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War das (fristwahrende) Rechtsmittel notwendig?, oder: Überprüfung der Verteidigerentscheidung?

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Und heute dann RVG-Tag. Zum Glück habe ich in den letzten Tagen zwei Entscheidungen geschickt bekommen, so dass ich die vorstellen kann. Mein Aufruf, mir (gebührenrechtliche) Entscheidungen zu schicken, gilt aber nach wie vor.

Hier dann also der LG Heidelberg, Beschl. v. 09.05.2023 – 12 Qs 16/23 -, den mir der Kollege Nagel aus Limburg geschickt hat. Der hat um seine Gebühren im Rechtsmittelverfahren kämpfen müssen. Der Kollege hatte als Pflichtverteidiger den Angeklagten in einem Verfahren wegen Beleidigung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte u.a. verteidigt. Nachdem der Angeklagte vom AG zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verteilt worden war, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, hat der Kollege hiergegen im Namen des Angeklagten Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die Einlegung zunächst fristwahrend erfolge, um dem Mandanten die Möglichkeit zu geben, sich erneut mit ihm zu besprechen. Hintergrund sei, dass die Staatsanwaltschaft im Hauptverhandlungstermin eine Freiheitsstrafe von zwölf Monaten ohne Bewährung beantragt und in der Hauptverhandlung keinen Rechtsmittelverzicht erklärt habe, weswegen nicht abgeschätzt werden könne, ob diese das Urteil akzeptiere.

Nachdem die Staatsanwaltschaft kein Rechtsmittel eingelegt hat, hat der Kollege, der die Sach- und Rechtslage zwischenzeitlich sowohl mit seinem Mandanten als auch mit dem Vorsitzenden der Berufungskammer erörtert hatte, die Berufung namens und im Auftrag seines Mandanten zurückgenommen.

Das AG hat – dem Kostenfestsetzungsantrag des Verteidigers folgend – die Pflichtverteidigervergütung festgesetzt und dabei auch die Gebühren nach Nrn. 4124, 4141 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 VV RVG gewährt. Der Vertreter der Staatskasse hat das beanstandet und Erinnerung eingelegt, mit der er beantragt hat, die festgesetzten Pflichtverteidigergebühren – durch Abzug der Gebühren für das Berufungsverfahren – zu reduzieren. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die insoweit geltend gemachten und festgesetzten Gebühren auf nicht notwendigem Verteidigerhandeln beruhten und daher nicht erstattungsfähig seien. Der Pflichtverteidiger dürfe nicht besser gestellt werden, als er stünde, wenn er als Wahlverteidiger beauftragt und die Staatskasse erstattungspflichtig wäre. Auch in diesem Fall würde nur die durch notwendige Verteidigung entstandene Vergütung ersetzt werden. Da dem Angeklagten nach der Berufungsrücknahme die Kosten auferlegt worden seien, bestünde in diesem Fall für einen Wahlverteidiger kein Erstattungsanspruch; der Pflichtverteidiger dürfe insoweit nicht bessergestellt werden. Werde die Berufung zurückgenommen, so sei davon auszugehen, dass schon die Einlegung nicht notwendig gewesen sei.

Das AG ist dem dann gefolgt. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Kollegen hatte Erfolg. Das LG hat sowohl die Nr. 4124 VV RVG als auch die Nr. 4141 VV RVG gewährt:

„Der Beschwerdeführer hat einen Anspruch auf Festsetzung von Pflichtverteidigergebühren in Höhe von insgesamt 1.982,25 €, weshalb der angefochtene Beschluss des Amtsgerichts mit dem dieser Betrag um die Gebühren für das Berufungsverfahren gekürzt wurde, aufzuheben war.

Sowohl die Verfahrensgebühr für die Berufung (Nr. 4124 VV RVG) als auch die Gebühr für die Berufungsrücknahme (Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 3 VV RVG) sind entstanden. Letztgenannte Gebühr entsteht gemäß Nr. 4141 Abs. 2 VV RVG nur dann nicht, wenn eine auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit (des Verteidigers) nicht ersichtlich ist, was hier nicht der Fall ist. Die Berufungseinlegung selbst sowie beratende Tätigkeit vor der Einlegung werden mit der Verfahrensgebühr für das erstinstanzliche Verfahren abgegolten; Tätigkeiten des Verteidigers nach Einlegung des Rechtsmittels aber über die Verfahrensgebühr für die Rechtsmittelinstanz (vgl. KG Berlin v. 20.01.2009 (1 Ws 382/08). Nach Aktenlage hat der Verteidiger nach der Berufungseinlegung sowohl mehrere Beratungsgespräche mit seinem Mandanten geführt als auch die Sach- und Rechtslage mit dem Vorsitzenden der Berufungskammer erörtert, so dass ein Tätigwerden nach Berufungseinlegung vorliegt.

