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Sanktionsschere: Wann öffnet sie sich?

Ich hatte ja heute morgen bereits überden BGH, Beschl. v. 20.10.2010 – 1 StR 400/10 berichtet und die Auffassung des BGH zur Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO dargestellt. Die Entscheidung des BGH ist noch aus einem weiteren Punkt von Interesse.

Der 1. Strafsenat hat nämlich noch einmal zur sog. Sanktionsschere Stellung genommen. Nicht dazu, was das ist. Das dürfte seit der Entscheidung des BGH in BGHSt 50, 40 allgemein bekannt sein. Nein, sondern zu der Frage, ob man mathematisch berechnen kann, ob sich die Sanktionsschere geöffnet hat. Das wird – war auch nicht anders zu erwarten – vom 1. Strafsenat verneint. Er führt aus, dass eine ohne Absprache in Aussicht gestellte Sanktion zwar nicht das vertretbare Maß überschreiten dürfe, so dass der Angeklagte inakzeptablem Druck ausgesetzt wird. Entsprechend dürfe das Ergebnis des Strafnachlasses im Hinblick auf ein Geständnis nicht unterhalb der Grenze dessen liegen, was noch als schuldangemessene Sanktion hingenommen werden kann. Dabei legt der BGH großen Wert auf den Zeitpunkt der Verständigungsgespräche, und zwar hinsichtlich beider Alternativen (mit und ohne Geständnis).

Einer mathematischen Berechnung erteilt er eine Absage, und zwar sowohl hinsichtlich des Rabatts als auch hinsichtlich des Aufschlags. Beides wird von Meyer-Goßner anders gesehen, der nur einen Rabatt von bis zu 20-30 % als zulässsig ansieht und davon ausgeht, dass eine Strafe ohne Geständnis in der Regel maximal ein zusätzliches Drittel über der im Rahmen der Verständigungsgespräche genannten Strafobergrenze liegen dürfe. Mit der Entscheidung wird die „Berechenbarkeit“ einer Kammer/einer Entscheidung noch schwieriger.

Verständigung: Kein neuer „Quasi-absoluter-Revisionsgrund“

Die neue Verständigungsregelung in § 257c StPO und die sie flankierenden Vorschriften beschäftigen den BGH; das merkt man an der doch recht großen Zahl von veröffentlichten Entscheidungen. Der BGH, Beschl. v. 20.10.2010 – 1 StR 400/10 liegt zeitlich schon etwas zurück, ist aber doch einen Bericht wert. Und zwar in zweierlei Hinsicht. Hier will ich zunächst den verfahrensrechlichen Aspekt aufgreifen, die andere Frage werde ich in einem gesonderten Beitrag behandeln.

Folgender Sachverhalt: Das LG hat den Angeklagten wegen Betruges (Verkauf von nicht zum Verzehr bestimmten Fleisch) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Mit seiner Revision hat der Angeklagte u.a. einen Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO geltend gemacht. Dazu hatte er sich auf folgende Verfahrensvorgänge bezogen: Die Vorsitzende der Strafkammer hatte nach Anklageerhebung mit Anklageschrift vom 30. 8. 2007 im Mai 2009 während eines Telefongesprächs und erneut im Oktober oder Anfang November 2009, als der Verteidiger beim Gericht Akteneinsicht nahm, diesem gegenüber für den Fall eines Geständnisses des Angeklagten eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird, als Strafobergrenze angeboten, wozu der sachbearbeitende Staatsanwalt der Vorsitzenden zuvor seine Zustimmung signalisiert hatte. Der Angeklagte, der von seinem Verteidiger über die Anfragen der Strafkammervorsitzenden unterrichtet wurde, lehnte die Ablegung eines Geständnisses ab. Eine zu erwartende Strafhöhe für den Fall einer Verhandlung ohne Geständnis nannte die Strafkammervorsitzende nicht. Das Angebot einer Verständigung seitens der Strafkammervorsitzenden wurde in der Hauptverhandlung nicht erwähnt. Im Protokoll ist lediglich am Ende – zutreffend – vermerkt, dass eine Verständigung nicht stattfand. Die Revision hatte keinen Erfolg.

Der BGH hat zur Rüge der Verletzung des § 243 Abs. 4 Satz 1 SPO ausgeführt: Ein Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO führt nicht zu der unwiderlegbaren Vermutung dahin, dass bei einer Verletzung der Norm eine Beeinflussung des Urteilsspruchs dadurch nie ausgeschlossen werden kann. D.h. also: Es kommt auf das Beruhen an (§ 337 StPO). Und das hat der BGH verneint, weil er asgeschlossen hat, dass sich der Angeklagte im Fall der Mitteilung der Bemühungen der Vorsitzenden vielleicht doch noch eines anderen besonnen und ein Geständnis abgelegt htte. Der immer anwaltlich beratene Angeklagte habe geständige Einlassungen mit Bestimmtheit abgelehnt. Die grundsätzliche Möglichkeit einer einvernehmlichen Verfahrensbeendigung sei ihm bekannt gewesen. Die Strafkammer habe hierzu – offensichtlich zu Recht – keine Möglichkeit mehr gesehen, sonst hätte sie in der Hauptverhandlung den in § 257c Abs. 3 StPO gewiesenen Weg beschritten.

