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Verfahrensgebühr für das Rechtsmittelverfahren, oder: Warum können „Bezis“ eine h.M. nicht akzeptieren?

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Heute ist Freitag, also RVG-Tag. Und den beginne ich mit dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 26.06.2023 – 2 Ws 87/23. Das ist mal wieder eine Entscheidung, die ärgerlich macht. Nicht die Entscheidung, denn die ist richtig. Ärgerlich macht aber, dass es diese Entscheidung überhaupt gibt bzw. geben muss. Dazu dann unten, jetzt erst die Entscheidung.

Die hatte folgenden (einfachen) Sachverhalt: Der Rechtsanwalt war Pflichtverteidiger in der 1. Instanz beim LG. Er hat gegen das Urteil des LG Revision eingelegt, diese dann aber nach Zustellung der Urteilsgründe wieder zurückgenommen. Für seine Tätigkeit im Revisionsverfahren hat er die Verfahrensgebühr Nrn. 4130, 4131 VV RVG geltend gemacht.

Das LG hat die Gebühr antragsgemäß festgesetzt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Bezirksrevisors, der die Auffassung vertreten hat, dass die den Revisionsrechtszug betreffende Verfahrensgebühr nicht entstanden sei, weil die Einlegung der Revision durch die erstinstanzliche Verfahrensgebühr abgegolten werde und dies auch die Prüfung der Erfolgsaussichten und die Rechtsmittelrücknahme einschließe. Das Rechtsmittel hatte beim OLG keinen Erfolg:

„Der Senat teilt die vom Landgericht vertretene Auffassung, dass die anwaltliche Prüfung der Erfolgsaussichten der Revision und die auftragsgemäße Erklärung der Rücknahme des Rechtsmittels die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4130, 4131 VV RVG auch dann auslösen, wenn der Verteidiger wie hier bereits erstinstanzlich tätig war (ebenso KG, Beschl. v. 20. Januar 2009 – 1 Ws 382/08, zit. nach Juris; Toussaint/Felix, Kostenrecht, 53. Aufl. RVG VV Teil 4 Rdnr. 12; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 25. Aufl. VV 4130, 4131 Rdnr. 5-7; Schneider/Volpert/N. Schneider, RVG 9. Aufl. VV 4130-4131 Rdnr. 7; Bischof/Jungbauer/Kerber, RVG 9. Aufl. Nrn. 4106-4135 VV Rn. 93a; aA ohne nähere Begründung OLG Dresden, Beschl. v. 13. März 2014 – 2 Ws 113/14, zit. nach Juris, mit ablehnender Anm. Schneider AGS 2014, 221).

Dass die bloße Einlegung der Revision durch den bereits erstinstanzlich tätigen Verteidiger mit den hierfür in der ersten Instanz entstehenden Gebühren bereits abgegolten wird (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 RVG) und eine Revisionsbegründung nicht erstellt wurde, schließt die Entstehung der Gebühr gemäß VV RVG 4130, 4131 hier nicht aus, denn diese Gebühr fällt nicht erst mit der Begründung der Revision an. Dass nach dem Willen des Gesetzgebers mit der Gebühr „insbesondere“ die Fertigung der Revisionsbegründung als „Schwerpunkt der anwaltlichen Tätigkeit“ vergütet werden soll (vgl. BT-Drucks. 15/1971 S. 226), steht dem nicht entgegen und besagt nicht, dass neben der Revisionseinlegung auch die nähere Prüfung der Erfolgsaussichten bereits durch erstinstanzliche Gebührentatbestände abgegolten ist. Die revisionsspezifische Prüfung der Erfolgsaussichten etwaiger Revisionsangriffe wegen einer Verletzung materiellen Rechts bzw. des Verfahrensrechts und deren Besprechung mit dem insoweit zu beratenden Angeklagten ist notwendige Voraussetzung für die Entscheidung über die Durchführung des Revisionsverfahrens sowie das Erstellen einer Revisionsbegründung und hängt hiermit unmittelbar und denklogisch zusammen. Es erschließt sich deshalb nicht, wieso nicht bereits die – unter Umständen einen ganz erheblichen Aufwand verursachende – anwaltliche Prüfung der konkret revisionsrechtlich eröffneten Anfechtungsmöglichkeiten die Verfahrensgebühr für das Revisionsverfahren nicht auslösen soll, sondern erst ist die Fertigung der Rechtsmittelbegründung, zumal für diese Unterscheidung die geltende Gebührenregelung konkret nichts hergibt. Dies gilt umso mehr, wenn wie hier das ausgefertigte schriftliche Urteil bereits zugestellt worden ist und zur Prüfung der Erfolgssichten des Rechtsmittels vom Verteidiger durchgearbeitet werden muss. Bei dieser Sachlage ist es weder plausibel noch sachgerecht, hinsichtlich der Entstehung des Gebührentatbestandes allein auf die Fertigung einer Revisionsbegründung abzustellen, zumal diese im Einzelfall – zum Beispiel bei alleiniger, den Gebührentatbestand erfüllender Erhebung einer nicht näher ausgeführten Sachrüge (vgl. hierzu Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. Rdnr. 7) – auch nicht zwingend einen gesonderten erheblichen Aufwand erfordern muss.

Wie das Landgericht im angefochtenen Beschluss zutreffend ausgeführt hat, erfasst der Gebührentatbestand gemäß Vorbemerkung 4 Abs. 2 VV RVG alle nach Revisionseinlegung vom Rechtsanwalt erbrachten Tätigkeiten, mithin auch die anwaltliche Prüfung und Beratung des Angeklagten über die konkreten Möglichkeiten und Erfolgsaussichten der Revision und die Frage, ob das Revisionsverfahren durchgeführt oder das Rechtsmittel zurückgenommen werden soll, wohingegen nur völlig überflüssige, bedeutungslose und ersichtlich allein zur Auslösung des Gebührentatbestandes veranlasste Prozesshandlungen und ein rein rechtsmissbräuchliches Verhalten ausscheiden und für die Erfüllung des Gebührentatbestandes nicht ausreichen (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 17. August 2006 – 2 Ws 134/06, zit. nach Juris mwN.); der insoweit mögliche Missbrauch von Rechtsmitteln, bei dem die anwaltliche Tätigkeit nicht vom Verteidigungswillen getragen wird, sondern allein dem Vergütungsinteresse dient, ist zwar insoweit nicht auszuschließen und mag im Einzelfall auch nur schwer nachweisbar sein, bietet jedoch nach dem geltenden Gebührenrecht allein keine geeignete Grundlage, den Vergütungsanspruch bei diesen Fallgestaltungen generell zu versagen (vgl. KG, Beschl. v. 20. Januar 2009, aaO.).

