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Kardinalfehler des Verteidigers: Die Versäumung der Frist zur Rechtsmittelwahl beim unbestimmten Rechtsmittel

© Andreas Berheide - Fotolia.com

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In der vergangenen Woche hatte ich über das LG Freiburg, Urt. v. 27.10.2015 – 10 Ns 550 Js28148/14 -AK 23/15 berichtet und in Zusammenhang damit auf einige Fallgruben/Fallstricke hingewiesen, in die man als Verteidiger  in Zusammenhang mit dem „unbestimmten Rechtsmittel“ tappen kann. Zu dem Hinweis passt dann der KG, Beschl. v. 14. 10. 2015 – (4) 161 Ss 232/15 (199/15) –, in dem es um den „Kardinalfehler“ geht, den man als Verteidiger bei/nach Einlegung eines unbestimmten Rechtsmittels machen kann, die Versäumung der Frist zur Rechtsmittelwahl. Ist die nämlich versäumt, war es das. Da lässt sich dann nichts mehr reparieren. Das Verfahren wird als Berufung geführt. Dazu noch einmal das KG:

1. Das angegriffene Urteil unterlag grundsätzlich sowohl der Berufung als auch der Sprungrevision (§§ 312, 335 Abs. 1 StPO). Der Angeklagte konnte es deshalb zunächst in unbestimmter Form anfechten. Seinem Wesen nach war dieses unbestimmte form- und fristgerechte Rechtsmittel des Angeklagten (§§ 314 Abs. 1, 335 Abs. 1, 341 Abs. 1 StPO) von Anfang an eine Berufung (vgl. BGHSt 33, 183, 189). Der Angeklagte war allerdings berechtigt, zur Revision überzugehen, wobei eine solche Rechtsmittelwahl indessen nur bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist rechtswirksam ausgeübt werden kann (vgl. OLG München wistra 2009, 327 mwN; Senat, Beschluss vom 7. April 2003 – [4] 1 Ss 77/03 [37/03] –). Ist innerhalb der Revisionsbegründungsfrist keine (formgerechte) Erklärung erfolgt, verbleibt es bei der Berufung. Das Recht des Angeklagten, zwischen den beiden zunächst statthaften Anfechtungsmöglichkeiten zu wählen, geht mit dem Ablauf der Revisionsbegründungsfrist endgültig unter (vgl. OLG Naumburg StraFo 2009, 388 mwN).

So liegt es hier. Die Frist zur Begründung der Revision lief am 21. Mai 2015 ab. Die Bezeichnung des Rechtsmittels als Revision ist schon nach dem eigenen Vortrag des Angeklagten erst durch Übermittlung des anwaltlichen Schriftsatzes per Fax am 22. Mai 2015 erfolgt. Diese Übergangserklärung war verspätet und ist folglich unwirksam.

2. Da der Angeklagte keine gesetzliche Frist versäumt hat, ist sein Wiedereinsetzungsantrag gegenstandslos (vgl. KG, Beschluss vom 29. Dezember 2003 – [5] 1 Ss 255/03 [84/03] –). Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit dem Ziel der Revisionswahl ist generell ausgeschlossen, denn das Unterbleiben einer fristgerechten Ausübung des Wahlrechts hat lediglich zu Folge, dass das zunächst unbenannt eingelegte, deshalb ohnehin von vornherein als Berufung anzusehende Rechtsmittel nunmehr endgültig als Berufung feststeht. Der Rechtsmittelführer hat folglich mit dem Unterlassen eines fristgerechten Rechtsmittelübergangs keine eigenständige, einer selbstständigen Frist unterliegende Prozesshandlung versäumt, gegen die allenfalls eine Wiedereinsetzung gewährt werden könnte. Für eine Wiedereinsetzung besteht auch kein Rechtsschutzbedürfnis, weil dem Angeklagten mit der Berufung (und anschließend eventuell zusätzlich der Revision) das Recht zu einer umfassenden Überprüfung des angefochtenen Urteils verbleibt (vgl. OLG Naumburg aaO mwN; KG, Beschluss vom 27. Januar 2015 – [5] 161 Ss 252/14 [8/14] –).

