Schlagwort-Archive: Urteilsgründe

Tut ja gut, wenn der Gesetzgeber die Auslegung des Regelbeispiels durch den Senat billigt

Der BGH, Beschl. v. 05.05.2011 – 1 StR 116/11 befasst sich mit der Strafzumessung bei der Steuerhinterziehung und den erforderlichen Feststellungen. Es handelt sich um eine sog. Leitsatzentscheidung des BGH, in der der Leitsatz lautet:

Soweit dazu Anlass besteht, müssen die Urteilsgründe ergeben, ob Steuern in großem Ausmaß i.S.d. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO nach BGHSt 53, 71 (Betragsgrenzen 50.000 Euro bzw. 100.000 Euro) verkürzt sind. Sie müssen auch ergeben, weshalb trotz des Vorliegens dieses Regelbeispiels ein besonders schwerer Fall des § 370 Abs. 3 AO nicht angenommen wird (Fortführung von BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71).“

Soweit so gut. Und dann:

„a) Der Senat hat mit Urteil vom 2. Dezember 2008 (1 StR 416/08, BGHSt 53, 71) das Merkmal „großes Ausmaß“ ausgelegt und dafür folgende Betragsgrenzen bestimmt: Beschränkt sich das Verhalten des Täters darauf, die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis zu lassen und führt das lediglich zu einer Gefährdung des Steueranspruchs, dann ist das Merkmal bei einer Verkürzung in Höhe von 100.000 € erfüllt (Rn. 39, 41). Wenn der Täter ungerechtfertigte Zahlungen vom Finanzamt erlangt hat, liegt die Betragsgrenze bei 50.000 € (Rn. 37).

b) Diese Bestimmung der Betragsgrenzen durch den Senat hat der Gesetzgeber in den Beratungen zu dem Entwurf des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes (BT-Drucks. 17/4182 und 17/4802) aufgegriffen. In der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages (BT-Drucks. 17/5067 neu) ist zur Bestimmung der Betragsgrenze, ab welchem bei einer Selbstanzeige Straffreiheit nicht eintritt, unter Bezugnahme auf das Senatsurteil BGHSt 53, 71 ausgeführt (S. 21): „Die Betragshöhe orientiert sich an der Rechtsprechung des BGH zu dem Regelbeispiel des § 370 Absatz 3 Nummer 1 AO, wo das Merkmal großen Ausmaßes bei 50 000 Euro als erfüllt angesehen wird“. Damit hat der Gesetzgeber ersichtlich die Auslegung des Regelbeispiels durch den Senat gebilligt.“

Tut gut, so was 🙂

Absprache/Verständigung: Ganz so einfach ist es mit den Urteilsgründen nicht…

Da hatte es sich eine Strafkammer nach einer Verständigung/Absprache mit den Urteilsgründen wohl sehr einfach gemacht und die Feststellungen auf eine „knapp gehaltene, teilweise aus dem Anklagesatz übernommene Schilderung der Vorgehensweise des Angeklagten und seines Komplizen, an die sich eine Zusammenfassung der Einzeltaten in einer mehrspaltigen Tabelle anschließt“, beschrönt. Geht nicht sagt der BGH, Beschl. v. 09.03.2011 – 2 StR 428/10 und führt aus:

„Das angefochtene Urteil unterliegt insgesamt der Aufhebung, da es nicht den Mindestanforderungen genügt, die an die Urteilsgründe auch dann zu stellen sind, wenn die Entscheidung, wie hier, nach einer Verfahrensabsprache ergangen ist. Allein die Bereitschaft des Angeklagten, wegen eines bestimmten Sachverhalts eine Strafe hinzunehmen, die das gerichtlich zugesagte Höchstmaß nicht überschreitet, entbindet das Gericht nicht von der Pflicht zur Aufklärung und Darlegung des Sachverhalts, soweit dies für den Tatbestand der dem Angeklagten vorgeworfenen Gesetzesverletzung erforderlich ist (vgl. BGH, NStZ 2009, 467; NStZ-RR 2010, 54; Senat, NStZ-RR 2010, 336.“

Also: Ein „Bißchen“ schreiben muss man schon.

Augsburger Puppenkiste – oder doch: Hau den Lucas? – Gedanken zur Urteilsbegründung in Augsburg

Inzwischen ist ja schon einiges zur Begründung des Freispruchs des Kollegen Lucas geschrieben/berichtet worden, wobei sich der „Ärger“ der meisten Kommentatoren auf der Grundlage des Berichts von Spiegel-online an der Art und Weise entzündet, wie der Freispruch begründet worden ist und wie sich der Kammervorsitzende „aufgeführt“ hat. Der Kollege Feltus fragt sich z.B. „Was für Richter gibt es in Augsburg? Zweifelhafte mündliche Urteilsbegründung“. Der Kollege Hoenig sieht Augsburg hinter der Demarkationslinie.

In der Tat: Auch „meinem“ Prozessbeobachter – es handelt sich übrigens um meinen Sozius Dr. David Herrmann, der das Verfahren für die ARGE Strafrecht im DAV „begleitet“ hat – ist die „Gift und Galle“ sprühende Begründung aufgefallen, in der auch wir – wohl wegen des Begriffs „Augsburger Puppenkiste“ unser Fett wegbekommen haben (Letzteres freut mich, weil es zeigt, dass das Blog offenbar auch in Augsburg gelesen wird).

Bevor ich das zusammenfasse aus der mündlichen Urteilsbegründung, was mir wichtig erscheint, vorab zwei Dinge:

  1. Spiegel-online berichtet: „Das Gericht habe auch gerügt, dass Lucas „jede Möglichkeit zur Deeskalation [habe] vergehen lassen„. Das hat mich am meisten erstaunt/erschreckt. Denn das ist ja wohl noch immer das gute Recht eines jeden Angeklagten. Oder?
  2. Und: Das, was von der Urteilsbegründung berichtet wird, macht mir den Eindruck, als habe das Gericht Schwierigkeiten mit dem Freispruch. Denn wie anders soll man eine Formulierung verstehen, in der darauf hingewiesen wird, dass der Freispruch auch nicht der erwartete sei, sondern einer, der nur knapp wegen des Grundsatzes in dubio pro reo ergehe. Was ist ein knapper Freispruch? Es ist ein Freispruch und m.E. sollte eine Kammer die Größe haben, diesen Freispruch nicht zu kommentieren. Ganz oder gar nicht. Es hat für eine Verurteilung nicht gereicht. Dann muss ich frei sprechen. Basta! Und m.E. ohne Kommentar. So hört es sich an wie: Wir hätten Sie ja lieber verurteilt, aber leider ging es nicht.

Zur Sache – und darauf will ich mich beschränken, da zur „Stimmungsmache“ der Kammer schon berichtet ist – zitiere ich aus dem „Prozessbericht“ meines Kollegen:

„Der festgestellte Sachverhalt lasse sich wie folgt zusammenfassen: Am 1. HV-Tag habe es ein Gespräch der Verfahrensbeteiligten gegeben. Diese seien aber vom Revisionsvortrag des Angeklagten klar zu trennen. Denn in dem Gespräch sei es nur um die Vorstellungen der StA gegangen. Die Zeugenaussagen seien hierzu unterschiedlich. Der Sitzungsbericht habe zur Aufklärung beigetragen. Das Strafverfahren wäre sicher schon im Ermittlungsverfahren beendet gewesen, wenn der Sitzungsbericht früher vorgelegen hätte. Allerdings habe der Angeklagte Zahlen zum Strafmaß aus dem Dienstzimmer der Richter und nicht der Hauptverhandlung genannt. Wann dieses Gespräch stattgefunden hat, sei unklar.
Von zentraler Bedeutung seien die Angaben der Zeugin Lang. Denn diese habe bekundet, wie Lucas überlegt habe, was er tun solle. Die Annahme, dass Lucas das erfunden habe, um später eine Revisionsrüge zu erheben, sei abwegig. Allerdings sei eher unwahrscheinlich, dass Lucas tatsächlich Skrupel gehabt habe, das Gespräch nicht doch protokollieren zu lassen. Man habe in der Hauptverhandlung den Eindruck gewonnen, der Angeklagte suche für seinen Mandanten jede sich bietende Möglichkeit, um Konflikte mit dem Gericht auszutragen. Bestätigt werde dies durch Berichte aus der Zeitung zu diesem Verfahren, die davon sprechen, dass Lucas und Haeusler sich von Anfang an aneinander rieben und auf Konfrontation gingen. Andere Zeitungsberichte sprächen gar davon, dass Lucas eine – Zitat – „Plage für die Richter“ sei. Objektiv sei also der Revisionsvortrag falsch. Es sprächen verschiedene Argumente gegen eine sichere Zusage zur Strafhöhe durch das Gericht (wurde ausgeführt). Aber subjektiv muss davon ausgegangen werden, dass Lucas meinte, ein Angebot erhalten zu haben. An der insofern zentralen Aussage der Zeugin Lang komme auch die StA nicht vorbei. Hierbei sei unklar, ob Lucas die Richter falsch verstanden oder sich geirrt habe. Hätte man ihm eine bewusste Lüge nachweisen können, dann wäre hier eine hohe Geldstrafe angezeigt gewesen (Anmerkung: Anspielung auf den völlig überzogenen Antrag der StA). Eher sei aber wohl die subjektive Wahrnehmung von Lucas „4 Jahre und 6 Monate“ gewesen für „Geständnis + § 31 BtMG“. Allerdings habe er demgegenüber in der Revision etwas anderes vorgetragen. Dort sei die Rede von einem „Geständnis im Sinne der Anklage“. Der Revisionsvortrag und die Information an den Mandanten gehen hier auseinander, es fehlen Ausführungen zum § 31 BtmG. Es sei fraglich ob diese Abweichung bewusst erfolgt sei oder aus Unkenntnis des Unterschiedes und der gesetzlichen Vorgaben. Kannte Lucas also den Unterschied zwischen „Geständnis“ und „Geständnis + 31“? Dies sei nicht sicher beurteilbar. Das Gericht schrieb ihm ins Stammbuch, dass er sich ja mit Hilfe eines Kommentars oder Fachliteratur fortbilden könne. Im Ergebnis sei nicht sicher ausschließbar, dass Lucas sich aber geirrt habe. Schließlich habe er auch wegen einer anderen Revision unter erheblichem Zeitdruck gestanden und sich die Blöße gegeben, sogar bei ausgerechnet derjenigen Kammer, mit der er sich ein Jahr lang gestritten hatte, die Übersendung des Protokolls absprachegemäß verzögern zu wollen (wohl um so die Revisionsbegründungsfrist zu verlängern). Das Gericht habe hier ausdrücklich nicht „hau den Lucas“ spielen wollen und ihn deshalb freigesprochen
.“

Ups, jetzt ist es viel geworden. Na ja, war ja auch ein bedeutender Anlass. Abschließend nur die Frage: War es nicht doch „Hau den Lucas“? M.E. war es allerdings keine „Justizposse“ , wie Spiegel-online offenbar meint, wenn es seinen Beitrag beginnt mit: „Ende einer Justizposse“.

Wir bleiben hier im Übrigen am Ball. Es stellt sich ja noch die interessante Frage, ob die StA in die Revision geht. Und: Wie geht man mit den Zeugenaussagen aus dem Verfahren um? Da darf man gespannt sein, ob es ggf. Verfahren wegen Falschaussagen geben wird. Wir nehmen Wetten an :-).

Das liest man nicht gern

In BGH, Beschl. v. 24.02.2011 – 2 Str 571/10 heißt es:

„Dem folgt der Senat und weist ergänzend darauf hin, dass sich die zahlreichen vom Generalbundesanwalt aufgezeigten Unzulänglichkeiten bei sorgfältiger Abfassung der Urteilsgründe unschwer hätten vermeiden lassen.“

Das liest man als Tatrichter sicher nicht gern und dürfte (sollte) leicht rot werden. Worum ging es? Auch das hält der BGH fest:

Die Nennung von falschen Daten der Hauptverhandlung (16.06.2009, 22.06.2009, 25.06.2009 und 28.06.2009 statt 16.06.2010, 22.06.2010, 25.06.2010 und 28.06.2010) sowie eines falschen Datums der Urteilsverkündung (28.06.2009 statt 28.06.2010) im Rubrum stellt ein offensichtliches Fassungsversehen dar. Eine entsprechende Berichtigung des Rubrums wird angeregt.

 

Soweit im Rubrum unter den angewandten Vorschriften bezüglich des Angeklagten N. anders als bezüglich des Angeklagten P. [richtig: P. ] der § 31 Abs. 2 JGG aufgeführt ist, handelt es sich ebenfalls um einen offenkundigen Schreibfehler. Das Landgericht hat zutreffend § 31 Abs. 2 JGG zwar bei dem Angeklagten P. [richtig: P. ] (UA S. 45), aber nicht bei dem Angeklagten N. (UA S. 49) angewandt, da der Angeklagte N. (UA S. 21/22) anders als der Angeklagte P. [richtig: P. ] (UA S. 11-14) alle bisher gegen ihn festgesetzten Jugendstrafen bereits vollverbüßt hatte. Eine entsprechende Berichtigung des Rubrums wird in das Ermessen des Senats gestellt.

