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OWi II: Einlassung „ein anderer war der Fahrer“, oder: Das kann man nicht so einfach „abbügeln“

Und die zweite OWi-Entscheidung dann auch zur Täteridentifizierung, aber zum Umfang der Beweisaufnahme, und zwar dann, wenn ein Messfoto vorliegt, der Betroffene aber auch eine andere Person als Fahrer benennt. Dazu verhält sich der OLG Oldenburg, Beschl. v. 05.10.2021 – 2 Ss (OWi) 211/21. Das OLG hat die Verurteilung des Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung aufgehoben:

„Im Übrigen unterliegt das angefochtene Urteil mit den getroffenen Feststellungen aber der Aufhebung.

Die Aufklärungsrüge erweist sich zumindest insoweit als erfolgreich, als das Amtsgericht nicht von der Vernehmung der beiden Zeugen, die der Betroffene als mögliche Fahrer benannt und dabei geltend gemacht hatte, dass sie im Aussehen dem Betroffenen in wesentlichen Gesichtsmerkmalen ähneln würden, absehen durfte.

Zwar teilt der Senat die Einschätzung des Amtsgerichtes, dass das bei der Messung gefertigte Lichtbild zur Identifizierung grundsätzlich geeignet ist. Da der Betroffene aber geltend macht, dass die als mögliche Fahrer in Betracht kommenden Personen dem Betroffenen ähneln -was aufgrund der engen verwandtschaftlichen Bindung auch denkbar erscheint- durfte das Amtsgericht nicht allein auf einen Vergleich des Lichtbildes mit dem Betroffenen abstellen. Dies gilt hier insbesondere deshalb, weil das Messfoto -wie auch das Amtsgericht feststellt- eine gewisse Unschärfe aufweist:

„Insbesondere wenn der Betroffene einen Dritten namentlich als Fahrer benennt, muss das Gericht in aller Regel diesen als Zeugen laden und gegebenenfalls vernehmen. Die bei der Verkehrsüberwachung zur Identifizierung des Täters gefertigten Lichtbilder sind nicht immer so klar und deutlich, dass es ausgeschlossen erscheint, eine andere Person als der Betroffene sei gefahren. Gerade weil das Gericht bei Anwesenheit des benannten Zeugen feststellen kann, ob dieser als Fahrer in Betracht kommt, ist die Beweiserhebung gemäß § 77 Abs. 2 Nummer 1 OWiG im Einzelfall nur bei Vorliegen besonderer Umstände abzulehnen. Derartige Umstände können zum Beispiel gegeben sein, wenn das Lichtbild von sehr guter Qualität ist, die auf dem Lichtbild abgebildete Person dem erschienenen Betroffenen „wie ein Spiegelbild“ gleicht und der Betroffene nicht geltend macht, dass der benannte Zeuge ihm täuschend ähnlich sieht.“ (Bayerisches Oberstes Landesgericht NJW 1997,1864)

Soweit das Amtsgericht die Verurteilung des Betroffenen auch auf die weiteren von ihm genannten Umstände gestützt hat, führt dies hier zu keinem anderen Ergebnis. So ist Halter des Fahrzeuges nicht der Betroffene selbst, sondern eine GmbH. Aus der Gesprächsnotiz ergibt sich lediglich, dass die Sachbearbeiterin des Landkreises den Eindruck gehabt habe, der Betroffene -unterstellt er war der Anrufer- sei selbst der Fahrer gewesen. Auch die Benennung eines polnischen Staatsangehörigen als möglicher Fahrer muss nicht zwingend darauf hindeuten, dass gerade der Betroffene Fahrzeugführer gewesen ist. Vielmehr könnte dies auch den Zweck gehabt haben, einen Familienangehörigen vor einer Verurteilung zu bewahren.

Nach Vernehmung der Zeugen, in deren Rahmen das Amtsgericht natürlich auch einen optischen Eindruck von ihnen gewinnt, mag es beurteilen, ob es die Einholung eines Sachverständigengutachtens für erforderlich hält. Ein dahingehendes Präjudiz ist mit dieser Entscheidung ausdrücklich nicht verbunden.