Also: Aufgepasst, wenn man das Rechtsmittel als Revision führen will.

Unbestimmtes Rechtsmittel, oder: Auf diese Fallgruben muss man als Verteidiger achten

© MK-Photo - Fotolia.com

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Auf den ersten Blick scheint das LG Freiburg, Urt. v. 27.10.2015 – 10 Ns 550 Js28148/14 -AK 23/15 – nichts Besonderes zu sein/zu enthalten. Wenn man dann aber genauer hinschaut, stellt man fest: Es zeigt einige Fallgruben/Fallstricke auf, in die man als Verteidiger hineintappen kann.

Zugrunde liegt der Entscheidung folgender – im Grudne alltäglicher – Sachverhalt: Gegen den Angeklagten war wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Straßenverkehrsgefährdung gem. §§ 315 c Ab. 1 Nr. 1a, Abs. 3 StGB ein Strafbefehl erlassen worden. Verurteilt worden ist der Angeklagte vom AG dann aber nur wegen eines Verstoßes gegen § 24a Abs. 1 StVG zu einer Geldbuße, außerdem wurde jedoch – nach § 44 StGB (!!) – ein Fahrverbot verhängt. Die Kosten des Verfahrens wurden insgesamt dem Angeklagten auferlegt. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte über seinen Verteidiger „Rechtsmittel“ eingelegt. Ziel war, das Fahrverbot auf § 24 StVG, nicht aber auf § 44 StGB zu stützen. Außerdem sollte die erstinstanzliche Kostenentscheidung dahin abgeändert werden, entsprechend § 465 Abs. 2 StPO sämtliche Verfahrenskosten und notwendigen Auslagen der ersten Instanz der Staatskasse aufzuerlegen. In der Hauptverhandlung hat der Angeklagte sein Rechtsmittel dann auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Seine Berufung hatte überwiegend Erfolg. Allerdings ist die erstinstanzliche Kostenentscheidung nicht abgeändert worden:

„Die fristgerechte Einlegung einer sofortigen Beschwerde wäre – entgegen der Auffassung des Verteidigers – Voraussetzung dafür gewesen, die Kostenentscheidung des Amtsgerichts einer Überprüfung zuzuführen.

Die Kostenentscheidung des Amtsgericht muss grundsätzlich gesondert mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden, § 464 Abs. 3 S. 1 StPO. Eine Ausnahme hiervon gilt nach der zutreffenden neueren Rspr. und h. M. (vgl. Hilger in Löwe-Rosenberg, StPO, 2010, § 464, Rn. 42 f., m. w. N.) nur, wenn die Hauptsacheentscheidung so geändert wird, dass sie der erstinstanzlichen Kostenentscheidung widerspricht (Grundsatz der unlösbaren Verknüpfung der Sach- mit der Kostenentscheidung). Dies ist hier nicht der Fall und war auch von vornherein mit dem Rechtsmittel nicht angestrebt. Der Angeklagte hatte die vom Amtsgericht abgeurteilte Ordnungswidrigkeit nämlich gestanden. Es ging ihm mit dem Rechtsmittel darum, dass das Fahrverbot – der Rechtslage entsprechend – mit der Vollstreckungsflexibilität des § 25 Abs. 2 a StVG ausgestattet sein sollte.