Der Angeklagte hatte außerdem in seiner Revision darauf hingewiesen, dass die Nennung einer Strafobergrenze bzw. eines Strafrahmens (§ 257c Abs. 3 Satz 2 StPO) im Falle der Ablegung eines Geständnisses, auch wenn die Verständigung scheitere, am Ende eines dann streitig durchgeführten Verfahrens im Falle einer Verurteilung zwingend Einfluss auf die Bestimmung der Strafhöhe habe. Diese Orientierungsfunktion der Nennung einer Strafobergrenze sei nicht zum Tragen gekommen, da die übrigen Mitglieder der erkennen-den Strafkammer über die Anfrage der Vorsitzenden nicht informiert gewesen seien. Abgesehen davon, dass nach Auffassung des BGH die behauptete fehlende Unterrichtung der übrigen Angehörigen des Gerichts seitens der Vorsitzenden über ihren Vorstoß unter Nennung einer Strafobergrenze schon nicht erwiesen war, kommt nach Auffassung des BGH einem für den Fall eines Geständnisses vor oder zu Beginn einer Hauptverhandlung in den Raum gestellten Strafrahmen für die Strafzumessung nach langer streitiger Hauptverhandlung i.d.R. keine Bedeutung mehr zu. Dies gelte ebenso für eine in diesem Zusammenhang genannte zu erwartende Strafe für den Fall einer Verurteilung ohne ein Geständnis. Zwingend seien Äußerungen des Gerichts zu Letzterem allerdings nicht und sie seien meist auch nicht zweckmäßig.

Dauerbrenner: Verständigung (§ 257c StPO) – heute: Beweisverwertungsverbot in der Berufungsinstanz

Das OLG Düsseldorf hat in seinem Beschl. v. 06.10.2010 – III 4 RVs 60/10 einige Fragen zur Verständigungspraxis behandelt. die so noch nicht Gegenstand der obergerichtlichen Rechtsprechung gewesen sind. In der Sache hatte das AG den Angeklagten auf der Grundlage einer – von ihm behaupteten  Verständigung zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt. Dagegen hatte die StA Berufung zu Lasten des Angeklagten eingelegt und in der Berufungsinstanz dann eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 2 Monaten erreicht. Dagegen die Revision des Angeklagten, der die unzulässige Ablehnung eines Beweisantrages rügt. Die Revision hat Erfolg, weil der Ablehnungsbeschluss des Landgerichts nicht (ausreichend) begründet war. In Zusammenhang mit der Beruhensfrage macht das OLG dann interessante Ausführungen zur Verständigung pp. Und zwar:

  1. Eine Verständigung hindert die Staatsanwaltschaft nicht, auch zu Lasten des Angeklagten Berufung einzulegen.
  2. Das aufgrund einer Verständigung beim AG erklärte Geständnis unterliegt einem Beweisverwertungsverbot durch das Berufungsgericht.

Interessant ist vor allem der zweite Teil der Entscheidung: Denn ist die Berufung (zu Lasten) des Angeklagten zulässig ist es nur konsequent, wenn das OLG dann aber das vom Angeklagten beim AG abgelegte Geständnis mit einem Beweisverwertungsverbot belegt, das sich zwar nicht aus § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO ergibt, aber aus den Grundsätzen des Fair-Trial. Denn wenn sich die Staatsanwaltschaft nicht an eine (vom Angeklagten behauptete) Verständigung hält, dann kann der Angeklagte nicht an seinen geständigen Angaben, die er im Vertrauen auf das Geständnis gemacht hat, gehalten werden. Das endgültige Schicksal des Geständnisses und seiner Verwertbarkeit hängt dann – so offensichtlich das OLG – ab vom Ergebnis der Beweisaufnahme über das Zustandekommen der Verständigung. In dem Zusammenhang spielt übrigens die (neue) Rechtsprechung des BGH zur Bindungswirkung bei der Verständigung keine Rolle (vgl. dazu BGH StRR 2010, 382 = StV 2010, 673; StRR 2010, 466). Denn hier ging es nicht um die Frage: Formelle oder nur informelle Verständigung, sondern darum, dass der Angeklagte eine formelle Verständigung behauptet hat, deren Zustandekommen sich nur nicht aus dem Protokoll der Hauptverhandlung ergeben hat, weil diesem insoweit keine Beweiskraft zukam.