Soweit das Amtsgericht die Ablehnung des Beweisantrages auch auf § 77 Abs. 2 Nummer 2 OWiG gestützt hat, fehlt es an ausreichenden Ausführungen dazu, dass die Vernehmung der Zeugen eine Aussetzung (nicht nur Unterbrechung) der Hauptverhandlung erforderlich gemacht hätte.“

OWi I: Es gibt ein Lichtbild vom Verkehrsverstoß, oder: Hohe Anforderungen an die Urteilsgründe

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Die 42. KW/2021 beginne ich mit zwei OWi-Entscheidungen. Thematik: Fahreridentifizierung.

Den Aufschlag mache ich mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 05.10.2021 – 3 RBs 211/21. Verurteilt worden ist der Betroffene wegen eines Rotlichverstoßes auf der Grundlage eines von dem Verstoß gefertigten Lichtbildes. Das gefällt dem OLG so, wie es das AG begründet hat, nicht. es „rückt“ die Ausführungen der GStA ein und hebt auf:

„Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Antragsschrift vom 17. September 2021 insoweit Folgendes ausgeführt:

„Hinsichtlich der Feststellung der Fahrereigenschaft müssen die Urteilsgründe so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht überprüfen kann, ob das Belegfoto überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen. Diese Forderung kann der Tatrichter dadurch erfüllen, dass er in den Urteilsgründen auf ein in der Akte befindliches Foto gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO i. V. m. § 71 Abs. 1 OWiG Bezug nimmt. Von dieser Möglichkeit hat das Amtsgericht in dem angefochtenen Urteil Gebrauch gemacht (BI. 137 d. A.). Aufgrund der Bezugnahme wird das Lichtbild zum Bestandteil der Urteilsgründe. Das Rechtsmittelgericht kann die Abbildung aus eigener Anschauung würdigen und ist daher auch in der Lage zu beurteilen, ob es als Grundlage einer Identifizierung tauglich ist. Ist das Foto aber — wie vorliegend der Fall — aufgrund schlechterer Bildqualität zur Identifizierung des Betroffenen nur eingeschränkt geeignet, so hat der Tatrichter zu erörtern, warum ihm die Identifizierung gleichwohl möglich erscheint. Dabei sind umso höhere Anforderungen an die Begründung zu stellen, je schlechter die Qualität des Fotos ist. Die — auf dem Foto erkennbaren — charakteristischen Merkmale, die für die richterliche Überzeugungsbildung bestimmend waren, sind zu benennen und zu beschreiben (zu vgl. OLG Zweibrücken BeckRS 2018, 42893 Rn. 7).

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Die Beweiswürdigung erweist sich als lückenhaft, soweit das Amtsgericht die Fahrereigenschaft des Betroffenen festgestellt hat.

Der Tatrichter hätte sich mit den qualitativen Einschränkungen des Messfotos auseinandersetzen und erörtern müssen, weshalb trotz der qualitativen Einschränkungen, gleichwohl eine Identifikation anhand der von ihm beschriebenen Gesichtsmerkmale möglich gewesen ist. Es fehlt vorliegend bereits an einer Auseinandersetzung mit den qualitativen Einschränkungen des Messfotos: diese werden lediglich festgestellt.

(….)

Die Überzeugung des Tatrichters beruht zudem nach der Darstellung in den Urteilsgründen allein auf dem mündlich erstatteten Sachverständigengutachten (zu vgl. OLG Hamm, BeckRS 2017, 117469 Rn. 4). Insoweit werden zwar einige Gesichts- bzw. Kopfmerkmale wiedergegeben, die der Sachverständige bei Abgleich mit dem Messfoto gefunden haben will (Gesichts-, Wangen- und Kinnform, hohe Stirn, ansteigende linke Augenbraue). Die Merkmale seien nach den Feststellungen des Sachverständigen „individualtypisch“, stünden nicht im Widerspruch zum Aussehen des Betroffen und seien „bei beiden gegeben“. Der Sachverständige habe die Identität des Betroffenen mit der Person auf dem Radarfoto als „wahrscheinlich“ eingeordnet; der von der Verteidigung ins Spiel gebrachte Alternativfahrer habe ein „viel schmaleres Gesicht“ und verfüge „über eine Spitze am Haaransatz“, sodass der Zeuge nicht die auf dem Messfoto abgebildete Person sei. Dies reicht indes nicht aus, um das Rechtsbeschwerdegericht in den Stand zu versetzen, die Ausführungen des Sachverständigen überprüfen zu können. So bleibt schon unklar, was mit den Formulierungen „wahrscheinlich“, „individualtypisch“ und es bestehe kein Widerspruch zum Aussehen des Betroffenen gemeint ist. Nachvollziehbar begründete Wahrscheinlichkeitsaussagen fehlen. Im Übrigen fehlt die Beschreibung der in den Urteilsgründen lediglich in Bezug genommen 18 Merkmalsausprägungen, die in dem Gesicht der Person auf dem Foto zu sehen sein sollen und die sich auch in dem Gesicht des Betroffenen wiederfinden. Es werden lediglich fünf Merkmalsausprägungen, die der Sachverständige festgestellt hat, wiedergegeben. Ist aber das Messfoto von derart schlechter Qualität wie im vorliegenden Fall, sind hohe Anforderung an die Begründung der richterlichen Überzeugungsbildung zu stellen, die vorliegend durch vage gehaltene niedrigschwellige Wahrscheinlichkeitsaussagen nicht erfüllt werden.

