Schlagwort-Archive: Verwertbarkeit

Dashcam III: Dash-Cam-Aufzeichnungen zu Verkehrsunfällen im Zivilprozess verwertbar

© anuwattn – Fotolia.com

Und dann habe ich als dritte „Dash-Cam-Aufzeichnung“ den OLG Nürnberg, Beschl. v. 10.08.2017 – 13 U 851/17. Es handelt sich um einen sog. Hinweisbeschluss, der in einem beim OLG Nürnberg anhängigen Berufungsverfahren ergangen ist. Es handelt sich zwar um Zivilrecht, passt aber thematisch zum heutigen Tag

Gegenstand des Verfahrens war ein Verkehrsunfalls auf der BAB A 5, bei dem ein Lkw auf einen Pkw auffuhr. Der Pkw-Fahrer behauptete, er habe verkehrsbedingt abgebremst und der Fahrer des Lkws sei wegen zu hoher Geschwindigkeit und zu geringen Abstandes aufgefahren. Er hat Schadensersatz in Höhe von rund 15.000 € geltend gemacht. Der Lkw-Fahrer hat demgegenüber behauptet, dass der Pkw vor ihm von der linken über die mittlere auf die rechte Spur gewechselt sei und abrupt gebremst habe. Obwohl er sofort reagiert habe, sei der Unfall nicht vermeidbar gewesen.

Das LG hatte zur Rekonstruktion des Unfalls das Gutachten eines Sachverständigen eingeholt. Der wertete die Dashcam-Aufzeichnung des Beklagten aus und kam zu dem Ergebnis, dass die Unfallschilderung des Lkw-Fahrers zutraf. Das LG hat die Klage daraufhin abgewiesen.

Das OLG sieht das ähnlich. Hier der Leitsatz zu der umfangreichen Entscheidung:

„Die Verwertung von sog. Dash-Cam-Aufzeichnungen zur Beweisführung über Verkehrsunfälle ist im Zivilprozess zulässig. Dies gilt jedenfalls für im Fahrzeug auf dem Armaturenbrett fest installierte Kameras, die in Fahrtrichtung, also nach vorne, ausgerichtet sind und bei Autobahnfahrten betrieben werden. Persönlichkeitsrechte des Unfallgegners sind durch diese Art von Aufzeichnungen, auf welchen konkrete Personen typischerweise nicht zu erkennen sind, üblicherweise in so geringem Ausmaß betroffen, dass bei der gebotenen Abwägung zwischen beeinträchtigten Persönlichkeitsrechten einerseits und dem Anspruch auf rechtliches Gehör sowie dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes andererseits letztere regelmäßig überwiegen. Dies gilt insbesondere dann, wenn andere zuverlässige Beweismittel im konkreten Fall nicht zur Verfügung stehen.

Bei der genannten Abwägung sind nur diejenigen Aufzeichnungsteile heranzuziehen, deren Verwertung konkret im Raum steht. Es kommt nicht darauf an, welche Aufzeichnungen mit der Dash-Cam ansonsten bei anderer Gelegenheit gefertigt wurden.2

Da es mit der Verwertbarkeit ein wenig hin und her geht, kann man die Voraussage wagen: Irgendwann wird es der BGH richten müssen. In diesem Fall allerdings nicht. Denn der Kläger hat seine Berufung nach dem Hinweis zurückgenommen.

Das Geständnis beim Polizeibeamten, oder: die List ist erlaubt, die Lüge nicht

© semnov – Fotolia.com

Ich hatte vor einigen Tagen ja schon über den BGH, Beschl. v. 25.10.2016 – 2 StR 84/16 berichtet (vgl. hier Klassiker II: Mal wieder rechtlicher Hinweis nicht erteilt). Auf die Entscheidung komme ich heute wegen eines obiter dictum des BGH bzw. einer Segelanweisung noch einmal zurück. Es geht um die Verwertbarkeit eines Geständnisses des Angeklagten. Der BGh sieht es als unverwertbar an, und zwar:

„Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich auf Folgen-des hin:

Das vom Angeklagten abgelegte polizeiliche Geständnis vom 23. Juli 2014 ist unter Verstoß gegen § 136a Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 StPO zustande gekommen und daher unverwertbar. Der Vernehmungsbeamte hatte den Angeklagten in seiner ersten Beschuldigtenvernehmung mehrfach darauf hingewiesen, dass er ihn zwar nicht für einen „Mörder“ halte, dass die Tat aber angesichts der gravierenden Verletzungsfolgen und des Nachtatverhaltens wie ein „richtiger, klassischer Mord“ erscheine, wenn er – der Beschuldigte – dies nicht richtigstelle und sich zur Sache einlasse. Daraufhin äußerte sich der Beschuldigte zur Sache und räumte den äußeren Tatablauf weitgehend ein.

Diese Verfahrensweise war mit § 136a Abs. 1 StPO, der nach § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO auch für Polizeibeamte gilt, nicht zu vereinbaren. Zwar schließt § 136a Abs. 1 Satz 1 StPO nicht die Anwendung jeder List bei einer Vernehmung aus. Die Vorschrift verbietet aber eine Lüge, durch die der Beschuldigte bewusst irregeführt und in seiner Aussagefreiheit beeinträchtigt wird. Weiß der Vernehmende, dass aufgrund der bisherigen Ermittlungen kein dringender Tatverdacht bezüglich eines Mordes besteht, erklärt aber trotzdem, die vorliegenden Beweise ließen dem Beschuldigten keine Chance, er könne seine Lage nur durch ein Geständnis verbessern, so täuscht er ihn über die Beweis- und Verfahrenslage (BGH, Urteil vom 24. August 1988 – 3 StR 129/88, BGHSt 35, 328). So liegt es hier. Ausweislich des den Verwertungswiderspruch zurückweisenden Beschlusses des Schwurgerichts hatte der Vernehmungsbeamte in seiner Vernehmung glaubhaft erklärt, dass die Polizeibeamten „selbst damals zunächst nicht von Mordmerkmalen ausgegangen seien, sondern von einer spontanen Tat, einer Affekttat oder einer Beziehungstat. Mordmerkmale hätten sich für sie erst nach dem Geständnis des Angeklagten offenbart.“ Damit steht fest, dass der Angeklagte bewusst darüber getäuscht worden ist, dass zureichende Anhaltspunkte für den Tatvorwurf des Mordes bestünden.“

Liest man selten, dass der BGH ein Geständnis als unverwertbar ansieht.

OLG Frankfurt: Der Betroffene hat „selbstverständlich“ ein Einsichtsrecht in die digitalisierte Falldatei, oder: Na, bitte

© ProMotion - Fotolia.com

© ProMotion – Fotolia.com

Der Streit in der Rechtsprechung um das Einsichtsrecht des Verteidigers in Messunterlagen nach einer (Geschwindigkeits)Messung nimmt kein Ende. Dazu hat sich dann jetzt auch das OLG Frankfurt im Beschl. v. 11.08.2016 – 2 Ss OWi 562/16 – zu Wort gemeldet (vgl. dazu auch vorhin den OLG Bamberg, Beschl. v. 05.09.2016 – 3 Ss OWi 1050/16 und dazu: Zement aus Bamberg, oder: Mia san mia). In dem dem OLG Frankfurt, Beschl. zugrunde liegenden Verfahren hatte das AG hat den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde hatte der Betroffene auf die Verfahrensrüge gestützt, mit der die Zurückweisung von Beweisanträgen beanstandet worden war. Sie hatte keinen Erfolg.

