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Vorsicht bei der Absprache – es gibt kein instanzübergreifendes Verwertungsverbot

Bei der Absprache/Verständigung ist im Hinblick auf die Frage der Verwertbarkeit der Angaben des Angeklagten, die dieser im Rahmen seines Geständnisses macht, besondere Vorsicht geboten, wenn es um die Frage geht, ob diese ggf. in späteren Verfahrensabschnitten gegen ihn verwendet werden können. Also z.B., wenn der Angeklagte gegen ein ihn verurteilendes Urteil Berufung einlegt. Greift dann § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO?

Das OLG Nürnberg, Beschl. v. 29.02.2012 – 1 St OLG Ss 292/11 sagt: Nein. Es gibt kein  instanzübergreifendes und vom Loslösungstatbestand unabhängiges allgemeines Beweisverwertungsverbot. § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO erfasst nur die in Satz 1 und 2 der Vorschrift geregelten Fälle.  Das Geständnis kann also verwertet werden.

Lesenswert der Beschluss, auch wegen der revisionsrechtlichen Fragen.

„Fernwirkung“ einer „informellen Absprache“?

Inzwischen vergeht kaum eine Woche, in der auf der Homepage des BGH nicht eine Entscheidung veröffentlicht wird, die sich mit der Verständigung/Absprache befasst. Das zeigt, welche praktische Bedeutung die (Neu)Regelung hat. Zu diesem Kreis gehört auch der BGH, Beschl. v. 22.02.2012 – 1 StR 349/11, der die Auswirkungen einer sog. „informellen Absprache“ mit einem Belastungszeugen behandelt. Das LG hatte den Angeklagten als Mitglied einer Bande wegen Diebstahls verurteilt und die Verurteilung auch auf Aussagen von Bandenmitglieder gestützt, die in einem anderen Verfahren bereits rechtskräftig verurteilt worden waren. Dort war es zu informellen Absprachen gekommen. Der Angeklagte hatte geltend gemacht, dass die Aussagen aus dem anderen Verfahren nicht verwertbar waren und das Urteil aus dem anderen Verfahren nicht hätte verlesen werden dürfen. Der BGH hat beides als zulässig angesehen.

Entbindung von der Schweigepflicht – Vorsicht!!!!

Wenn es darum geht, einen sog. Berufsgeheimnisträger von der Schweigepflicht zu entbinden, ist immer besondere Vorsicht geboten. Nicht nur, dass dann auch dessen Angestellte, also z.B. bei einem Arzt die Praxishelferinnen kein Zeugnisverweigerungsrecht mehr haben. Zu beachten ist darüber hinaus auch, dass alles, was der Berufsgeheimnisträger nach der Entbindung ausgesagt hat, in das Verfahren eingeführt werden kann, auch wenn die Entbindung von der Schweigepflicht nachträglich widerrufen worden ist. Dazu (noch einmal) der BGH, Beschl. v. 20.12.2011 – 1 StR 547/11: § 252 StPO gilt nicht, und zwar auch nicht – insoweit bringt der Beschluss Neues – für Angaben in einer polizeilichen Vernehmung.

aa) Zwar ist die Vorschrift des § 252 StPO grundsätzlich auch auf Berufsgeheimnisträger i.S.v. § 53 StPO anwendbar (vgl. BGH, Urteil vom 20. November 1962 – 5 StR 462/62, BGHSt 18, 146; Beschluss vom 24. September 1996 – 5 StR 441/96, StV 1997, 233). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, an der der Senat festhält, darf aber der Ermittlungsrichter über den Inhalt der Aussage eines gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Arztes vernommen werden, die dieser vor dem Ermittlungsrichter gemacht hat, wenn der Arzt bei dieser Aussage gemäß § 53 Abs. 2 StPO von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden war; § 252 StPO ist dann nicht anwendbar (BGHSt 18, 146; BGH StV 1997, 233; glA Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl.,  § 53 Rn. 49 und § 252 Rn. 3; Diemer in KK-StPO, 6. Aufl., § 252 Rn. 6; Ignor/Bertheau in Löwe/Rosenberg, 26. Aufl., § 53 Rn. 83; Neubeck in KMR-StPO § 53 Rn. 41; Sander/Cirener in Löwe/Rosenberg, 26. Aufl., § 252 Rn. 4; aA OLG Hamburg, NJW 1962, 689, 691; Geppert, Jura 1988, 305, 311 f.; Eb. Schmidt JR 1963, 267).