Aufgrund der Urteilsfeststellungen (UA S. 37) ist zwar davon auszugehen, dass der Angeklagte N. auch im Fall 15 nur einen versuchten Diebstahl begangen hat. Der Angeklagte N. ist durch die rechtsfehlerhafte Annahme eines vollendeten Diebstahls im Fall 15 seitens des Landgerichts in den Urteilsgründen (UA S. 42/43) aber nicht beschwert. Denn der Angeklagte N. hat auch ohne Berücksichtigung des Fall 15 seiner Teilverurteilung durch das Landgericht entsprechend 13 vollendete Diebstähle (Fälle 4, 5, 6, 8, 11, 13, 14, 17, 18, 19, 20, 21, 22) verübt. Die Strafkammer hat dem Umstand, dass – ihrer Wer-tung gemäß – sechs Diebstähle nicht über das Versuchsstadium hinaus gekommen sind (Fälle 3, 9, 10, 12, 23, 24), bei der Strafzumessung (UA S. 46-49) zudem keine Bedeutung beigemessen. Mit Blick auf die Vielzahl der vollendeten und versuchten Diebstähle kann daher ausgeschlossen werden, dass die Strafkammer bei rechtsfehlerfreier Annahme eines versuchten Diebstahls im Fall 15 auf eine geringere Einheitsjugendstrafe erkannt hätte. Der Schuldspruch leidet vielmehr an einem offenkundigen Zählfehler zugunsten des Angeklagten N. , der auch auf dessen Revision berichtigt werden kann (BGH NStZ 1994, 25; NStZ-RR 2004, 67). Nach der rechtlichen Würdigung in den Urteilsgründen hat der Angeklagte N. 23 Straftaten einschließlich 14 Fällen des vollendeten Diebstahls und sechs Fällen des versuchten Diebstahls begangen (UA S. 42/43). Die Feststellungen in den Urteilsgründen würden dagegen seine Verurteilung wegen 23 Straftaten einschließlich 13 Fällen des vollendeten Diebstahls und sieben Fällen des versuchten Diebstahls tragen (UA S. 29-40). Tatsächlich wurde er aber lediglich wegen 22 Straftaten einschließlich 13 Fällen des vollendeten Diebstahls und sechs Fällen des versuchten Diebstahls verurteilt (UA S. 3). Es fehlt daher die Verurteilung wegen eines weiteren Falls des versuchten Diebstahls.

Soweit das Landgericht die Prüfung des Vorliegens eines besonders schweren Falls gemäß § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 – 3, Abs. 2 StGB in den Fällen 2 bis 6 und 8 bis 23 der Urteilsgründe unterlassen hat, ist der Angeklagte N. nicht beschwert.“

Videorekorder beim Revisionsgericht

Nur nebensächlich ist im Grunde die Entscheidung des BGH, Beschl. v. 15.12.2010 – 2 StR 387/10, die auf eine Anhörungsrüge nach § 356a StPO ergangen ist. Da hatte der Verurteilte (sein Verteidiger?) dem Revisionssenat offenbar ein Videoband übersandt und dessen Augenscheinseinnahme begehrt. Der BGH dazu:

„… Unbeschadet der Unzulässigkeit der Rüge ist für eine Entscheidung gemäß § 356a StPO aber auch in der Sache kein Raum. Der Senat hat bei seiner Entscheidung weder Tatsachen noch Beweisergebnisse verwertet, zu denen der Verurteilte zuvor nicht gehört worden war, noch zu berücksichtigendes Vorbringen übergangen oder sonst dessen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Eine Beweisaufnahme – hier die von dem Verurteilten begehrte Inaugenscheinnahme des dem Senat übersandten Videobandes – findet in der Revisionsinstanz nicht statt…“

Ok, so weit so gut. Sollte/müsste man wissen, dass es in der Revisionsinstanz keine neue Beweisaufnahme gibt, sondern nur das tatrichterliche Urteil auf Rechtsfehler überprüft wird. Also: Dafür braucht man beim Revisionsgericht keinen Videorekorder.

Aber: Was ist, wenn auf eine Videoaufnahme nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO Bezug genommen worden ist; ob da zulässig ist, ist zwischen den OLG umstritten, der BGH hat sich dazu – soweit ist es sehe – noch nicht geäußert. Sieht man die Videoaufnahme auch als „Abbildung“ und die Bezugnahme als zulässig an – dazu gibt es eine sehr schöne Entscheidung des OLG Dresden – dann ist/wird sie Gegenstand des Urteils und unterliegt damit – wie das geschriebene Wort – der „Einsicht“ durch den Senat. Dann braucht man also ggf. doch einen Videorekorder.