Aber mit den Leitsätzen und den Ausführungen des OLG dazu kann man m.E. schon etwas anfangen. Hier die Leitsätze:

  1.  Die Verwaltungsbehörde ist „Herrin der Falldatei“.
  2. Beweismittel für einen Geschwindigkeitsverstoß ist das Messbild in der Gerichtsakte.
  3. Die Verwaltungsbehörde hat die Authentizität der Falldatei mit dem Messbild sicherzustellen.
  4. Die Auswertung (Umwandlung der Falldatei in das Messbild und Bewertung) ist von der nach § 47 Abs. 1 OWiG i. v. m. § 26 Abs. 1 StVG zuständigen Behörde vorzunehmen. Ist das nicht sichergestellt, kann das Tatgericht nach § 69 Abs. 5 OWiG verfahren.
  5. Der Betroffene hat ein Recht auf Einsicht in „seine Falldatei“ bei der Verwaltungsbehörde.
  6. Das Gericht ist grundsätzlich nicht verpflichtet die „Falldatei“ im Gerichtsverfahren beizuziehen.

Und dazu das OLG dann u.a. näher:

„Die Behauptung fehlender Prüfbarkeit durch die Verteidigung und damit der fehlenden Möglichkeit die verlangten „Tatsachen“ vortragen zu können, ist unrichtig.

Der Betroffene hat nach ständiger Rechtsprechung des Senats selbstverständlich ein Einsichtsrecht in die „nur“ ihn betreffende digitalisierte Falldatei, auch wenn sie nicht Aktenbestandteil ist. Das ist aber keine Frage der Akteneinsicht bei Gericht, oder des Prüfungsumfangs des Gerichts in der Hauptverhandlung, sondern es handelt sich um ein im Vorfeld der Hauptverhandlung an die Verwaltungsbehörde zu richtendes Gesuch.

Die Verwaltungsbehörde ist gem. § 47 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 26 Abs. 1 StVG Herrin der digitalisierten „Falldatei“. Die Verwaltungsbehörde hat einem Einsichtsgesuch in die digitalisierte „Falldatei“ nachzukommen, da die „Falldatei“ die Messdaten enthält, die das Messgerät zum Tatzeitpunkt erzeugt hat und auf denen der Tatnachweis beruhen soll. Dem Betroffenen muss von der Verwaltungsbehörde grundsätzlich die Möglichkeit eingeräumt werden, die „Falldatei“ zumindest auf Übereinstimmung mit dem in der Bußgeldakte befindlichen „Messbild“ zu überprüfen. Sollte die Verteidigung „unspezifische“ Bedenken gegen die Richtigkeit der Messung haben, kann sie diese anhand der Falldatei überprüfen und dann die notwendigen Tatsachen vorbringen, mit denen die Zulassung der PTB und die Eichung durch die Eichämter, mit denen die Messrichtigkeit und Messbeständigkeit des Geräts bestätigt worden sind, erschüttert werden können. Erst wenn sich aus der vom Betroffenen vorzunehmenden Prüfung konkrete tatsachenbegründete Anhaltspunkte für Messfehler ergeben, muss sich das Gericht damit beschäftigen. Da die Messrichtigkeit und Messbeständigkeit bei Messungen in einem standardisierten Messverfahren von der PTB und den Eichämter bereits grundsätzlich garantiert ist, führt diese Darlegungslast beim Betroffenen auch nicht zur Umkehrung der Unschuldsvermutung. Der Betroffene greift vielmehr die gegen ihn streitende eindeutige Beweislage an. Dafür ist er konkret darlegungspflichtig, wenn er damit vor Gericht Gehör finden will.

Wird der Antrag auf Beiziehung der „Falldatei“ erst in der Hauptverhandlung gestellt, fehlt es an diesem notwendigen tatsachenfundierten Vortrag und das Gericht kann weiterhin von der Messrichtigkeit und Messbeständigkeit des Geräts ausgehen, da die sachverständige Begutachtung durch PTB und Eichämter nicht erschüttert ist.

Da die „Falldatei“ verschlüsselt ist und zur Auswertung ein bestimmtes Auswerteprogramm benötigt, obliegt es der Verwaltungsbehörde, die im Besitz der „Falldatei“ ist, zu entscheiden wie sie dem Anspruch auf Einsicht nachkommt. Sie ist zumindest verpflichtet, in den Räumen der Verwaltungsbehörde die Einsicht in die vom Messgerät erzeugten digitalisierten Falldatei des Betroffenen zu gewähren und dort das Auswerteprogramm, mit dem die Auswertung vorgenommen wird zur Verfügung zu stellen. Gibt es Uneinigkeit über den Umfang oder die Art und Weise der Einsicht, ist der Rechtsbehelf nach § 62 OWiG in Anspruch zu nehmen. Die Entscheidung des nach § 68 OWiG zuständigen Gericht ist nach § 62 Abs. 2 S. 3 OWiG unanfechtbar.