Wie der Bezirksrevisor in seiner Stellungnahme vom 22.03.2022 zutreffend ausführt, ist die Frage, ob Gebührenansprüche des Verteidigers entstanden sind, grundsätzlich von der Frage zu unterscheiden, ob diese auch von der Staatskasse zu erstatten sind. Vorliegend hat jedoch eine Erstattung zu erfolgen, weil das Tätigwerden des Verteidigers im Rahmen des Berufungsverfahrens – entgegen der Ansicht des Bezirksrevisors und des Amtsgerichts – kein „nicht notwendiges Verteidigerhandeln“ darstellt.

Soweit im angefochtenen Beschluss auf einen Vergleich mit einem Wahlverteidiger abgestellt und ausgeführt wird, dass der Pflichtverteidiger keine Erstattung verlangen könne, weil er ansonsten besser stehe als der Wahlverteidiger, der – aufgrund der vollständigen Kostentragung des Angeklagten bei Berufungsrücknahme – keinen Erstattungsanspruch habe, trägt diese Argumentation nicht. Zum einen handelt es sich um andere, nicht vergleichbare Konstellationen, zum anderen hätte sie zur Konsequenz, dass der Pflichtverteidiger in keinem Fall, in dem sein Mandant verurteilt wird und dementsprechend die Kosten zu tragen hat, eine Erstattung verlangen könnte. Auch der Begründung des Bezirksrevisors, woraus sich schon aus der Rücknahme des Rechtsmittels ergebe, dass deren Einlegung nicht notwendig gewesen sei, vermag die Kammer nicht zu teilen.

Denkbar wäre allenfalls die Notwendigkeit des Verteidigerhandelns nach der Berufungseinlegung dann zu verneinen, wenn die Berufungseinlegung allein vorsorglich für den Fall einer Einlegung auch durch die Staatsanwaltschaft erfolgt wäre. In einem solchen Fall könnte man – in Anlehnung an die bestehende und in der Erinnerung des Bezirksrevisors zitierte Rechtsprechung, wonach Verteidigertätigkeit auf ein allein von der Staatsanwaltschaft eingelegtes Rechtsmittel noch vor dessen Begründung nicht notwendig und damit nicht erstattungsfähig sei (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, 65. A. 2022, § 464a Rn 10 m.w.N.) – möglicherweise von einem nicht notwendigen Verteidigerhandeln ausgehen. Ob die genannte Rechtsprechung auf eine solche Fallgestaltung übertragen werden kann, kann aber letztlich dahinstehen, da ein solcher Fall nicht vorliegt. Der Verteidiger führte im Rahmen seiner Berufungseinlegung vom 24.07.2019 zwar aus, dass diese vor dem Hintergrund erfolge, dass man nicht wisse, ob das Urteil seitens der Staatsanwaltschaft akzeptiert werde, nannte als weiteren Beweggrund aber auch den Umstand, dass die Einlegung erfolge, um nochmals die Möglichkeit zu haben, sich mit seinem Mandanten zu besprechen. In der Folge machte er deutlich, dass er sich für den Fall, dass die Staatsanwaltschaft kein Rechtsmittel einlege, erneut mit seinem Mandanten beraten und die Berufung dann gegebenenfalls zurücknehmen werde. Dass die Einlegung ausschließlich für den Fall einer Rechtsmitteleinlegung auch durch die Staatsanwaltschaft erfolgte, lässt sich dem gerade nicht entnehmen. Dass die eigene Berufung im Falle einer Nichteinlegung der Staatsanwaltschaft wieder zurückgenommen wird, wird zwar als Möglichkeit in Aussicht gestellt, aber keineswegs verbindlich angekündigt.

Auch wenn das Amtsgericht im erstinstanzlichen Verfahren im Wesentlichen dem Antrag der Verteidigung gefolgt ist, so lässt sich auch daraus nicht entnehmen, dass das Weiterverfolgen der eigenen Berufung (auch ohne gleichzeitige Einlegung der Staatsanwaltschaft) mit dem Ziel, eine für den Mandanten günstigere Entscheidung zu erwirken, von vornherein sinn- oder zwecklos wäre. Das Amtsgericht hat den Angeklagten zwar – dem Antrag des Verteidigers folgend – zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und dabei auch die vom Verteidiger vorgeschlagenen Bewährungsauflagen übernommen, es ging aber auch über den Verteidigerantrag hinaus, indem es eine Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten ausgesprochen hat, während der Verteidiger eine solche von sieben Monaten beantragt hatte. Hinzu kommt, dass der Angeklagte die ihm vorgeworfenen Taten ausweislich des Protokolls in der Hauptverhandlung zwar weitgehend, aber nicht vollumfänglich eingeräumt hat. Hinsichtlich einer der vier angeklagten Taten hatte der Verteidiger zudem eine Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO angeregt, welcher die Staatsanwaltschaft entgegengetreten war. Schließlich kommt hinzu, dass nach Einlegung der Berufung wegen neuerlicher Straffälligkeit eines neues Verfahren seitens der Staatsanwaltschaft Heidelberg gegen den Angeklagten geführt wurde (am 08.08.2019 erging deshalb erneut Haftbefehl gegen ihn) und für die Verteidigung nunmehr auch die Möglichkeit einer Gesamtstrafenbildung im Falle der Weiterverfolgung der Berufung zu bedenken war. Diese Thematik wurde seitens des Verteidigers am 26.09.2019 mit dem Vorsitzenden der Berufungskammer erörtert, wobei der Verteidiger dabei noch erklärte, dass er sich wegen dieses Umstandes zunächst an einer Berufungsrücknahme gehindert sehe und er die Angelegenheit nochmals mit seinem Mandanten besprechen wolle.

