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„Vermutung“ reicht für eine Vergewaltigung nicht

© Dan Race Fotolia .com

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Etwas konkreter/sicherer hätte der BGH es bei der Verurteilung wegen einer (versuchten) Vergewaltigung schon. Das ist jedenfalls für mich das Fazit aus dem BGH, Beschl. v. 15.09.2015 – 2 StR 130/15 -, mit dem der BGH ein Urteil des LG Gießen aufgehoben hat, das einen 16-jähriger Asylbewerber aus Eritrea wegen versuchter Vergewaltigung verurteilt hatte. Der BGH beanstandet die Beweiswürdigung des LG und sieht keine „Tatsachengrundlage“ als Urteilsgrundlage, sondern bloß eine „Vermutung“:

„Die Beweiswürdigung des Landgerichts, auf der die Verurteilung wegen versuchter Vergewaltigung gestützt ist, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Strafkammer hat angenommen, es bestehe für sie auch nicht der geringste Zweifel daran, dass der Angeklagte – ein zur Tatzeit nicht vorbestrafter, sich drei Wochen in Deutschland aufhaltender 16-jähriger Asylbewerber aus Eritrea – von Beginn an, spätestens im Moment des ersten Kusses – es darauf angelegt habe, die aus seiner Sicht angetrunkene und daher leichter als andere zu überwältigende Zeugin nicht nur zu küssen, sondern (im Fall von Widerstand gewaltsam) unter Überwindung von Widerstand zu den Lahnwiesen herunter zu ziehen, sie dort zumindest teilweise zu entkleiden und mit seinem Penis vaginal, anal oder oral in die Zeugin einzudringen, um sich sexuell an ihr zu befriedigen. Dies erweist sich als bloße Vermutung, für die sich in den Urteilsgründen keine hinreichende Tatsachengrundlage findet. Dass der Angeklagte der Zeugin mehrfach Küsse abgepresst hatte, ihr nachrannte, nachdem sie ihm entkommen war, sie daraufhin zu Boden brachte und dort fixierte, um sie schließlich zu den Lahnwiesen ziehen zu wollen, ist auch unter Berücksichtigung ihrer spontanen Äußerung nach der Tat, der Angeklagte habe sie „vergewaltigen“ wollen, (noch) kein hinreichender Beleg für den dem Angeklagten unterstellten Tatplan. Dies gilt um so mehr, als das Tatopfer weder sexualbezogene Äußerungen des Angeklagten während der Tat noch auch nur einen (über die Küsse hinausgehenden) Versuch, sie sexuell zu berühren, zu berichten wusste. Auch angesichts dessen, dass die Strafkammer keine weiteren Einzelheiten aus den angeblich „detailreichen“ Angaben der Zeugin mitgeteilt, sich vielmehr auf eine knappe, schlagwortartige Würdigung ihrer Aussage beschränkt hat, fehlt dem Revisionsgericht eine tragfähige Grundlage für die dem Angeklagten zugeschriebene Absicht, sich der Zeugin unter Einsatz von Gewalt sexuell zu nähern, um mit seinem Penis vaginal, anal oder oral bei ihr einzudringen.“

Bisschen mehr muss es dann schon sein, wenn wegen (versuchter) Vergewaltigung verurteilt wird.

BGH ändert Rechtsprechung zum vereinbarten Verteidigerhonorar

In BGHZ 162, 98 hatte der BGH zu einem vereinbarten Verteidigerhonorar ausgeführt, dass die aus dem Überschreiten des fünffachen Satzes der gesetzlichen Gebühren herzuleitende Vermutung der Unangemessenheit des  vereinbarten Verteidigerhonorars im Einzelfall nur entkräftet werden kann in Fällen ganz ungewöhnlicher, geradezu extremer einzelfallbezogener Umstände . Diese Rechtsprechung hat der BGH jetzt wohl im Hinblick auf die Rechtsprechung des BVerfG „modifiziert“. Es genüge vielmehr, wenn der Anwalt den Nachweis führe, dass die vereinbarte Vergütung im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller Umstände gleichwohl angemessen ist. Zu berücksichtigen seien dabei sowohl die Schwierigkeit und der Umfang als auch die Bedeutung und das Ziel der Sache sowie die Frage, inwieweit dieses Ziel für den Auftraggeber als Erfolg der Tätigkeit des Rechtsanwalts anzusehen ist. Der Sachverhalt der Entscheidung ist schon – auch wegen der Höhe der vereinbarten Gebühren – lesenswert. BGH, Urt. v. 04.02.2010, IX ZR 18/09.