoß darstellt, um eine Fahrtenbuchauflage für die Dauer eines Jahres zu rechtfertigen, hat das Verwaltungsgericht bereits zutreffend dargelegt.

Mit ihrem Beschwerdevorbringen, die mit der Fahrtenbuchauflage für ein Fahrschulfahrzeug einhergehende, wegen des damit verbundenen höheren Dokumentationsaufwands stärkere Belastung habe der Antragsgegner bei seiner Entscheidung nicht hinreichend Rechnung getragen, wird kein Ermessensfehler aufgezeigt. Bei einem Fahrschulwagen besteht durchaus ein erhöhtes öffentliches Interesse daran, den Fahrzeugführer nach einem groben Verkehrsverstoß zu ermitteln, weshalb sich die Erteilung einer Fahrtenbuchauflage der Behörde in einem solchen Fall geradezu aufdrängen wird. Wurde die Zuwiderhandlung von einem Fahrschüler begangen, so können Vorfälle dieser Art Bedenken gegen die fachliche Eignung des Fahrlehrers begründen, der für die Führung des Fahrzeugs verantwortlich ist; die Antragstellerin weist in diesem Zusammenhang selbst richtigerweise darauf hin, dass gemäß § 2 Abs. 15 StVG der Fahrlehrer als Führer des Fahrzeugs gilt. Zu Erwägungen in Bezug auf die fachliche Eignung des Fahrlehrers besteht überdies besonderer Anlass dann, wenn der Fahrlehrer selbst den Verkehrsverstoß begangen hat. Hiernach kann keine Rede davon sein, dass der Einsatz eines Fahrzeugs als Fahrschulwagen bei der zu treffenden Ermessensentscheidung privilegierend zu berücksichtigen wäre (vgl. dazu bereits Senatsurteil vom 03.05.1984 – 10 S 447/84 -, VBlBW 1984, 318).

Schließlich musste der Antragsgegner auch nicht deswegen von der Verhängung einer Fahrtenbuchauflage absehen, weil die Antragstellerin nach ihrem Vortrag mit ihren Fahrzeugen noch nicht verkehrsauffällig geworden sein mag. Es hätte ihr freigestanden, die verantwortliche Fahrerin zu benennen und damit die Auferlegung der Führung eines Fahrtenbuchs zu vermeiden. Ein „doppeltes Recht“, nach einem Verkehrsverstoß einerseits im Bußgeldverfahren die Aussage zu verweigern und zugleich trotz fehlender Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers auch von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben, besteht nach ständiger verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung nicht (vgl. nur Senatsbeschluss vom 30.11.2010 – 10 S 1860/10 -, NJW 2011, 628 m.w.N.).“

Und: Ceterum censeo: Hier geht es zur Abstimmung Beste Jurablogs Strafrecht 2014 – wir sind dabei, die Abstimmung läuft…

Wohnsitzverstoß führt zur Nichtanerkennung der EU-Fahrerlaubnis

Immer wieder ausländische Fahrerlaubnis. Jetzt auch noch einmal der VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 30.05.2011 – 10 S 2640/10, der einen sog. Wohnsitzverstoß behandelt.

Der VGH sagt/meint, dass ein sog. Wohnsitzverstoß  auch unionsrechtlich im Anwendungsbereich der 2. Führerscheinrichtlinie bereits zur Befugnis des Aufnahmemitgliedstaates führt, die in einem anderen Mitgliedstaat erteilte EU-Fahrerlaubnis nicht anzuerkennen, ohne dass es auf die vorherige zusätzliche Anwendung einer Maßnahme des Entzugs oder dergleichen der Fahrerlaubnis im Aufnahmemitgliedstaat ankommt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob der Berechtigung aus einer im Ausland erteilten EU-Fahrerlaubnis ungetilgte Maßnahmen des Entzugs oder dergleichen entgegenstehen, sei im Übrigen der Zeitpunkt der Erteilung dieser EU-Fahrerlaubnis. Der spätere Zeitpunkt des Erlasses eines Feststellungsbescheids über die Nichtberechtigung sei insoweit unerheblich.

Entweder oder, oder: Vorverlegung der Tilgungsfrist möglich?

