Schlagwort-Archive: Verteidiger

Die unterlassene Benachrichtigung des Verteidigers – welche Folgen hat sie?

© angelo sarnacchiaro - Fotolia.com

© angelo sarnacchiaro – Fotolia.com

In Zusammenhang mit Wiedereinsetzungsfragen spielt häufig die Problematik eine Rolle, welche Folgen die – entgegen der Regelung in § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO/51 Abs. 3 Satz 3 OWiG – unterlassene Benachrichtigung des Verteidigers von einer an den Angeklagten/Betroffenen bewirkten Zustellung hat. Dazu gibt es eine weitgehend einhellige Rechtsprechung, aus der zuletzt auf den KG, Beschl. v. 09.01.2014 – 2 Ws 2/14 – hinzuweisen ist, nämlich – so aus den Leitsätzen:

Das Unterbleiben der Benachrichtigung nach § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO hat keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der an den Angeklagten/Betroffenen  bewirkten Zustellung und den Lauf der hierdurch in Gang gesetzten Beschwerdefrist.

Der Verstoß begründet jedoch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn die Fristversäumnis darauf beruht und nicht besondere Umstände vorliegen, die dem Angeklagten/Betroffenen Anlass geben mussten, für die Einhaltung der Frist auch selbst Sorge zu tragen.

Und: Erhält der Verteidiger eine Abschrift „zur Kenntnisnahme“ ohne weitere Hinweise, stellt das keine ordnungsgemäße Benachrichtigung i.S.d. §§ § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO ; 51 Abs. 3 Satz 3 OWiG dar, da diese Form der Mitteilung nicht dem Zweck dieser Vorschrift genügt (LG Aurich StRR 11, 348 für § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO).

Der Telefonkontakt zum Verteidiger – verwertbar oder nicht?

1896_telephoneDer Kollege Nozar hat mir vor einigen Tagen den OLG Saarbrücken, Beschl. v. 14.04.2014 – 1 Ws 53/14 – übersandt und dabei den Sachverhalt, der letztlich zum Beschluss geführt hat, kurz geschildert, und zwar wie folgt:

Der Kollege verteidigt einen Mandanten in einer Bedrohungssache. Das Verfahren ist gerichtlich anhängig. Der Mandant ruft ihn an und spricht mit ihm. Monate später ergeht gegen den Mandanten ein Haftbefehl wegen Verdacht der gefährlichen Körperverletzung, was nichts mit dem Mandat – Bedrohung zu tun hat. Der Kollege legt weitere (Haft)- Beschwerde ein und erhält nun den OLG, Beschluss, in dem er lesen muss:

Der Beschuldigte gehört dem sog. Rockermilieu an, in dem die besagte Tat sich ereignete. Die polizeiliche Analyse seines Mobiltelefons hat ergeben, dass er dieses entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten im Zeitraum vom ppppp. bis pppppp nicht nutzte und seine letzten telefonischen Kontakte zu seinem jetzigen Verteidiger und dem polizeilichen Erkenntnissen zufolge Präsident des pppppp bestanden, wobei festzuhalten ist, dass Hintergrund der Tat vom pppppp Differenzen zwischen dieser Rockervereinigung und dem pppp gewesen sein sollen (vgl. BI. 15 ff Register TKÜ). Dies lässt den Schluss zu, dass der Beschuldigte, dessen Telefonie auch ansonsten konspirativen Charakter hat, sich unmittelbar nach der Tat — evtl. auf anwaltlichen und „kollegialen“ Rat – in jeder Hinsicht ruhig verhalten wollte bzw. sollte, um seiner Ermittlung als möglicher Täter nicht Vorschub zu leisten.

Der Kollege ist über die Argumentation verwundert und fragt sich, ob es zulässig ist „diesen „Anrufkontakt“ mit dem Verteidiger überhaupt zu speichern bzw. zu verwerten ?“ Denn in dem Zeitpunkt bestand ja bereits ein Mandantsverhältnis aus der Bedrohungssache. Er hält dies für bedenklich, und zwar wegen des BGH, Beschl. v. 18.02.2014 – StB 8/13 (vgl. dazu Das abgehörte Anbahnungsgespräch – eine Entscheidung mit Folgen). Ich meine, er hat Recht. M.E. kann den „Telefonkontakt“ beim Rechtsanwalt/Verteidiger nicht als Indiz zu Lasten des Beschuldigten werten. Dem steht m.E. § 160a StPO entgegen.

Was mich wundert: Das OLG scheint die Problematik gar nicht gesehen zu haben. Jedenfalls findet man dazu nichts im Beschluss.

Ach so: Ich brauche keine Kommentare zur Frage, ob der Haftbefehl nicht auch ohne dieses „Indiz“ aufrechterhalten worden wäre. Darum geht es nicht.

Der BGH kann auch kurz: Aufhebung mit sieben Zeilen

© Dan Race - Fotolia.com

© Dan Race – Fotolia.com

Wenn man manche BGH-Beschlüsse (aber auch die von OLG :-)) sieht, meint man, die Revisionsgerichte können nur lang = nur in lang begründeten Beschlüssen aufheben. Das war m.E. früher anders, wenn man sich mal die Beschlüsse des RG in RGSt ansieht. Das liegt sicherlich daran, das alles komplizierter geworden ist und zu allen Fragen auch mehr publiziert wird, womit sich die Revisionsgerichte auseinandersetzen müssen. M.E. dürfte es aber auch daran liegen, dass zu RG-Zeiten die Urteile wahrscheinlich noch mit Hand vorgeschrieben wurden. da überlegt man sich dann sicherlich den ein oder anderen Satz und fragt sich, ob man nun jedes Unterproblem ansprechen muss.

