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„Pauli an der Tanke“, oder: Krach um den nicht ordnungsgemäß angeleinten Hund

entnommen wikimedia.org Urheber Laura631

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Krach um einen nicht ordnungsgemäße angeleinten Hund hat es in Bayern gegeben, so dass das AG München darüber im AG München, Urt. v. 06.12.2013 – 344 C 1200/13 – (hier dazu die PM) entscheiden musste. Die Klägerin aus München war Eigentümerin und Halterin des 8 Jahre alten und 35 cm großen Terrier-Mischlings Pauli, den sie aus dem Tierheim geholt und dafür 175 € bezahlt hatte. Am 25.07.2011 befand sie sich mit dem Hund gegen 16.45 Uhr auf dem Gelände einer Tankstelle im Stadtgebiet von München, um im dortigen Tankstellenshop einzukaufen. Den Hund leinte sie im Eingangsbereich zum Tankstellengebäude an, indem sie die Leine um den dort aufgestellten Abfalleimer wickelte und das Ende der Flexi-Leine in die Öffnung des Mülleimers legte. Der Fahrer eines Klein-PKW, ebenfalls aus München, fuhr zwischen den Tanksäulen und dem Eingangsbereich zum Gebäude an dem Hund vorbei und fuhr ihn an. Das Tier zog sich eine Bänderschädigung an den Hinterläufen zu und es wurden zwei Mittelfußknochen gebrochen. Der Hund musste operiert werden, wodurch Behandlungskosten in Höhe von 2.200 € entstanden sind. Um die hat es dann Krach gegeben. Der Pkw-Fahrer ist dann zur Zahlung von 1.650 € verurteilt worden. Dazu aus der PM:

„Das Gericht führt in seiner Entscheidung aus, dass auf dem Tankstellengelände – vergleichbar wie auf Parkplätzen – in erhöhtem Maße für Fahrzeugführer das gegenseitige Rücksichtnahme-Gebot gelte, da stets mit ein- und ausfahrenden Fahrzeugen aber auch mit Personenverkehr vor allem im Bereich des Tankstellengebäudes zu rechnen sei. Aufgrund der Beweisaufnahme ist das Gericht davon überzeugt, dass der PKW-Fahrer den Hund wahrgenommen hat und deshalb von ihm eine erhöhte Aufmerksamkeit zu erwarten gewesen wäre. Er hätte unter diesen Umständen sogar von einer Vorbeifahrt vollständig Abstand nehmen und warten müssen, bis die Klägerin ihren Hund aus dem Gefahrenbereich entfernt. Da er dies nicht getan hat, ist er verantwortlich und muss sich die von seinem Fahrzeug ausgehende Betriebsgefahr zurechnen lassen.

Allerdings stellte das Gericht auch ein Mitverschulden der Hundehalterin fest. Diese hätte den Hund so festleinen müssen, dass dieser unter keinen Umständen über den Vorplatz der Eingangstüre hinaus in die Fahrstraße der Fahrzeuge hineinragen kann, auch nicht teilweise zum Beispiel durch das Ausstrecken von einzelnen Gliedmaßen. Dieser Sorgfaltspflicht ist die Hundehalterin nicht nachgekommen. Das Gericht hielt ein Mitverschulden von 25 % für sachgerecht und angemessen. Das überwiegende Verschulden der PKW-Fahrers liege insbesondere in dem Umstand, dass er hätte erkennen können, dass möglicherweise der Warteplatz des Hundes nicht ganz ungefährlich ist und sich der Hund – jedenfalls teilweise – auf der Fahrstraße befindet und die Platzverhältnisse beengt sind. Der Fahrer hätte dies als tatsächliche Gefährdungssituation werten müssen.

