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StPO II: Verlesung der dienstlichen Äußerung der Ermittlungsrichterin, oder: Freibeweis

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich aus dem StPO-Bereich heute vorstelle, handelt es sich um den (etwas aktuelleren) BGH, Beschl. v. 27.09.2018 – 4 StR 153/18. Gerügt worden war mit der Revision in einem Verfahren wegen Verstößen gegen das BtMG ein Verstoß gegen § 250 StPO durch Verlesung einer dienstlichen Äußerung der Ermittlungsrichterin, die den Angeklagten offenbar im Ermtillungsverfahren vernommen hatte. Die Rüge hat nicht durchgegriffen:

„Die Rüge eines Verstoßes gegen § 250 StPO durch Verlesung der dienstlichen Äußerung der Ermittlungsrichterin ist unbegründet. Zwar reicht ein fehlender Widerspruch gegen die Anordnung einer Verlesung im Regelfall nicht zur Annahme eines Einverständnisses nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juli 1983 – 1 StR 174/83, NJW 1984, 65, 66). Die dienstliche Erklärung durfte aber im Freibeweisverfahren verlesen werden. Tatsachen, die dem Freibeweis unterliegen, können durch dienstliche Erklärung eines Richters in zulässiger Weise zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht werden. Dies ist beispielsweise möglich, wenn im Blick auf Verfahrenshindernisse oder Verwertungsverbote allein die äußeren Umstände des Zustandekommens einer Zeugenaussage von Bedeutung sind, ohne dass diese Umstände Auswirkungen auf die Beurteilung des Inhalts der Aussage haben (BGH, Urteil vom 9. Dezember 1999 – 5 StR 312/99, BGHSt 45, 354, 356 f.). So liegt der Fall hier. Die Verlesung diente ersichtlich der Aufklärung der Frage, ob die staatsanwaltschaftliche Vernehmung des Angeklagten vom 9. Februar 2017 im Wege des Vorhalts Bestandteil der ermittlungsrichterlichen Vernehmung geworden ist.

Im Übrigen wäre auch ein Beruhen des Urteils auf einem etwaigen Verfahrensfehler auszuschließen. Die Strafkammer hat die Einlassung des Angeklagten bei der staatsanwaltschaftlichen Vernehmung als widerlegt angesehen (UA 39 f.).“

OWI III: Die Datenzeile auf dem Messfoto, oder: Inaugenscheinnahme oder Verlesung?

Die Frage: Muss die Datenzeile auf einem Messfoto gesondert verlesen werden oder reicht die Inaugenscheinnahme, ist in der Rechtsprechung der OLG umstritten. Das OLG Stuttgart geht im OLG Stuttgart, Beschl. v. 04.09.2018 – 6 RB 16 Ss 469/18 – davon aus: Inaugenscheinnahme reicht.

„Bei Geschwindigkeitsmessungen mit dem hier verwendeten Messgerät PoliScan Speed handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren. Fließen in die Ge­schwindigkeitsmessung — wie hier — Einzelmessungen ein, deren Ortskoordinaten geringfügig außerhalb des von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt zuge­lassenen Messbereichs liegen, begründet dies für sich genommen grundsätzlich nicht die Notwendigkeit, die Messung durch einen Sachverständigen überprüfen zu lassen (OLG Karlsruhe 2 Rb 8 Ss 246/17, Beschluss vom 26. Mai 2017, Leitsatz und Rn. 13 zit. nach juris; vgl. auch OLG Bamberg 3 Ss OWi 976/17, Beschluss vom 24. Juli 2017, Rn. 3 und OLG Zweibrücken 1 OWi 2 Ss Bs 106/17, Beschluss vom 28. Februar 2018, jeweils zit. nach juris).

Soweit die Rechtsbeschwerde der Sache nach rügt, dass die Datenzeile auf dem in Augenschein genommenen Messfoto nicht gesondert — etwa durch Verlesung — in die Hauptverhandlung eingeführt wurde, trifft dies zwar zu. Die Inaugenscheinnah­me genügt jedoch ausnahmsweise dann, wenn sich auch der gedankliche Inhalt der Urkunde durch einen Blick erfassen lässt (hierzu BGH NStZ 2014, 606 f.; eben­so KG Berlin, NStZ-RR 2016, 27 f.).“

M.E. fraglich, da m.E. nicht der „eine Blick“ reicht.

Verlesung eines Polizeiberichts, oder: Auch zulässig, wenn die Unterschrift fehlt?

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Die zweite Entscheidung, die ich heute vorstelle, betrifft ebenfalls eine „Verlesungsfrage“, und zwar in Zusammenhang mit der Verlesung eine Polizeiberichts (§ 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO). Da war gerügt worden, dass der von dem Polizeibeamten, der ihn angefertigt hatte, nicht unterzeichnet war.