Grund hierfür ist, dass in einem solchen Fall der Pflichtenwiderstreit, auf den das Verwertungsverbot des § 252 StPO Rücksicht nimmt, nicht auftreten kann (zutr. Diemer aaO). Denn durch das Zeugnisverweigerungsrecht des § 53 StPO wird der Berufsgeheimnisträger geschützt und nicht diejenige Person, die ihn von der Schweigepflicht entbinden kann. Ihr Recht beschränkt sich darauf, darüber zu entscheiden, ob sie den Berufsgeheimnis-träger von der Schweigepflicht entbindet oder nicht. Sie hat indes keinen Anspruch darauf, dass der Berufsgeheimnisträger die Aussage verweigert und das Gericht nicht verwertet, was er gleichwohl ausgesagt hat (BGHSt 18, 146, 147). War der Berufsgeheimnisträger zum Zeitpunkt seiner Aus-sage vor dem Ermittlungsrichter von der Schweigepflicht befreit, befand er sich nicht in einem Pflichtenwiderstreit zwischen Wahrheitspflicht und Schweigepflicht.

bb) Für die hier vorliegende Fallkonstellation, dass der zunächst von der Schweigepflicht entbundene Berufsgeheimnisträger im Ermittlungsverfahren seine Angaben nicht vor einem Ermittlungsrichter, sondern im Rahmen einer polizeilichen Vernehmung gemacht hat, führt ebenfalls nicht zum Vor-liegen eines Verwertungsverbots gemäß § 252 StPO. Denn die Verwertbarkeit der Angaben der Vernehmungsperson ergibt sich im Fall der Vernehmung einer jedenfalls zu diesem Zeitpunkt von der Schweigepflicht entbundenen Person nicht erst aus der besonderen Bedeutung der richterlichen  gegenüber einer sonstigen Vernehmung (vgl. dazu BGHSt 49, 72, 77; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 252 Rn. 14 mwN), sondern bereits dar-aus, dass die Vorschrift des § 252 StPO mangels der von ihr vorausgesetzten Pflichtenkollision des bei seiner Vernehmung im Ermittlungsverfahren von seiner Schweigepflicht entbundenen Berufsgeheimnisträgers von vorn-herein nicht anwendbar ist (vgl. BGH StV 1997, 233). Die vom Zeugen Dr. S. nach Entbindung von seiner ärztlichen Schweigepflicht im Rahmen einer polizeilichen Vernehmung gemachten Angaben durften daher auch nach Widerruf der Entbindungserklärung seitens des Geschädigten durch Vernehmung der polizeilichen Vernehmungsbeamtin.

Man kann also den Berufsgeheimnisträger nicht nachträglich wieder sperren.

Oft übersehen: Verwertungsverbot für „alte“ Eintragungen

In § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG ist ein Verwertungsverbot für „alte Eintragungen“ enthalten, das oft übersehen wird. Wer liest eine Vorschrift schon bis zum Abs. 8 :-). Mit dem  Verwertungsverbot hat sich vor einiger Zeit das OLG Celle befasst. Nun auch der OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 18. 08. 2011 – 3 M 348/11. Dieses führt aus : Eine Eintragung über eine gerichtliche Entscheidung im Verkehrszentralregister kann zur Anordnung eines Aufbauseminars nach Ablauf eines Zeitraums, der einer fünfjährigen Tilgungsfrist entspricht, nicht mehr verwertet werden. Das folgt für das OVG aus § 29 Abs. 8 StVG.

Danach darf nach Ablauf dieser Frist eine Eintragung nur noch für ein Verfahren verwendet werden, das die Erteilung oder Entziehung der Fahrerlaubnis „zum Gegenstand hat“. Die Gesetzessystematik spricht für das OVG dafür, ein auf die Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar gerichtetes Verfahren nicht einem Verfahren zur Entziehung einer Fahrerlaubnis gleichzusetzen. Wenn der Gesetzgeber wegen der im Verkehrszentralregister zu speichernden Daten zwischen der Entziehung einer Fahrerlaubnis auf der einen Seite und Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde auf der anderen Seite unterscheide, so spreche dies dafür, ausgehend von dieser Unterscheidung bei der Aufnahme von Daten in das Verkehrszentralregister auch für die Verwertung an dieser Unterscheidung festzuhalten und die zehnjährige Verwertungsmöglichkeit auf die Verfahren zu beschränken, die die Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis zum Gegenstand haben.