Angesichts dieser Umstände vermag die Kammer nicht festzustellen, dass die Einlegung der Berufung bzw. das weitere Tätigwerden im Berufungsverfahren – auch nachdem bekannt war, dass die Staatsanwaltschaft kein Rechtsmittel eingelegt hat – nicht notwendig gewesen wäre. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass die Entscheidung über die Art und Weise der Verteidigung grundsätzlich dem Verteidiger und seinem Mandanten obliegt und im Rahmen einer gerichtlichen Überprüfung dieser Entscheidung im Hinblick auf die Notwendigkeit einzelner Verteidigungshandlungen eine gewisse Zurückhaltung geboten erscheint.“

Dazu kurz Folgendes:

  1. Das LG „verteilt“ die vom Kollegen, der auch im Ausgangsverfahren tätig war, in Zusammenhang mit einem Rechtsmittel zu erbringenden Tätigkeiten zutreffend: Die Rechtsmitteleinlegung selbst sowie beratende Tätigkeit vor der Einlegung werden mit der Verfahrensgebühr für das erstinstanzliche Verfahren abgegolten, was aus § 19 Abs. 1 Satz. 2 Nr. 10 RVG folgt. Alles Tätigkeiten des Verteidigers nach Einlegung des Rechtsmittels werden aber von der jeweiligen Verfahrensgebühr für die Rechtsmittelinstanz erfasst, was sowohl für das Berufungsverfahren gilt (Nr. 4124 VV RVG) als auch für das Revisionsverfahren.
  2. Der Kollege hatte Verteidiger bei der Einlegung seiner Berufung darauf hingewiesen hatte, dass die Einlegung zunächst nur fristwahrend erfolge. Daraus und aus der später erfolgten Berufungsrücknahme nun den Schluss ziehen zu wollen – was der Vertreter der Staatskasse tut –, dass deshalb die Verfahrensgebühren für das Berufungsverfahren nicht entstanden seien, ist m.E. abwegig. Entscheidend ist – und darauf will das LG auch wohl abstellen – die Sicht „ex ante“. Aus der Sicht war die Berufungseinlegung aber notwendig, schon um ggf. in Gesprächen mit der Staatsanwaltschaft nach Rücknahme einer ggf. von dort aus eingelegten Berufung über die beiderseitige Rücknahme „verhandeln“ zu können. Wohltuend ist in dem Zusammenhang der Hinweis des LG, dass die Entscheidung über die Art und Weise der Verteidigung grundsätzlich dem Verteidiger und seinem Mandanten obliege und im Rahmen einer gerichtlichen Überprüfung dieser Entscheidung im Hinblick auf die Notwendigkeit einzelner Verteidigungshandlungen eine gewisse Zurückhaltung geboten erscheine. Das liest man leider viel zu selten und das wird leider noch viel seltener beachtet. Im Grunde geht es die Vertreter der Staatskasse gar nichts an, warum Berufung eingelegt worden ist.
  3. Aber Vorsicht. Die Entscheidung ist kein Freibrief für Verteidigerhandeln im Rechtsmittelverfahren. Das LG lässt m.E. deutlich erkennen, dass es ggf. zu einer Beurteilung gekommen wäre, wenn der Verteidiger die Rücknahme der Berufung verbindlich angekündigt hätte, falls die Staatsanwaltschat ein ggf. von ihr eingelegtes Rechtsmittel wieder zurücknimmt. „Gerettet“ hat den Verteidiger/Mandanten hier der Umstand, dass man auch in dem Fall die Sach- und Rechtslage noch einmal mit dem Mandanten erörtern wollte. Das sollte bei der Rechtsmitteleinlegung beachtet und ggf. ausgeführt werden.

Verfahrensgebühr bei der Trunkenheitsfahrt, oder: Wenn Beschwerdeverfahren „unterbezahlt“ werden

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Und dann am RVG-Freitag zwei gebührenrechtliche Entscheidungen, einmal AG, einmal LG.

Ich starte mit dem AG Linz, Beschl. v. 22.03.2023 – 3 Cs 2080 Js 32837/22. Das AG äußert sich zur Bemessung der Verfahrensgebühr für das Vorverfahren (N. 4104 VV RVG) in einem verkehrsstrafrechtlichen Verfahren, in dem der Rechtsanwalt u.a. im § 111a-Verfahren tätig geworden ist.

