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beA I: Der Verteidiger hat keine Ahnung vom beA, oder: Kein Verschulden des Angeklagten

Smiley

Ich starte in die neue Woche dann mit zwei „beA-Entscheidungen“. Man merkt, die Rechtsprechung hat mit den Neuregelungen zu tun.

Hier stelle ich zunächst den BGH, Beschl. v. 02.11.2022 – 6 StR 413/22 – vor. Es geht um einen Wiedereinsetzungsantrag. Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen versuchten Mordes  verurteilt. Gegen das Urteil vom 17.05.2022 hat der Angeklagte mit einem am 20.05.2022 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz seiner Verteidiger, der Rechtsanwälte K. und F.  Revision eingelegt. Mit einem am 23.06.2022 über das beA übermittelten Dokument hat Rechtsanwalt K.  erneut – nunmehr formgerecht – Revision eingelegt. Mit einem weiteren Schriftsatz vom selben Tage hat er beantragt, dem Angeklagten Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision zu gewähren. Zur Begründung hat er anwaltlich versichert, dass er am 22.06.2022 im Anschluss an die Urteilsverkündung in einer anderen Strafsache beim LG Neubrandenburg beiläufig einen kollegialen Hinweis auf § 32d StPO und das zum 01.01.2022 geänderte Formerfordernis für Revisionen und ihre Begründung erhalten habe. Dadurch sei ihm sofort klargeworden, dass die Revision mit dem Schriftsatz vom 19.05.2022 nicht formgerecht eingelegt worden sei; beide Verteidiger hätten sich seinerzeit nicht bewusst gemacht, dass das Formerfordernis zum 01.01.2022 geändert worden sei; daraufhin habe er sofort seinen Kollegen F.informiert. Der Antrag hatte beim BGh Erfolg:

„Der Wiedereinsetzungsantrag hat Erfolg. Der Generalbundesanwalt hat dazu in seiner Antragsschrift vom 7. Oktober 2022 ausgeführt:

„Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zulässig. Nach § 45 Abs. 2 StPO bedarf es der Darlegung und Glaubhaftmachung der Tatsachen, die ein Verschulden des Verurteilten an der Versäumung der Frist ausschließen. Die Begründung des Antrags erfordert daher grundsätzlich eine genaue Darlegung und Glaubhaftmachung aller zwischen dem Beginn und Ende der versäumten Frist liegenden Umstände, die für die Frage bedeutsam sind, wie und gegebenenfalls durch wessen Verschulden es zur Säumnis gekommen ist (vgl. KK-StPO/Maul, 8. Aufl. 2019, § 45 Rn. 6 m. w. N.). Der Verteidiger hat zwar nur für seine eigene Person eine Verhinderung zur form- und mithin fristgerechten Einlegung des Rechtsmittels dargetan. Auf den Kenntnisstand des Angeklagten kam es vorliegend ausnahmsweise nicht an, weil das Fristversäumnis allein auf der rechtlichen Unwissenheit und damit auf einem Verschulden der Verteidiger beruhte. Dieses ist dem Angeklagten nicht zuzurechnen (vgl. BeckOK StPO/Cirener, 43. Ed., Stand 1. April 2022, § 44 Rn. 29).

(…)

Für die Wiedereinsetzung in die Revisionseinlegungsfrist hat der Verteidiger binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses, nämlich der Unkenntnis von der Geltung des § 32d StPO auch für die Revisionseinlegung, beseitigt durch einen kollegialen Hinweis am 22. Juni 2022 im Rahmen eines anderen Strafverfahrens, die versäumte Handlung nachgeholt.“

Dem schließt sich der Senat an.“

Mann, Mann: Im Juni 2022 noch keine Ahnung von den geänderten Formvorschriften. Ich fasses es nicht. Im Übrigen aber ohne weitere Worte, nicht wegen des Beschlusses, sondern wegen des Kenntnisstandes des Verteidigers.

Die Dummheit des Verteidigers steht der Wiedereinsetzung nicht entgegen…

© J.J.Brown - Fotolia.com

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Mit „Die Dummheit des Verteidigers steht der Wiedereinsetzung nicht entgegen.“ hätte man den OLG Naumburg, Beschl. v. 16.10.2013 – 2 Ws 66/13, in dem das OLG recht deutliche Worte zur „Leistung“  eines Pflichtverteidigers gefunden hat, auch überschreiben können. Der Rechtsanwalt war einem unter Betreuung stehendem Angeklagten nach § 140 Abs. 2 StPO beigeordnet worden.

