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Geschwindigkeitsüberschreitung um 55 km/h – wirklich?

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Ein wenig durcheinander ging es in der Beweiswürdigung eines Urteils des AG Bayreuth, jedenfalls ist das OLG Bamberg mit den Ausführungen des Amtsrichters nicht klar gekommen und hat die amtsrichterliche Entscheidung im OLG Bamberg, Beschl. v. 06.06.2012 – 2 Ss OWi 563/12 – aufgehoben. Der Amtsrichter hatte den Betroffenen wegen einer auf der BAB A 9 begangenen fahrlässigen Verkehrsordnungswidrigkeit der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 55 km/h zu einer Geldbuße von 240,00 € verurteilt. In der Beweiswürdigung des Urteils des AG war dann einerseits festgestellt, dass im Bereich der Messung eine Geschwindigkeitsbeschränkung durch Zeichen 274 auf 60 km/h bestand; andererseits führte der Tatrichter zur vom Betroffenen an der Messstelle gefahrenen Geschwindigkeit u.a. aus:

Bei der Messung ist eine Geschwindigkeit von 160 km/h gemessen worden. Zum Ausschluss von Messtoleranzen hat das Gericht einen Abzug von 5 km/ vorgenommen, so dass letztlich von einer Mindestgeschwindigkeit von 155 km/h auszugehen war.“

Das OLG hat einen Fehler in der Beweiswürdigung angenommen:

Diese Feststellungen sind zwar bei einer lediglich auf die beweiswürdigenden Ausführungen beschränkten Betrachtung nicht widersprüchlich, da selbstverständlich bei einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 60 km/h der Betroffene auch mit einer Mindestgeschwindigkeit von 155 km/h gefahren sein könnte. Sie tragen jedoch die Verurteilung des Betroffenen wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 55 km/h nicht.

 Wenn nämlich die tatrichterliche Feststellung zu der vom Betroffenen gefahrenen Mindestgeschwindigkeit von 155 km/h zutrifft, dann muss – bei einer Verurteilung wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 55 km/h – die Feststellung zur Beschränkung der Geschwindigkeit durch Zeichen 274 auf 60 km/h unzutreffend sein; es müsste vielmehr eine Beschränkung der Geschwindigkeit auf 100 km/h angeordnet gewesen sein. Falls die Feststellung zur Beschränkung der Geschwindigkeit auf 60 km/h an der Messstelle zutreffend sein sollte, dann kann angesichts der Verurteilung des Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 55 km/h die im Rahmen der Beweiswürdigung erfolgte Feststellung einer Mindestgeschwindigkeit von 155 km/h nicht zutreffen.

 Nicht in Einklang zu bringen sind die beweiswürdigenden Ausführungen und die Sachverhaltsfeststellung des Tatrichters zur gefahrenen Geschwindigkeit auch mit folgender Erwägung des Tatrichters zur Verhängung des Fahrverbots:

 „Die Überschreitung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit war enorm, der Betroffene ist nahezu doppelt so schnell gefahren wie erlaubt.“

 Wenn an der Messstelle eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 60 km/h bestand, dann betrug die vom Amtsgericht festgestellte gefahrene Geschwindigkeit von mindestens 155 km/h deutlich mehr als das Doppelte der erlaubten Geschwindigkeit. Bei einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 100 km/h fuhr der Betroffene mit 155 km/h auch nicht annähernd „doppelt so schnell … wie erlaubt.“

Man muss schon klar sagen bzw. es muss klar werden, wovon denn nun ausgegangen wird.

Geschwindigkeitsüberschreitung – Geständnis – Urteilsgründe – was haben die miteinander zu tun?

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Auf die Frage: „Geschwindigkeitsüberschreitung – Geständnis – Urteilsgründe – was haben die miteinander zu tun? muss man antworten: Eine Menge, und davon kann der Erfolg einer Rechtsbeschwerde abhängen mit im Rahmen der Fahrverbotsverteidigung für den Betroffenen wichtigem Zeitgewinn. Das folgt aus dem OLG Braunschweig, Beschl. v. 01.03.2012 – Ss (OWi) 36/12 -, den mir ein Kollege vor kurzem hat zukommen lassen. Das OLG beanstandet nicht ausreichende Feststellungen/Ausführungen im amtsgerichtlichen Urteil:

Zur Einlassung des Betroffenen zum Schuldspruch teilen die Urteilsgründe lediglich mit, dass dieser seine Fahrereigenschaft eingeräumt hat und eine ordnungsgemäßen Messung und das Messergebnis nicht in Zweifel gezogen hat. (…)

Bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung ist die Wiedergabe der Einlassung insbesondere dann zwingend erforderlich, wenn – wie hier – weder dargelegt wurde, mit welchem Messverfahren die Geschwindigkeitsüberschreitung festgestellt und wel­cher Toleranzwert berücksichtigt wurde. Denn auf Angaben zum Messverfahren und Toleranzwert kann bei Geschwindigkeitsverstößen nur in den wenigen Fällen eines echten „qualifizierten“ Geständnisses des Betroffenen verzichtet werden (BGH NJW 1993, 3081; OLG Bamberg, NStZ-RR 2007, 321; OLG Celle, Beschl. v. 09.04.2009, 322 SsBs 301/08, juris). Die Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung aufgrund eines glaubhaften Geständnisses des Betroffenen setzt stets voraus, dass der Betroffene eine bestimmte (Mindest-)Geschwindigkeit nicht nur tatsächlich eingeräumt hat, sondern zusätzlich auch die konkreten Umstände aus originärer Wahrnehmung benennen konnte, aus denen sich für ihn ergab, dass er die vorge­worfene Geschwindigkeit— mindestens – gefahren ist (OLG Bamberg, a.a.O..; juris Rdnr. 25). Es reicht nicht, wenn der Betroffene lediglich die ihm nachträglich bekannt gewordenen Messung als solche und die ihm bereits „als gemessen“ präsentierte Geschwindigkeit zur Tatzeit bestätigt hat (vgl. OLG Jena NJW 2006, 1075; OLG  Hamm NZV 2002, 101, 102).

Zwar konnte das Amtsgericht hier in der Bestätigung der Richtigkeit des Messergeb­nisses ein allgemeines Geständnis sehen; für ein uneingeschränktes „qualifiziertes“ Geständnis fehlt es jedoch an der Wiedergabe dessen, wie sich der Betroffene über seinen Verteidiger konkret zur Geschwindigkeitsüberschreitung eingelassen hat. Dem entsprechend kann nicht festgestellt werden, ob er seine Geschwindigkeit aus eigener Wahrnehmung einschätzen konnte und ob diese Wahrnehmung nachvoll­ziehbar und glaubhaft ist.

Dieser Darstellungsmangel, der durch eine nähere Wiedergabe der Einlassung des Betroffenen möglicherweise hätte vermieden werden können, führt dazu, dass auf die Mitteilung der konkreten Messmethode und des Toleranzwerts nicht verzichtet werden konnte.“

Ein Fehler, der nicht selten gemacht wird. Der wird dann zwar in der „2. Runde“ repariert, aber der Zeitgewinn ist da.

Anleitung zum Urteilschreiben vom BGH: So hätte ich es gerne

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Immer nur das Schimpfen auf die LG bringt es auch nicht. Man muss auch mal sehen, dass die Strafkammern es so einfach auch nicht haben. Zumal der BGH nun auch noch Schreib- bzw. Gliederungsvorlagen gibt. Im BGH, Beschl. v. 19.06.2012 – 3 StR 124/12 – sagt der 3. Strafsenat nämlich, wie er es in Punktesachen gerne hätte:

„4. Das angefochtene Urteil hat unter lediglich einem Gliederungspunkt fünf (bei zutreffender Würdigung: vier) selbständige Taten festgestellt. Das gibt dem Senat Anlass zu dem Hinweis, dass es sich in Punktesachen aus Gründen der Übersichtlichkeit stets empfiehlt, die Einzelfälle jeweils mit einer Ordnungszahl zu versehen, die den jeweiligen Einzelfall bei den Feststellungen zur Sache, bei der Beweiswürdigung, bei der rechtlichen Würdigung, bei der Strafzumessung und bei weiteren Sanktionsentscheidungen gleichermaßen kennzeichnet (vgl. BGH, Beschluss vom 28. November 2000 – 5 StR 453/00, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 12).

Frage, die sich daran anknüpft: Und was ist, wenn die Strafkammer sich nicht an diese Vorgaben hält? Wird dann aufgehoben? Gibt es den Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht mehr?

Der Verteidiger sollte sich auf der Grundlage dieses Hinweises angewöhnen, sein Revisionsvorbringen vielleicht ebenso zu gliedern wie die Kammer das Urteil gegliedert hat. Dann findet der BGH besser, worauf es ankommt. Nicht, dass er suchen muss. Das will er offenbar nicht. 🙂

Unterhaltspflichtverletzung: Kannste überhaupt zahlen?

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Ich habe ja schon häufiger über eine der Schnittstellen Strafrecht/Familienrecht berichtet. Sie liegt bei der Unterhaltspflichtverletzung (§ 170 StGB; vgl. z.B. hier unter Unterhaltspflichtverletzung: Strafrecht meets Familienrecht. Zusammenfassend kann man dazu sagen, dass es für die Tatrichter nicht einfach ist, an der Stelle die „Enden zusammen zu bekommen“ = ausreichende tatsächliche Feststellungen zu treffen. das zeigt sich auch immer im OLG Hamm, Beschl. v. 17.04.2012 – III 3 RVs 24/12. Danach gilt:

  • Der Schuldspruch wegen Unterhaltspflichtverletzung setzt zunächst voraus, dass der Tatrichter den Umfang der Unterhaltspflicht, welche sich nach der Lebensstellung des Bedürftigen bestimmt (§ 1610 Abs. 1 BGB), feststellt und die dem zugrunde liegenden Tatsachen im Urteil ausführt.
  • Der Höhe des geschuldeten Unterhalts hat der Tatrichter alsdann die finanzielle Leistungsfähigkeit des Verpflichteten gegenüberzustellen  und auszuführen, ob und inwieweit der Pflichtige zumindest zu Teilleistungen auf den geschuldeten Unterhalt in der Lage ist.
  • Ferner sind ggf. Feststellungen über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Mutter erforderlich.
  • Schließlich muss sich das AG auch mit ggf. bestehenden weiteren Unterhaltspflichten auseinander setzen.

Also: Umfangreiches Programm, das häufig nicht erfüllt wird.

 

Etwas mehr Sorgfalt bitte.., oder: § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO lässt grüßen

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Etwas mehr Sorgfalt bei Abfassung der Urteilsgründe wünscht man sich schon manchmal schon. Da wird der Angeklagte vom Landgericht wegen besonders schweren Raubes, räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit  gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Seine Revision hat zuimndest teilweise Erfolg, denn der BGH, Beschl. v. 02.05.2012 – 3 StR 37/12 – hebt das landgerichtliche Urteil teilweise auf. Begründung:

„1. Im Fall II. 1. der Urteilsgründe wird die Verurteilung wegen räuberischer Erpressung durch die Feststellungen nicht belegt. Danach „trafen die Angeklagten“ – neben dem Beschwerdeführer die Nichtrevidenten A. und R. G. – „auf den Geschädigten“. Dieser merkte, dass er verfolgt wurde und lief davon. Er wurde zu Boden gestoßen und A. G. versetzte ihm mehrere Faustschläge und Fußtritte. Sodann forderte R. G. von ihm Geld, worauf er diesem etwa 70 bis 100 Euro herausgab. „Die Angeklagten wussten jedoch, dass sie keinen Anspruch auf dieses Geld hatten.“ Sie kauften sodann von dem Geld Bier und Zigaretten, die sie gemeinsam konsumierten.

Damit sind lediglich die Anwesenheit des Angeklagten am Tatort und seine Mitwirkung am Beuteverzehr festgestellt. Ob er sich an der räuberischen Erpressung als Täter oder Gehilfe (zur Abgrenzung vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 27. März 2012 – 5 StR 114/12 mwN) beteiligt hat, ist dem Urteil auch im Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht zu entnehmen.

2. Gleiches gilt für die Verurteilung wegen besonders schweren Raubes im Fall II. 3 der Urteilsgründe. Danach war der Angeklagte mit drei gesondert verfolgten Männern nachts in einem Auto unterwegs. Sie besprachen, dass sich in der Wohnung des E. Z. „mitnehmenswerte Gegenstände befin-den könnten, die entwendet werden sollten“. Als der Geschädigte später dem Angeklagten und den gesondert Verfolgten Zugang zu seiner Wohnung ermöglicht hatte, „entwendeten“ diese „aus der Wohnung … absprachegemäß steh-lenswerte Gegenstände“. Damit ist lediglich die Begehung eines Diebstahls festgestellt. Zwar hatte der gesondert verfolgte M. zuvor den Geschädigten auf der Straße mit einem Baseballschläger bedroht und ein Getränk von ihm verlangt. Ob diese Drohung durch M. schon dazu diente, den Tätern später den Zutritt zur Wohnung zu ermöglichen sowie den Widerstand des Geschädig-ten gegen die Wegnahme von Gegenständen zu unterbinden, ist dem Urteil nicht zu entnehmen. Erst recht fehlt es an der Feststellung, dass der Angeklagte die Bedrohung als final für einen Raub erkannte und als Willensbeugungselement im Hinblick auf die Wegnahme von Gegenständen aus der Wohnung billigte. Dass der Geschädigte während der Wegnahme der Gegenstände in der Küche seiner Wohnung eingesperrt und somit einvernehmlich Gewalt zur Ermöglichung der Tat gegen ihn angewendet worden war, konnte die Strafkammer gerade nicht feststellen.

Wenn man das so liest und sich überlegt, dass ein Referendar das als Urteilsentwurf abgegeben hätte. Na, der hätte was zu hören bekommen. § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO lässt grüßen…