Zur Schadenshöhe stellte das Gericht klar, dass durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung des Tieres im bürgerlichen Recht vom 20.8.90 geregelt wurde, dass Behandlungskosten bei einem Tier auch dann ersatzfähig sein können, wenn diese den materiellen Wert des Tieres erheblich übersteigen. Das Gesetz berücksichtigt nunmehr auch den ideellen Wert. Folglich können Tiere nicht uneingeschränkt wie Sachen behandelt werden, deren Wert ausschließlich materieller Art ist. Aber anders als beim Menschen, bei dem Heilbehandlungskosten im Rahmen des medizinisch Gebotenen grundsätzlich unbeschränkt erstattungsfähig sind, gibt es bei Tieren eine Obergrenze, jenseits derer die Heilungskosten unverhältnismäßig sind und damit nicht ersetzt werden müssen. Kriterien, wann die Kosten unverhältnismäßig sind, enthält das Gesetz nicht. Dies hängt nach den Ausführungen des Gerichts von den Besonderheiten des einzelnen Falls ab. Grundsätzlich spielen dabei der Wert des Tieres und sein Alter lediglich eine untergeordnete Rolle. Die Höhe der Erfolgsaussicht der Behandlung spiele insoweit eine Rolle, als umso höhere Kosten aufgewendet werden dürfen je höher die Erfolgschancen der Heilbehandlung sind. Im vorliegenden Fall sei die Behandlung der Verletzungen ohne großes Risiko möglich und bei normalem Verlauf eine vollständige Wiedergenesung zu erwarten gewesen. Das Gericht hat daher bei dem Hund Pauli mit Blick auf den im Tierschutzgesetz niedergelegten Gedanken des Schutzes der lebenden Natur die angefallenen Heilbehandlungskosten für verhältnismäßig erachtet. Wegen des 25%igen Mitverschuldens der Hundehalterin waren daher 1650 Euro zu erstatten.“

Mit 1,09 Promille besoffen gefahren – 75 % der Kaskoversicherung weg

© ExQuisine - Fotolia.com

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Die Klägerin fährt alkoholisiert mit ihrem Pkw und verursachte einen Verkehrsunfall dadurch, dass sie in einem Baustellenbereich von der Fahrbahn ab kommt. Die BAK der Klägerin beträgt 1,09 Promille. Das OLG Karlsruhe sagt im OLG Karlsruhe, Urt. v. 15.04.2014 – 9 U 135/13: Grob fahrlässig, was dazu führt, dass der Kaskoversicherer zu einer Leistungskürzung von 75 % berechtigt ist:

„Der Umstand, dass die Klägerin den Versicherungsfall alkoholbedingt grob fahrlässig herbeigeführt hat, führt nicht dazu, dass ihr Anspruch gegen die Beklagte vollständig entfällt. Unter Berücksichtigung der Schwere des Verschuldens (§ 81 Abs. 2 VVG) ist vielmehr eine Kürzung auf 25 % vorzunehmen. Daraus ergibt sich der Anspruch in Höhe von 1.780,00 €.
 
a) Bei der Kürzung der Versicherungsleistung gemäß § 81 Abs. 2 VVG sind sämtliche Umstände des Einzelfalls abzuwägen. Dies gilt grundsätzlich auch bei alkoholbedingter Fahruntauglichkeit (vgl. BGH, NJW 2011, 3299). In der Praxis spielt dabei allerdings die jeweilige Blutalkoholkonzentration eine erhebliche Rolle, da bei einem höheren BAK-Wert in der Regel von einem entsprechend höheren Verschulden auszugehen ist. In der gerichtlichen Praxis wird bei einem BAK-Wert oberhalb der Grenze der absoluten Fahruntauglichkeit von 1,1 Promille im Rahmen von § 81 Abs. 2 VVG vielfach eine Kürzung der Leistung auf Null vorgenommen, während BAK-Werte unterhalb von 1,1 Promille zumeist nicht zu einem gänzlichen Entfallen der Leistung führen (vgl. hierzu die Rechtsprechungsbeispiele bei Böhm/Nugel, MDR 2013, 1328).
 