Die gebotene Zurückhaltung ist zu wahren, wenn…

…Gespräche über eine Verfahrensbeendigung außerhalb der Hauptverhandlung geführt werden, vor allem, wenn daran nicht alle Verfahrensbeteiligten beteiligt sind. Der BGH hat auf diese Selbstverständlichkeit in seinem Beschl. v. 05.10.2010 – 3 StR 287/10 nachdrücklich in einer „Segelanweisung“ hingewiesen. Dazu heißt es dort:

„Zwar ist es einem Richter auch nach den Vorschriften des am 4. August 2009 in Kraft getretenen Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 (BGBI I S. 2353) grundsätzlich nicht verwehrt, zur Förderung des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten auch außerhalb der Hauptverhandlung Kontakt aufzunehmen. Dabei hat er jedoch die gebotene Zurückhaltung zu wahren, um jeden Anschein der Parteilichkeit zu vermeiden. Dies gilt mit Blick auf einen möglichen Interessenwiderstreit in besonderem Maße, wenn Gespräche über eine verfahrensbeendende Absprache mit einem Angeklagten unter Ausschluss eines vom selben Tatkomplex betroffenen, von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machenden oder die Tatvorwürfe bestreitenden Mitangeklagten geführt werden. In solchen Fallkonstellationen liegt es nahe, dass bei dem an dem Gespräch nicht beteiligten Mitangeklagten berechtigte Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Richter aufkommen können, da aus seiner Sicht zu befürchten steht, dass auch auf Betreiben des Gerichts seine Tatbeteiligung hinter verschlossenen Türen und ohne seine Kenntnis mitverhandelt wird. Dieser verständlichen Besorgnis kann zuverlässig nur dadurch begegnet werden, dass Gespräche, die die Möglichkeit einer Verständigung zum Inhalt haben, auch außerhalb der Hauptverhandlung nur in Anwesenheit aller Verfahrensbeteiligten oder offen in der Hauptverhandlung geführt werden. Gleichwohl sieht das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren keine Vorschrift vor, die Gespräche mit einzelnen Verfahrensbeteilig-ten außerhalb der Hauptverhandlung untersagt. Haben solche Erörterungen jedoch stattgefunden, muss der Vorsitzende auch bei einem ergebnislosen Ver-lauf und unabhängig davon, ob neue Aspekte im Sinne des § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO zur Sprache gekommen sind, hierüber in der Hauptverhandlung umfas-send und unverzüglich unter Darlegung der Standpunkte aller beim Gespräch anwesenden Verfahrensbeteiligten informieren, da nur auf diese Weise von vorneherein jedem Anschein der Heimlichkeit und der hieraus entstehenden Besorgnis der Befangenheit vorgebeugt und dem Recht auf ein faires, rechts-staatliches Verfahren Rechnung getragen werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 1990 – 3 StR 121/89, BGHSt 37, 99, 104; Schlothauer in N/Sch/W, VerstG, 2010, § 243 Abs. 4 Rn. 12 f.).“

Aus der Passage lässt sich auch erahnen, wann der BGH von Besorgnis der Befangenheit ausgehen will/wird.

Verstoß gegen Belehrungspflicht – kein Beweisverwertungsverbot – mal wieder Verständigung

Der Beschl. des BGH v. 19.08.2010 – 2 StR 226/10 – setzt sich mit der in § 257c Abs. 5 StPO normierten Belehrungspflicht auseinander. Diese dient nach Auffassung des BGH dem Schutz des Angeklagten, dem vor Augen gehalten werden soll, dass und unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Folgen das Gericht von der Strafrahmenzusage abweichen kann. Diese Belehrung muss – so der BGH – zusammen mit der Bekanntgabe des gerichtlichen Verständigungsvorschlags (§ 257c Abs. 3 Satz 1 StPO) erteilt werden. Ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht führt aber nicht zu einem Beweisverwertungsverbot hinsichtlich eines nach dem Zustandekommen einer Verständigung abgelegten Geständnisses; insoweit verweist der BGH auf die ausdrückliche Regelung in § 257c Abs. 4 Satz 3 i.V.m. Satz 1 und StPO. Ein Beweisverwertungsverbot knüpfe die StPO allein an das Scheitern der Verständigung Dementsprechend bleibe das Gericht trotz des Verstoßes gegen § 257c Abs. 5 StPO an die Verständigung gebunden.

Der BGH hat zudem im Zusammenhang mit der von ihm verneinten Beruhen (§ 337 StPO) zum erforderlichen Inhalt der Belehrung Stellung genommen. Interessante und lesenswerte Entscheidung, auch wenn die Revision keinen Erfol ghatte.