§ 51 BZRG: Umfassendes (Beweis)Verwertungsverbot, und zwar auch im Strafvollzug

Nach § 51 Abs. 1 BZRG dürfen Tat und Verurteilung dem Betroffenen im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und zu seinem Nachteil verwertet werden, wenn die Eintragung über eine Verurteilung im Bundeszentralregister getilgt worden oder zu tilgen ist. Dazu jetzt das OLG Celle, Beschl. v.05.08.2011 -1 Ws 282/11 (StrVollz) zu einer vollstreckungsrechtlichen Fallgestaltung, in der die Strafvollstreckungskammer von diesem Grundsatz hatte abrücken wollen.

Diese Regelung begründet ein absolutes Verwertungsverbot, das von allen staatlichen Stellen – seien es Gerichte oder Behörden – zu beachten ist (BVerfGE 36, 174). Es umfasst alle Bereiche des Rechtslebens und sämtliche Rechtsverhältnisse und Rechtsbeziehungen im privaten und öffentlichen Recht, so dass kein Bereich des Rechts ausgenommen ist; es kommt nicht darauf an, ob es sich um materiell- oder verfahrensrechtliche Vorschriften, um bundes- oder landesgesetzlich geregelte Bereiche handelt (Rebmann/Uhlig, BZRG § 51 Rn. 26; Götz/Tolzmann, BZRG 4. Aufl. § 51 Rn. 21; Hase, BZRG § 51 Rn. 5).

Dementsprechend gilt das Verwertungsverbot zweifelsfrei und ausnahmslos auch für Vollzugsbehörden, sei es im Rahmen der Vollzugsplanung nach § 9 NJVollzG oder in sonstiger Hinsicht, etwa bei der Entlassungsprognose. Eine Ausnahme vom Verwertungsverbot nach § 52 BZRG liegt hier nicht vor; insbesondere stellt der Vollzugsplan kein Gutachten über den Geisteszustand des Betroffenen in einem erneuten Strafverfahren i.S.v. § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG dar.

Der Auffassung der Strafvollstreckungskammer, dass die Gewährleistung zutreffender Entscheidungen bei der Behandlungsplanung – jedenfalls bei Sexualstraftätern – eine Ausnahme vom Verwertungsverbot rechtfertige, kann nicht gefolgt werden. Sie mag zwar in der Sache durchaus zu befürworten sein, wenngleich angesichts der Tilgungsfristen für Sexualstraftaten die Aussagekraft getilgter Eintragungen für eine zutreffende Vollzugsplanung fraglich erscheint. Das Interesse an einer zutreffenden Vollzugsplanung vermag aber jedenfalls den eindeutigen Willen des Gesetzgebers, der im Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG seinen Ausdruck gefunden hat, nicht auszuhebeln. Die damit einhergehenden Beeinträchtigungen der Strafrechtspflege bei der Wahrheitsermittlung sind zur Verwirklichung des mit dem Verwertungsverbot verfolgten Ziels der Resozialisierung Straffälliger hinzunehmen (BVerfGE 36, 174). Dass es vorliegend in erster Linie um ein vollständiges Persönlichkeitsbild und eine Sozialprognose geht, ändert hieran nichts. Das Verwertungsverbot gilt nicht nur für die Strafzumessung an sich, sondern auch für die – ebenfalls eine Prognose beinhaltende – Frage der Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung (BGHSt 25, 100), einschließlich der Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen Sexualstraftäter (BGH StV 2002, 479; NStZ-RR 2002, 332), und für die nach § 56 StGB zu treffende Kriminalprognose (BGH StraFo 2010, 207). Auch im Strafvollstreckungsrecht ist bei der Entscheidung über eine bedingte Entlassung nach § 57 StGB das Verwertungsverbot nach § 51 Abs. 1 BZRG zu beachten mit der Folge, dass ein mehrfach Vorbestrafter im Falle der Tilgung der Voreintragungen wie ein Ersttäter bzw. Erstverbüßer zu behandeln ist (KG, Beschluss vom 6. März 1998 – 5 Ws 141/98, juris).“

Die Anwendung dieser Rechtsprechung kann für den Verurteilten im Vollzug weittragende Folgen haben.