Macht die Verteidigung von ihren Möglichkeiten – wie vorliegend – keinen Gebrauch und kann sie deswegen auch keine tatsachenbegründeten Zweifel anbringen, sondern erschöpft sich in unsubstantiierten Behauptungen, die teilweise auch urteilsfremd sind, stellt dies keinen „Verstoß gegen das faire Verfahren“ dar, wie behauptet wird, sondern ein Versäumnis der Verteidigung, dass ggf. einen Anwaltsverschulden begründen kann.“

M.E. von Bedeutung und damit kann man argumentieren. Aber bitte schön nicht erst in der Hauptverhandlung, sondern schon bei der Verwaltungsbehörde, die die entsprechenden Daten – „natürlich“  zur Verfügung stellen muss. Dass der Antrag in der Hauptverhandlung ggf. zu spät ist, hatte schon übrigens schon das OLG Düsseldorf im OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.07.2015 – IV-2 RBs 63/15 (dazu:Geschwindigkeitsüberschreitung: Geschwindigkeitsüberschreitung: Die „vollständige Messreihe des Tattages“ bekommst du von mir nicht) ausgeführt. Jetzt lassen wir die Frage der Richtigkeit mal dahingestellt. Wenn e solche Entscheidungen gibt, muss man die beherzigen bzw. entgegensteuern. Und das heißt: Antrag so früh wie möglich.

Und nochmals Dashcam, oder: Auch in Nürnberg gehts

wikimedia.org Urheber Ellin Beltz

wikimedia.org Urheber Ellin Beltz

In der letzten Zeit ist ja vermehrt über die Verwendung von Dashcam-Aufzeichnungen berichtet worden. Dabei geht/ging es meist um Zivilverfahren, in denen die Aufzeichnungen eine Rolle gespielt haben, es gibt aber auch schon – zumindest – eine Entscheidung zum Bußgeldverfahren (vgl. hier den OLG Stuttgart, Beschl. v. 04.05.2016 – 4 Ss 543/15 und dazu OLG Stuttgart: (Private) Dashcam-Aufzeichnungen sind auch im OWi-Verfahren verwertbar). Ich berichte dann heute noch mal über eine Entscheidung zum Zivilverfahren, und zwar über das LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 08.02.2016 – 2 0 4549/15. Da haben die vorliegenden Aufzeichnungen bei der Schadensersatzklage nach einem „Parkplatzunfall“ eine Rolle gespielt. Der Sachverständige hatte in seinem Gutachten auf die Aufnahmen zurückgegriffen. Das LG hat es abgesegnet:

„Das Gericht ist weiter davon überzeugt, dass das klägerische Fahrzeug zum Zeitpunkt der Kollision im Stillstand war: Dies ergibt sich aus den dahingehenden, glaubhaften der Zeugin ppp., sowie aus den insoweit übereinstimmenden Ausführungen. des Sachverständigen ppp., die dieser aufgrund der Auswertung der Dash-Cam-Aufnahmen aus dem klägerischen Fahrzeug machte.

Die vorgenannten Dash-Cam Aufnahmen, deren Authentizität zwischen den Parteien nicht streitig ist und durch den ,Sachverständigen bestätigt wurde, sind als Beweismittel im vorliegenden Verfahren verwertbar.

Eine Unverwertbarkeit ergibt sich vorliegend nicht aus-§ 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG. Zunächst ist diese Regelung nicht auf Aufzeichnungen aus einem Fahrzeug heraus, sondern auf die Überwachung öffentlich zugänglicher Räume. mit stationären optisch-elektronischen Einrichtungen zugeschnitten. Dies wird an § 6b Abs. 2 BDSG erkennbar, der vorschreib, den Umstand der Überwachung durch geeignete: Maßnahmen kenntlich zu machen. Dies ist nur bei stationärer, nicht aber bei mobiler Videoaufzeichnung vorstellbar (vgl. Amtsgericht Nürnberg, Urteil vorn 08.05.2015, 18 G 8938/14). Zudem ergibt sich aus § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG gerade, dass eine Aufzeichnung zur Wahrnehmung berechtigter Interessen zulässig ist, soweit schutzwürdige Interessen Dritter nicht überwiegen.

Weiter ergibt sich eine. Unverwertbarkeit auch nicht aus § 22 KunstUrhG. Es ist bereits fraglich. ob die Anfertigung einer Dash-Cam-Aufnahme und deren nachfolgende Verwertung im Zivilprozess eine Verbreitung oder öffentliche Zurschaustellung im Sinne von § 22 Satz 1 KunstUrhG darstellt. Zudem ergibt sich aus § 24 KunstUrhG gerade, dass die Verbreitung und öffentliche Zurschaustellung für Zwecke der Rechtspflege zulässig ist, soweit sie durch Behörden erfolgt. Jedenfalls folgt aus einem möglichen Verstoß gegen § 22 KunstUrhG kein Verwertungsverbot für den Zivilprozess (Vgl. AG Nürnberg, a.a.O.).

Die Frage der Verwertbarkeit von Bildaufzeichnungen im Zivilprozess unterliegt vielmehr, gerade in Hinblick auf den hiermit verbundenen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht, einer umfassenden Güterabwägung, wobei der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege erhebliches, aber nicht allein ausschlaggebendes schlaggebendes Gewicht zukommt (vgl. Zöller-Greger; Zivilprozessordnung, 30. Auflage 2014, Rdnr. 15a, 15b zu § 286 ZPO mit weiteren Nachweisen).

Vorliegend ist hierbei insbesondere das Grundrecht des Beklagten zu 1). auf informationelle Selbstbestimmung zu beachten. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG umfasst das Recht am eigenen Bild und stellt die Befugnis des Grundrechtsträgers dar, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Vorliegend zeichnete die Dash-Cam, soweit sich die Klägerin zum Beweis des von ihr geschilderten Unfallhergangs auf die Aufnähmen berufen hat, jedoch ausschließlich das Blickfeld und das Fahrverhalten der Führerin des klägerischen Fahrzeugs auf. Selbst im Kollisionsmoment sind weder das Beklagten-Fahrzeug noch gar der Beklagte zu 1) als Fahrzeugführer erkennbar.

Dem Interesse des Beklagten zu 1) steht das Interesse der Klägerin an einer Verwertbarkeit gegenüber: Da der Unfallhergang zwischen den Parteien streitig ist, hat die Klägerin ein erhebliches Interesse an der Zulassung des Beweismittels, um ihre Schadensersatzansprüche durchzusetzen.

Weiter ist bei der Abwägung das Interesse der Allgemeinheit darin, dem Gericht durch die Verwertung der Aufzeichnung eine materiell richtige, mit der Wirklichkeit übereinstimmende Entscheidung zu ermöglichen, zu beachten.

Die. Güterabwägung ergibt somit im vorliegenden Fall, dass die Dash-Cam-Aufzeichnungen, auf die sich die Klägerin zum Beweis des von ihr behaupteten Unfallhergangs berufen hat, verwertbar sind. Dies folgt daraus, dass der Eingriff in das Grundrecht des Beklagten zu 1) auf informationelle le Selbstbestimmung lediglich geringfügig ist, während die Klägerin ein erhebliches Interesse an der Verwertung geltend machen kann, das mit dem Interesse der Allgemeinheit insoweit übereinstimmt.