Der BGH kann aber auch anders, wie der BGH, Beschl. v. 22.08.2013 – 1 StR 251/13 – zeigt. Da hat er in gerade mal sieben Zeilen aufgehoben:

„Der Senat folgt dem umfassenden Aufhebungsantrag des Generalbundesanwalts. Es liegt der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO vor, weil das Landgericht die Entscheidung über die Abtrennung und Unterbrechung des Verfahrens gegen diesen Angeklagten in der Hauptverhandlung vom 6. November 2012 getroffen hat. In dieser Hauptverhandlung wurde der Angeklagte nicht verteidigt, weil sein Verteidiger nicht erschienen war (BGH, Beschluss vom 13. April 2010 – 3 StR 24/10, StV 2011, 650).“

Der BGH kann also auch kurz, aber wahrscheinlich hatte hier der GBA viel – „umfassenden Aufhebungsantrag …“ – geschrieben. Ebenso kurz sind übrigens derzeit die Aufhebungsbeschlüsse wegen Verletzung der Belehrungspflicht aus § 257c Abs. 5 StPO (vgl. dazu u.a. hier: Der BGH kann ein Urteil mit 38 Worten aufheben…..).

 

Der nächste „Vollmachtstrick“ (?) – die selbst unterzeichnete Vertretungsvollmacht

© TAlex – Fotolia.com

Nach dem gestrigen Posting über die Blankovollmacht – Blankovollmacht – immer wieder schön, immer wieder erfolgreich – und den vom Kollegen Handschuhmacher erstrittenen AG Neuruppin, Beschl. v. 18.03.2013 – 84.1 OWi 3107 Js-OWi 31314/12 (239/12) – zu dem Posting natürlich ein zu erwartender Kommentar mit dem Hinweis auf das „Organ der Rechtspfleger“ – dann heute gleich noch eine Vollmachtsfrage. Nämlich den KG, Beschl. v. 12.06.2013 – 3 Ws (B) 202/13 – 122 Ss 62/13 /12, den ich mir nicht habe beim Kollegen Hoenig besorgen müssen, sondern den mir der Kollege Handschuhmacher direkt zugesandt hat.

Im Verfahren geht/ging es um die nachträgliche Entbindung des Betroffenen von seiner Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung des Bußgeldverfahrens. Diese hatte der Verteidiger erst in der Hauptverhandlung, als der Betroffene nicht erschienen war, beantragt. Er hatte dabei zwar die – erforderliche – Vertretungsvollmacht vorgelegt, diese war aber nicht vom Betroffenen, sondern vom Verteidiger selbst unterzeichnet. Geht, sagt das KG – ebenso übrigens vor kurzem das OLG Dresden (vgl. Vertretungsvollmacht – selbst unterzeichnet, das ist kein “Vollmachts-Trick”). Das KG begründet:

Der Verteidiger war auch entsprechend § 73 Abs. 3 OWiG legitimiert und hat seine Vertretungsbefugnis durch Vorlage einer schriftlichen Vollmacht nachgewiesen.-Dass der Betroffene diese Vollmacht nicht selbst unterzeichnet hat, ist unschädlich. Insoweit ist zwischen der Erteilung der Vollmacht und dem Nachweis durch Vorlage einer entsprechenden Urkunde zu unterscheiden. Die Erteilung der umfassenden Vertretungsvollmacht bedarf keiner besonderen Form und kann auch mündlich erteilt werden. In ihr kann zugleich die Ermächtigung enthalten sein, eine etwa erforderliche Vollmachtsurkunde im Namen des Vollmachtgebers zu unterzeichnen [vgl. BayObLG NStZ 2002, 277; OLG Dresden StRR 2013, 261). So liegt der Fall hier. Der Betroffene hatte, so die Begründung der Rechtsbeschwerde, seinen Verteidiger umfassend bevollmächtigt. Diese Erklärung schließt die Ermächtigung des Verteidigers ein, die Vollmachtsurkunde im Namen des Betroffenen zu unterschreiben. Dass der Verteidiger dies gleichwohl in seinem eigenen Namen tat, steht dem nicht entgegen, denn der Wortlaut der Vollmachtsurkunde, wie ihn die in der Rechtsbeschwerde zitierten Urteilsgründe wiedergeben, ist insoweit eindeutig. Damit war der Verteidiger des Betroffenen berechtigt, für den Betroffenen Erklärungen zu Sache abzugeben und einen Antrag auf Entbindung von der Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung zu stellen.“

Ich bin gespannt: Kommentar mit „Organ der Rechtspflege“? Passt hier dann wohl kaum.

Lesetipp – aus gegebenem Anlass: Die Durchsuchung des Verteidigers gem. § 176 GVG

Ich habe gerade auf meiner Homepage das Inhaltsverzeichnis von StRR-Heft 7/2013 eingestellt. Dabei ist mir ein-/aufgefallen, dass ich ja noch gar nicht auf den als Thema des Monats bei Jurion-Strafrecht eingestellten Beitrag des Kollegen RiAG Th. Hillenbrand vom AG Backnang aus dem Juli-Heft des StRR hingewiesen habe. Der Kollege hat sich (noch einmal) – initiiert durch die Diskussionen im und zum NSU-Verfahren mit der „Durchsuchung des Verteidigers gem. § 176 GVG“ befasst. Also sicherlich ein aktueller Lesetipp, auch wenn im NSU-Verfahren die Fragen derzeit wohl keine Rolle mehr spielen; aber schneller ging es mit der Veröffentlichung leider nicht.