Soweit das angefochtene Urteil als Indiz für die Fahrereigenschaft auch die Initialen des Betroffenen und seinen Geburtstag auf dem Kennzeichen des genutzten Fahrzeugs heranzieht, hat dies zwar indizielle Bedeutung, ist jedoch nicht so zwingend, dass die Lückenhaftigkeit der Beweiswürdigung im Übrigen entscheidend ausgeglichen wird.“

Den oben zitierten Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Sachprüfung an und macht sie zur Grundlage seiner Entscheidung.“

Und selbst hat das OLG auch noch etwas zu „meckern“:

„Teilweise ergänzend bemerkt der Senat lediglich noch Folgendes:

Die Urteilsgründe werden — worauf bereits die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hingewiesen hatte — den sachlich-rechtlichen Anforderungen an die Darlegung von Gutachten, die nicht unter Anwendung eines allgemein anerkannten und weithin standardisierten Verfahrens erstattet worden sind, wie es bei einem anthropologischen Vergleichsgutachten der Fall ist, nicht gerecht. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Tatrichter, der ein Sachverständigengutachten eingeholt hat und ihm Beweisbedeutung beimisst, auch dann, wenn er sich dem Gutachten des Sachverständigen, von dessen Sachkunde er überzeugt ist, anschließt, in der Regel die Ausführungen des Sachverständigen in einer in sich geschlossenen (wenn auch nur gedrängten) zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen im Urteil wiedergeben, um dem Rechtsmittelgericht die gebotene Nachprüfung zu ermöglichen (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 1999 — 3 StR 241/99 —, Rdnr. 2, juris; Senat, Beschluss vom 26. Mai 2008 — 3 Ss OWi 793/07 —, Rdnr. 9, juris). Daran fehlt es aus den o.g. in der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft genannten Gründen. Letztlich kann nicht einmal nachvollzogen werden, wie die Sachverständige zu der Wahrscheinlichkeitseinschätzung „wahrscheinlich“ kommt und wie diese einzuordnen ist. Auch ist keine Beurteilung dahingehend möglich, ob es sich bei der Bewertung der Beweisbedeutung der übereinstimmenden Merkmale durch den Sachverständigen nur um mehr oder weniger genaue Anhaltswerte handelt, die den Beweiswert der abgegebenen Wahrscheinlichkeitsaussage erheblich relativieren (vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 04. Februar 2019 —111-4 RBs 17/19 —, Rdnr. 5, juris).

Soweit das Amtsgericht sich im Rahmen der Beweiswürdigung auf die Angaben eines Sachverständigen stützt, enthält das Urteil noch einen weiteren Darstellungsmangel. Denn in den Urteilsgründen wird die Person des Gutachters lediglich namentlich benannt und mitgeteilt, dass dieser dem Gericht seit Jahren als besonders erfahrener, zuverlässiger und kompetenter Sachverständiger für Lichtbildvergleichsgutachten bekannt sei. Nähere Einzelheiten zu seiner genauen Fachrichtung, seiner Arbeitsstelle und seiner Qualifikation zur Erstattung eines anthropologischen Sachverständigengutachtens werden nicht mitgeteilt. Dies ist in der Regel unzureichend (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 15. Mai 2008 — 2 Ss OWi 229/08 —, Rdnr. 7, juris).