b) Im vorliegenden Fall hält der Senat eine Kürzung auf ¼ für angemessen. Dabei ist berücksichtigt, dass der BAK-Wert zum Unfallzeitpunkt nahe an der absoluten Grenze von 1,1 Promille lag, diesen Wert jedoch nicht ganz erreichte. Ausfallerscheinungen, welche die Klägerin zusätzlich vor Fahrtantritt hätten vom Fahren abhalten müssen, waren nicht erkennbar. Die Klägerin hat erstinstanzlich vor dem Landgericht einerseits eingeräumt, sie habe ein „schlechtes Gewissen“ wegen des Alkohols gehabt, als sie sich zur Fahrt entschloss. Andererseits kann der Senat unter den gegebenen Umständen jedoch nicht feststellen, dass sich das Verschulden der Klägerin im Grenzbereich zu einem Eventualvorsatz befunden hätte (vgl. zu diesem Gesichtspunkt Böhm/Nugel a. a. O.).“

Abhauen nach dem Verkehrsunfall – was ist mit dem Regress?

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Der Beklagte im Verfahren, das zu dem LG Bonn, Urt v. 29.10.2013 – 8 S 118/13 – geführt hatte, hatte mit dem Pkw eines anderen als Fahrer einen Verkehrsunfall begangen und sich danach unerlaubt vom Unfallort entfernt (§ 142 StGB). Er wird dann später von der Kfz-Versicherung im Wege des Regresses in Anspruch genommen, weil er die auch den mitversicherten Fahrer treffenden vertraglichen Obliegenheiten des Versicherungsvertrages nicht beachtet haben soll. Und die Versicherung hat mit ihrer Klage keinen Erfolg:

Etwas anders könnte allenfalls dann gelten, wenn man annähme, dass ohne Weiteres bei jedem Verkehrsunfall, bei dem sich der Fahrer von der Unfallstelle entfernt, eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine alkohol- bzw. betäubungsmittelbedingte oder anderweitig bedingte Verkehrsuntüchtigkeit des Fahrers spricht (so OLG Naumburg (Urt. v. 21.06.2012 – 4 U 95/11). Dem ist indes nicht zu folgen. So hat der Bundesgerichtshof in seinem jüngeren Urteil vom 21.11.2012 (IV ZR 97/11, […] Rz 32) ausgeführt, dass der Kausalitätsgegenbeweis nicht zwingend den Nachweis erfordert, dass der Versicherungsnehmer bzw. die versicherte Person im Unfallzeitpunkt nicht alkoholisiert gewesen ist (so auch schon LG Offenburg Urt. v. 23.08.2011 – 1 S 3/11, […]; LG Bonn, Urt. v. 15.11.2012 – 6 S 63/12, […]). Rein theoretische Möglichkeiten wie eine alkohol- bzw. betäubungsmittelbedingte Verursachung des Verkehrsunfalls reichen nicht aus, sondern es müssen gewisse Anhaltspunkte dafür bestehen. Solche sind indes (anders als in dem vom LG Zweibrücken mit Urteil vom 07.02.2013 – 2 O 88/12 – entschiedenen Fall) nicht vorhanden. Die Zeugen C und N haben im Gegenteil nicht von Anzeichen für eine Alkoholisierung oder den Genuss von Betäubungsmitteln berichtet. Allein der Umstand, dass der Beklagte den Unfallort trotz Aufforderung verlassen hat, genügt wiederum nicht, um eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine Fahruntüchtigkeit anzunehmen. Der Beklagte hat dazu vorgebracht, dass er keinen erheblichen Schaden habe erkennen können und es deshalb für gerechtfertigt gehalten habe, den Unfallort zu verlassen. Diese Einlassung ist – wenn auch nicht zutreffend – so zumindest in sich schlüssig.

c) Der Kausalitätsgegenbeweis nach § 28 Abs. 3 S. 2 VVG war auch nicht wegen einer arglistigen Obliegenheitsverletzung des Beklagten ausgeschlossen, § 28 Abs. 3 VVG. Dass der Beklagte arglistig gehandelt hat, kann nicht festgestellt werden.