Im vorliegenden Fall hat das Landgericht im Hinblick auf den Verfahrensgang mit Recht keine Anhaltspunkte für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen der Verteidigung gesehen und die geltenden Gebühren – auch der Höhe nach – zutreffend festgesetzt.“

Dazu ist Folgendes anzumerken und so kommt es demnächst auch im AGS 🙂 :

1. Zunächst: Der Entscheidung ist nicht hinzuzufügen, außer, dass LG und OLG zutreffend entschieden haben. Die Entscheidung entspricht der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. dazu die vom OLG angeführten Literaturnachweise). Danach gilt: Die Einlegung der Revision gehört nach § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 RVG für den Verteidiger, der in dem vorhergehenden Rechtszug bereits tätig war, noch zum gerichtlichen Verfahren dieses Rechtszuges (KG NStZ 2017, 305 = StraFo 2016, 513 = RVGreport 2017, 237; OLG Hamm, a.a.O.; LG Heidelberg, Beschl. v. 9.5.2023 – 12 Qs 16/23 [für die Berufung]; LG Osnabrück RVGreport 2019, 339; Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Vorbem. 4.1 VV Rn 38 ff.). Jede danach für den Mandanten erbrachte Tätigkeit führt aber zur Verfahrensgebühr des Rechtsmittelverfahrens, also im Berufungsverfahren zur Nr. 4124 VV RVG bzw. im Revisionsverfahren zur Nr. 4130 VV RVG (OLG Jena JurBüro 2006, 365 [für die Akteneinsicht]; LG Osnabrück, a.a.O. (für Revisionsrücknahme und Prüfung der Erfolgsaussichten]).

2. Man fragt sich unter Zugrundelegung dieses eindeutigen Meinungsbildes in Rechtsprechung und Literatur im Hinblick auf das Rechtsmittel des Bezirksrevisors, was ein solches Rechtsmittel eigentlich soll? Warum kann nicht einfach auch ein Bezirksrevisor eine herrschende Meinung akzeptieren, auch wenn sie für die Staatskasse, die zahlen muss, nachteilig ist? Man würde damit nicht nur sich, sondern auch den Gerichten, die immer wieder dieselben Fragen entscheiden müssen, eine Menge Arbeit ersparen, die besser für andere Fragen/Entscheidungen aufgewendet werden könnte. Oder hat es damit zu tun, dass Bezirksrevisoren – den Eindruck habe ich, und nicht nur ich – offenbar nicht belehrbar und/oder auch nicht lernfähig sind oder sein wollen. Anders machen solche unsinnigen Rechtsmittel, wie hier eins vorgelegen hat, keinen Sinn. Das mag ggf. in „Rechtsmissbrauchsfällen“ anders sein. Aber dafür gibt es – so das OLG – „keine Anhaltspunkte“. Warum kann man dann nicht akzeptieren, dass man es hier dann doch wohl mit einem Verteidiger zu tun hatte, der richtig gehandelt und zunächst mal Rechtsmittel eingelegt hat, dann dessen Erfolgsaussichten anhand des begründeten Urteils prüft und dann das Rechtsmittel zurücknimmt und so dem Revisionsgericht Arbeit erspart? Dass ist doch genau das, was dem Verteidiger immer dann geraten wird, wenn es um die Rücknahme des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft vor dessen Begründung geht. Wobei ich jetzt nicht nicht auch noch das „Fass nicht aufmachen“ will, ob in dem hier entschiedenen Fall ggf. nicht auch die Nr. 4141 VV RVG entstanden ist. Denn die hatte der Verteidiger noch nicht einmal geltend gemacht. Also kann man den Vorwurf der „Gebührenschinderei“ nicht machen.

Mich macht dieses Verhalten ärgerlich (s.o.).

Pflichtverteidiger bei der Haftbefehlseröffnung, oder: Man verdient Grund-, Verfahrens- und Terminsgebühr

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Und zum Abschluss dieser heißen Woche – inzwischen ist es ja ein wenig kühler geworden – dann noch etwas fürs Portemannaie.

Zunächst hier der sehr schöne OLG Zweibrücken, Beschl. v. 07.06.2023 – 1 Ws 105/23 – zu den Gebühren des dem Beschuldigten für die Haftbefehlseröffnung bestellte Pflichtverteidigers.

Der Angeklagte war am 17.03.2022 vorläufig festgenommen worden. Das AG hat gegen ihn am 18.03.2022 Haftbefeh erlassen, der am selben Tag eröffnet worden ist. In dem Termin war der Rechtsanwalt anwesend gewesen. Das AG hat den Haftbefehl aufrechterhalten und in Vollzug gesetzt. Weiterhin hat es u.a. folgenden Beschluss erlassen:

„1. Dem Beschuldigten wird Rechtsanwalt pp., als Pflichtverteidiger für den heutigen Haftbefehlseröffnungstermin gem. §§ 140 Abs. 1 Nr. 4, 141 Abs. 4 StPO beigeordnet.

2- Dem Beschuldigten wird Rechtsanwalt pp2. gem. §§ 140 Abs. 1 Nr. 4, 141 Abs. 4 StPO beigeordnet…..“

Der Rechtsanwalt hat für seine Tätigkeit Grundgebühr, Verfahrensgebühr sowie Terminsgebühr Nr. 4109 VV RVG abgerechnet. Festgesetzt worden ist eine Terminsgebühr Nr. 4103 VV RVG. Auf die Erinnerung hat das AG dann Grundgebühr sowie Terminsgebühr Nr. 4109 VV RVG festgesetzt. Dagegen hat sowohl die Landeskasse als auch der Rechtsanwalt Rechtsmittel eingelegt. Das LG hat das Rechtsmittel des Rechtsanwalts verworfen, auf die Beschwerde der Landeskasse dann als Pflichtverteidigervergütung Grundgebühr sowie Terminsgebühr <Nr. 4103 VV RVG festgesetzt. Dagegen dann die zugelassene weitere Beschwerde des Rechtsanwalts, die Erfolg hatte:

„Die auf die weitere Beschwerde gem. § 33 Abs. 6 Satz 2 Halbs. 1 RVG veranlasste rechtliche Überprüfung führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, soweit die Verfahrensgebühr (4105 RVG-VV) abgesetzt worden ist.

Zu Recht ist das Landgericht allerdings davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer seine Tätigkeit nach Anlage 1 Teil 4 Abschnitt 1 VV abrechnen kann. Diese Gebührentatbestände – und nicht diejenigen in Anlagen Teil 4 Abschnitt 3 VV – gelten nach ganz überwiegender Auffassung, der sich der Senat anschließt, auch für den Verteidiger, dessen Beistandsleistung sich auf einen einzelnen Termin beschränkt (a. A. im Falle eines Hauptverhandlungstermins unter bestimmten Umständen: OLG Rostock, Beschluss vom 15.09.2011, 1 Ws 201/11, juris).

Die Zulässigkeit der Vertretung des Pflichtverteidigers und die Frage, welche Gebührentatbestände des Abschnitts 1 der Verteidiger, der für den verhinderten Pflichtverteidiger einen Termin wahrnimmt, abrechnen kann, sind umstritten (OLG Bamberg, Beschluss vom 21.12.2010 – 1 Ws 700/10 -, Juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 25.08.2009 – 2 Ws 111/09 -, Juris; KG Berlin, Beschluss vom 29.06.2005 — 5 Ws 164/05 -, Juris <zum Beistand>; OLG Celle, Beschluss vom 19.12.2008 – 2 Ws 365/08 -, Juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.10.2008 -III-1 Ws 318/08 -, Juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.07.2008 – 3 Ws 281/08 -, Juris; OLG Köln, Beschluss vom 26.03.2010 – 2 Ws 129/10 -, Juris; OLG München, Beschluss vom 27.02.2014 – 4c Ws 2/14 -, Juris; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 8.12. 2010 — 1 Ws 318/10 -, Juris). Diese Fragen können nach Auffassung des Senats aller-dings für den vorliegenden Fall dahinstehen. Der Beschwerdeführer ist in dem Termin zur Eröffnung des Haftbefehls nicht als Vertreter des Pflichtverteidigers Rechtsanwalt pp2. tätig geworden.

Hier ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Verfügung des Amtsgerichts, dass Rechtsanwalt pp. für den Vorführungstermin als weiterer Pflichtverteidiger beigeordnet und nicht zum Vertreter des für das weitere Verfahren beigeordneten Verteidigers bestellt werden sollte. Eine bloße Vertretung des Pflichtverteidigers würde auch der Bedeutung des Termins nicht gerecht. Im Übrigen lässt sich die vorliegende Fallkonstellation auch nicht mit dem Fall der Vertretung eines Pflichtverteidigers in einem Termin einer aus mehreren Terminen bestehenden Hauptverhandlung vergleichen. Zu Recht verweist das Landgericht in diesem Zusammenhang schließlich auf § 141 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StPO; diese Vorschrift zeigt, dass der Gesetzgeber der Verteidigung des Beschuldigten in einem Termin, in dem er zur Entscheidung über Haft vorgeführt werden soll, besonderes Gewicht beigemessen hat.

Welche Gebühren entstehen, ist vom Umfang der Tätigkeit des Rechtsanwaltes als Pflichtverteidiger abhängig.

Die Verfahrensgebühr entsteht für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information (Vorbem. 4 Abs. 2 RVG VV). Durch die Verfahrensgebühr ist die gesamte Tätigkeit eines Rechtsanwaltes im jeweiligen Verfahrensabschnitt abgegolten, soweit hierfür keine besonderen Gebühren vorgesehen sind. Die Verfahrensgebühr entsteht aber nicht erst dann, wenn der Abgeltungsbereich der Grundgebühr überschritten ist (so noch zum früheren Rechtszustand: OLG Bamberg a.a.O.; KG Berlin, Beschluss vom 20. Januar 2009 – 1 Ws 361/08 -, a.a.O.; OLG Karlsruhe a.a.O.; OLG Köln, Beschluss vom 17.01.2007 – 2 Ws 8/07 -, Juris und Beschluss vom 26.03.2010 – 2 Ws 129/10 -, a.a.O.). Mit der Änderung des Gebührentatbestands durch das Zweite Kostenrechtsmodernisierungsgesetz vom 23.07.2013 (BGBl. 12013, 2586) wurde bestimmt, dass die Grundgebühr grundsätzlich nicht allein anfällt, sondern regelmäßig neben einer Verfahrensgebühr (Burhoff in Gerold-Schmidt, RVG VV 4100, Rn. 9; Enders RVG, Straf- und Bußgeldsachen, Rn. 67; Knaudt in BeckOK RVG VV 4104, Rn. 8). Eine Verfahrensgebühr als Ausgangsgebühr entsteht für die Tätigkeit in jedem gerichtlichen Verfahren, so auch in Strafsachen. Die Grundgebühr soll lediglich den zusätzlichen Aufwand entgelten, der für die erstmalige Einarbeitung anfällt. Sie hat daher den Charakter einer Zusatzgebühr, die den Rahmen der Verfahrensgebühr erweitert (BT-Drucks. 17/11471, S. 281). Von der Verfahrensgebühr nicht erfasst wird die Teilnahme an gerichtlichen Terminen. Dafür sieht das RVG die Terminsgebühr vor. Die Terminsgebühr erhält der Rechtsanwalt für die Teilnahme an gerichtlichen Terminen. Das Entstehen der Terminsgebühr bei Haftbefehlseröffnungen setzt allerdings voraus, dass in dem Termin mehr geschehen ist als eine reine Verkündung des Haftbefehls (BT-Drucks. 15/1971, S. 223). Es reicht aus, wenn der Verteidiger gegenüber dem Gericht für den Beschuldigten in der Weise tätig geworden ist, dass er Erklärungen oder Stellungnahmen abgegeben oder Anträge gestellt hat, die dazu bestimmt waren, die Fortdauer der Untersuchungshaft abzuwenden (KG Berlin, Beschluss vom 23.06.2006 – 4 Ws 62/06 -, Juris).

Danach hat das Landgericht die Erfüllung der Gebührentatbestände der Grund- und der Terminsgebühr zu Recht angenommen. Die Annahme, die Verfahrensgebühr sei (noch) nicht angefallen, geht allerdings fehl (vgl. zur Beurteilung einer entsprechenden Fallgestaltung nach neuem Recht: LG Magdeburg, Beschluss vom 19.03.2018 – 25 Qs 14/18 -, Juris). Die Überlegungen des Landgerichts zum Abgeltungsbereich der Grundgebühr einerseits und der Verfahrensgebühr anderseits treffen zwar zu, betreffen aber nur die Bemessung der beiden Gebühren; bemessen werden die Gebühren aber nur beim Wahlverteidiger, während für den Pflichtverteidiger eine Festgebühr gilt.

Der Gebührenanspruch des Verteidigers berechnet sich danach wie folgt:…..“

War das (fristwahrende) Rechtsmittel notwendig?, oder: Überprüfung der Verteidigerentscheidung?

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Und heute dann RVG-Tag. Zum Glück habe ich in den letzten Tagen zwei Entscheidungen geschickt bekommen, so dass ich die vorstellen kann. Mein Aufruf, mir (gebührenrechtliche) Entscheidungen zu schicken, gilt aber nach wie vor.

Hier dann also der LG Heidelberg, Beschl. v. 09.05.2023 – 12 Qs 16/23 -, den mir der Kollege Nagel aus Limburg geschickt hat. Der hat um seine Gebühren im Rechtsmittelverfahren kämpfen müssen. Der Kollege hatte als Pflichtverteidiger den Angeklagten in einem Verfahren wegen Beleidigung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte u.a. verteidigt. Nachdem der Angeklagte vom AG zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verteilt worden war, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, hat der Kollege hiergegen im Namen des Angeklagten Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die Einlegung zunächst fristwahrend erfolge, um dem Mandanten die Möglichkeit zu geben, sich erneut mit ihm zu besprechen. Hintergrund sei, dass die Staatsanwaltschaft im Hauptverhandlungstermin eine Freiheitsstrafe von zwölf Monaten ohne Bewährung beantragt und in der Hauptverhandlung keinen Rechtsmittelverzicht erklärt habe, weswegen nicht abgeschätzt werden könne, ob diese das Urteil akzeptiere.

Nachdem die Staatsanwaltschaft kein Rechtsmittel eingelegt hat, hat der Kollege, der die Sach- und Rechtslage zwischenzeitlich sowohl mit seinem Mandanten als auch mit dem Vorsitzenden der Berufungskammer erörtert hatte, die Berufung namens und im Auftrag seines Mandanten zurückgenommen.

Das AG hat – dem Kostenfestsetzungsantrag des Verteidigers folgend – die Pflichtverteidigervergütung festgesetzt und dabei auch die Gebühren nach Nrn. 4124, 4141 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 VV RVG gewährt. Der Vertreter der Staatskasse hat das beanstandet und Erinnerung eingelegt, mit der er beantragt hat, die festgesetzten Pflichtverteidigergebühren – durch Abzug der Gebühren für das Berufungsverfahren – zu reduzieren. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die insoweit geltend gemachten und festgesetzten Gebühren auf nicht notwendigem Verteidigerhandeln beruhten und daher nicht erstattungsfähig seien. Der Pflichtverteidiger dürfe nicht besser gestellt werden, als er stünde, wenn er als Wahlverteidiger beauftragt und die Staatskasse erstattungspflichtig wäre. Auch in diesem Fall würde nur die durch notwendige Verteidigung entstandene Vergütung ersetzt werden. Da dem Angeklagten nach der Berufungsrücknahme die Kosten auferlegt worden seien, bestünde in diesem Fall für einen Wahlverteidiger kein Erstattungsanspruch; der Pflichtverteidiger dürfe insoweit nicht bessergestellt werden. Werde die Berufung zurückgenommen, so sei davon auszugehen, dass schon die Einlegung nicht notwendig gewesen sei.

Das AG ist dem dann gefolgt. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Kollegen hatte Erfolg. Das LG hat sowohl die Nr. 4124 VV RVG als auch die Nr. 4141 VV RVG gewährt:

„Der Beschwerdeführer hat einen Anspruch auf Festsetzung von Pflichtverteidigergebühren in Höhe von insgesamt 1.982,25 €, weshalb der angefochtene Beschluss des Amtsgerichts mit dem dieser Betrag um die Gebühren für das Berufungsverfahren gekürzt wurde, aufzuheben war.

Sowohl die Verfahrensgebühr für die Berufung (Nr. 4124 VV RVG) als auch die Gebühr für die Berufungsrücknahme (Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 3 VV RVG) sind entstanden. Letztgenannte Gebühr entsteht gemäß Nr. 4141 Abs. 2 VV RVG nur dann nicht, wenn eine auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit (des Verteidigers) nicht ersichtlich ist, was hier nicht der Fall ist. Die Berufungseinlegung selbst sowie beratende Tätigkeit vor der Einlegung werden mit der Verfahrensgebühr für das erstinstanzliche Verfahren abgegolten; Tätigkeiten des Verteidigers nach Einlegung des Rechtsmittels aber über die Verfahrensgebühr für die Rechtsmittelinstanz (vgl. KG Berlin v. 20.01.2009 (1 Ws 382/08). Nach Aktenlage hat der Verteidiger nach der Berufungseinlegung sowohl mehrere Beratungsgespräche mit seinem Mandanten geführt als auch die Sach- und Rechtslage mit dem Vorsitzenden der Berufungskammer erörtert, so dass ein Tätigwerden nach Berufungseinlegung vorliegt.

Wie der Bezirksrevisor in seiner Stellungnahme vom 22.03.2022 zutreffend ausführt, ist die Frage, ob Gebührenansprüche des Verteidigers entstanden sind, grundsätzlich von der Frage zu unterscheiden, ob diese auch von der Staatskasse zu erstatten sind. Vorliegend hat jedoch eine Erstattung zu erfolgen, weil das Tätigwerden des Verteidigers im Rahmen des Berufungsverfahrens – entgegen der Ansicht des Bezirksrevisors und des Amtsgerichts – kein „nicht notwendiges Verteidigerhandeln“ darstellt.

Soweit im angefochtenen Beschluss auf einen Vergleich mit einem Wahlverteidiger abgestellt und ausgeführt wird, dass der Pflichtverteidiger keine Erstattung verlangen könne, weil er ansonsten besser stehe als der Wahlverteidiger, der – aufgrund der vollständigen Kostentragung des Angeklagten bei Berufungsrücknahme – keinen Erstattungsanspruch habe, trägt diese Argumentation nicht. Zum einen handelt es sich um andere, nicht vergleichbare Konstellationen, zum anderen hätte sie zur Konsequenz, dass der Pflichtverteidiger in keinem Fall, in dem sein Mandant verurteilt wird und dementsprechend die Kosten zu tragen hat, eine Erstattung verlangen könnte. Auch der Begründung des Bezirksrevisors, woraus sich schon aus der Rücknahme des Rechtsmittels ergebe, dass deren Einlegung nicht notwendig gewesen sei, vermag die Kammer nicht zu teilen.

Denkbar wäre allenfalls die Notwendigkeit des Verteidigerhandelns nach der Berufungseinlegung dann zu verneinen, wenn die Berufungseinlegung allein vorsorglich für den Fall einer Einlegung auch durch die Staatsanwaltschaft erfolgt wäre. In einem solchen Fall könnte man – in Anlehnung an die bestehende und in der Erinnerung des Bezirksrevisors zitierte Rechtsprechung, wonach Verteidigertätigkeit auf ein allein von der Staatsanwaltschaft eingelegtes Rechtsmittel noch vor dessen Begründung nicht notwendig und damit nicht erstattungsfähig sei (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, 65. A. 2022, § 464a Rn 10 m.w.N.) – möglicherweise von einem nicht notwendigen Verteidigerhandeln ausgehen. Ob die genannte Rechtsprechung auf eine solche Fallgestaltung übertragen werden kann, kann aber letztlich dahinstehen, da ein solcher Fall nicht vorliegt. Der Verteidiger führte im Rahmen seiner Berufungseinlegung vom 24.07.2019 zwar aus, dass diese vor dem Hintergrund erfolge, dass man nicht wisse, ob das Urteil seitens der Staatsanwaltschaft akzeptiert werde, nannte als weiteren Beweggrund aber auch den Umstand, dass die Einlegung erfolge, um nochmals die Möglichkeit zu haben, sich mit seinem Mandanten zu besprechen. In der Folge machte er deutlich, dass er sich für den Fall, dass die Staatsanwaltschaft kein Rechtsmittel einlege, erneut mit seinem Mandanten beraten und die Berufung dann gegebenenfalls zurücknehmen werde. Dass die Einlegung ausschließlich für den Fall einer Rechtsmitteleinlegung auch durch die Staatsanwaltschaft erfolgte, lässt sich dem gerade nicht entnehmen. Dass die eigene Berufung im Falle einer Nichteinlegung der Staatsanwaltschaft wieder zurückgenommen wird, wird zwar als Möglichkeit in Aussicht gestellt, aber keineswegs verbindlich angekündigt.

Auch wenn das Amtsgericht im erstinstanzlichen Verfahren im Wesentlichen dem Antrag der Verteidigung gefolgt ist, so lässt sich auch daraus nicht entnehmen, dass das Weiterverfolgen der eigenen Berufung (auch ohne gleichzeitige Einlegung der Staatsanwaltschaft) mit dem Ziel, eine für den Mandanten günstigere Entscheidung zu erwirken, von vornherein sinn- oder zwecklos wäre. Das Amtsgericht hat den Angeklagten zwar – dem Antrag des Verteidigers folgend – zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und dabei auch die vom Verteidiger vorgeschlagenen Bewährungsauflagen übernommen, es ging aber auch über den Verteidigerantrag hinaus, indem es eine Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten ausgesprochen hat, während der Verteidiger eine solche von sieben Monaten beantragt hatte. Hinzu kommt, dass der Angeklagte die ihm vorgeworfenen Taten ausweislich des Protokolls in der Hauptverhandlung zwar weitgehend, aber nicht vollumfänglich eingeräumt hat. Hinsichtlich einer der vier angeklagten Taten hatte der Verteidiger zudem eine Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO angeregt, welcher die Staatsanwaltschaft entgegengetreten war. Schließlich kommt hinzu, dass nach Einlegung der Berufung wegen neuerlicher Straffälligkeit eines neues Verfahren seitens der Staatsanwaltschaft Heidelberg gegen den Angeklagten geführt wurde (am 08.08.2019 erging deshalb erneut Haftbefehl gegen ihn) und für die Verteidigung nunmehr auch die Möglichkeit einer Gesamtstrafenbildung im Falle der Weiterverfolgung der Berufung zu bedenken war. Diese Thematik wurde seitens des Verteidigers am 26.09.2019 mit dem Vorsitzenden der Berufungskammer erörtert, wobei der Verteidiger dabei noch erklärte, dass er sich wegen dieses Umstandes zunächst an einer Berufungsrücknahme gehindert sehe und er die Angelegenheit nochmals mit seinem Mandanten besprechen wolle.

Angesichts dieser Umstände vermag die Kammer nicht festzustellen, dass die Einlegung der Berufung bzw. das weitere Tätigwerden im Berufungsverfahren – auch nachdem bekannt war, dass die Staatsanwaltschaft kein Rechtsmittel eingelegt hat – nicht notwendig gewesen wäre. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass die Entscheidung über die Art und Weise der Verteidigung grundsätzlich dem Verteidiger und seinem Mandanten obliegt und im Rahmen einer gerichtlichen Überprüfung dieser Entscheidung im Hinblick auf die Notwendigkeit einzelner Verteidigungshandlungen eine gewisse Zurückhaltung geboten erscheint.“

Dazu kurz Folgendes:

  1. Das LG „verteilt“ die vom Kollegen, der auch im Ausgangsverfahren tätig war, in Zusammenhang mit einem Rechtsmittel zu erbringenden Tätigkeiten zutreffend: Die Rechtsmitteleinlegung selbst sowie beratende Tätigkeit vor der Einlegung werden mit der Verfahrensgebühr für das erstinstanzliche Verfahren abgegolten, was aus § 19 Abs. 1 Satz. 2 Nr. 10 RVG folgt. Alles Tätigkeiten des Verteidigers nach Einlegung des Rechtsmittels werden aber von der jeweiligen Verfahrensgebühr für die Rechtsmittelinstanz erfasst, was sowohl für das Berufungsverfahren gilt (Nr. 4124 VV RVG) als auch für das Revisionsverfahren.
  2. Der Kollege hatte Verteidiger bei der Einlegung seiner Berufung darauf hingewiesen hatte, dass die Einlegung zunächst nur fristwahrend erfolge. Daraus und aus der später erfolgten Berufungsrücknahme nun den Schluss ziehen zu wollen – was der Vertreter der Staatskasse tut –, dass deshalb die Verfahrensgebühren für das Berufungsverfahren nicht entstanden seien, ist m.E. abwegig. Entscheidend ist – und darauf will das LG auch wohl abstellen – die Sicht „ex ante“. Aus der Sicht war die Berufungseinlegung aber notwendig, schon um ggf. in Gesprächen mit der Staatsanwaltschaft nach Rücknahme einer ggf. von dort aus eingelegten Berufung über die beiderseitige Rücknahme „verhandeln“ zu können. Wohltuend ist in dem Zusammenhang der Hinweis des LG, dass die Entscheidung über die Art und Weise der Verteidigung grundsätzlich dem Verteidiger und seinem Mandanten obliege und im Rahmen einer gerichtlichen Überprüfung dieser Entscheidung im Hinblick auf die Notwendigkeit einzelner Verteidigungshandlungen eine gewisse Zurückhaltung geboten erscheine. Das liest man leider viel zu selten und das wird leider noch viel seltener beachtet. Im Grunde geht es die Vertreter der Staatskasse gar nichts an, warum Berufung eingelegt worden ist.
  3. Aber Vorsicht. Die Entscheidung ist kein Freibrief für Verteidigerhandeln im Rechtsmittelverfahren. Das LG lässt m.E. deutlich erkennen, dass es ggf. zu einer Beurteilung gekommen wäre, wenn der Verteidiger die Rücknahme der Berufung verbindlich angekündigt hätte, falls die Staatsanwaltschat ein ggf. von ihr eingelegtes Rechtsmittel wieder zurücknimmt. „Gerettet“ hat den Verteidiger/Mandanten hier der Umstand, dass man auch in dem Fall die Sach- und Rechtslage noch einmal mit dem Mandanten erörtern wollte. Das sollte bei der Rechtsmitteleinlegung beachtet und ggf. ausgeführt werden.

Verfahrensgebühr bei der Trunkenheitsfahrt, oder: Wenn Beschwerdeverfahren „unterbezahlt“ werden

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Und dann am RVG-Freitag zwei gebührenrechtliche Entscheidungen, einmal AG, einmal LG.

Ich starte mit dem AG Linz, Beschl. v. 22.03.2023 – 3 Cs 2080 Js 32837/22. Das AG äußert sich zur Bemessung der Verfahrensgebühr für das Vorverfahren (N. 4104 VV RVG) in einem verkehrsstrafrechtlichen Verfahren, in dem der Rechtsanwalt u.a. im § 111a-Verfahren tätig geworden ist.

Der Verteidiger hatte nach Beendigung des Verfahren wegen Trunkenheit Im Verkehr die zu erstattenden notwendigen Auslagen des Angeklagten geltend gemacht. Dabei hat er für die Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG die Höchstgebühr angesetzt. Der Kostenbeamte hat diese lediglich in Höhe der Mittelgebühr festgesetzt. Dagegen hat der Verteidiger Erinnerung eingelegt. Er ist der Ansicht, dass insbesondere der Umstand, dass er sich im Ermittlungsverfahren zu der Sicherstellung des Führerscheins geäußert, den Tatort besichtigt und Fotos gefertigt habe, den Ansatz der Höchstgebühr rechtfertige. Die Erinnerung hatte nur teilweise Erfolg:

„Die angemeldete Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG ist In der angesetzten Höhe (Höchstgebühr von 319,00. EUR) nicht erstattungsfähig. Erstattungsfähig ist insoweit lediglich ein Betrag von 208,75 EUR:

Zwar bestimmt grundsätzlich der Rechtsanwalt selbst die Höhe der Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung der Kriterien des § 14 RVG nach billigem Ermessen. Die Bestimmung ist allerdings dann nicht verbindlich, wenn sie nach Ansicht des zahlungspflichtigen Dritten hier der Landeskasse – unbillig ist. Davon ist auszugehen, wenn die vom Rechtsanwalt bestimmt Höhe der Gebühr um mehr als 20 % über der vom erstattungspflichtigen Dritten als angemessen angesehene Höhe der Gebühr liegt (LG Demold, Beschluss vom 9. Juni 2008 4 ls 47/08 Rn. 13, juris).

Dies ist vorliegend der Fall. Der Umstand, dass sich der Verteidiger im Ermittlungsverfahren zur Beschlagnahme des Führerscheins bzw. vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis schriftsätzlich äußerte bzw. Beschwerde gegen die vorläufige Entziehung i.S.d. § 111a StPO einlegte, den Tatort besichtigte und Fotos von der Örtlichkeit fertigte, rechtfertigt den Ansatz einer Verfahrensgebühr In Höhe von 319,00 EUR nicht. Die Mittelgebühr beträgt 181,50 EUR, Eine Erhöhung um ca. 76 % gegenüber der Mittelgebühr ist nicht gerechtfertigt.

Gemäß § 14 RVG ist die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und -Vermögensverhältnisse des Auftraggebers zu bemessen. In der hiesigen Sache ging es um ein Verkehrsstrafverfahren vor dem Amtsgericht (Strafrichter), das keine Besonderheiten aufwies, Der Sachverhalt war überschaubar, sämtliche Kriterien des § 14 RVG sind vorliegend als durchschnittlich bis leicht überdurchschnittlich einzustufen.

Soweit der Verteidiger sich im Ermittlungsverfahren zur Beschlagnahme des Führerscheins bzw. zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis geäußert hat, ist zwar zutreffend, dass dies bei der Bemessung der Verfahrensgebühr grundsätzlich, mitzuberücksichtigen ist, Denn für Beschwerden gegen § 111a-Beschlüsse bzw. das Auseinandersetzen mit der Beschlagnahme des Führerscheins entsteht keine besondere Gebühr. Das Beschwerdeverfahren ist vielmehr aufgrund des in Vorbem. 4.1 Abs. 1 VV RVG normierten Pauschalcharakters der Gebühren durch die jeweiligen Verfahrensgebühren mit abgegolten (vgl. Burhoff/Volpert, RVG, Rn 570 ff). Hierdurch wird jedoch zugleich deutlich, dass dem Beschwerdeverfahren keine besondere, eigenständige Bedeutung bei der Bemessung der Gebühren zuerkannt wurde, so dass dies bei der Ermittlung der hier in Rede stehenden Verfahrensgebühr allenfalls zu einer leicht überdurchschnittlichen Bemessung führt.

Gleiches gilt auch für die vom Verteidiger im Ermittlungsverfahren vorgenommene Besichtigung des Tatorts und Fertigung von Lichtbildern. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Kosten eigener Ermittlungstätigkelt des Verteidigers grundsätzlich nicht notwendig I. S. d. § 464a Abs, 2 StPO sind, denn die Ermittlung belastender und entlastender Umstände im Ermittlungsverfahren ist gemäß § 160 StPO Aufgabe der Staatsanwaltschaft. Darüber hinaus sind die prozessualen Möglichkelten – etwa durch das Stellen entsprechender Beweisanträge – auszuschöpfen und gehen privaten Ermittlungen vor (vgl. BeckOK StPO/Niesier, 46, Ed. 11.2023, StPO § 464a Rn. 23; Meyer-Goßner; StPO, § 464b, RdNr, 16; LG Detmold, Beschluss vom 9. Juni 2008 4 Qs 47/08 Rn. 13, Julis). Dennoch soll diese: für das Verfahren durchaus zielführende Tätigkeit des Verteidigers – vorliegend nicht gänzlich außer Ansatz bleiben, sondern Ist bei der Bemessung der Verfahrensgebühr mit zu berücksichtigen, was jedoch ebenfalls im Ergebnis nur eine leichte Erhöhung der Mittelgebühr rechtfertigt.“

Dazu ist Folgendes anzumerken. Zutreffend ist der grundsätzliche Ansatz des AG betreffend die Ermittlung der angemessenen Gebühr. Hinsichtlich der vom AG ermittelten Gebührenhöhe muss man m.E. dem AG aber widersprechen. Ich räume allerdings ein, dass die vom Verteidiger in Ansatz gebrachte Höchstgebühr sicherlich nicht gerechtfertigt war. Denn die mitgeteilten zusätzlichen Tätigkeiten rechtfertigen eine so hohe Gebühr nicht. Die Kriterien waren – so das AG – (alle) „leicht überdurchschnittlich“.

Waren aber alle (!!) Kriterien, wie es das AG ausführt, leicht überdurchschnittlich, dann ist die Verfahrensgebühr m.E. mit einer Überschreitung der Mittelgebühr von nur 15 % zu knapp bemessen. M.E. hätte man die Mittelgebühr schon um 50 % überschreiten können, was zu einer Gebühr in Höhe von 272,25 EUR geführt hätte. Dabei spielt der Umstand, dass alle Kriterien (zumindest) leicht überdurchschnittlich waren sicherlich die entscheidende Rolle.

Unzutreffend ist in dem Zusammenhang die Argumentation des AG betreffend das strafverfahrensrechtliche Beschwerdeverfahren. Es ist einfach falsch, wenn aus der Tatsache, dass die Tätigkeiten in Beschwerdeverfahren über Vorbem. 4.1 VV RVG mit den jeweiligen Verfahrensgebühren abgegolten werden/sind, (rück)schließen will, der Gesetzgeber habe den Beschwerdeverfahren keine „besondere eigenständige Bedeutung“ zugemessen. Denn: Dass im Strafverfahren keine Beschwerdegebühr – wie im Zivilverfahren die Nr. 3500 VV RVG – vorgesehen ist, beruht allein darauf, dass sich in der Expertenkommission, die dem Gesetzgebungsverfahren des RVG vorausgegangen ist, diejenigen, die für eine eigene Beschwerdegebühr plädiert haben, sich nicht haben durchsetzen können und das BMJ gegenüber den Ländern, die gegen eine solche Gebühr argumentiert haben, eingeknickt ist. Natürlich wäre und ist es angemessen (gewesen), die Tätigkeiten des Rechtsanwalts im strafrechtlichen Beschwerdeverfahren eigenständig zu honorieren. Man denke nur an umfangreiche und arbeitsintensive Haftbeschwerden oder eben auch Beschwerden in § 111a-Verfahren, die viel Arbeit machen können. Aber leider sieht man das nicht als erforderlich an. Um so traurige ist es, wenn dann auch noch die Arbeit des Verteidigers in einem Beschwerdeverfahren über § 14 RVG gering bewertet und honoriert wird.

„Vertretung“ des Pflichtverteidigers im Hafttermin, oder: „Schönes“ vom LG Frankenthal

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Und im zweiten Posting dann die „schöne“ Entwicklungsentscheidung. Dabei handelt es sich um den LG Frankenthal (Pfalz), Beschl. v. 27.04.2023 – 1 Qs 76/23. Das ist die Nachfolgeentscheidung zum AG Ludwigshafen, Beschl. v. 03.03.2023 – 4a Ls 5227 Js 9474/22 – den ich unter „Vertretung“ des Pflichtverteidigers im Hafttermin, oder: „Unschönes“ aus Ludwigshafen teilweise kritisiert hatte.

Zur Erinnerung: Gestritten wird um die Gebühren des Vertreters des Pflichtverteidigers im Hafttermin. Das AG hatte gesagt: Ja, Abrechnung nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG, was richtig ist, aber es werden nur die Terminsgebühr und die Grundgebühr gezahlt. Die Verfahrensgebühr hingegen nicht, denn: „Die Verfahrensgebühr entsteht dagegen mit der ersten Tätigkeit, die der Rechtsanwalt aufgrund des Auftrags, die Verteidigung im Ganzen zu übernehmen, erbringt. Eine solche Übernahme ist vorliegend jedoch gerade nicht erfolgt.“

Dass das falsch war und das Verhältnis von Grund- und Verfahrensgebühr verkennt, lag m.E. auf der Hand. Das LG hat es dann auch gerichtet:

„1. Die Verfahrensgebühr entsteht – so die Vorbemerkung 4 Abs. 2 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG – für das Betreiben eines Geschäfts einschließlich der Information. Nach Nr. 4104 VV RVG kann diese Verfahrensgebühr auch schon im vorbereitenden Verfahren, d.h. im Zeitraum bis zum Eingang der Anklageschrift […], entstehen. Die Verfahrensgebühr gilt grundsätzlich die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts im vorbereitenden Verfahren mit Ausnahme der (besonderen) Tätigkeiten, die durch die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG oder gegebenenfalls durch die Gebühr für die Teilnahme an den in Nr. 4102 VV RVG genannten Terminen abgegolten werden, ab (Gerold/Schmidt/Burhoff RVG VV 4104 Rn. 6). Nr. 4100 Abs. 1 VV RVG sieht vor, dass die Grundgebühr neben der Verfahrensgebühr für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall nur einmal und unabhängig davon, in welchem Verfahrensabschnitt sie erfolgt, entsteht. Während vor dem Inkrafttreten des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes die Abgrenzung zwischen der jeweiligen Verfahrensgebühr von der Grundgebühr streitig war, wurde durch die zuvor genannte Formulierung der Nr. 4100 Abs. 1 VV RVG klargestellt, dass für die Tätigkeit des Rechtsanwalts in (jedem) gerichtlichen Verfahren eine Verfahrensgebühr als Ausgangsgebühr entsteht. Die Grundgebühr, die den zusätzlichen Aufwand für die erstmalige Einarbeitung in die Angelegenheit honorieren soll, entsteht daneben (Gerold/Schmidt/Burhoff RVG VV Vorbemerkung 4 Rn. 11). Tätigkeiten, die in den Abgeltungsbereich der Grundgebühr fallen, schließen das Anfallen der Verfahrensgebühr nicht aus. Grund- und Verfahrensgebühr entstehen insbesondere nicht zeitlich aneinander-gereiht, d. h. die Verfahrensgebühr entsteht – zeitlich gesehen – nicht erst, wenn die Grundgebühr durch erste Einarbeitung in den Fall entstanden ist, deren Abgeltungsbereich also abgegolten ist, und sodann weitere Tätigkeiten erbracht werden. Vielmehr haben beide Gebühren überschneidende Abgeltungsbereiche dahingehend, dass das Betreiben des Geschäfts einschließlich der In-formation auch durch die erste Akteneinsicht bzw. das erste Mandantengespräch erfolgt, was durch die Klarstellung in Nr. 4100 Abs. 1 VV RVG deutlich wird (BeckOK RVG/Knaudt RVG VV 4104 Rn. 9 f.). Dies zugrunde gelegt und wie von der Beschwerdeführerin zutreffend im Rahmen der Beschwerdebegründung ausgeführt, ist vorliegend daher auch von einer Entstehung der Verfahrensgebühr neben der Grundgebühr auszugehen, weshalb diese nebst anteiliger Umsatzsteuer ergänzend festzusetzen war.“

Zutreffend.

Ein kleiner Wermutstropfen bleibt aber. Die Kollegin Hierstetter hatte auch die Nr. 7002 VV RVG geltend gemacht. Die hat das LG leider nicht auch noch festgesetzt:

„2. Die Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen nach Nr. 7002 VV RVG war vorliegend jedoch nicht festzusetzen. Während deren Höhe irrelevant ist, ist Voraussetzung für die Festsetzung der Pauschale, dass überhaupt entsprechende Entgelte angefallen sind, was bei einer mündlichen Beratung bzw. Besprechung nicht der Fall ist. Dies ist vom Rechtsanwalt im Rahmen der Vergütungsfestsetzung – zum Beispiel durch Vorlage eines ent-sprechenden Schreibens – nachzuweisen (BeckOK RVG/K. Sommerfeldt/M. Sommerfeldt RVG VV 7002 Rn. 2 f.). Soweit die Entgelte lediglich im Rahmen der Geltendmachung der Vergütung entstehen, können sie nicht abgerechnet werden (BeckOK RVG/K. Sommerfeldt/M. Sommerfeldt RVG VV 7001 Rn. 3). Da sich weder aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens noch aus der Akte im Übrigen ergibt, dass Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen tatsächlich angefallen sind, entspricht deren Nichtfestsetzung der Sach- und Rechtslage.“

Nun ja, damit wird man leben können.