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass die Anforderungen an die Darlegung bzgl. eines (anthropologisch-morphologischen) Sachverständigengutachtens nur für den Fall gelten, dass sich der Tatrichter für seine Überzeugungsbildung von der Täterschaft — wie hier — allein auf ein Sachverständigengutachten stützt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 04. Februar 2019 —111-4 RBs 17/19 —, Rdnr. 6, juris).“

StGB III: Verstoß gegen das PflichtversicherungsG, oder: Vier Zeilen Feststellungen sind ein wenig knapp

Und dann zum Tagesschluss noch ein Klassiker: Der (berühmte) Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz, zu dem das KG im KG, Beschl. v. 22.06.2021 – 3 Ss 30/21 – Stellung genommen hat:

„1. Es ist bereits zweifelhaft, ob die aus knapp vier Zeilen bestehenden Urteilsfeststellungen die Verurteilung wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz tragen. Denn die Mitteilung, dass „kein wirksamer Haftpflichtversicherungsvertrag bestand“ (UA S. 3), ist Ergebnis einer rechtlichen Würdigung, deren tatsächliche Voraussetzungen sich gegebenenfalls in den Urteilsfeststellungen wiederfinden müssen.

2. Jedenfalls ist die Beweiswürdigung in sachlich-rechtlicher Hinsicht unzureichend. Die Beweiswürdigung muss auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruhen, und die vom Tatrichter gezogenen Schlussfolgerungen dürfen nicht nur eine Vermutung darstellen (vgl. nur BGH NStZ-RR 2018, 89). Diese Anforderungen erfüllt die Beweiswürdigung hier nicht.

Es fehlt insbesondere an einer Darstellung der Umstände, aus denen das Tatgericht schließt, für das vom Angeklagten genutzte Kraftfahrzeug habe kein Versicherungsvertrag mehr bestanden. Das Amtsgericht stützt seine Überzeugung hiervon ausschließlich auf die Einlassung des Angeklagten, die allerdings über eine Kündigung nichts enthält. Vielmehr unterstellt das Amtsgericht zu dessen Nachteil den Zugang eines Kündigungsschreibens vom 8. April 2019.

Auch wenn der Tatrichter die Beweise frei würdigt, stellt die Annahme, das Schreiben sei bei der Versicherung sicher abgesandt worden und dem Angeklagten ebenso gewiss rechtswirksam zugegangen, im Letzten eine bloße Vermutung dar. Ob auch ohne förmliche Zustellung bei einem den Zugang des Kündigungsschreibens bestreitenden oder sich hierzu nicht erklärenden Angeklagten etwas anderes gelten kann, wenn das Tatgericht seine Überzeugung vom Zugang dezidiert begründet, muss hier offen bleiben (verneinend OLG Brandenburg, Beschluss vom 1. April 2020 – (1) 53 Ss 35/20 (24/20) –, juris; ebenso Senat VRS 102, 128 [2001] m.w.N.). Denn im angefochtenen Urteil fehlt es schon an der Mitteilung, dass das Schreiben zugegangen sei, erst recht aber an einer Begründung, warum der Tatrichter diese Überzeugung gewonnen hat. Vielmehr wird die rechtswirksame Beendigung des Versicherungsvertrags stillschweigend vorausgesetzt.

Der Senat teilt die Einschätzung des Strafrichters, der Angeklagte habe angesichts seines eigenen Vorverhaltens und insbesondere der zögerlichen und säumigen Prämienzahlungen jeden Grund dafür gehabt, mit einer Kündigung des Versicherungsvertrags zu rechnen (UA S. 4). Der Prämienrückstand führt aber nicht ipse iure zur Beendigung des Versicherungsvertrags. Hierzu bedarf es grundsätzlich der Kündigung und – im Regelfall – ihres Zugangs (§ 38 Abs. 3 VVG). Daher entband die Feststellung des Zahlungsverzugs das Amtsgericht nicht von der Feststellung, dass die Kündigung den Angeklagten auch tatsächlich erreicht hat (vgl. Senat ZfSch 2018, 474). Auch dass der Angeklagte in seiner Einlassung diesbezüglich „auffällig vage“ geblieben und wegen Betrugs vorbestraft sei (UA S. 4), ersetzt die Feststellung einer zivilrechtlich wirksamen Kündigung des Versicherungsvertrags nicht. „

StGB II: Ist ein Tätowiergerät ein gefährliches Werkzeug?, oder: Es kommt darauf an.

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich zum StGB vorstelle, handelt es sich um den OLG Hamm, Beschl. v. 02.09.2021 – 4 RVs 84/21. Das OLG nimmt Stellung zur Frage, ob ein zum Tätowieren genutztes Tätowiergerät die Eigenschaft eines gefährlichen Werkzeugs i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB hat.