Das stört den BGH im BGH, Beschl. v. 01.08.2018 – 5 StR 330/18 – aber nicht:

„2. Mit der Rüge einer fehlerhaften Einführung des Polizeiberichts vom 16. November 2013 in die Hauptverhandlung kann der Angeklagte aus den durch den Generalbundesanwalt genannten Gründen nicht durchdringen. Zwar war der Bericht von dem Polizeibeamten nicht handschriftlich unterzeichnet. Er beginnt jedoch mit dem Aufdruck: „Sachbearbeiter: A.   PK“ und endet mit „A.   , PK“. Damit ist klar erkennbar, auf wessen Erkenntnissen die in dem Bericht beschriebenen Vorgänge beruhen. Eine besondere (Unterschrifts-)Form der in § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO bezeichneten Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden erfordert die Vorschrift nicht (vgl. LR-Stuckenberg, 26. Aufl., § 256 Rn. 40 mwN). Dass ein bloßer Entwurf in Rede stand, kann ausgeschlossen werden.“

OWi I: Unzulässige Verlesung von Zeugenangaben, oder: Tatzeugen sind keine Ermittlungsbeamte

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Heute dann noch einmal ein wenig OWi-/Bußgeldverfahren. Ich bin da noch auf ein paar Entscheidungen in meinem Blogordner gestoßen, die „raus müssen“. Das ist zunächst der OLG Bamberg, Beschl. v. 28.12.2017 – 3 Ss OWi 1842/17, also schon ganz schön alt.

Er enthält eine erfolgreiche Beschwerde beim OLG Bamberg! Grund: Unzulässige Verlesung der Angaben von Tatzeugen:

„Die ordnungsgemäß (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG) erhobene Verfahrensrüge der Verletzung des § 77a Abs. 1 und Abs. 4 Satz 1 OWiG ist, wovon auch die Generalstaatsanwaltschaft Bamberg in ihrer Stellungnahme vom 11.12.2017 ausgeht, begründet. Die auf § 77a Abs. 1 OWiG gestützte Verlesung der schriftlichen Aussagen der Tatzeugen, die keine Ermittlungsbeamten i.S.d. § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO waren, hätte nach § 77a Abs. 4 Satz 1 OWiG der Zustimmung des  in der Hauptverhandlung anwesenden Verteidigers des Betroffenen bedurft. Eine solche Zustimmung ist von diesem ausdrücklich verweigert worden, was auch sein stillschweigend erklärtes Einverständnis mit der Verlesung ausschließt. Das Amtsgericht hat auch keinen in § 77a Abs- 4 Satz 2 OWiG genannten Verlesungsgrund herangezogen.

Auf diesem Verfahrensfehler kann das Urteil auch beruhen, denn die Überzeugungsbildung des Amtsgerichts wird auf die verlesenen Angaben der Tatzeugen gestützt.“

Inhalt einer Urkunde, den erfährt man nicht mit einer Augenscheinseinnahme

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Zwei (wesentliche) Aussagen enthält der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.03.2017 – 3 RVs 4/17, der in einem Verfahren wegen Vortäuschens einer Straftat ergangen ist. In dem ging es u.a. um den Inhalt von zwei Kontoauszahlungsbelegen. Die sind/waren in der Hauptverhandlung nur in Augenschein genommen worden. Geht nicht, sagt das OLG:

„Die Auszahlungsbelege und die Kontoverdichtung sind in der Hauptverhandlung indes nicht gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 StPO verlesen, sondern in Augenschein genommen worden. Eine Urkunde kann Gegenstand des Augenscheins aber nur dann sein, wenn es auf ihr Vorhandensein oder ihre äußere Beschaffenheit ankommt (Meyer-Goßner, StPO, 59. Auflage, § 249 Rn. 7 m. w. N.). Soweit ihr Inhalt — wie hier — beweiserheblich ist, ist dieser zu verlesen (vgl. BGH, NStZ 1999, 424). Der Senat schließt auch insbesondere mit Blick darauf, dass der Tatrichter die Schriftstücke in Augenschein genommen hat, aus, dass der Inhalt der Urkunden auf andere zulässige Weise, etwa durch einen Vorhalt, zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden ist (vgl. dazu Meyer-Goßner, a. a. O., § 261 Rn. 38a m. w. N.).

In der Einbeziehung des Inhalts der somit nicht ordnungsgemäß im Wege des Urkundenbeweises in die Hauptverhandlung eingeführten Schriftstücke in die Beweiswürdigung liegt ein Verstoß gegen § 261 StPO, wonach die Überzeugungsbildung des Tatgerichts aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung zu schöpfen ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 2013, 1 StR 532/12, juris; Karlsruher Kommentar/Diemer, StPO, 7. Auflage, § 249 Rn. 52, beck-online). Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass das Urteil auf diesem Verfahrensverstoß beruht (§ 337 Abs. 1 StPO).“

Und der zweite Punkte? Nun, das ist eine SAelbstverständlichkeit, auf die die Revisionsgerichte aber leider immer wieder hinweisen müssen: Das Tatgericht muss in den Urteilsgründen die vorgenommene Beweiswürdigung darlegen. Dafür ist das für die Entscheidung Wesentliche darzustellen. Und dazu gehört dann eben auch eine Schilderung, ob und ggf. wie sich der Angeklagte eingelassen hat.

Dank an den Kollegen Staub aus Mettmann für die Übersendung der Entscheidung.