Dem Angeklagten war auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Einlegung der sofortigen Beschwerde zu bewilligen. Zum einen hat er dies nicht beantragt und auch die sofortige Beschwerde nicht nachgeholt. Zum anderen wäre eine Wiedereinsetzung, auch von Amts wegen, schon deshalb ausgeschieden, weil der Verteidiger die Einlegung der sofortigen Beschwerde versäumt hat. Im Bereich des Kostenrechts wird dem Angeklagten das Verschulden seines Anwalts ebenso zugerechnet wie im Zivilprozess, vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 2015, § 464/21 m. w. N.; BGHSt 26, 126; OLG Düsseldorf, OLGSt StPO § 464 Nr. 5.“

Aus der Entscheidung lassen sich also folgende Lehren ziehen bzw. man sollte sich (noch einmal) Folgendes vergegenwärtigen:

  • Das in der Praxis nicht seltene „unbestimmte Rechtsmittel“ (§ 335 Abs. 1 StPO; zum „unbestimmten Rechtsmittel“ Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 8. Aufl., 2015, Rn. 2183 m.w.N.) erfasst nicht auch Nebenentscheidungen erfasst. Gegen sie muss ausdrücklich das zulässige Rechtsmittel eingelegt werden.
  • Etwas anderes gilt nur, wenn die ausdrückliche Kostenbeschwerde ausnahmsweise nicht erforderlich ist, wenn also, die Hauptsacheentscheidung ggf. so geändert wird, dass sie der erstinstanzlichen Kostenentscheidung widerspricht (Grundsatz der unlösbaren Verknüpfung der Sach- mit der Kostenentscheidung). Das ist z.B. der Fall, wenn nach Verurteilung in erster Instanz mit der Kostenfolge des § 465 StPO in zweiter Instanz ein Freispruch erfolgt, für den dann § 467 StPO gelten muss.
  • Im Kostenrecht gibt es im Zweifel keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, weil dem Angeklagten ein Verschulden des Verteidigers – anders als sonst im Strafverfahren – zugerechnet wird (vgl. dazu grundlegend BGHSt 26, 126).

Oh, heilige Justitia hilf….

© helmutvogler - Fotolia.com

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Heute ist in NRW Feiertag. Die katholische Kirche feiert das Fronleichnamsfest, was hier dann zugleich auch öffentlicher Feiertag ist. Und ich hoffe, dass die hl. Justitia – wenn es sie denn gibt, was ich jetzt nicht ausgegoogelt habe – diesen kirchlichen Feiertag zum Anlass nimmt, einem Kollegen zu helfen. Pfingsten hat da leider bei dem nichts genutzt.

Um was geht es?

Nun, mich erreichte gestern die Nachricht eines befreundeten Kollegen, der mich fragte, ob er bei § 317 StPO irgendwelche Änderungen übersehen habe. An den Kollegen war eine potentielle Mandantin herangetreten, die vom AG verurteilt worden war und gegen das Urteil (selbst) Berufung eingelegt hatte. Die potentiellen Mandantin hat dem anfragenden Kollegen auch den Schriftwechsel mit ihrem bisherigen Verteidiger zur Kenntnis gebracht. Darunter war eine Mail, in der der Kollege seiner Mandantin geschrieben hatte:

„….das Amtsgericht X. teilte uns mit, dass Sie Rechtsmittel gegen das Urteil vom 07.05.2015 eingelegt haben. Die Berufung sollte begründet werden. Die Frist beträgt hierfür eine Woche ab Zustellung des Urteils, endet also am nächsten Freitag, dem 05.06.2015.  Wir dürfen um Mitteilung der Gründe für Ihre Berufung bitten. Wird die Berufung nicht innerhalb dieser Frist begründet, ist es wahrscheinlich, dass diese allein wegen der Fristversäumnis abgewiesen wird.“

Also, da fehlen mir die Worte und ich hoffe auf Erleuchtung durch die hl. Justitia 🙂 – für den Kollegen . Denn seit wann muss denn im Strafverfahren die Berufung begründet werden? § 317 StPO lässt sich das gerade nicht entnehmen. Da heißt es klar und deutlich – nur – „kann“. Und wenn der Angeklagte nicht begründet – um die Sinnhaftigkeit einer Begründung kann man streiten -, dann wird eben ohne Begründung Hauptverhandlungstermin anberaumt.