Nach den Feststellungen hatte die Angeklagte ihrer Tochter mit ihrem Tätowiergerät eine Tätowierung am rechten Unterarm beigebracht, ohne dass hierfür eine wirksame Einwilligung vorlag. Das LG hat in dem Tätowiergerät ein gefährliches Werkzeug i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB gesehen. Es hat den Strafrahmen eines minderschweren Falles zu Grunde gelegt.

Das OLG hebt auf die Revision hin auf:

„Soweit das Landgericht die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB verurteilt hat, tragen die bisher getroffenen Feststellungen eine solche nicht.

Ein gefährliches Werkzeug ist ein solches, das nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen (vgl. nur: Fischer, StGB, 68. Aufl., § 224 Rdn. 14). Die bisherigen Feststellungen ergeben nicht hinreichend, ob der konkrete Einsatz des Tätowiergeräts geeignet war, erhebliche Verletzungen hervorzurufen. Es reicht insoweit nicht die bloße Eignung, überhaupt Verletzungen hervorzurufen (welche hier nicht in Frage steht), sondern diese muss auch erheblich sein (Hardtung in: MK-StGB, 4. Aufl. § 224 Rdn. 20). Es muss also nach der konkreten Art der Verwendung die Eignung bestehen, die Funktionen oder das Erscheinungsbild des Körpers so einschneidend zu beeinträchtigen, dass der Verletzte schwer getroffen ist und beträchtlich darunter zu leiden hat (Paeffgen/Böse in: NK-StGB, 5. Aufl. 2017, StGB § 224 Rn. 16). Ein Tätowiergerät hat nicht per se eine solche Eignung, sondern es kommt auf die konkrete Art seiner Verwendung an. Eine Tätowierung kann nach den heute gesellschaftlich allgemein vorherrschenden Vorstellungen nicht an sich schon als erhebliche Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes in dem o.g. Sinne angesehen werden. Auch der Vorgang des Tätowierens begründet nicht an sich schon ein erhebliches Leiden. Allerdings erscheint eine Eignung zum Hervorrufen erheblicher Verletzungen denkbar, etwa wenn das Tätowiergerät nicht hinreichend desinfiziert wurde und es deswegen zu schwerwiegenden Entzündungen kommt oder wenn sie in der Hand eines Ungeübten falsch verwendet wird und deswegen gravierendere Verletzungen (etwa durch falsche Aufstellung oder übermäßigen Druck in tieferen Gewebeschichten) hervorruft. Vorliegend ist lediglich festgestellt worden, dass die Angeklagte keine gelernte Tätowiererin ist, aber offenbar bei sich selbst bereits mehrere Tätowierungen angebracht hatte. Außerdem war ihr die Infektionsgefahr bei mangelnder Hygiene bewusst. Dies war gerade der Grund, warum sie selbst die Tätowierung bei ihrer Tochter vornehmen wollte. Es hätte vorliegend daher näherer Feststellungen zur Art des Gerätes bedurft (etwa, ob es so gebaut ist, dass auch bei ungeübter Verwendung ein Vordringen in tiefere Gewebeschichten ausgeschlossen ist) sowie auch zur Erfahrung und Übung der Angeklagten bei Anbringung von Tätowierungen, also insbesondere, ob die Tätowierungen aus der Laienhand der Angeklagten nicht zwangsläufig entstellend wirken und welche Hygienemaßnahmen sie ergriffen hat. Ferner kann für die konkrete Art der Verwendung von Bedeutung sein, in welcher Weise die Angeklagte das Tätowiergerät eingesetzt hat (etwa: Umfang der Druckausübung; Beeinträchtigung der Bedienfähigkeit nach Konsum berauschender Mittel etc.).“

OWi II: Inhalt der Urteilsgründe bei Poliscan-Messung, oder: Ausführungen zur „Behelfslinie“ erforderlich?

Im zweiten Posting des Tages zu dem OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30.08.2021 – IV-2 RBs 145/21 – geht es auch um ein Messverfahren,  und zwar um Poliscan, das ja lange in der Diskussion war und immer wieder in der Diskussion ist. So auch in diesem Beschluss, in dem es noch einmal um den Inhalt der Urteilsgründe geht.

Der Betroffene ist auf der Grundlage einer Poliscan-Messung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt worden. Er beanstandet den Inhalt der Urteilsgründe als zu knapp. Ohne Erfolg beim OLG:

„2. Die Sachrüge bietet keinen Anlass, die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts zu ermöglichen. Der Fall wirft sachlich-rechtlich keine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und abstraktionsfähige Rechtsfrage von praktischer Bedeutung auf.