Entweder oder, hatte ich mir gedacht, als ich auf VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 10.o5.2011 – 10 S 137/11 gestoßen bin, in dem es um die Entziehung der Fahrerlaubnis ging.

Die Verwaltungsbehörde hatte dem Betroffenen gem. § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 StVG die Fahrerlaubnis entzogen. Der Betroffene hat dagegen u.a. geltend gemacht, sein Punktestand sei fiktiv aus Gründen der Verhältnismäßigkeit bzw. des Übermaßverbots auf unter 18 Punkte zu reduzieren, weil die Ahndung einer am 20.10.2005 begangenen Zuwiderhandlung infolge verzögerter amtsgerichtlicher Entscheidung erst mit der Beschwerdeentscheidung des OLG vom 25.03.2008 rechtskräftig wurde und dadurch eine frühere Tilgung von Punkten – mit der Folge einer Verhinderung nachfolgender Überschreitung von 18 Punkten – vereitelt worden wäre.

Der VGH hat das nicht geltend lassen. Eine fiktive Vorverlegung der Tilgungsfrist komme bei einer zwei Jahre nicht überschreitenden Dauer eines über zwei Instanzen führenden Bußgeldverfahrens noch nicht in Betracht. Er hat in dem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die Ergreifung von Rechtsbehelfen gegen die Ahndung von punkteträchtigen Verkehrsordnungswidrigkeiten, ein dadurch verzögerter Rechtskrafteintritt und ein gemäß § 29 Abs. 4 Nr. 3 StVG entsprechend späterer Anlauf der jeweiligen Tilgungsfrist grds. in die Risikosphäre des betroffenen Fahrerlaubnisinhabers fällt. Die vom Betroffenen sinngemäß aufgeworfene Frage, ob ausnahmsweise anderes gelten könne, wenn die Hinausschiebung der Tilgungsreife aus nicht vom Betroffenen zu vertretenden Gründen, insbesondere wegen objektiv unangemessen langer Dauer eines Rechtsbehelfsverfahrens, das erwartbare normale Maß deutlich übersteige, bedürfe aus Anlass des vorliegenden Falles keiner abschließenden Beantwortung. Denn die geltend gemachte Verzögerung des amtsgerichtlichen Verfahrens sei bei wertender Betrachtung noch nicht als so gravierend anzusehen, dass sie als im Rechtssinne wesentliche Ursache einer Überschreitung von 18 Punkten gelten müsste und der Betroffene deshalb so zu stellen wäre, als ob die Tilgungsreife des Verkehrsverstoßes vom 20.05.2005 (und damit auch der früheren Verstöße aus den Jahren 2003 bis 2005) bereits vor den nachfolgenden Geschwindigkeitsüberschreitungen eingetreten wäre. Offen gelassen hat der VGH die Frage, wann ggf. eine fiktive Vorverlegung in Betracht kommen kann.

Also: Grundsätzlich: Entweder oder.

Haarige Sache

Der VGH Baden-Württemberg sagt in seinem Beschl. v. 25.11.2010 – 10 S 2162/10: Die Feststellung von Kokainkonsum durch eine Blutuntersuchung kann derzeit nicht durch eine  Haarprobe mit Negativbefund (da war doch mal was im Fußballbereich :-))  widerlegt werden.

Danach ist die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen aufgrund von (einmaligem) Drogenkonsum rechtmäßig, wenn eine im Zuge einer Verkehrskontrolle entnommene Blutprobe den sicheren Schluss zulässt, dass ein Kokainkonsum stattgefunden hat. Ein von dem Führerscheininhaber zu einem späteren Zeitpunkt vorgelegtes Gutachten über eine Haarprobe, das Kokainkonsum in den letzten zwölf Monaten für nicht erweislich hält, ist nach Auffassung des VGH derzeitigem Kenntnisstand nicht geeignet, eine methodisch einwandfreie Blutuntersuchung zu entkräften. Die Verwertbarkeit einer solchen Haaranalyse zum (positiven oder negativen) Nachweis eines Drogenkonsums setze zudem in formeller Hinsicht schon die sichere Identifizierung des Probanden und den Ausschluss einer Manipulation der Haarprobe von der Probennahme bis zur Analyse voraus. Fehlt es bereits hieran, ist ein solches Gutachten gänzlich ungeeignet zur Beweisführung.