Der Verteidiger hatte nach Beendigung des Verfahren wegen Trunkenheit Im Verkehr die zu erstattenden notwendigen Auslagen des Angeklagten geltend gemacht. Dabei hat er für die Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG die Höchstgebühr angesetzt. Der Kostenbeamte hat diese lediglich in Höhe der Mittelgebühr festgesetzt. Dagegen hat der Verteidiger Erinnerung eingelegt. Er ist der Ansicht, dass insbesondere der Umstand, dass er sich im Ermittlungsverfahren zu der Sicherstellung des Führerscheins geäußert, den Tatort besichtigt und Fotos gefertigt habe, den Ansatz der Höchstgebühr rechtfertige. Die Erinnerung hatte nur teilweise Erfolg:

„Die angemeldete Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG ist In der angesetzten Höhe (Höchstgebühr von 319,00. EUR) nicht erstattungsfähig. Erstattungsfähig ist insoweit lediglich ein Betrag von 208,75 EUR:

Zwar bestimmt grundsätzlich der Rechtsanwalt selbst die Höhe der Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung der Kriterien des § 14 RVG nach billigem Ermessen. Die Bestimmung ist allerdings dann nicht verbindlich, wenn sie nach Ansicht des zahlungspflichtigen Dritten hier der Landeskasse – unbillig ist. Davon ist auszugehen, wenn die vom Rechtsanwalt bestimmt Höhe der Gebühr um mehr als 20 % über der vom erstattungspflichtigen Dritten als angemessen angesehene Höhe der Gebühr liegt (LG Demold, Beschluss vom 9. Juni 2008 4 ls 47/08 Rn. 13, juris).

Dies ist vorliegend der Fall. Der Umstand, dass sich der Verteidiger im Ermittlungsverfahren zur Beschlagnahme des Führerscheins bzw. vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis schriftsätzlich äußerte bzw. Beschwerde gegen die vorläufige Entziehung i.S.d. § 111a StPO einlegte, den Tatort besichtigte und Fotos von der Örtlichkeit fertigte, rechtfertigt den Ansatz einer Verfahrensgebühr In Höhe von 319,00 EUR nicht. Die Mittelgebühr beträgt 181,50 EUR, Eine Erhöhung um ca. 76 % gegenüber der Mittelgebühr ist nicht gerechtfertigt.

Gemäß § 14 RVG ist die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und -Vermögensverhältnisse des Auftraggebers zu bemessen. In der hiesigen Sache ging es um ein Verkehrsstrafverfahren vor dem Amtsgericht (Strafrichter), das keine Besonderheiten aufwies, Der Sachverhalt war überschaubar, sämtliche Kriterien des § 14 RVG sind vorliegend als durchschnittlich bis leicht überdurchschnittlich einzustufen.

Soweit der Verteidiger sich im Ermittlungsverfahren zur Beschlagnahme des Führerscheins bzw. zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis geäußert hat, ist zwar zutreffend, dass dies bei der Bemessung der Verfahrensgebühr grundsätzlich, mitzuberücksichtigen ist, Denn für Beschwerden gegen § 111a-Beschlüsse bzw. das Auseinandersetzen mit der Beschlagnahme des Führerscheins entsteht keine besondere Gebühr. Das Beschwerdeverfahren ist vielmehr aufgrund des in Vorbem. 4.1 Abs. 1 VV RVG normierten Pauschalcharakters der Gebühren durch die jeweiligen Verfahrensgebühren mit abgegolten (vgl. Burhoff/Volpert, RVG, Rn 570 ff). Hierdurch wird jedoch zugleich deutlich, dass dem Beschwerdeverfahren keine besondere, eigenständige Bedeutung bei der Bemessung der Gebühren zuerkannt wurde, so dass dies bei der Ermittlung der hier in Rede stehenden Verfahrensgebühr allenfalls zu einer leicht überdurchschnittlichen Bemessung führt.

Gleiches gilt auch für die vom Verteidiger im Ermittlungsverfahren vorgenommene Besichtigung des Tatorts und Fertigung von Lichtbildern. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Kosten eigener Ermittlungstätigkelt des Verteidigers grundsätzlich nicht notwendig I. S. d. § 464a Abs, 2 StPO sind, denn die Ermittlung belastender und entlastender Umstände im Ermittlungsverfahren ist gemäß § 160 StPO Aufgabe der Staatsanwaltschaft. Darüber hinaus sind die prozessualen Möglichkelten – etwa durch das Stellen entsprechender Beweisanträge – auszuschöpfen und gehen privaten Ermittlungen vor (vgl. BeckOK StPO/Niesier, 46, Ed. 11.2023, StPO § 464a Rn. 23; Meyer-Goßner; StPO, § 464b, RdNr, 16; LG Detmold, Beschluss vom 9. Juni 2008 4 Qs 47/08 Rn. 13, Julis). Dennoch soll diese: für das Verfahren durchaus zielführende Tätigkeit des Verteidigers – vorliegend nicht gänzlich außer Ansatz bleiben, sondern Ist bei der Bemessung der Verfahrensgebühr mit zu berücksichtigen, was jedoch ebenfalls im Ergebnis nur eine leichte Erhöhung der Mittelgebühr rechtfertigt.“

Dazu ist Folgendes anzumerken. Zutreffend ist der grundsätzliche Ansatz des AG betreffend die Ermittlung der angemessenen Gebühr. Hinsichtlich der vom AG ermittelten Gebührenhöhe muss man m.E. dem AG aber widersprechen. Ich räume allerdings ein, dass die vom Verteidiger in Ansatz gebrachte Höchstgebühr sicherlich nicht gerechtfertigt war. Denn die mitgeteilten zusätzlichen Tätigkeiten rechtfertigen eine so hohe Gebühr nicht. Die Kriterien waren – so das AG – (alle) „leicht überdurchschnittlich“.