Und selbst wenn die Mandantin selbst nur (ein unbestimmtes) Rechtsmittel eingelegt haben sollte (was ich mir kaum vorstellen kann), müsste dieses nicht begründet werden. Wird das unbestimmte Rechtsmittel nicht begründet bzw. – innerhalb der Frist von einem Monat nach Zustellung des begründeten Urteils – keine Wahl getroffen, dann wird das Rechtsmittel automatisch als Berufung behandelt (BGHSt 40, 395). Also auch da kein (Berufungs)Begründungszwang. Und ich komme auf die/behandele die Variante auch nur, weil es in der Mail des bisherigen Verteidigers zunächst heißt: „….dass Sie Rechtsmittel gegen das Urteil …“ eingelegt haben. Ich glaube allerdings, dass dem Kollegen die feinsinnigen Unterschiede kaum bewusst waren.

Da kann man wirklich nur hoffen, dass die h. Justitia kommt und den bisherigen Verteidiger erleuchtet. Für die Mandantin bringt das aber nichts mehr. Die hat sich nämlich, nachdem ihr die Rechtslage mit „wohl gesetzten“ Worten vom befreundeten Kollegen erläutert worden ist, für die weitere Verteidigung durch den entschieden. Wäre vielleicht besser gewesen, sie wäre gleich dorthin gegangen.

Unbestimmtes Rechtsmittel – aufgepasst bei der „Begründung“….

Der dem OLG Stuttgart, Beschl. v. 25.01.2012 6 Ss 741/11 zugrunde liegende Sachverhalt veranlasst zu dem Rat: Aufgepasst beim unbestimmten Rechtsmittel mit den Formulierungen.

Der Verteidiger hatte dort gegen ein amtsgerichtliches Urteil „Rechtsmittel“ eingelegt und im zugehörigen Schriftsatz ausgeführt:

„Die Begründung der Revision folgt ggf. in einem weiteren Schriftsatz.“

Das LG hatte deshalb das Rechtsmittel als Revision angesehen und das Verfahren an das OLG abgegeben. Das OLG hat das anders gesehen:

Eine Erklärung des Angeklagten, die eine wirksame Benennung und bindende Wahl des Rechtsmittels als (Sprung-) Revision begründen könnte, liegt nicht vor. Auch die bezeichnete Formulierung, zur „Begründung der Revision“ im Verteidigerschriftsatz vom 25. Juli 2011 rechtfertigt eine derartige Festlegung nicht. Der in diesem Zusammen­hang explizit erklärte Vorbehalt, dass entsprechende Darlegungen nur gegebe­nenfalls („ggf.“) erfolgen werden, lässt vielmehr darauf schließen, dass der Beschwerdeführer eine endgültige (Rechtsmittel-) Wahl zum damaligen Zeitpunkt noch nicht getroffen hatte bzw. vornehmen wollte. Mangels Vorliegen einer ein­deutigen Erklärung ist das Rechtsmittel – nachdem der Beschwerdeführer auch bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist keine Fixierung seiner Zielsetzung(en) vorgenommen hat – somit als Berufung zu behandeln (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 335 Rdnr. 5 m.w.N.).

Aufgepasst! Wahl des Rechtsmittels versäumt – keine Wiedereinsetzung

Allen (hoffentlich :-)) bekannt ist die Möglichkeit, zunächst nur unbestimmt „Rechtsmittel“ einzulegen und dieses dann erst nach Zustellung des schriftlich begründeten Urteils als Berufung oder Revision zu bestimmen. Wird diese Wahl verpasst, gibt es dagegen nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, sondern das Rechtsmittel wird als Berufung behandelt.

So weit, so gut. Es stellt sich nur die Frage, ob das auch im JGG-Verfahren gilt, oder ob dort wegen der eingeschränkten Rechtsmittelmöglichkeit etwas anderes gilt. So hatte beim OLG Hamm ein Verteidiger argumentiert. Das OLG sah es anders und hat in OLG Hamm, Beschl. v. 22.11.2011 – III 3 RVs 101/11 den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen.