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Selbstläufer

© Alex White - Fotolia-com

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Ich habe ja schon häufiger darauf hingewiesen: Ein (Straf-/Bußgeld)Urteil muss die Einlassung des Angeklagten/Betroffenen wiedergeben. Geschieht das – unverständlicher Weise – nicht, dann ist die Revision/Rechtsbeschwerde gegen dieses Urteil i.d.R. ein Selbstläufer. Das beweist (mal wieder) der OLG Naumburg, Beschl. v. 24.08.2015 – 2 RV 104/15, in dem es zu der Frage nur kurz heißt:

„Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben, weil es materiell-rechtlich unvollständig ist. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, das die Überzeugungsbildung des Amtsgerichts in jeder Hinsicht auf einer rechtsfehlerfreien Grundlage beruht und andererseits kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Entscheidung in diesem Bereich von rechtsfehlerhaften Erwägungen beeinflusst ist (§ 337 StPO).

1. So teilt das Amtsgericht in seinem Urteil weder mit, ob und wie sich die Angeklagte zu der Sache eingelassen hat, noch wie und mit welchen erhobenen Beweisen diese Einlassung gewürdigt worden ist. Fehlen in einem Strafurteil jedoch jegliche Angaben darüber, liegt grundsätzlich ein sachlich rechtlicher Mangel vor, der zur Aufhebung des Urteils führt, denn ein so unvollständiges und lückenhaftes Urteil ermöglicht keine Überprüfung, ob in ihm das Recht in fehlerfreier Weise angewandt worden ist [vgl. KG Berlin, Beschluss vom 09.07.1997 — (4) 1 Ss 158/97 (66/97)].

Und das muss man in der Revision/Rechtsbeschwerde noch nicht einmal ausdrücklich rügen 🙂 . Man sollte es aber lieber tun…..

Für die Urteilsgründe gibt es kein Fleisskärtchen

FleisskaertchenMan kennt die Redensart „Wer schreibt, der bleibt“. Wie immer man die auch versteht oder verstehen will, bezogen auf strafverfahrensrechtliche Urteilsgründe gilt die Redensart zumindest hinsichtlich des Umfangs der Gründe nicht. Denn der BGH moniert immer wieder, dass in den Urteilsgründen im Rahmen der Beweiswürdigung zu viel Unnützes geschrieben wird. So jetzt auch noch einmal im BGH, Beschl. v. 25.02.2015 – 4 StR 39/15:

„Dabei dienen die schriftlichen Urteilsgründe nicht der Nacherzählung des Ablaufs der Ermittlungen oder der Dokumentation des Gangs der Hauptverhandlung. Die Annahme, es sei notwendig, das Revisionsgericht im Detail dar-über zu unterrichten, welche Ergebnisse die im Hauptverhandlungsprotokoll verzeichneten Beweiserhebungen erbracht haben, ist verfehlt (BGH aaO). Auch muss der Tatrichter nicht für alle Feststellungen einen Beleg erbringen (BGH, Urteil vom 17. April 2014 – 3 StR 27/14, NStZ-RR 2014, 279 f. mwN). Er ist im Fall einer Verurteilung des Angeklagten grundsätzlich aber verpflichtet, die für den Schuldspruch wesentlichen Beweismittel im Rahmen seiner Beweiswürdigung heranzuziehen und einer erschöpfenden Würdigung zu unterziehen (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 20. März 2002 – 5 StR 448/01). Insofern beurteilt sich die Erörterungsbedürftigkeit nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme; (nur) mit Umständen, die im Zeitpunkt der Urteilsfällung noch beweiserheblich waren, muss sich der Tatrichter im Urteil auseinandersetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Mai 2000 – 1 StR 183/00, NStZ-RR 2001, 174 f.; Urteil vom 24. Januar 2006 – 5 StR 410/05). Es ist deshalb regelmäßig überflüssig, nach den tatsächlichen Feststellungen sämtliche in der Hauptverhandlung erhobenen Beweismittel, auf denen das Urteil beruhen soll, aufzuzählen; dies kann die Würdigung der Beweise nicht ersetzen (so bereits BGH, Beschluss vom 17. Oktober 1996 – 1 StR 614/96) und stellt lediglich eine vermeidbare Fehler-quelle dar, da sie Anlass zu Rügen nach § 261 StPO geben kann (BGH, Beschluss vom 17. November 1999 – 3 StR 385/99, NStZ 2000, 211).

Daran gemessen ist verfehlt, dass das Landgericht im Anschluss an die Feststellungen mitteilt, dass diese unter anderem auf den Angaben von 17, teils sogar mit ihren Geburtsnamen bezeichneten Zeugen, auf im Einzelnen aufgeführten, in der Hauptverhandlung verlesenen Urkunden und in Augenschein genommenen Lichtbildern beruhen, es indes auf die Lichtbilder weder  gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO verweist, noch die Inhalte der Urkunden näher mitteilt und von den 17 vernommenen Zeugen im Folgenden lediglich fünf Aussagen dargestellt und erörtert werden.“

Also: Die Urteilsgründe sind kein Tätigkeitsnachweise und Fleißkärtchen gibt es auch nicht. Schön(er) wäre es, wenn Beweise dann auch wirklich „gewürdigt“ würden.

Die Einlassung gehört ins Urteil – was ist daran denn so schwer?

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Fangen wir nach den Feiertagen ganz einfach und leicht wieder an, und zwar mit einer Problematik, zu der der BGH auch immer wieder Stellung nimmt/nehmen muss (vgl. kurzem der BGH, Beschl. v. 30.12.2014 – 2 StR 403/14 und dazu: Klassischer Fehler XXIII: Urteil ohne Einlassung, das ist ein “Anfängerfehler”). Heute ist es der OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 20.01.2015 – 1 Ss 8/14 – der die Frage der Einlassung in den Urteilsgründen behandelt. Das AG hatte den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung verwarnt und sich die Festsetzung einer Geldstrafe  vorbehalten. Das OLG hebt auf, weil ihm die Beweiswürdigung und die Mitteilung der Einlassung des Angeklagten nicht ausreicht:

„Diese Beweiswürdigung hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand. Die Aufgabe, sich an der Grundlage der vorhandenen Beweismittel eine Überzeugung vom tatsächlichen Geschehensablauf zu verschaffen, obliegt grundsätzlich allein dem Tatrichter. Dem Revisionsgericht ist es verwehrt, die Beweiswürdigung des Tatrichters durch seine eigene zu ersetzen (vgl. z. B. Senatsbeschl. v. 27.02.2007 – Az.: 1 Ss 286/06 – m.w.N.). Bei der Überprüfung des Urteils darf die Beweiswürdigung des Tatrichters daher nur auf rechtliche Fehler überprüft werden. Die Beweiswürdigung ist rechtsfehlerhaft, wenn sie in sich widersprüchlich, lückenhaft oder unklar ist oder gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (vgl. Senatsbeschl. v. 07.09.2005 – 1 Ss 401/04 u. v. 30.08.2005 – 1 Ss 385/04 -; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 337 Rdziff. 27 m.w.N.). Aus § 261 StPO ergibt sich die Verpflichtung des Tatrichters, den festgestellten Sachverhalt, soweit er bestimmte Schlüsse zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten nahe legt, in Verbindung mit den sonst festgestellten Tatsachen erschöpfend zu würdigen. Die Gesamtwürdigung aller in der Hauptverhandlung festgestellten wesentlichen Tatsachen ist in den Urteilsgründen darzulegen, wobei insbesondere auch die Einlassung des Angeklagten und die Aussage der Zeugen mitzuteilen und unter Berücksichtigung der erhobenen Beweise in nachvollziehbarer Weise eingehend zu würdigen sind (vgl. z. B. Senatsbeschl. v. 07.09.2005 – 1 Ss 401/04 – u. v. 30.08.2005 – 1 Ss 385/04 -; Meyer-Goßner, aaO. § 267 Rdziff. 12 m.w.N.).

Diesen Anforderungen hält das angefochtene Urteil nicht stand. Die Einlassung der Angeklagten ist nicht zusammenhängend wiedergegeben. Lediglich an drei Stellen der Beweiswürdigung wird dieser – wie dargelegt – fragmentartig aufgeführt (Anm.: Zur Verdeutlichung werden diese Passagen in dem Senatsbeschluss kursiv und fett gedruckt wiedergegeben). Grundsätzlich hat der Tatrichter die Einlassung des Angeklagten zum Schuldvorwurf in den Urteilsgründen erschöpfend aufzunehmen und zu würdigen. Ohne die Wiedergabe der Einlassung des Angeklagten und ihre Würdigung kann das Revisionsgericht nicht erkennen, ob der Beurteilung des Sachverhalts rechtlich fehlerhafte Erwägung zugrunde liegen (vgl. Senatsbeschl. v. 02.05.2007 – 1 Ss 365/06 -). Nur im sachlich und rechtlich einfach gelagerten Fällen von geringer Bedeutung kann unter Umständen auf die Wiedergabe der Einlassung ohne Verstoß gegen die materiell-rechtliche Begründungsfrist verzichtet werden (vgl. Senatsbeschl. v. 02.05.2007 – 1 Ss 365/06 -). Bei dem vorliegenden Sachverhalt ist eine erschöpfende Wiedergabe und Würdigung der Einlassung der Angeklagten im Hinblick auf den Tatvorwurf – fahrlässige Tötung – und der Komplexität der Beweiswürdigung geboten.“

Ich verstehe es nicht. Im Grunde ist das doch eine ganz einfache Geschichte. Warum da immer wieder Fehler gemacht werden, ist mir unerklärlich. So schwer ist es doch nicht, auch wenn mehrere Kühe im Spiel sind.

Klassischer Fehler XXIII: Urteil ohne Einlassung, das ist ein „Anfängerfehler“.

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Da kann/muss ich mal wieder über einen „Klassischen Fehler“ berichten, den ich allerdings noch besser in die Kategorie „Anfängerfehler“ eingeordnet hätte. Denn das, was das LG Gera da „verbrochen“ hat, geht m.E. gar nicht. Die Strafkammer verurteilt den Angeklagten wegen Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflichten zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und setzt die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus. Im Urteil kein Wort zur Einlassung des Angeklagten. Und das war es dann beim BGH, der dazu im BGH, Beschl. v. 30.12.2014 – 2 StR 403/14 – ausführt:

„Die Beweiswürdigung, aufgrund derer sich das Landgericht die Überzeugung vom Vorliegen der angeklagten Tatvorwürfe verschafft hat, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie ist lückenhaft, weil jegliche Angaben dazu fehlen, ob und wie sich die Angeklagte zur Sache eingelassen hat.

Aus § 267 StPO, der den Inhalt der Urteilsgründe festlegt, ergibt sich zwar nicht, dass das Gericht verpflichtet ist, eine Beweiswürdigung im Urteil vorzunehmen, in der die Einlassung des Angeklagten mitgeteilt und diese Einlassung unter Bewertung der sonstigen Beweismittel gewürdigt wird. Doch ist unter sachlich-rechtlichem Blickwinkel regelmäßig eine Wiedergabe der Einlassung des Angeklagten erforderlich, damit das Revisionsgericht nachprüfen kann, ob sich der Tatrichter unter Berücksichtigung der erhobenen Beweise eine tragfähige Grundlage für seine Überzeugungsbildung verschafft und das materielle Recht richtig angewendet hat (vgl. zuletzt BGH NStZ-RR 2013, 134, 135 m.w.N. im Falle eines Freispruchs; siehe BGH NStZ-RR 1999, 45 zu einem Verurteilungsfall; dazu auch: auch OLG Hamm StraFo 2003, 133; OLG Köln StraFo 2003, 313). Es bedarf somit einer geschlossenen und zusammenhängenden Wiedergabe wenigstens der wesentlichen Grundzüge der Einlassung des Angeklagten, um die Beweiswürdigung des Tatrichters auf sachlich-rechtliche Fehler hin überprüfen zu können.