aa) Die Anforderungen, die an die Annahme arglistigen Verhaltens im Sinne des § 28 Abs. 3 S. 2 VVG zu stellen sind, sind umstritten.
Einer Auffassung zufolge stellt jede vorsätzliche Verkehrsunfallflucht eine arglistige Aufklärungsobliegenheitsverletzung im Verhältnis zum Versicherer dar (LG Düsseldorf, Urt. v. 18.06.2010 – 20 S 7/10, […]; OLG München, Urt. v. 25.06.1999 – 10 U 5636/98, […]; AG Berlin-Mitte, Urt. v. 16.02.2010 – 107 C 3279/09, […]). Denn das Verlassen der Unfallstelle schränke generell die Möglichkeit des Versicherers ein, Feststellungen zu treffen, die zur Aufklärung des Sachverhalts oder zur Minderung des Schadens dienlich sein könnten.

Nach anderer Ansicht und insbesondere nach in jüngster Zeit ergangener Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urt. v. 21.11.2012 – IV ZR 97/11, […] Rz 29 ff.) kann bei Vorliegen einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung nicht generell auf Arglist geschlossen werden. Arglist verlange neben der vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung und über den bloßen Vorsatz hinausgehend vielmehr, dass der Versicherungsnehmer bzw. Versicherte einen gegen die Interessen des Versicherers gerichteten Zweck verfolge und wisse, dass sein Verhalten den Versicherer bei der Schadensregulierung möglicherweise beeinflussen könne (so auch schon LG Bonn, Urt. v. 15.11.2012 – 6 S 63/12, […]; LG Offenburg, Urt. vom 23.08.2011, 1 S 3/11, […]; vgl. zur Arglist bei einem Unfallversicherungsvertrag: BGH, Urt. v. 04.05.2009 – IV ZR 62/0, […] Rn. 9).
Die Kammer folgt der zuletzt genannten und vom Bundesgerichtshof bestätigten, differenzierten Betrachtungsweise. ….“

Schleudern auf die Gegenfahrbahn – Crash – Haftungsanteil wie hoch?

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Aus meiner Zivilkammerzeit – lang, lang ist es her 🙂 – in einem sog. „Blechsenat“ des OLG musste ich zum Glück nie „dienen“ – kann ich mich noch daran erinnern, dass bei der Unfallschadensregulierung die (vorrangige) Haftungsverteilung manchmal besonders schwierig werde. Und zwar vor allem dann, wenn mehr als zwei Unfallbeteiligte an einem Unfallgeschehen beteiligt waren. Deshalb hat der dem OLG München, Urt. v. 20.12.2013 – 10 U 641/12 – zugrunde liegende Fall mein (besonderes) Interesse geweckt. Da waren nämlich drei Kraftfahrzeugführer an einem Verkehrsunfall beteiligt, auf die dann die Haftung gem. §§ 7, 17 StVG (ja, die Vorschriften sind noch hängen geblieben) verteilt werden musste.

Im Fall war zu einem Unfall gekommen, als der in dem Verfahren Beklagte infolge unangepasster Geschwindigkeit oder eines Fahrfehlers bei Dunkelheit, Schneetreiben und winterglatter Fahrbahn ins Schleudern geriet, gegen die in Fahrtrichtung befindliche linke Leitplanke (offenbar eine Kraftsatrße/BAB [?]) stieß und teilweise auf der Fahrbahnhälfte für den Gegenverkehr zum Stillstand kam. Hierdurch wurde eine Kettenreaktion ausgelöst, in deren Folge zwei weitere Fahrzeuge auf der teilweise blockierten Gegenfahrbahn zwar noch bremsen konnten, dann aber vom LKW des Klägers, der mit einer leicht überhöhten Geschwindigkeit fuhr, ineinander und in das bereits verunfallte Fahrzeug geschoben wurden. Der Kläger wollte nun zumindest eine Mithaftung des Beklagten in Höhe von 25% erreichen. Das LG hatte abgelehnt. Das OLG hat eine Haftungsquote von 25 % bejaht:

„2. Bei der Haftungsabwägung war insbesondere zu berücksichtigen, dass der Beklagte zu 1) durch einen vorwerfbaren Verkehrsverstoß auf die Gegenfahrbahn geriet und dort der Pkw wegen der schlechten Sicht- Witterungs- und Fahrbahnverhältnisse ein besonders hohes Gefährdungspotential darstellte. Andererseits gelang es dem Gegenverkehr bei angepasster Fahrweise durchaus, rechtzeitig auf die Gefahr – ein stehendes Fahrzeug – zu reagieren; so konnte etwa die Zeugin Z. ihren Pkw zum Stillstand bringen und die den Verhältnissen nicht angepasste, schon bei günstigsten Verhältnissen zu hohe Geschwindigkeit (§ 3 I 2, III 2 b StVO) des mitversicherten Fahrers der Klägerin war die entscheidende Schadensursache. Ein Mithaftungsanteil der Beklagten in Höhe von 25 %, wie eingeklagt, erscheint hiernach jedenfalls angemessen. Die Beklagten konnten weitere, zu Lasten der Klägerin zu berücksichtigende Umstände nicht beweisen, insbesondere nicht, dass der BMW und die anderen Fahrzeuge bereits seit längerem standen oder der Fahrer des Lkw auf ein erkennbares Warnblinklicht verspätet reagiert hätte.“

Die Garantenpflicht des betrunkenen Autofahrers

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Verkehrsrechtliche Entscheidungen des BGH gibt es – über § 315b StGB hinaus – m.E. gar nicht so häufig. Deshalb sind Entscheidungen des insoweit zuständigen 4. Strafsenats immer einen Bericht wert. Daher heute der Hinweis auf das BGH, Urt. v. 06.12.2012 – 4 StR 369/12. Folgender Sachverhalt:

Nach den Feststellungen befuhr der stark angetrunkene Angeklagte, der sich seiner Alkoholisierung und der damit zusammenhängenden Beeinträchtigung seiner Fahrtüchtigkeit bewusst war, am 25. 09. 2010 gegen 2.40 Uhr mit einer Geschwindigkeit von 40 bis 50 km/h die Hauptstraße in W. in Richtung R. . Die aus Fahrtrichtung des Angeklagten linke Fahrspur war durch eine Baustelle versperrt, der Verkehr wurde mittels einer Lichtzeichenanlage geregelt. Auf dieser Fahrspur standen ein Pkw und der Nachtbus an der roten Ampel. Der dunkel gekleidete Nebenkläger R. C. nutzte den Halt, um „auf Zuruf“ aus dem Bus auszusteigen. Er betrat schnellen Schrittes hinter dem Bus die dunkle Fahrbahn, ohne sich zu vergewissern, dass die Straße frei war. Der Angeklagte erfasste ihn ungebremst, so dass der Nebenkläger mit dem Becken auf die Motorhaube aufschlug und mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe prallte. Sodann wurde er über das Fahrzeugdach von rechts vorne nach links hinten abgeworfen. Der Nebenkläger war erst eine Sekunde vor dem Anstoß zu sehen; der Angeklagte hatte ihn gar nicht wahrgenommen, weil er sich nach einem herunter gefallenen Feuerzeug gebückt hatte. Der Angeklagte setzte seine Fahrt fort, wobei er billigend in Kauf nahm, einen Menschen angefahren zu haben, der seine Hilfe benötigte. Der Nebenkläger wurde schwer verletzt. Er erlitt u. a. ein geschlossenes Schädelhirntrauma Grad I und eine epidurale Blutung sowie ein Kompartmentsyndrom am rechten Oberschenkel.

Gegen das landgerichtliche Urteil hatten auch der Nebenkläger und die StA Revision eingelegt. Die hatte Erfolg. Dazu der BGH:

1. Die Jugendkammer hat für den ersten Tatkomplex rechtsfehlerhaft nur fahrlässige Trunkenheit im Verkehr, § 316 Abs. 2 StGB, bejaht. Aus den Fest-stellungen ergibt sich, dass sich der Angeklagte von Anfang an seiner Fahruntüchtigkeit bewusst war. Die Annahme der Jugendkammer, der Angeklagte ha-be sich aufgrund jugendlicher Selbstüberschätzung und auch durch den Alko-holkonsum bedingter Fehleinschätzung irrig für fahrtüchtig gehalten, wird von den Feststellungen nicht getragen. Der Angeklagte hat sich in seiner Einlas-sung nicht einmal selbst darauf berufen.

Darüber hinaus hat es die Jugendkammer rechtsfehlerhaft unterlassen zu prüfen, ob sich der Angeklagte der fahrlässigen Körperverletzung schuldig gemacht hat.

Bei der Prüfung der Frage, ob ein Verkehrsunfall für einen alkoholbedingt fahruntüchtigen Kraftfahrer auf ein pflichtwidriges Verhalten zurückzuführen und vermeidbar war, ist nicht darauf abzustellen, ob der Fahrer in nüchternem Zu-stand den Unfall und die dabei eingetretenen Folgen bei Einhaltung derselben Geschwindigkeit hätte vermeiden können; vielmehr ist zu prüfen, bei welcher geringeren Geschwindigkeit er – abgesehen davon, dass er als Fahruntüchtiger überhaupt nicht am Verkehr teilnehmen durfte – noch seiner durch den Alkoholeinfluss herabgesetzten Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit bei Eintritt der kritischen Verkehrslage hätte Rechnung tragen können, und ob es auch bei dieser Geschwindigkeit zu dem Unfall und den dabei eingetretenen Folgen ge-kommen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 26. November 1970 – 4 StR 26/70, BGHSt 24, 31; Urteil vom 2. Oktober 1964 – 4 StR 297/64, VM 1965 Nr. 41; BayObLG, NStZ 1997, 388 m. Anm. Puppe; OLG Celle, VRS 36, 276; OLG Hamm, BA 1978, 294; OLG Koblenz, DAR 1974, 25; VRS 71, 281; OLG Zweibrücken, VRS 41, 113, 114). Es liegt nahe, dass der Angeklagte bei einer seiner alkoholbedingt herabgesetzten Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit angepassten geringeren Geschwindigkeit selbst im Falle eines auch dann un-vermeidbaren Anstoßes zumindest geringere Verletzungen des Nebenklägers bewirkt hätte.

2. Im zweiten Tatkomplex beanstanden die Revisionsführer zu Recht, dass die Jugendkammer eine Garantenstellung des Angeklagten verneint hat.

Die Strafkammer hat auch in diesem Tatkomplex für die Frage, ob die Pflichtwidrigkeit des Angeklagten für den Unfall ursächlich geworden ist, allein auf den Vergleich mit einem vorschriftsgemäß am Straßenverkehr teilnehmenden Autofahrer abgestellt. Dieser Ausgangspunkt trifft nicht zu, wie oben dargestellt. Es liegt nahe, dass der Angeklagte angesichts seines alkoholisierten Zustands zu schnell gefahren ist und dadurch pflichtwidrig den Unfall oder jeden-falls schwerere Verletzungen des Nebenklägers verursacht hat. In diesem Fall wäre ohne weiteres eine Garantenstellung des Angeklagten gegeben (vgl. für den schuldlosen Kraftfahrer BGH, Urteil vom 6. Mai 1986 – 4 StR 150/86, BGHSt 34, 82 m. Anm. Rudolphi, JR 1987, 162, und Herzberg, JZ 1986, 986; vgl. auch MünchKommStGB/Freund, 2. Aufl., § 13 Rn. 126).

Zur Frage möglicher Verdeckungsabsicht verweist der Senat auf seinen Beschluss vom 30. Juni 2011 – 4 StR 241/11, NStZ-RR 2011, 334.

Das noch dickere Ende kommt also noch für den Angeklagten.