Die Einzelrichterin vermag daher im vorliegenden Fall die Rechtsauffassung des LG Heilbronn (Urteil vom 03.02. 2015 – 3 S 19/14) und des AG München (Beschluss vom 13.08.2014 – 345 C 5551/14) nicht zu teilen. Die Frage, ob unter dem Gesichtspunkt des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung dann Bedenken gegen eine Verwertbarkeit bestünden, wenn die Aufzeichnung das Fahrzeug, das Fahrverhalten oder gar die Person des Beklagten im Einzelnen erfasst hätte, bedarf vorliegend keiner Entscheidung.“

Ich vermute mal, dass es so ganz lange nicht mehr dauern wird, bis sich auch der BGH zu der Frage äußern wird/muss.

OLG Stuttgart: (Private) Dashcam-Aufzeichnungen sind auch im OWi-Verfahren verwertbar

wikimedia.org Urheber Ellin Beltz

wikimedia.org Urheber Ellin Beltz

Im Moment bringt das OLG Stuttgart Bewegung ins Bußgeldverfahren. Nach dem OLG Stuttgart, Beschl. v. 25.04.2016 – 4 Ss 212/16 zur „Handyaufweichung“ 🙂 ? (vgl. dazu Aufweichung beim Handyverbot, wirklich?, oder: Neue „Verteidigungsansätze“?) nun der OLG Stuttgart, Beschl. v. 04.05.2016 – 4 Ss 543/15. Der behandelt – soweit ich das sehe: erstmals – die Frage der Verwertbarkeit einer privaten Dashcam-Aufzeichung im Bußgeldverfahren, und zwar als Beweismittel bei der Verurteilung wegen eines Rotlichtverstoßes. Ein anderer Verkehrsteilnehmer hatte in seinem Pkw eine Dashcam laufen lassen – aus welchen Gründen auch immer. Die Aufnahme ist dann als Beweismittel gegen den Betroffenen verwendet worden.

Dre umfangreiche Beschluss des OLG enthält m.E. drei Kernaussagen:

  • Die Fertigung der Bildaufzeichnung stellte einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar.
  • Ob der Zeuge durch den Betrieb seiner On-Board-Kamera in der von ihm gewählten Betriebsform gegen das datenschutzrechtliche Verbot des § 6b BDSG, nach dem die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung) nur unter bestimmten Umständen zulässig ist, verstoßen hat oder ob sich die Zulässigkeit aus § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG ergab, laässt das OLG offen. Die Frage kann es nicht abschließen beurteilen, da das AG „hierzu nicht sämtliche prüfungsrelevanten Tatsachen mitteilt.“ Insbesondere fehlen dem OLGAngaben zu den „Zwecken, die der Zeugen H. mit seiner Videoaufzeichnung verfolgt hat. Es bleibt offen, ob er einen solchen Zweck vorher überhaupt festgelegt hat. Es ist denkbar, dass er die Kamera deshalb verwendet hat, um mögliche Beweismittel bei einem Verkehrsunfall vorlegen zu können und so auch zivilrechtliche Ansprüche zu sichern; möglicherweise war bestimmendes Motiv aber auch, bei einem anderen verkehrsrechtlichen Sachverhalt Verkehrsteilnehmer anzeigen zu können. Da der genaue Zweck offen bleibt, kann der Senat nicht abschließend entscheiden, ob er als berechtigtes Interesse i. S. v. § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG anzuerkennen wäre. Ebenso finden sich keine Feststellungen zur Betriebsform, in der die Kamera genutzt wurde (wurden bei eingeschalteter Zündung permanent Filmaufnahmen gemacht und auf einer SD-Karte gespeichert, bis deren Kapazität erschöpft ist? Wurden die Aufzeichnungen permanent gespeichert? Wer entscheidet bei der verwendeten Kamera, wann und wie welche Sequenzen der Videoaufzeichnung gesichert bzw. längerfristig gespeichert werden, um eventuell ein Überschreiben der Daten zu verhindern?). Auch diese Umstände könnten eventuell für die datenschutzrechtliche Beurteilung relevant sein.“
  • Aber: Selbst wenn eines Verstoß gegen § 6b BDSG vorliegen würde: Ein Beweisverwertungsverbot folgt daraus nicht. Und an der Stelle argumentiert das OLG mit der Rechtsprechung der Obergerichte, insbesondere des BVerfG zur Videomessung (BVerfG, Beschl. v. 20. 05. 2011 — 2 BvR 2072/10, vgl. dazu 3. Reparaturentscheidung (?) aus Karlsruhe – oder: 2 BvR 941/08 und (k)ein (?) Ende) und verneint mit der dortigen Argumentation ein Beweisverwertungsverbot:#
    • Bei der Abwägung ist zunächst zu sehen, dass es hier lediglich um die Ahndung einer Ordnungswidrigkeit und keiner Straftat geht. Die Videoaufzeichnung durch den Zeugen war geeignet, auch in das informationelle Selbstbestimmungsrecht einer unbestimmten, letztlich vom Zufall abhängigen Vielzahl weiterer Verkehrsteilnehmer einzugreifen. Sie wurde vom Betroffenen und allen anderen zufällig aufgezeichneten Verkehrsteilnehmern nach aller Lebenserfahrung nicht wahrgenommen, sondern geschah für sie verdeckt. Eine verdeckte Datenerhebung führt regelmäßig zur Erhöhung der Eingriffsintensität.
    • Andererseits sind die hohe Bedeutung der Verkehrsüberwachung für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und das Gewicht des Verstoßes im Einzelfall (Rotlichtverstoß sehr deutlich über einer Sekunde) zu berücksichtigen. Es handelt sich nicht nur um eine Ordnungswidrigkeit im Verwarnungs- bzw. Bagatellbereich, sondern um eine solche, die bereits der Verordnungsgeber der Bußgeldkatalog-Verordnung nicht nur mit deutlich erhöhter Geldbuße, sondern im Regelfall wegen des groben Fehlverhaltens auch mit einem Fahrverbot sanktioniert sehen möchte. …
    • Die Videoaufzeichnung wurde weder durch den Staat veranlasst, um grundrechtliche Sicherungen planmäßig außer Acht zu lassen, noch wurde ein Privater gezielt mit der Fertigung beauftragt, um Beweise zu erlangen, deren sich der Staat durch die Verkehrsüberwachungsbehörden selbst nicht hätte bedienen dürfen. Das wäre allenfalls dann der Fall, wenn Privatpersonen wiederholt bzw. dauerhaft aus eigener Machtvollkommenheit zielgerichtet mittels „dashcam“-Aufzeichnungen Daten, insbesondere Beweismittel, für staatliche Bußgeldverfahren erheben, sich so zu selbsternannten „Hilfssheriffs“ aufschwingen und die Datenschutz- und Bußgeldbehörden dies dulden bzw. sogar aktiv fördern. Derartiges ist hier allerdings nicht festgestellt. Sollten die Bußgeldbehörden bzw. deren Aufsichtsbehörden einen „Orwellschen Überwachungsstaat“ durch Private befürchten (vgl. hierzu bzw. ähnlichen Überlegungen: LG Memmingen, Urteil vom 14. Januar 2016, 22 0 1983/13, juris; LG Heilbronn, Urteil vom 3. Februar 2015 — 3 S 19/14, NJW-RR 2015, 1019 ff.; AG München, Beschluss vom 13. August 2014 — 345 C 5551/14, ZfSch 2014, 692 ff.; Beschluss der Aufsichtsbehörden für den Datenschutz im nicht-öffentlichen Bereich, Düsseldorfer Kreis am 25./26. Februar 2014), stünde es ihnen zudem frei, im Rahmen des das Ordnungswidrigkeitenverfahren beherrschenden Opportunitätsgrundsatzes (§ 47 OWiG) ausschließlich auf der Ermittlungstätigkeit von Privaten mittels „dashcam“ beruhende Verfahren nicht weiter zu verfolgen. Die Bußgeldbehörden werden ihrerseits bereits bei Einleitung von Verfahren die Verwertbarkeit derartiger Aufnahmen zu prüfen und dabei auch die erforderlichen Abwägungen im Hinblick auf Bedeutung und Gewicht der angezeigten Ordnungswidrigkeit vorzunehmen haben.“