In den Urteilsgründen fehlt jegliche Auseinandersetzung mit der Einlassung der Angeklagten. Es wird nicht einmal mitgeteilt, ob die Angeklagte sich überhaupt zu dem Anklagevorwurf geäußert hat. Soweit sich den Gründen der angefochtenen Entscheidung entnehmen lässt, dass die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen der Angeklagten auf ihren Angaben beruhen, lässt dies – entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts – nicht den Schluss zu, dass die Angeklagte über Erklärungen zur Person hinaus keine Angaben zur Sache gemacht hat. Infolgedessen ist das Urteil mangels einer durch das Revisionsgericht überprüfbaren Beweiswürdigung aufzuheben.“

In meinen Augen ein Fehler, den man allenfalls noch einem frisch gebackenen „Neuling“ als Amtsrichter am AG durchgehen lassen kann – aber auch nur einmal, nicht aber eine Strafkammer mit einem Vorsitzeden und mindestens einem Richter am LG. Man fragt sich: Wieso haben die ihre Hausaufgaben nicht gemacht und wieso kann es zu so einem Fehler kommen? Möglicherweise liegt es dem in den Augen der der Kammer geringen Strafmaß und man hat nicht  mit einer Revision gerechnet. Aber: Im Zweifel wird das Urteil doch erst nach Einlegung der Revision begründet worden sein. Das wusste man, dass eine Revision im Spiel und der Weg nach Karlsruhe programmiert war.

Und: Ceterum censeo: Hier geht es zur Abstimmung Beste Jurablogs Strafrecht 2015 – wir sind dabei, die Abstimmung läuft…

Kleiner Grundkurs im Abfassen von Urteilsgründen: Da darf nichts „hoch kochen“…

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So richtig etwas für den Weg ins Wochenende ist das BGH, Urt. v. 14.08.2014 –  4 StR 163/14, auf das ich aus anderem Grund in den nächsten Tagen nochmal zurückkommen werde. Zunächst: Das Urteil zeigt sehr schön, dass der BGH es nicht mag, wenn in den Urteilsgründen umgangssprachlich formuliert wird. Denn er moniert umgangssprachliche Redewendungen in einem Urteil des LG Detmold als ggf. für den Bestand des Urteils sogar „gefährdend“:

3. Abschließend weist der Senat darauf hin, dass in den Urteilsgründen die für erwiesen erachteten Tatsachen (§ 267 Abs. 1 Satz 1 StPO) in sachlicher Form und mit möglichst eindeutigen Formulierungen dargestellt werden sollten. Der Umgangssprache entnommene Wendungen und Redensarten („mehr schlecht als recht“, „mit Vorwürfen bombardierend“, „kochte in ihr alles hoch“, „sodann war ihr alles egal“, „vergaß sich der Angeklagte komplett“) sind dabei – sofern nicht als Zitate unerlässlich – grundsätzlich zu vermeiden. Ihre Verwendung kann den Bestand des Urteils gefährden, wenn sie mehrdeutig sind oder Wertungen enthalten, die nicht durch Tatsachen belegt sind.“
Ok, ok. Obwohl: Manchmal lässt sich durch solche „Redewendungen“ mehr und einfacher ausdrücken, worauf es ankommt. Aber eben gefährlich – wenn nicht zumindest ein paar Tatsachen angeführt werden, was denn nun z.B. „hoch kochte“.