Welche „Leistung“? Nun, dem Verteidiger ist es gelungen, im Berufungsverfahren, die „Karre so richtig gegen die Wand zu fahren“, und zwar: Das AG  Magdeburg hatte den Angeklagten mit Urteil vom 17.06.2013 wegen Diebstahls verurteilt.

 1. Streich des Verteidigers: Gegen dieses Urteil legt der Verteidiger dann allerdings erst mit Schriftsatz vom 25.06.2013 Berufung ein und beantragt – immerhin !! – gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung.

2. Streich des Verteidigers: Der Antrag auf Wiedereinsetzung wird aber nicht näher begründet. 🙁

Das LG verwirft dann den Antrag auf Wiedereinsetzung als unzulässig. Zur Begründung führt es aus, dass der Antrag unzulässig sei, da entgegen § 45 Abs. 2 StPO Tatsachen zu seiner Begründung nicht vorgetragen und glaubhaft gemacht worden seien. Gegen diesen Beschluss dann die frist- und formgerechte – man staune – sofortige Beschwerde des Verteidigers für den Angeklagten, mit der er erneut vorsorglich Wiedereinsetzung beantragt.

Das OLG gewährt zweifach Wiedereinsetzung von Amts wegen (!!):

Zwar treffen die Ausführungen des Landgerichts in dessen Beschluss vom 22. August 2013 – wie auch die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 30. September 2013 zu Recht ausgeführt hat – vollinhaltlich zu. Gleichwohl ist der Beschluss aufzuheben, da dem Angeklagten hinsichtlich der Frist zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages Wiedereinsetzung von Amts wegen zu gewähren ist.

Nach den Ausführungen des Verteidigers hatte der Angeklagten ihn rechtzeitig beauftragt, gegen das Urteil des Amtsgerichts Magdeburg vom 17. Juni 2013 Berufung einzulegen. Dass dieses nicht rechtzeitig geschah, beruhte auf dem Verschulden des Verteidigers beziehungsweise dessen Büroangestellten. Der insoweit gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung ist rechtzeitig, wenn auch ohne entsprechende Begründung gestellt worden.

Dass dieser Antrag ohne Begründung gestellt worden ist, beruht ebenfalls auf einem Verschulden des Verteidigers, der offensichtlich nicht willens oder in der Lage war, einen nach § 45 Abs. 2 StPO zulässigen Wiedereinsetzungsantrag zu stellen.

Dieses kann aber nicht zu Lasten des Angeklagten gehen, der selbst unter Betreuung steht und für die Wahrnehmung von Behördenangelegenheiten eine Betreuerin beigeordnet bekommen hat. Insoweit ist es ihm unmöglich, die unzureichenden Anträge seines Verteidigers zu korrigieren oder dessen Prozessführung zu überwachen. Er war deshalb ohne Verschulden gehindert, die Frist zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuches einzuhalten, was die Wiedereinsetzung von Amts wegen rechtfertigt. Dieses führt letztendlich auch zur Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrages vom 25. Juni 2013 und hiermit auch zur Begründetheit der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts vom 22. August 2013. In Abänderung dieses Beschlusses war dem Angeklagten insoweit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung zu gewähren.

Und: Für das weitere Verfahren weist das OLG auf folgendes hin:

„Die zweifache Wiedereinsetzung, die durch Versäumnisse aus der Sphäre des Verteidigers erforderlich wurde, gibt Anlass zur Überprüfung, ob dieser noch geeignet ist, die Rechte des Angeklagten im Strafverfahren als Pflichtverteidiger ausreichend wahrzunehmen.“

Liest man selten so deutlich.

Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung, oder: Die chaotische Fristenkontrolle…

Eine ordnungsgemäße Fristenkontrolle ist auch in Strafsachen, in denen im Rahmen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ein Verteidigerverschulden dem Mandanten ja i.d.R. zwar nicht zugerechnet wird, dennoch eine der ersten Pflichten. Ob das alle mit Strafsachen befassten Rechtsanwälte so sehen, kann man bezweifeln, wenn man den Beschl. des OLG Köln v. 08.04.2010 – 2 Ws 197/10 liest. Dort ging es um eine versäumte Berufungsfrist. Das OLG hat Wiedereinsetzung gewährt. Allerdings:

Die Darstellung des Verteidigers, er sei von dem Angeklagten unmittelbar nach der Urteilsverkündung mit der Einlegung der Berufung beauftragt worden, er habe die Erledigung dieses Auftrags aber versäumt, erscheint in der Gesamtschau nunmehr ausreichend glaubhaft. Die Kalendereinträge vom 02.12. und 04.12.2009 bieten zwar das Bild einer völlig unzulänglichen, vom Verteidiger selbst treffend als „chaotisch“ bezeichneten Fristenkontrolle, die mit der Erkrankung der damit betrauten Anwaltsangestellten kaum gerechtfertigt werden kann, zumal der Kalender – soweit zu entziffern – auch offenbar private Eintragungen („Impfung“, „Weihnachtsmarkt“, „Toto“ u.a.m.) enthält und berufliche und private Angelegenheiten nicht in der gebotenen Weise voneinander trennt.

Eine anwaltliche Fehlleistung liegt des weiteren darin, dass der Verteidiger seine Pflichtverteidigergebühren mit Schriftsatz vom 30.11.2009 geltend gemacht hat, ohne sich – wie das angesichts des Ausfalls seiner Angestellten geboten gewesen wäre – persönlich zu vergewissern, ob Berufung eingelegt war, was mit nur geringer Mühewaltung feststellbar und ggfs nachholbar gewesen wäre.

Befremdlich erscheint auch, dass der Verteidiger nach den vom Senat nicht in Zweifel gezogenen Ausführungen des Landgerichts einen mit eigenem Anwaltsverschulden begründeten Wiedereinsetzungsantrag sinngemäß als „tolle Masche“ bezeichnet hat, „gegen die ein Rechtsmittelgericht nicht ankomme“. Eine derartige Haltung ist mit den beruflichen Pflichten eines Rechtsanwalts, der nach § 1 BRAO die Stellung eines Organs in der Rechtspflege hat, unvereinbar…“

Aber, die Rettung kommt:

„Anlaß zu der Annahme, die Eintragungen betr. den Angeklagten B. entsprächen nicht den tatsächlichen Vorgängen und seien etwa nachträglich hinzugefügt worden, bietet all das gleichwohl nicht.

Denn nach der mit der Beschwerde vorgelegten Erklärung der Rechtsanwältin W., die die Richtigkeit der darin enthaltenen Angaben anwaltlich versichert hat, hat der Angeklagte vor Ablauf der Rechtsmittelfrist in der Kanzlei des Verteidigers angerufen, um mit Rechtsanwalt H. „wegen seines Verfahrens und der Einlegung des Rechtsmittels zu sprechen“, aber nur Rechtsanwältin W. erreicht. Wenngleich nicht ohne weiteres nachvollziehbar ist, dass der alltägliche Vorgangs eines mehr als drei Monate zurückliegenden Anrufs eines Mandanten in einer Anwaltskanzlei dem Gesprächspartner in Erinnerung geblieben ist, kann der Erklärung von Rechtsanwältin gefolgt werden. Denn sie hat ihre Erinnerung damit motivieren können, dass ihr der Angeklagte aus anderer Sache persönlich bekannt gewesen sei und sie deswegen Anlaß gehabt habe, aufgrund des Anrufs die Fristen im Kalender anzusehen, worauf auch ihre Erinnerung beruhe, dass der Anruf noch innerhalb der Rechtsmittelfrist erfolgt sei.“

Fazit: Gerade noch mal das Ziel erreicht. Und: Auf Besserung ist zu hoffen.

LG Berlin: Sind die Kassen so leer?

Die öffentlichen Kassen müssen ja doch recht leer sein. Jedenfalls hat man den Eindruck, wenn man die der Entscheidung des LG Berlin vom 27.10.2009 – 510 Qs 153/09 zugrundeliegende amtsgerichtliche Entscheidung liest. Da erscheint der Verteidiger zum Hauptverhandlungstermin, führt mit den Verfahrensbeteiligten ein Rechtsgespräch, benennt eine Zeugin, was dazu führt, dass es nicht mehr zum Aufruf kommt, und dann sagt der Rechtspfleger: Zwar geplatzter Termin, aber Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG greift nicht ein, da du das Nichstattfinden des Termins zu vertreten hast. Zum Glück hat das LG das anders gesehen und auf § 246 Abs. 1 StPO hingewiesen und darauf, dass im Verfahren bis dahin auch die Einlassung des Angeklagten nicht überprüft worden war.