Waren aber alle (!!) Kriterien, wie es das AG ausführt, leicht überdurchschnittlich, dann ist die Verfahrensgebühr m.E. mit einer Überschreitung der Mittelgebühr von nur 15 % zu knapp bemessen. M.E. hätte man die Mittelgebühr schon um 50 % überschreiten können, was zu einer Gebühr in Höhe von 272,25 EUR geführt hätte. Dabei spielt der Umstand, dass alle Kriterien (zumindest) leicht überdurchschnittlich waren sicherlich die entscheidende Rolle.

Unzutreffend ist in dem Zusammenhang die Argumentation des AG betreffend das strafverfahrensrechtliche Beschwerdeverfahren. Es ist einfach falsch, wenn aus der Tatsache, dass die Tätigkeiten in Beschwerdeverfahren über Vorbem. 4.1 VV RVG mit den jeweiligen Verfahrensgebühren abgegolten werden/sind, (rück)schließen will, der Gesetzgeber habe den Beschwerdeverfahren keine „besondere eigenständige Bedeutung“ zugemessen. Denn: Dass im Strafverfahren keine Beschwerdegebühr – wie im Zivilverfahren die Nr. 3500 VV RVG – vorgesehen ist, beruht allein darauf, dass sich in der Expertenkommission, die dem Gesetzgebungsverfahren des RVG vorausgegangen ist, diejenigen, die für eine eigene Beschwerdegebühr plädiert haben, sich nicht haben durchsetzen können und das BMJ gegenüber den Ländern, die gegen eine solche Gebühr argumentiert haben, eingeknickt ist. Natürlich wäre und ist es angemessen (gewesen), die Tätigkeiten des Rechtsanwalts im strafrechtlichen Beschwerdeverfahren eigenständig zu honorieren. Man denke nur an umfangreiche und arbeitsintensive Haftbeschwerden oder eben auch Beschwerden in § 111a-Verfahren, die viel Arbeit machen können. Aber leider sieht man das nicht als erforderlich an. Um so traurige ist es, wenn dann auch noch die Arbeit des Verteidigers in einem Beschwerdeverfahren über § 14 RVG gering bewertet und honoriert wird.

„Vertretung“ des Pflichtverteidigers im Hafttermin, oder: „Schönes“ vom LG Frankenthal

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Und im zweiten Posting dann die „schöne“ Entwicklungsentscheidung. Dabei handelt es sich um den LG Frankenthal (Pfalz), Beschl. v. 27.04.2023 – 1 Qs 76/23. Das ist die Nachfolgeentscheidung zum AG Ludwigshafen, Beschl. v. 03.03.2023 – 4a Ls 5227 Js 9474/22 – den ich unter „Vertretung“ des Pflichtverteidigers im Hafttermin, oder: „Unschönes“ aus Ludwigshafen teilweise kritisiert hatte.

Zur Erinnerung: Gestritten wird um die Gebühren des Vertreters des Pflichtverteidigers im Hafttermin. Das AG hatte gesagt: Ja, Abrechnung nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG, was richtig ist, aber es werden nur die Terminsgebühr und die Grundgebühr gezahlt. Die Verfahrensgebühr hingegen nicht, denn: „Die Verfahrensgebühr entsteht dagegen mit der ersten Tätigkeit, die der Rechtsanwalt aufgrund des Auftrags, die Verteidigung im Ganzen zu übernehmen, erbringt. Eine solche Übernahme ist vorliegend jedoch gerade nicht erfolgt.“

Dass das falsch war und das Verhältnis von Grund- und Verfahrensgebühr verkennt, lag m.E. auf der Hand. Das LG hat es dann auch gerichtet:

„1. Die Verfahrensgebühr entsteht – so die Vorbemerkung 4 Abs. 2 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG – für das Betreiben eines Geschäfts einschließlich der Information. Nach Nr. 4104 VV RVG kann diese Verfahrensgebühr auch schon im vorbereitenden Verfahren, d.h. im Zeitraum bis zum Eingang der Anklageschrift […], entstehen. Die Verfahrensgebühr gilt grundsätzlich die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts im vorbereitenden Verfahren mit Ausnahme der (besonderen) Tätigkeiten, die durch die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG oder gegebenenfalls durch die Gebühr für die Teilnahme an den in Nr. 4102 VV RVG genannten Terminen abgegolten werden, ab (Gerold/Schmidt/Burhoff RVG VV 4104 Rn. 6). Nr. 4100 Abs. 1 VV RVG sieht vor, dass die Grundgebühr neben der Verfahrensgebühr für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall nur einmal und unabhängig davon, in welchem Verfahrensabschnitt sie erfolgt, entsteht. Während vor dem Inkrafttreten des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes die Abgrenzung zwischen der jeweiligen Verfahrensgebühr von der Grundgebühr streitig war, wurde durch die zuvor genannte Formulierung der Nr. 4100 Abs. 1 VV RVG klargestellt, dass für die Tätigkeit des Rechtsanwalts in (jedem) gerichtlichen Verfahren eine Verfahrensgebühr als Ausgangsgebühr entsteht. Die Grundgebühr, die den zusätzlichen Aufwand für die erstmalige Einarbeitung in die Angelegenheit honorieren soll, entsteht daneben (Gerold/Schmidt/Burhoff RVG VV Vorbemerkung 4 Rn. 11). Tätigkeiten, die in den Abgeltungsbereich der Grundgebühr fallen, schließen das Anfallen der Verfahrensgebühr nicht aus. Grund- und Verfahrensgebühr entstehen insbesondere nicht zeitlich aneinander-gereiht, d. h. die Verfahrensgebühr entsteht – zeitlich gesehen – nicht erst, wenn die Grundgebühr durch erste Einarbeitung in den Fall entstanden ist, deren Abgeltungsbereich also abgegolten ist, und sodann weitere Tätigkeiten erbracht werden. Vielmehr haben beide Gebühren überschneidende Abgeltungsbereiche dahingehend, dass das Betreiben des Geschäfts einschließlich der In-formation auch durch die erste Akteneinsicht bzw. das erste Mandantengespräch erfolgt, was durch die Klarstellung in Nr. 4100 Abs. 1 VV RVG deutlich wird (BeckOK RVG/Knaudt RVG VV 4104 Rn. 9 f.). Dies zugrunde gelegt und wie von der Beschwerdeführerin zutreffend im Rahmen der Beschwerdebegründung ausgeführt, ist vorliegend daher auch von einer Entstehung der Verfahrensgebühr neben der Grundgebühr auszugehen, weshalb diese nebst anteiliger Umsatzsteuer ergänzend festzusetzen war.“

Zutreffend.

Ein kleiner Wermutstropfen bleibt aber. Die Kollegin Hierstetter hatte auch die Nr. 7002 VV RVG geltend gemacht. Die hat das LG leider nicht auch noch festgesetzt:

„2. Die Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen nach Nr. 7002 VV RVG war vorliegend jedoch nicht festzusetzen. Während deren Höhe irrelevant ist, ist Voraussetzung für die Festsetzung der Pauschale, dass überhaupt entsprechende Entgelte angefallen sind, was bei einer mündlichen Beratung bzw. Besprechung nicht der Fall ist. Dies ist vom Rechtsanwalt im Rahmen der Vergütungsfestsetzung – zum Beispiel durch Vorlage eines ent-sprechenden Schreibens – nachzuweisen (BeckOK RVG/K. Sommerfeldt/M. Sommerfeldt RVG VV 7002 Rn. 2 f.). Soweit die Entgelte lediglich im Rahmen der Geltendmachung der Vergütung entstehen, können sie nicht abgerechnet werden (BeckOK RVG/K. Sommerfeldt/M. Sommerfeldt RVG VV 7001 Rn. 3). Da sich weder aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens noch aus der Akte im Übrigen ergibt, dass Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen tatsächlich angefallen sind, entspricht deren Nichtfestsetzung der Sach- und Rechtslage.“

Nun ja, damit wird man leben können.

Welche Tätigkeiten führen zur Verfahrensgebühr? oder: Keine „nach außen erkennbare Tätigkeit“ erforderlich

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Am RVG-Freitag komme ich dann zunächst noch einmal auf einen Beschluss des OLG Braunschweig zurück, den ich bereits vor einigen Tagen vorgestellt habe. In dem Posting ging es um Nebenklage III: Anfechtung der Kostenentscheidung, oder: Statthaftigkeit und/oder Beschwer.

Heute dann also der OLG Braunschweig, Beschl. v. 19.01.2023 – 1 Ws 309/22 – noch einmal. Dieses mal aber wegen der anderen vom OLG angesprochen Gebührenfrage, nämlich zum Entstehen der Verfahrensgebühr. Dazu das OLG:

„Diese Gebühr ist auch schon entstanden. Zwar entsteht die Verfahrensgebühr nach der Vorbemerkung 4 Abs. 2 der Anlage 1 zum RVG für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information, woraus teilweise gefolgert wird, dass die Gebühr zumindest dann noch nicht entsteht, wenn die Staatsanwaltschaft ihre Berufung vor deren Begründung zurücknimmt. Diese Ansicht beruht aber auf der Erwägung, dass die Staatsanwaltschaft gemäß § 156 Abs. 1 RiStBV jedes von ihr eingelegte Rechtsmittel begründen muss, weshalb ein Verteidiger grundsätzlich davon ausgehen kann, dass eine Berufung der Staatsanwaltschaft innerhalb der Frist des § 317 StPO begründet wird und eine sinnvolle Verteidigung erst möglich ist, wenn die Berufungsbegründung den Umfang und die Zielsetzung des Rechtsmittels aufzeigt (OLG Köln, Beschluss vom 3. Juli 2015, 2 Ws 400/15, Rn. 19, BeckRS 2015, 12573; Mayer/Kroiß, RVG, 8. Aufl. 2021, VV 4124 Rn. 3, zit. nach beck-online). Diese Annahme ist auf den Beratungsbedarf eines Nebenklägers bei einer, nicht begründungspflichtigen, Berufung des Angeklagten nicht übertragbar.

2. Die sofortige Beschwerde des Nebenklägers ist auch begründet.

Gemäß § 473 Abs. 1 S. 2 StPO haben die Angeklagten, die ein Rechtsmittel erfolglos eingelegt haben, auch die notwendigen Auslagen des Nebenklägers zu tragen. Im hier vorliegenden Fall führt dieser Grundsatz dazu, dass in der Kostenentscheidung vom 19. Oktober 2022 die notwendigen Auslagen des Nebenklägers für die Berufungsinstanz den Angeklagten aufzuerlegen sind. Soweit teilweise unter Rückgriff auf die Regelung in § 472 Abs. 1 S. 3 StPO hiervon eine Ausnahme gemacht wird, wenn der Angeklagte durch sein Verhalten keinen vernünftigen Grund für den Anschluss als Nebenkläger gegeben hat oder den Verletzten ein Mitverschulden trifft (OLG Hamm, Beschluss vom 4. März 2003, 1 Ws 63/03, Rn. 8, zit. nach juris), liegt eine solche Fallgestaltung hier nicht vor.

Soweit mit dem Verteidigerschriftsatz für den Angeklagten pp. vorgetragen wird, der Nebenklägervertreter habe keinerlei Tätigkeiten im Berufungsverfahren ausgeübt, wird verkannt, dass die Gebühr nach VV 4124 der Anlage 1 zum RVG schon bei der erstmaligen Tätigkeit im Berufungsverfahren entsteht, wofür keine nach außen erkennbare Tätigkeit erforderlich ist, sondern auch eine (interne) Beratung des Mandanten über den Gang des Verfahrens ausreichen kann (Gerold/Schmidt, RVG, 25. Auflage 2021, VV 4124 Rn. 5, zit. nach beck-online). Ob eine solche Tätigkeit tatsächlich stattgefunden hat, welchen Umfang sie hatte und ggf. in welcher Höhe die Verfahrensgebühr festzusetzen ist, ist ggf. im Kostenfestsetzungsverfahren zu klären und nicht im Rahmen der Kostengrundentscheidung.“

Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV im Adhäsionsverfahren, oder: Nicht, wenn es das Verfahren gar nicht gibt?

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Und dann heuteder erste Freitag im neuen Jahr und damit der erste „Money-Day“. Und da komme ich heute zunächst auf eine Entscheidung zurück, die ich am letzten RVG-Tag 2022 vorgestellt habe, nämlich den OLG Brandenburg, Beschl. v. 10.08.2022 – 1 Ws 22/22 (S) (vgl. hier: Terminsgebühr nach zu später Absage des Termins, oder: Rechtsanwalt muss nicht im Saal “erscheinen”). Ich hatte ja schon angekündigt, dass ich die Entscheidung hier noch einmal vorstellen werde. Und das tue ich heute wegen der zweiten Frage, die das OLG – leider falsch – entschieden hat.

Insoweit ist von folgendem Sachverhalt auszugehen: In dem Verfahren hatte mit Schriftsatz vom 30.4.2021 der Nebenklägervertreter einen Adhäsionsantrag bei Gericht eingereicht. Mit Verfügung vom 03.05.2021 erteilte die Vorsitzende dem Nebenklägervertreter den rechtlichen Hinweis, dass eine Anwendung der Vorschriften über eine Entschädigung des Verletzten (§§ 403 bis 406c StPO) im Verfahren gegen Jugendliche gemäß § 81 JGG nicht in Betracht komme. Mit gleicher Verfügung ordnete die Vorsitzende die (einfache) Übersendung der Antragsschrift und einer Abschrift des an den Nebenklägervertreter gerichteten rechtlichen Hinweises u.a. an die Pflichtverteidigerin zur Kenntnisnahme an. Mit Schriftsatz vom 03.05.2021 beantragte diese, den Adhäsionsantrag zurückzuweisen. Mit Beschluss vom 17.06.2021 hat die Strafkammer sämtliche Anträge der Angeklagten im Adhäsionsverfahren unter Hinweis auf § 81 JGG abgelehnt.