In der Rechtsprechung ist hinreichend geklärt, dass es sich bei der Geschwindigkeitsmessung mit dem Laserscanner PoliScan um ein standardisiertes Messverfahren handelt (vgl. zu dem hier verwendeten Gerätetyp PoliScan M1 HP: OLG Braunschweig BeckRS 2017, 160492; OLG Zweibrücken BeckRS 2020, 5104; KG Berlin BeckRS 2020, 31900).

Die Beanstandung des Betroffenen, das angefochtene Urteil enthalte keine Ausführungen zu der „Behelfslinie“, ist nicht entscheidungserheblich.

Mit der ungebräuchlichen Bezeichnung „Behelfslinie“ meint der Betroffene offenbar die zum Grafikteil des Falldatensatzes gehörende Hilfslinie (vgl. Nr. 9.2 der Gebrauchsanweisung, Software-Version 3.7.4). Neben dem bekannten trapezförmigen Auswerterahmen enthält der Grafikteil bei Geschwindigkeitsverstößen zusätzlich eine Hilfslinie, die einem Maßstab der Breite 0,5 m entspricht. Dieser Wert kommt der Standardbreite von 0,52 m nahe, die ein einzeiliges Kfz-Kennzeichen aufweist (Abschnitt 1 Nr. 1 lit. a der Anlage 4 zur FZV).

Die in das Messfoto eingeblendete Hilfslinie visualisiert die Abtastebene durch das Messsignal, d. h. die Hilfslinie stellt die Mittelebene des sich aufweitenden Lasers optisch dar (vgl. PTB-Mitteilungen 2019, Heft 2, S. 79 u. 82; Smykowski NZV 2018, 358, 359).

Nach Nr. 9.5 der Gebrauchsanweisung müssen folgende Auswertekriterien erfüllt sein, um die im Datenfeld angezeigte Geschwindigkeit dem im Auswerterahmen positionierten Fahrzeug zuzuordnen:

– Bei Frontmessung müssen sich zumindest teilweise ein Vorderrad und/oder das Kennzeichen des Fahrzeugs innerhalb des Auswerterahmens befinden.

– Weitere Verkehrsteilnehmer, die sich auf der gleichen oder einer unmittelbar benachbarten Fahrspur in gleicher Fahrtrichtung bewegen, dürfen innerhalb des Auswerterahmens auch nicht teilweise zu sehen sein.

– Die Unterseite des Auswerterahmens muss sich unterhalb der Räder befinden.

Diese Auswertekriterien sind nach den getroffenen Feststellungen vorliegend uneingeschränkt erfüllt. Dies konnte der Senat anhand des Messfotos, auf das in dem Urteil wegen der Einzelheiten verwiesen worden ist (§ 71 Abs. 1 OWiG, § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO), durch eigene Anschauung nachvollziehen. Anzumerken ist, dass auf dem Messfoto allein das Fahrzeug des Betroffenen zu sehen ist, und zwar beim Befahren der mittleren Fahrspur der Autobahn.

Ausführungen zu der Position der Hilfslinie bedurfte es bei dieser eindeutigen Sachlage in den Urteilsgründen nicht. Die Gebrauchsanweisung sieht bei der Zuordnung des Fahrzeugs eine zusätzliche Heranziehung der Hilfslinie auch nicht vor. Die unabhängig von dem Auswerterahmen generierte Hilfslinie kann für eine zweifelsfreie Zuordnung allenfalls bei der Abbildung von zwei oder mehr Fahrzeugen in gleicher Fahrtrichtung von Bedeutung sein.

Im Übrigen ist die Hilfslinie entgegen dem Vorbringen des Betroffenen auch auf dem Messfoto (Bl. 1 untere Hälfte) erkennbar. Sie befindet sich knapp unterhalb der oberen Kante des Kühlergrills, wobei sich die hell eingeblendete Hilfslinie deutlich von dem dunklen Kühlergrill abhebt. Die Breite der Hilfslinie entspricht wie vorgesehen ca. der Breite des Kfz-Kennzeichens. Durch die Verweisung auf das Messfoto sind die dort ersichtlichen Einzelheiten der Abbildung, hier also auch die Position der Hilfslinie an der Fahrzeugfront, Bestandteil der Urteilsgründe.“