Im Rahmen der Vergütungsfestsetzung hat die Pflichtverteidigerin u.a. die Festsetzung einer Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV RVG) für das Adhäsionsverfahren beantragt. Diese Gebühr ist nicht festgesetzt worden. Dazu das OLG:

„2. Erfolglos bleibt die Beschwerde hinsichtlich der geltend gemachten Gebühren für das Adhäsionsverfahren.

Zwar hat der Bundesgerichtshof für den Fall der notwendigen Verteidigung (§§ 140 ff. StPO) entschieden, dass sich die Pflichtverteidigerbestellung auch auf das Adhäsionsverfahren erstreckt (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juli 2021, 6 StR 307/21, in: NJW 2021, 2901 f.), was sich bereits aus der engen tatsächlichen und rechtlichen, in der Regel untrennbaren Verbindung zwischen Verteidigung gegen den Tatvorwurf und Abwehr des aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruchs des Verletzten im Sinne von § 403 StPO ergibt (BGH a.a.O.; siehe auch BGH, Beschluss vom 30. März 2001, 3 StR 25/01, in: BGHR StPO § 397a Abs. 1 Beistand 4).

Eine Erstreckung der Pflichtverteidigerbestellung, wie sie der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung klargestellt hat, kann indes nur dann angenommen werden, wenn die Prozessordnung überhaupt ein Adhäsionsverfahren vorsieht, was vorliegend nicht der Fall war. Dass der Bundesgerichtshof auch eine Erstreckung der Pflichtverteidigerbestellung auf ein unstatthaftes Verfahren im Blick hatte, lässt sich der Entscheidung nicht entnehmen und ist auch nicht zu unterstellen.

Zudem hat das erkennende Gericht den Adhäsionsantrag dem Angeklagten nicht zugestellt (BGH, Beschluss vom 22. Januar 2015 – 2 StR 390/14 –) und bereits bei der einfachen Übersendung der Antragsschrift mitgeteilt, dass das Adhäsionsverfahren gegen einen Jugendlichen nicht stattfinde.

Da ein Adhäsionsantrag, der außerhalb der Hauptverhandlung gestellt wird, gemäß § 404 Abs. 1 S. 3 StPO erst mit Zustellung wirksam wird (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juli 2004 – 2 StR 37/04 –), bedurfte es insofern auch keiner Abwehr des aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruchs des Verletzten. Es erscheint auch nicht unbillig, die Gebühr zu versagen, da eine Abwehr des aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruchs des Verletzten nicht erforderlich war.“

Wie gesagt: M.E. falsch. Denn auf die richtige gesehene Frage der Erstreckung kam es hier m.E. gar nicht an. Denn dabie geht es um die Frage der Festsetzung/Erstattung der  Nr. 4143 VV RVG als gesetzliche gebühr für die Pflichtverteidigerin. Die Frage ist aber strikt zu treffen, von der Frage, ob diese Gebühr für die Pflichtverteidigerin durch den vom OLG dargestellten Verfahrensablauf entstanden ist. Und das ist m.E. – anders als das OLG es offenbar meint – der Fall. Denn das Entstehen der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV RVG hängt nicht von einem förmlichen Antrag nach § 404 Abs. 1 StPO und/oder einem förmlichen Adhäsionsverfahren ab, vielmehr entsteht entsprechend der Vorbem. 4 VV RVG die Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV RVG mit der ersten Tätigkeit des Rechtsanwalts, sofern dieser beauftragt ist, im Strafverfahren hinsichtlich des vermögensrechtlichen Anspruchs tätig zu werden, wobei es unerheblich ist, ob es um die Durchsetzung oder die Abwehr eines Anspruchs geht (dazu OLG Jena AGS 2009, 587 m. Anm. N. Schneider = RVGreport 2010, 106 = StRR 2010, 114 = NJW 2010, 455; OLG Nürnberg AGS 2021, 8 = RVGreport 2014, 72 = StraFo 2014, 37 = NStZ-RR 2014, 64; LG Braunschweig, Beschl. v. 8.3.2012 – 5 Qs 39/12, RVGreport 2012, 299; LG Kiel, Beschl. v. 26.6.2020 – 10 Qs 34/20, RVGreport 2020, 428). Dabei kommt es m.E. auch nicht darauf an, ob die Verfahrensart – hier das JGG-Verfahren – ein Adhäsionsverfahren überhaupt vorsieht. Denn der Angeklagte wird mit diesem Verfahren überzogen – auch, wenn das Gericht die Unzulässigkeit erkennt – und hat damit Beratungsbedarf, so dass nach den allgemeinen Regeln zur Verfahrensgebühr nach Vorbem. 4 Abs. 2 VV RVG diese mit einer Beratung, auch über die Unzulässigkeit des Adhäsionsverfahrens, entstanden ist. Und bitte: Nicht wieder wie beim vor Begründung zurückgenommen Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft die Diskussion die Diskussion, dass diese Beratung „nutzlos“ sei. Das ist sie nicht und das entscheidet im Übrigen auch nicht die Staatskasse. Von daher: Die Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV RVG hätte festgesetzt werden müssen.